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Was soll ich tun?

Eine Geschichte der Beratung

AutorHaiko Wandhoff
VerlagCorlin
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783981815627
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Von den Orakelsprüchen der alten Griechen bis ins Zeitalter von Coaching und Consulting: Haiko Wandhoff führt uns durch 3.000 bewegte Jahre des Ratens und Beratens. Er zeigt, wie sich die Haltung gegenüber dem Ratgeben im Lauf der Zeit immer wieder verändert - und welche Folgen das für unser heutiges Beratungsverständnis hat. Das Buch gewährt verblüffende, manchmal auch kuriose Einblicke in ein uraltes Gewerbe. Es zeichnet nach, wie Beratung von einem Privileg der Mächtigen im Lauf der Jahrhunderte zu einer wichtigen Lebenshilfe auch für die einfachen Leute wird. Doch damit treten zugleich die Beratungskritiker auf den Plan... In zehn Streifzügen durch die Geschichte und Gegenwart des Ratgebens macht sich Haiko Wandhoff auf die Suche nach den Ursprüngen des aktuellen Beratungsbooms. Das Ergebnis ist eine ebenso eingängig erzählte wie sorgfältig recherchierte Reise in die gar nicht so ferne Vergangenheit: die erste umfassende Geschichte der Beratung in deutscher Sprache. Eine unentbehrliche Lektüre für Beraterinnen und Berater jeder Couleur, die mehr über die Wurzeln ihrer Profession erfahren wollen!

Haiko Wandhoff, Jahrgang 1963, ist apl. Professor für Ältere deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie systemischer Coach und Berater. In Hamburg und Düsseldorf bildet er außerdem angehende Coaches aus. Dieser reichen, theoretischen und praktischen Erfahrung mit dem Phänomen der Beratung verdankt sich das vorliegende Buch: eine kundig erzählte Geschichte der Beratung, die sich von der uralten Kulturtechnik des Ratgebens bis zum Consulting-Boom der Gegenwart erstreckt.

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Leseprobe

Einführung


Was uns die Geschichte des Ratgebens über unsere Gegenwart erzählt


„Der größte Vertrauensbeweis der Menschen liegt darin, dass sie sich voneinander beraten lassen“, schreibt der englische Philosoph und Staatsmann Francis Bacon an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. „In anderen Vertrauenssachen überlassen wir unseren Mitmenschen nur einen Teil von dem, was wir haben: Ländereien, Vermögen, Kinder, Kredit oder irgendeine besondere Angelegenheit, während wir denen, die wir zu unseren Ratgebern machen, schlechthin alles überliefern.“1

Bacons Lob der Beratung scheint auch heute noch – oder wieder? – hochaktuell zu sein, auch wenn wir unseren Beratern nicht mehr „schlechthin alles“ anvertrauen. Das liegt vor allem daran, dass wir uns nicht mehr einem einzigen Ratgeber ganz und gar ausliefern. Wir haben heute vielmehr Zugang zu einer Vielzahl von Beraterinnen und Beratern, die wir je nach Anlass konsultieren: sei es für die Finanzen, die Altersvorsorge, die Gesundheit, die Karriere, die Kindererziehung, die Ehe, das passende Fitnessprogramm usf. Auch dafür benötigen wir ein Mindestmaß an Vertrauen, denn sonst würden wir unser Gegenüber nicht in unsere ureigenen, manchmal sehr intimen Angelegenheiten schauen lassen. Das Vertrauen stellt sicher, dass wir Zuversicht in den Beratungsprozess haben – das war damals nicht anders als heute, ganz gleich, ob die Griechen vor 2 500 Jahren aus dem unverständlichen Orakelspruch den Rat eines Gottes herauslasen, ob der mittelalterliche König dem Rat seiner Gefolgsleute folgte oder ob wir von einem Coach oder einer Therapeutin Unterstützung in Krisen oder Lebensfragen erwarten.

Nun scheint das Aufbringen dieses Vertrauens zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht unser Hauptproblem zu sein. Im Gegenteil: Seit einigen Jahren hat das Raten und Beraten Hochkonjunktur. Wohin wir schauen, finden wir Coaches und Consultants, Berater und Beraterinnen, Beratungsfirmen und Beratungsstellen, Ratgeberbücher und Ratgeberportale der Internet-Community. Und wenn Sie einmal nur zum Spaß versuchen, einen Lebensbereich zu finden, für den es noch keine eigenen Beratungsangebote gibt, werden Sie merken, wie schwer das ist. Manch ein Zeitkritiker hat daher das Phänomen der Beratung sogar als hervorstechendes Kennzeichen unserer Gegenwart benannt. Schon vor zwanzig Jahren drückten Soziologen unserer westlichen Gesellschaft das Etikett einer „Beratungsgesellschaft“ auf.2 Zwar bleibt diese Diagnose ein wenig unscharf, doch hat sie in ihrer plakativen Vereinfachung etwas sehr Überzeugendes. Denn wer will schon etwas gegen eine solche Kennzeichnung einwenden, wenn sich – wie in der TV-Serie The Sopranos – mittlerweile sogar ein Mafiaboss im amerikanischen New Jersey in die Hände einer Psychotherapeutin begibt? Dass Dr. Jennifer Melfi in der 1991 erstmals ausgestrahlten Serie wie ihr Klient italienischer Abstammung ist, erleichtert die Sache, weil die Zugehörigkeit zu derselben ethnischen Gruppe für ein gewisses Grundvertrauen sorgt.

Ohne Frage ist das Phänomen der Beratung zu einem unübersehbaren, breitgefächerten Merkmal unserer Zeit geworden – und dies ganz besonders in Deutschland: Mit rund 15 000 Beratungsfirmen ist es eines der beratungsintensivsten Länder der Welt. Der aktuelle deutsche Wikipedia-Artikel führt über 50 verschiedene Felder an, auf denen professionelle Beratung angeboten und offenbar auch nachgefragt wird. Und füttert man zur selben Zeit die führende Internet-Suchmaschine mit dem Suchbegriff *.-beratung, erhält man im Jahr 2016 knapp 90 Millionen Ergebnisse. Und ein Ende dieses Booms scheint nicht in Sicht: Ständig kommen neue Beratungsangebote hinzu, drängen weitere Berater, Consultants und Coaches auf einen Markt, für den es so gut wie keine berufsständischen Eintrittsbarrieren gibt. Damit der spätmoderne Mensch dabei den Überblick nicht vollends verliert, widmen sich erste Agenturen (wie die 1999 gegründete, in Zürich ansässige Firma Cardea) bereits dem „Meta-Consulting“, einer Art Beratung in Beratungsfragen. Die Berater der Berater sind also auch schon da.

Wir haben uns längst an den Luxus gewöhnt, für beinahe jeden Bereich unseres Lebens, Liebens und Arbeitens professionelle Konsultationen in Anspruch nehmen zu können. Doch manchmal bekommen wir auch den Druck zu spüren, der davon ausgeht, dass es diese Angebote gibt: Mit ihnen wächst nämlich die Erwartung, sie auch wirklich wahrzunehmen, wenn wir gesund, erfolgreich und glücklich sein und bleiben wollen. Schließlich ist jeder, so lautet unüberhörbar das Credo der ‚Beratungsgesellschaft‘, seines eigenen Glückes Schmied, und wer sich beim Schmieden nicht beraten lassen will, der hat seinen potentiellen Misserfolg am Ende selbst zu verantworten.

Doch nicht alles daran ist völlig neu. Schon lange vor dem aktuellen Beratungsboom haben die Menschen ja beratschlagt und sich beraten, und spätestens seit der Erfindung des Buchdrucks auch in schriftlicher Form. Mit der Ratgeberliteratur trat bereits vor über 500 Jahren eine damals revolutionäre Form der Beratung in Buch- und später auch Zeitschriftenform auf den Plan, die bis heute verblüffend erfolgreich ist. Eine Vielzahl an How to-Büchern, aber auch Radio- und Fernsehsendungen und ganz besonders die Web-Community versprechen uns Rat und Hilfe in nahezu allen Lebenslagen: wie man dieses am besten tut und jenes lässt, vom erfolgreichen Meditieren über die homöopathische Behandlung von Haustieren bis zur erfolgreichen Existenzgründung. Diese Ratgeberbücher bringen einen neuen Aspekt in die Geschichte der Beratung ein: Sie offerieren ihre Ratschläge, ohne dass wir sie (oder ihre Autoren) zuvor um Rat gefragt hätten. Dies ist ja in der mündlichen Beratung, die im Mittelpunkt dieses Buches steht, grundsätzlich anders: Der Sprech-Akt des Ratgebens geht von der Initiative des Ratsuchenden aus. Das gilt auch für die professionelle Beratung: Ein Coaching beispielsweise funktioniert nur, wenn der Klient oder die Klientin aus eigenem Antrieb kommt und ein echtes Anliegen hat, bei dem der Coach ihm oder ihr beratend zur Seite steht.

Wir sind also von Ratgebern regelrecht umstellt: von ‚echten‘, menschlichen Beraterinnen und Beratern, von Ratgeberbüchern und -zeitschriften, aber längst auch von den zahllosen Ratgeberforen der Internetgemeinde. Hier verbindet sich die Schriftform der Beratung, wie wir sie aus Büchern und Zeitschriften kennen, mit der Interaktivität des neuen Mediums. Hinzu kommen die ständig neuen Apps und technischen Hilfsmittel, die uns mit Ratschlägen im täglichen Leben versorgen: was wir noch für unsere Fitness tun können, welche Restaurants sich in der Nähe befinden, welche Formen der Geldanlage gerade günstig sind etc. Ganz zu schweigen von den Ratschlägen, mit denen uns die großen Suchmaschinen auch dann ungefragt versorgen, wenn wir gerade eigentlich gar nichts suchen. Auf diesem Gebiet der automatisierten Beratung, wo uns die Apps und Computerprogramme empfehlen, was wir tun sollen, werden wir wohl noch einiges erleben.

Es hat den Anschein, als ließe sich das Leben in unserer hochkomplex gewordenen, globalisierten und digitalisierten Welt ohne beratende Unterstützung kaum noch meistern. Man hat dies vor allem auf die unüberschaubar gewordene Anzahl der Möglichkeiten zurückgeführt, vor denen wir heute stehen: Die „Multioptionsgesellschaft“ (Peter Gross) ist, wenn man so will, die große Schwester der ‚Beratungsgesellschaft‘. Sie gibt uns eine Freiheit, selbst über unser Leben zu entscheiden, von der frühere Generationen nur träumen konnten. Und doch hat diese Freiheit auch eine Kehrseite: Denn wer über eine stetig zunehmende Vielfalt von Möglichkeiten entscheiden kann, der muss dies auch tun – und zwar nicht nur einmal, sondern immer wieder. Das ist nicht nur auf Dauer recht anstrengend, sondern auch desillusionierend, denn es führt uns die prinzipielle Beliebigkeit unseres Tuns schonungslos vor Augen. Schließlich hätten wir in jedem Einzelfall auch anders entscheiden können, was womöglich genauso gut oder schlecht – oder vielleicht sogar besser – gewesen wäre. Anders gesagt: Wer die Wahl hat, hat die Qual, und ein Zuviel an Freiheit kann auch zur Last werden. Die Vielzahl der lockenden Möglichkeiten verwandelt sich schnell in einen bedrohlichen Strudel der verpassten Gelegenheiten und falschen Entscheidungen. Der spätmoderne Mensch findet sich dann in der Rolle des homo consultabilis wieder, wie ihn der Erziehungswissenschaftler Hans Thiersch genannt hat: als beratbarer, zur Beratung fähiger Mensch, „der sich in seinen Problemen als hilflos erfährt und in diesen Problemen oder von ihnen aus Hilfe in der Beratung sucht.“3

So scheint gerade die Vervielfältigung unserer Lebensoptionen kein beratungsfreies Leben mehr zuzulassen, auch wenn manche Ausformungen unserer ‚Beratungsgesellschaft‘ Ängste schüren. Dazu zählt wohl insbesondere das Treiben von Firmen des Big Consulting, jener multinational operierenden Unternehmens- und Strategieberatungen, deren Einfluss in den letzten Jahren auch in Europa enorm gewachsen ist. Mit weitreichenden Folgen: Als das Brandenburger Theater in Brandenburg an der Havel im Februar 2004 das Stück McKinsey kommt des Dramatikers Rolf Hochhuth zur Uraufführung bringt, kommt darin die titelgebende Unternehmensberatung gar nicht vor. Vielmehr stehen die bloße Nennung ihres Namens und die Ankündigung ihres Kommens stellvertretend für geplante Entlassungen. Manch einer befürchtet denn auch die einseitig an Profitinteressen orientierte Gleichschaltung gewachsener Unternehmenskulturen. Doch die überkommenen Formen der Managementberatung stoßen bereits an ihre Grenzen. Nach den...

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