Die Einbettung der dualen Berufsausbildung im österreichischen Bildungssystem lässt sich am einfachsten anhand einer Grafik von der Primar- bis zur zweiten Sekundarstufe darstellen (Ibw, 2011, S. 1). Demnach erfolgt der direkte Einstieg in die Lehre über die Polytechnische Schule. Indirekt kann ein Einstieg aber aus jedem anderen Schultyp heraus (z. B. AHS, BHS) nach Beendigung der 9 jährigen Schulpflicht erfolgen.
Abbildung 1: Das österreichische Bildungssystem (Ibw, 2011, S. 1)
Wie aus Abbildung 1 ersichtlich, gibt es im Bereich der Berufsbildung nicht nur die Lehrausbildung, sondern auch zwei schulische Varianten, was eine Besonderheit im österreichischen Bildungssystem darstellt. Die Lehre als klassischer Weg einen Beruf zu erlernen steht in Konkurrenz mit den berufsbildenden mittleren Schulen (BMS) und höheren Schulen (BHS). Letztgenannte schließen mit einer Studienberechtigung, der Matura, ab. Als weitere Besonderheiten des österreichischen Bildungssystems können die frühen Entscheidungen für oder gegen eine berufliche bzw. schulische Ausbildung und auch die bereits mit 15 Jahren recht früh einsetzende Spezialisierung auf eine Berufssparte genannt werden (Schneeberger, 2007, S. 91).
Die Grafik veranschaulicht weiters, dass die Dauer der Lehre je nach gewähltem Beruf variiert. Der Lehrabschluss und die damit verbundene Lehrabschlussprüfung (LAP) finden deshalb je nach Lehrberuf zu unterschiedlichen Zeitpunkten statt. Wie aus der aktuellen Liste der Lehrberufe hervorgeht, beträgt die Ausbildungsdauer der meisten Lehrberufe überwiegend drei Jahre (Bmwfj, 2012, Lehrberufe in Österreich).
Um die Dynamik im österreichischen Lehrlingswesen zu verstehen, ist die Rolle der Sozialpartner, das sind die Interessensvertretungen der Arbeitnehmer/innen und Arbeitgeber/innen, hervorzuheben. Diese schlagen neue Lehrberufe vor, regen Reformen wie etwa die Modularisierung von Lehrberufen oder „Lehre mit Matura“ an und tragen somit wesentlich zur Lebendigkeit des österreichischen Lehrlingswesens bei (Schneeberger, 2007, S. 92).
Die Geschichte der dualen Berufsausbildung reicht bis ins Mittelalter zurück. Neben der schulischen Bildung in Klöstern, für die nur eine Minderheit auserwählter Jugendlicher in Frage kam, richteten die Handwerksgemeinschaften sogenannte Meisterlehren ein. Diese verliefen dreiteilig und führten von den Lehrlingen über die Gesellen hin zu den Meistern. Die Ausbildung war an klare Regeln, wie z. B. die Ausbildungspflicht der Meister aber auch die Bezahlung eines Lehrgeldes, geknüpft und stützte sich didaktisch auf das Schema des Vormachens, Nachmachens und Übens. Eine parallele schulische Ausbildung fand dazu nicht statt, dafür schrieben viele Handwerkszünfte nach Abschluss der Lehre eine verpflichtende Wanderschaft zur Erweiterung des beruflichen Horizonts vor (Gruber & Ribolits, 1997, S. 19 f).
Die mittelalterliche Form der Meisterlehre dominierte die Berufsausbildung in wesentlichen Zügen bis Mitte des 19. Jahrhunderts und wurde erst durch die Gedanken der Aufklärung, welche mit Verspätung in Österreich ankamen, abgelöst. Nun regelte ein Lehrvertrag das Verhältnis zwischen Lehrlingen und Meistern. Ab 1892 schuf ein neues Handelsgesetzbuch die Basis für eine kapitalistische Wirtschaftsordnung. In diese Zeit fallen auch die sogenannten Sonntagsschulen, welche später von den Fortbildungsschulen ersetzt wurden. Diese Vorläufer der Berufsschulen sollten die betriebliche Lehrausbildung ergänzen und fördern (ebd., S. 20 f).
Schließlich folgten Anfang des 20. Jahrhunderts zahlreiche neue Gesetze. Ab 1919 wurde die Nachtarbeit für Jugendliche verboten und die wöchentliche Arbeitszeit auf 44 Stunden limitiert. In diese Zeit fällt auch die Gründung der Kammer für Arbeiter und Angestellte (AK), welche fortan auch die Interessen der Lehrlinge wahrte. So stand den Jugendlichen ab 1922 bereits am Ende des ersten Lehrjahres die Zahlung einer Lehrlingsentschädigung zu (ebd., S. 21 f).
Sein heute bekanntes Profil erhielt das österreichische Lehrlingswesen Ende der sechziger Jahre, wo in Zusammenarbeit von Gewerkschaftsbund, der Arbeiterkammer und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten das Berufsausbildungsgesetz (BAG) ausgearbeitet wurde. Dieses Gesetzeswerk trat 1970 in Kraft und bildet zusammen mit dem Kinder- und Jugendlichen-Beschäftigungsgesetz (KJBG) aus dem Jahr 1948 das rechtliche Fundament der österreichischen Lehrlingsausbildung. In den Folgejahren wurde das BAG mehrmals novelliert. Die Tätigkeit als Ausbilder/in wurde an das Bestehen einer Prüfung geknüpft. Die Berufsbilder, welche die Ausbildungsinhalte ähnlich einem Lehrplan in der Schule regeln, wurden präzisiert und nach Lehrjahren gegliedert. Weiters wurde die Möglichkeit geschaffen, neue Lehrberufe mit unterschiedlicher Ausbildungsdauer zu erproben (Gruber, 2004, S. 19 - 24).
Mit dem Schulorganisationsgesetz von 1975 wurden die Aufgaben der Berufsschule um Aspekte der Allgemeinbildung erweitert. So ging es fortan nicht nur mehr darum, die betriebliche Ausbildung zu ergänzen, sondern z. B. auch Fremdsprachenkenntnisse zu vermitteln. In den Folgejahren wurde der Berufsschulanteil weiter ausgedehnt, die Bezeichnung „duale Berufsausbildung“ setzte sich durch (ebd., S. 34).
Im Jahr 2011 befanden sich in Österreich insgesamt 128 000 Jugendliche in einem Lehrverhältnis (WKO, 2012, Lehrlinge nach Bundesländern). Von knapp 89 000 Mädchen und Burschen, welche potentiell eine Lehre beginnen hätten können, haben über 38 000 dies auch tatsächlich getan. Der Anteil der Lehranfänger/innen an der Geburtenzahl betrug im Jahr 2011 somit 43,3 Prozent. Vergleicht man dies mit dem Spitzenwert von 1990, als sich mit 47,8 Prozent fast jeder zweite Jugendliche für eine Lehre entschieden hatte, so kann der Stellenwert der Lehre nach wie vor als sehr groß bezeichnet werden (WKO, 2012, Demografische Entwicklung).
Ein Blick in die aktuelle Lehrberufsliste zeigt, dass Jugendliche im Jahr 2012 aus 205 gewerblichen, industriellen und dienstleistungsorientierten Lehrberufen wählen können (Bmwfj, 2012, Lehrberufe in Österreich). Aktiv an der Lehrlingsausbildung beteiligten sich im Jahr 2011 36 640 Lehrbetriebe, wobei die Sparten Gewerbe und Handwerk vor dem Handel und der Tourismus- und Freizeitwirtschaft die aktivsten Lehrlingsausbilder/innen waren (WKO, 2012, Lehrbetriebe und Lehrlinge nach Sparten).
Zur Verdeutlichung des gesellschaftspolitischen Stellenwerts der Lehrlingsausbildung lohnt sich ein Blick auf die Arbeitslosenzahlen von Jugendlichen. Im europäischen Vergleich fällt dabei auf, dass Länder, die wie Österreich und Deutschland, eine duale Berufsausbildung haben, eine signifikant niedrigere Jugendarbeitslosigkeit aufweisen (Abbildung 2). Mädchen und Burschen, die eine Lehre absolvieren, sind also besser im Arbeitsmarkt integriert und seltener von Arbeitslosigkeit betroffen als dies bei einer rein schulischen Ausbildung der Fall ist (Dornmayr & Wieser, 2010, S. 24).
Abbildung 2: Harmonisierte Arbeitslosenquote 15 bis 24 jähriger (Eurostat-Abfrage, 31.05.12)
Betrachtet man die einzelnen österreichischen Bundesländer, so zeigt sich eine interessante Korrelation zwischen Lehrlingsanzahl und Jugendarbeitslosigkeit (Abbildung 3). Länder mit großer Zahl an Lehranfänger/innen wie Vorarlberg, Tirol, Salzburg und Oberösterreich weisen im österreichischen Vergleich die niedrigste Arbeitslosenquote der 20 bis 24 jährigen auf (ebd., S. 97 - 98).
Abbildung 3: Zusammenhang zwischen jungen Arbeitslosen & Lehranfängerquote (Dornmayr & Wieser, 2010, S. 98)
Angesichts dieser positiven Folgen auf die Beschäftigung der Jugendlichen ist eine funktionierende Lehrausbildung gesellschaftspolitisch höchst erwünscht. Aus diesem Grund will auch die Europäische Union mit Maßnahmen im Bereich der Berufsausbildung dem Schreckensgespenst Jugendarbeitslosigkeit Paroli bieten. So finden sich bereits im Weißbuch „Lehren und Lernen“ aus dem Jahr 1995 Vorschläge dazu, wie mit Hilfe von Maßnahmen im Bereich der beruflichen Bildung die Wettbewerbsfähigkeit und die Beschäftigungslage nachhaltig verbessert werden kann. Gefordert wird dabei etwa, dass Schulen und Unternehmen einander weiter annähern und dass sich das Bildungswesen hin zur Arbeitswelt öffnet. Länder mit bereits etablierter dualer Berufsausbildung nehmen in diesem Annäherungsprozess naturgemäß eine Vorbildfunktion ein (Europäische Kommission, 1995, S. 2, 52).
Bereits im Jahr 2000 hat sich der Europäische Rat von Lissabon zum Ziel gemacht „Europa bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen“ (Tessaring, 2007, S. 57). Wesentlich zur Erreichung dieser Strategie wurde die Implementierung von lebenslangem Lernen in der beruflichen Aus- und Weiterbildung in den jeweiligen Mitgliedstaaten gesehen. Weitere Herausforderungen auf europäischer Ebene liegen insbesondere...