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E-Book

Was kostet ein Lächeln?

Von der Macht der Emotionen in unserer Gesellschaft

AutorUlrich Schnabel
VerlagBlessing
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783641125738
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Fünf Jahre nach seinem Best- und Longseller Muße - das neue Buch des großen Wissenschaftsjournalisten.
Merken Sie, wie Sie unwillkürlich lächeln, wenn Sie jemand anlächelt, wie Sie schlechte Laune erfasst, wenn Ihnen ein mürrisches Gesicht entgegenblickt? Nichts prägt unser Fühlen und Erleben so sehr wie die Emotionen anderer. Wir Menschen haben eine erstaunliche Fähigkeit, die Gefühle anderer zu lesen, uns in sie hineinzuversetzen - und uns von ihnen anstecken zu lassen. Forschungen zeigen, dass unser Verhalten oft stärker vom emotionalen Umfeld bestimmt wird als von unseren eigenen Überzeugungen. Und das hat zum Teil dramatische Folgen.

Ulrich Schnabel kartografiert die Gefühlslandschaft, durch die wir täglich navigieren, und beschreibt, wie wir zwischen der Sehnsucht nach stabilen Beziehungen und dem Wunsch nach Freiheit hin und her gerissen werden. Er entlarvt die emotionalen Fallen der Konsumgesellschaft, beschreibt die Mühen der modernen Liebe und berichtet von der 'Gefühlsarbeit' und der emotionalen Erschöpfung speziell in sozialen Berufen. Zugleich zeigt er, wie wir uns gegen die emotionalen Zumutungen unserer Zeit wehren - ein starkes Plädoyer dafür, die Souveränität über die eigenen Gefühle zurückzuerobern.

Ulrich Schnabel, geboren 1962, studierte Physik und Publizistik und ist seit über 25 Jahren Wissenschaftsredakteur bei der ZEIT. Er schreibt über Themen im Grenzbereich zwischen Natur-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaft und wurde für seine Artikel mit mehreren Preisen ausgezeichnet. So erhielt er den Georg von Holtzbrinck-Preis für Wissenschaftsjournalismus sowie den renommierten Werner und Inge Grüter-Preis für Wissenschaftsvermittlung. Sein 2008 bei Blessing erschienenes Buch Die Vermessung des Glaubens wurde als »Wissenschaftsbuch des Jahres 2009« ausgezeichnet. Muße - Vom Glück des Nichtstuns (2010) wurde ein Best- und Longseller. Zuletzt veröffentlichte er bei Blessing Was kostet ein Lächeln? Von der Macht der Emotionen in unserer Gesellschaft. Als Journalist und Buchautor, sowie als Dozent und Moderator setzt Ulrich Schnabel Maßstäbe in der unterhaltsamen Vermittlung von profundem Wissen.

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Leseprobe

EINLEITUNG:   DAS TSCHECHISCHE RADIO

Als in der Nacht zum 21. August 1968 eine halbe Million Soldaten in die Tschechoslowakei einmarschierten, um den Prager Frühling zu beenden, hatten die Tschechen keine Chance. Innerhalb weniger Stunden besetzten die Gefolgstruppen Moskaus alle strategisch wichtigen Positionen des Landes, und die tschechische Führung beschloss, keinen militärischen Widerstand zu leisten. Zu aussichtslos schien die Lage für die unterlegene ČSSR, die es gewagt hatte, einen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« zu erproben.

Doch so übermächtig die sowjetischen Besatzungstruppen auch waren – die tschechische Bevölkerung dachte nicht daran, klein beizugeben. Die Tschechen montierten Ortstafeln ab oder verdrehten Straßenschilder, um die ortsunkundigen Besatzer in die falsche Richtung zu schicken. Andere malten Plakate, die zum passiven Widerstand aufriefen oder betrieben Piratensender, um der sowjetischen Propaganda etwas entgegenzusetzen. Und selbst als die Plakate abgerissen wurden und die Sowjets die Piratensender nach und nach unter Kontrolle brachten, erlahmte der Widerstandsgeist nicht. Nun verfielen die Tschechen auf die letzte Waffe des Unterdrückten: die Ironie.

Ein paar Spaßvögel bemalten normale Backsteine mit groben Pinselstrichen, nannten sie »tschechische Radios« und taten so, als ob man damit raffiniert verschlüsselte Geheimbotschaften empfangen könnte. Andere griffen die Idee auf und die kuriosen Backsteine wurden zum Symbol des ungebrochenen Widerstandswillens. Mochte der Gegner auch drückend überlegen sein – die Steine brachten zum Ausdruck, dass man nicht resignierte, sondern seine innere Würde und Unabhängigkeit bewahrte.

Und die Sowjets? Die wurden angesichts der Verbreitung bemalter Backsteine regelrecht nervös. Vielleicht fürchteten sie tatsächlich eine unbekannte Geheimtechnologie, vielleicht war ihnen auch nur die Symbolik des Widerstands ein Dorn im Auge – jedenfalls ordneten sie an, alle »tschechischen Radios« unverzüglich zu konfiszieren. Und so schwärmten ihre Soldaten aus und sammelten die wertlosen Steine ein; so groß war die Angst der Mächtigen vor einer Bevölkerung, die zwar besiegt, aber nicht gebrochen war.1

Was die tschechischen Widerständler damals auf so einfallsreiche Weise demonstrierten, war nicht nur eine beachtliche emotionale Stärke, sondern auch die Tatsache, dass unser Leben niemals nur durch seine äußeren Umstände definiert ist. Auch in der aussichtslosesten Lage können wir uns einen inneren Spielraum bewahren, wir haben immer noch die Wahl, wie wir diese Umstände bewerten und wie wir uns innerlich dazu stellen. Es liegt an uns, ob die Realität nur schwarz erscheint oder ob wir auch helle, hoffnungsfrohe Farben wahrnehmen. Selbst vermeintlich unverrückbare Tatsachen sind nie eindeutig, sondern erscheinen – je nach dem emotionalen Filter, durch den wir sie betrachten – mal in diesem, mal in jenem Licht.

Um diese emotionale Färbung unseres Daseins geht es in diesem Buch. Es handelt von jenen unbewussten Kräften, die unser Handeln steuern und unseren Erfahrungen ihre Bedeutung verleihen. Mit anderen Worten: Es handelt von den Mechanismen unseres Gefühlslebens, die letztlich darüber entscheiden, wie wir der Welt gegenübertreten.

Das gilt natürlich nicht nur für Kriegs- oder Katastrophenzeiten, sondern auch im unspektakulären Alltag. Wie reagieren wir auf den Drängler, der uns im Berufsverkehr den Weg abschneidet? Wie gehen wir mit stressigen Arbeitssituationen oder Streit in unserer Beziehung um? Wie stellen wir uns einem Jobverlust oder einer schlimmen Krankheitsdiagnose, die uns überraschend beim Arzt ereilt? Lösen solche Situationen nur Angst, Wut oder Aggression in uns aus, oder wecken sie auch andere Gefühle, Mut etwa oder Mitgefühl, Ehrfurcht, Liebe oder Respekt? Auch wenn die äußeren Fakten nicht wegzuleugnen sind, so liegt es doch an uns, wie wir sie interpretieren und welche emotionale Bedeutung wir ihnen zuschreiben. Angesichts unüberwindlich erscheinender Schwierigkeiten können wir zum Beispiel verzweifeln – oder mithilfe einer Idee wie der des »tschechischen Radios« zumindest unsere Selbstachtung und Würde wahren.

Zusammenbruch und Heilung

Ich begegnete den bunt bemalten Backsteinen erst viele Jahre nach dem Prager Frühling, im Jahr 2012 auf der Documenta in Kassel. Diese weltgrößte Schau der Gegenwartskunst reißt alle fünf Jahre das unscheinbare Kassel aus seinem Dornröschenschlaf und katapultiert es ins Zentrum der globalen Kunstwelt. Hunderte von Exponaten sind dort zu sehen, manche so groß, dass sie ganze Hallen füllen und für Millionensummen gehandelt werden, andere so unscheinbar, dass sie fast übersehen werden – so wie die zwei bemalten Backsteine.

Als Symbole des Überlebenswillens passten sie bestens zum damaligen Leitmotiv der Documenta, Collapse and Recovery. Von Zusammenbruch und Heilung erzählten in Kassel auch viele andere Kunstwerke: Sie berichteten vom Krieg und der unausrottbaren Sehnsucht nach Frieden, erzählten von allen möglichen Arten des Scheiterns – und vom Impuls des Immer-wieder-Neubeginnens. Der amerikanische Künstler Michael Rakowitz schlug etwa eine Brücke von den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs zum aktuellen Zerstörungswerk in Afghanistan. Dort hatten 2001 die Taliban die riesigen Buddha-Statuen von Bamiyan gesprengt, die einst zum Weltkulturerbe gehörten. Gemeinsam mit afghanischen Steinmetzen schuf Rakowitz aus den Überbleibseln der Statuen wiederum Kunstwerke.

»What dust will rise«. Handschrift in Stein gemeißelt von Rakowitz

Aus dem Bamiyan-Stein wurden Bücher aus Stein gemeißelt, naturgetreue Nachbildungen wertvoller deutscher Handschriften wie etwa des Hildebrandslieds aus dem 9. Jahrhundert. Diese Schriften waren 1941 bei einem Bombenangriff auf die Hessische Landesbibliothek in Kassel verbrannt oder durch Feuer und Wasser beschädigt worden, manche waren aufgequollen oder wie Halskrausen gekringelt. Nun ließ Rakowitz mithilfe des Bamyian-Steines ausgerechnet diese verlorenen und verwüsteten Bücher wieder auferstehen – ein wunderbares Beispiel dafür, wie sich zerstörte Kunst in neue Kunst verwandelt, wie aus einem Vernichtungswerk ein schöpferischer Impuls entspringt.

Solche Erzählungen von collaps and recovery trafen damals bei mir einen Nerv. Denn in den Wochen zuvor hatte ich selbst erlebt, wie schnell das gewohnte Leben kollabieren kann. Ein Unfall hatte mich plötzlich aus der Bahn geworfen und wochenlang lahmgelegt, und nahezu zeitgleich kam es in meinem Familien- und Bekanntenkreis zu einer ganzen Serie von schweren Krankheits- und Unglücksfällen – ein Kind starb, jemand erkrankte an Krebs, dort brachen plötzlich lang verdrängte Traumata aus der Kindheit auf … All das führte dazu, dass ich in eher gedämpfter Stimmung zur Documenta reiste; doch dann erlebte ich die Kunst als buchstäblich heilsam.

Tagelang schlenderte ich durch Ausstellungshallen und -parks und öffnete meine Sinne für die teils großartigen, teils bizarren Ideen von Künstlern aus aller Welt, die auf sehr unterschiedliche Weise von der Verletzlichkeit der menschlichen Existenz erzählten – und vom Versuch, diese Verletzlichkeit zu transzendieren. Da waren etwa die Kreidezeichnungen der britischen Künstlerin Tacita Dean, die in Kassel eigentlich einen Film über Afghanistan hatte zeigen wollen. Dann aber wurde ein Großteil ihres Filmmaterials zerstört, und ihr blieben nur wenige Bilder mit teils angesengten, teils überbelichteten Naturaufnahmen. Statt zu resignieren, griff Dean zum Kreidestift und zeichnete nach der Vorlage dieser Bilder filigrane Landschaften auf meterlange Schiefertafeln – ebenso tiefenscharfe wie verletzliche Kunstwerke aus Kreide, die mit zum Schönsten gehörten, was auf der Documenta zu sehen war.2

Ein ähnlich berührendes Dokument des produktiv gewendeten Scheiterns war ein Brief des Kölner Künstlers Kai Althoff, den dieser einige Wochen vor Eröffnung der Ausstellung an die Documenta-Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev geschickt hatte. Auf fünf handgeschriebenen Seiten erklärte Althoff voller Bedauern, dass er seine Teilnahme an der Ausstellung leider absagen müsse. Er habe Zweifel, den hohen Anforderungen der Documenta gerecht zu werden, denn er habe für 2012 schon zu viele andere Anfragen zugesagt und wisse nun nicht, wie er all dem gerecht werden solle.

Eine solche Situation kennen wir wohl alle: Man fühlt sich von Sachzwängen gefangen, und die Verpflichtungen wachsen einem über den Kopf. Andere Künstler hätten sich vermutlich durchgewurstelt und eben irgendein Exponat nach Kassel geschickt, das zumindest dafür gesorgt hätte, dass der eigene Name im Ausstellungskatalog auftaucht. Althoff dagegen zeigte sich konsequent. Als ihm klar wurde, dass ihm die Muße und Inspiration für einen großen Wurf fehlten, bat er die Documenta-Leiterin, ihn von der Teilnahme zu entbinden; zum Glück wisse noch kaum jemand, dass er eingeladen worden sei, schrieb Althoff.

Doch die Kuratorin zeigte sich ebenso mutig wie der Künstler und inszenierte Althoffs Brief im größtmöglichen Rahmen: Statt ihn schamhaft zu verschweigen, stellte Christov-Bakargiev ihn in einer Vitrine in einem der...

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