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E-Book

Was Tiere wirklich wollen

Eine Streitschrift über politische Tiere und tierische Politik

AutorEva Meijer
Verlagbtb
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783641233822
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Tiere sind Wesen mit Gedanken und Gefühlen, nicht weniger intelligent oder weniger wert als der Mensch - ein einleuchtendes und mitreißendes Plädoyer für ein radikales Umdenken in unserem Verhältnis zu den nichtmenschlichen Bewohnern unseres Planeten.

Bienen diskutieren, wen sie angreifen sollen. Gänse haben territoriale Koflikte mit Menschen. Gefangene Orkas töten ihre Trainer. Kamele weigern sich, für die Armee zu arbeiten. Biber helfen Bauern bei Überschwemmungen. ... Hochaktuell, wissenschaftlich fundiert und mit wunderbar anschaulichen Beispielen geht die Philosophin Eva Meijer der Frage nach, inwieweit Tiere als politisch handelnde Wesen betrachtet werden müssen und was das für unseren Umgang mit Tieren, für die Politik und die gesellschaftlichen Machtverhältnisse bedeutet. Können wir sie als unsere nichtmenschlichen Mitbürger begreifen, eine neue Art von Demokratie schaffen? Müssen wir Fragen der Ethik und Moral neu definieren? Und was wollen Tiere wirklich?



Eva Meijer, geboren 1980 in Hoorn, Niederlande, ist Philosophin und Schriftstellerin. Sie hat Romane, Kurzgeschichten, Gedichte und Essays veröffentlicht und wurde zu einem Thema über die Sprachen der Tiere promoviert; die Dissertation erschien bei der New York University Press. Ihr Roman »Das Vogelhaus« gewann den Leserpreis des BNG-Literaturpreises und wurde für den Libris- und den ECI-Literaturpreis nominiert. 2017 wurde Eva Meijer für ihr Gesamtwerk mit dem Halewijn-Preis ausgezeichnet, und »Was Tiere wirklich wollen« erhielt den Hypatia-Preis für das beste philosophische Buch, das von einer Frau geschrieben wurde. Eva Meijer forscht an der Universität von Wageningen.

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Leseprobe

Tierbefreiung und Tierrechte


»Der Tag mag kommen, an dem der Rest der belebten Schöpfung jene Rechte erwerben wird, die ihm nur von der Hand der Tyrannei vorenthalten werden konnte. Die Franzosen haben bereits entdeckt, dass die Schwärze der Haut kein Grund ist, ein menschliches Wesen hilflos der Laune eines Peinigers auszuliefern. Vielleicht wird eines Tages erkannt werden, dass die Zahl der Beine, die Behaarung der Haut oder die Endung des Kreuzbeins ebenso wenig Gründe dafür sind, ein empfindendes Wesen diesem Schicksal zu überlassen. Was sonst sollte die unüberschreitbare Linie ausmachen? Ist es die Fähigkeit des Verstandes oder vielleicht die Fähigkeit der Rede? Ein voll ausgewachsenes Pferd aber oder ein Hund ist unvergleichlich verständiger und mitteilsamer als ein einen Tag oder eine Woche alter Säugling, oder sogar als ein Säugling von einem Monat. Doch selbst wenn es anders wäre, was würde es ausmachen? Die Frage ist nicht: können sie verständig denken? oder: können sie sprechen?, sondern: können sie leiden?«10

Diese Fußnote, die der englische Philosoph Jeremy Bentham 1789 machte, fasse eigentlich die gesamte moderne Tierethik zusammen, wird manchmal scherzhaft behauptet. Benthams Argumentation ist simpel: Statt die Vernunft zum Ausgangspunkt dafür zu machen, wen wir als moralisch wertvoll erachten, sollte die Leidensfähigkeit das Kriterium sein, oder besser gesagt, das Vermögen, Schmerz und Freude zu empfinden. Ausgewachsene Pferde und Hunde seien vernünftigere Wesen als Menschenbabys, schreibt Bentham, doch aus ethischer Sicht solle es uns gar nicht darum gehen, ob ein Wesen sogenannte vernünftige Gedanken hegen kann oder nicht. Worauf es ankomme, sei, das Leiden weitestmöglich aus unserer Welt zu verbannen und das Glück für alle zu mehren.

Bentham war ein sogenannter Utilitarist. Er vertrat die Meinung, dass wir »the greatest good for the greatest number« anstreben müssten, also das größte Wohl für möglichst viele. Das Vorhandensein von Glück und die Abwesenheit von Leid seien die höchsten Werte im Leben, und moralisch gut handle demnach, wer dies beides anstrebe. Nicht nur für sich selbst, sondern für alle, um so das größtmögliche Wohlergehen in der Welt zu erreichen. Dementsprechend müssten alle Interessen berücksichtigt werden, ungeachtet dessen, wer sie hegt – bei der utilitaristischen Gleichung fällt jeder ins Gewicht, der leiden und Glück empfinden kann –, und auch ungeachtet, ob derjenige ein Fell trägt oder mehr als zwei Beine hat. Dass jeder ins Gewicht fällt, will übrigens nicht heißen, dass auch jeder gleich schwer wiegt.11 Unterschiedliche Individuen haben unterschiedliche Interessen, und würde man sie alle gleich gewichten, würde das zu einer Ungleichbehandlung führen.

Nichtmenschliche Wesen können genau wie menschliche Wesen Schmerzen leiden und Freude empfinden. Nicht nur Haustiere, sondern auch landwirtschaftliche Nutztiere, Versuchstiere, für die Pelzindustrie gezüchtete Tiere und diverse andere haben ein Leben, dem sie selbst den größten Wert beimessen, ein Leben, in dem sie gute und schlechte Erfahrungen machen können. Aus ebendiesem Grund stehen Menschen unserer Meinung nach unveräußerliche Rechte zu, was sich im Gedanken universeller Menschenrechte niederschlägt. Tiere aber sind in unseren Augen weniger wert. Komisch, denn es ist doch Zufall, als welches Lebewesen man geboren wird, und Schmerz ist Schmerz, egal, wer diesen Schmerz verspürt.

Speziesismus und Anthropozentrismus


Die meisten Menschen sind gegen Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe oder sexueller Orientierung. Diskriminierung ist sogar verboten. Dass aber bei den Arten von Lebewesen Unterschiede gemacht werden, halten nur wenige für diskriminierend. Solcher Speziesismus ist eben oft mit Anthropozentrismus gepaart, also der Auffassung, der Mensch sei eine herausragende, den Tieren überlegene Art. Die Ansicht, dass Tiere weniger wert und grundlegend anders seien als Menschen, ist so tief verankert, dass viele von uns denken, das sei eine universelle Wahrheit. Es handelt sich jedoch um ein Phänomen der westlichen Kultur, mit Wurzeln in der griechischen Antike und Ausläufern in Christentum und Humanismus. In bestimmten nichtwestlichen Kulturen nimmt der Mensch diese Ausnahmestellung nicht ein. Die Berufung auf die Naturgegebenheit einer Konvention ist ohnehin problematisch, denken wir zum Beispiel an das Machtverhältnis zwischen Mann und Frau.

Oft wird bei der Differenzierung zwischen Mensch und Tier auf bestimmte Eigenschaften verwiesen, über die Menschen verfügten, Tiere aber nicht – es wird zum Beispiel argumentiert, dass Tiere keine Gefühle hätten, keinen Verstand, keine Sprache, keine Kultur und kein Bewusstsein von sich selbst. Eine solche moralische Schwelle zu errichten ist problematisch, denn worin einer gut ist und worin nicht, beruht auf Zufall, und es wird immer Tiere geben, die etwas können, was Menschen (und zwar nicht nur Säuglinge oder Menschen mit schweren Behinderungen) nicht können. Bleibt also nur, dass man Menschen als wichtiger erachtet, weil sie Menschen sind, und das ist eine Form von Diskriminierung: die eigene Art an erster Stelle.

Kritiker des Speziesismus ziehen daher die Analogie zu anderen Formen von Diskriminierung wie Sexismus oder Rassismus. Sie erkennen in der Diskriminierung aufgrund der Art die gleiche Struktur (was also nicht heißen soll, dass sie exakt dasselbe ist – alle Formen von Unterdrückung haben ihre eigene Geschichte und Ausprägung) und betrachten sie als genauso problematisch. Wir sollten bei unseren moralischen Entscheidungen nicht auf die Zugehörigkeit zu einer Art oder Gattung schauen, sondern darauf, welche Interessen das Wesen – Tier oder Mensch – hat, und gleiche Interessen gleich gewichten.

Von Tierbefreiung zu Tierrechten


Das wohl bekannteste Buch zum Thema Tierethik dürfte Animal Liberation (1975) (dt. Die Befreiung der Tiere, 2015) des australischen Philosophen Peter Singer sein, der von den Ideen Jeremy Benthams beeinflusst war. Animal Liberation gilt als die große Inspirationsquelle für die Tierbefreiungsbewegung, und für viele Tierrechtsaktivisten ist es nach wie vor das wichtigste Werk über den Umgang mit Tieren. Singer veranschaulicht – im wahrsten Sinne des Wortes, denn das Buch enthält Fotos und auch vegane Kochrezepte –, wie der Mensch Tiere behandelt. Er geht auf unseren Fleischkonsum ein, auf die Umstände, unter denen Tiere in der Viehwirtschaft und in Versuchslabors leben, und beleuchtet ihr Leiden unter Praktiken, vor denen die meisten Menschen lieber die Augen verschließen. Und er erläutert klar und deutlich, warum es falsch ist, Tiere für den menschlichen Nutzen leiden zu lassen. Singers Argumentation ruht auf zwei Pfeilern. Zum einen legt er dar, dass das größte Wohl für alle das Ziel sei, das wir moralisch anstreben sollten. Und da auch Tiere eine subjektive Lebenserfahrung hätten, ebenfalls Schmerzen und Freude empfänden, müssten wir ihr Glück bei jenem größten Wohl für alle mitberücksichtigen. Zum andern unterstreicht er, dass wir Tiere nicht benachteiligen dürften, weil sie einer anderen Art angehörten, da das, wie gerade gesehen, Speziesismus sei.

Singer führt überzeugend aus, dass wir bei unseren moralischen Entscheidungen alle Lebewesen miteinbeziehen müssen, da sie alle Interessen haben. Wie schon gesagt, sind die Interessen verschieden, weil sich Lebewesen voneinander unterscheiden. Singer meint, die Interessen einer Maus fielen weniger schwer ins Gewicht als die eines Menschen, weil eine Maus nicht so lange lebe, weniger über ihr Leben nachdenke, nicht so weit in die Zukunft plane und weniger wertvolle Beziehungen unterhalte. Bei der Einschätzung einer bestimmten Situation zähle jedoch nicht die Art, sondern das vorrangige Interesse. Wenn ein Haus brenne und man vor der Entscheidung stehe, ob man eine gesunde Maus rettet oder einen alleinstehenden, im Koma liegenden Menschen, der keine Chance hat, je wieder aufzuwachen, müsse man sich Singers Meinung nach für die Maus entscheiden. Da die Interessen der Maus in diesem Fall schwerer wögen als die des Menschen.

Singers Buch hebt auf die Befreiung von Tieren ab. Dabei liegt für uns meist der Gedanke an Tierrechte nahe. Logisch, denn Rechte sind ein wichtiges Instrument zur Verbesserung der Lage von Tieren. Doch der Kampf um Rechte ist nicht das, was Singer intendiert. Singer vertritt die Ansicht, dass unser moralisches Handeln darauf ausgerichtet sein muss, jegliches Leid abzuwenden und das größtmögliche Wohlergehen für alle zu bewerkstelligen, und dass wir dafür auch mal einen Einzelnen opfern müssen.12 Rechte dagegen sind gerade dazu da, den Einzelnen vor der Willkür und den Interessen anderer zu schützen. Daher postulieren auch viele Philosophen, dass nicht die Optimierung des Gemeinwohls unser Ausgangspunkt sein sollte, sondern vielmehr die unverletzliche Würde des Einzelnen.

Der Tierrechtsphilosoph Tom Regan schrieb 1983 mit The Case for Animal Rights eine Entgegnung auf Singers Animal Liberation. Er übernimmt darin Singers Argumente gegen den Speziesismus sowie dessen Gleichheitsgedanken, findet jedoch, dass auch für Tiere die Prämisse der Unverletzlichkeit des Einzelnen gelten müsse, auf die wir Menschen uns berufen. Die meisten nichtmenschlichen Lebewesen seien genau wie wir Menschen subject-of-a-life, also Geschöpfe mit einer subjektiven Lebenswelt. Genau wie wir hätten sie nur dieses eine Leben, und das sei ihr größtes Anliegen. Da es diskriminierend und damit falsch sei, ein Wesen aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Art anders zu behandeln,...

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