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E-Book

Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten

aber wissen sollten

AutorAlice Hasters
Verlaghanserblau
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783446265226
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Wer Rassismus bekämpfen will, muss Veränderung befürworten - und die fängt bei einem selbst an.
'Darf ich mal deine Haare anfassen?', 'Kannst du Sonnenbrand bekommen?', 'Wo kommst du her?' Wer solche Fragen stellt, meint es meist nicht böse. Aber dennoch: Sie sind rassistisch. Warum, das wollen weiße Menschen oft nicht hören.
Alice Hasters erklärt es trotzdem. Eindringlich und geduldig beschreibt sie, wie Rassismus ihren Alltag als Schwarze Frau in Deutschland prägt. Dabei wird klar: Rassismus ist nicht nur ein Problem am rechten Rand der Gesellschaft. Und sich mit dem eigenen Rassismus zu konfrontieren, ist im ersten Moment schmerzhaft, aber der einzige Weg, ihn zu überwinden.

Alice Hasters wurde 1989 in Köln geboren. Sie lebt und arbeitet als freie Autorin, Moderatorin und Speakerin in Berlin. Sie war unter anderem für die Tagesschau und das Jugendprogramm Funk tätig und entwickelte Social-Media-Formate für den RBB und Deutschlandfunk Nova. Mit Maxi Häcke spricht sie im monatlichen Podcast Feuer&Brot über Feminismus und Popkultur. Ihr erstes Buch Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten belegte Platz 5 der Jahresbestsellerliste Sachbuch im Paperback 2020. Für ihre Bildungsarbeit zum Thema Rassismus wurde sie 2020 zur Kulturjournalistin des Jahres gewählt.

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Leseprobe

1  Alltag


Das R-Wort


Ich bin in Köln-Nippes aufgewachsen. Kölner*innen pflegen einen besonderen Patriotismus, wenn es um ihre Heimatstadt geht. Nippeser*innen legen noch einmal eine Schippe drauf. Sie lieben ihr Viertel. So sehr. Sie lassen sich die Nippeser Postleitzahl tätowieren und tragen T-Shirts und Mützen, die erkennen lassen, wo sie wohnen.

Als ich klein war, witzelte Stefan Raab im Fernsehen gerne darüber, dass Nippes ein hartes Pflaster sei. Das stimmte nicht. Zumindest nicht in meinen Augen. Es war das Lieblingsviertel von Künstler*innen und Freiberufler*innen. Die Mieten waren verhältnismäßig günstig, und trotzdem war es nicht ab vom Schuss. Viele Familien mit überwiegend türkischer Zuwanderungsgeschichte lebten dort. Rückblickend reichte das wahrscheinlich, um Nippes als ein Problemviertel darzustellen.

Auf dem Nippeser Markplatz thront ein hässlicher Betonklotz mit großen Treppenstufen, die nirgendwo hinführen. Was dieser Bau genau soll, wofür er gut ist, weiß ich bis heute nicht. Von dort aus kann man gut beobachten, wie mittags Menschen zwischen den Ständen hin und her wuseln und der Geräuschkulisse aus den Schreien der Verkäufer*innen und dem kölschen, nachbarlichen Gequatsche lauschen. Als ich jung war, spielten wir dort nach der Schule zwischen zermatschtem Gemüse. Im Sommer kauften wir uns für zwanzig Pfennige Wassereis und Kaugummis am kleinen Kiosk, setzten uns auf die nach Urin und Essensresten stinkenden Betonstufen und streckten uns gegenseitig unsere blau gefärbten Zungen entgegen.

Mittlerweile ist Köln-Nippes gentrifiziert.

Imbissbuden, Ramschläden und alteingesessene Kneipen mussten Burgerläden, Bars und Cafés weichen. Der hässliche Betonklotz auf dem Marktplatz wurde von einem lokalen Künstler bunt angemalt und sieht jetzt ein bisschen besser aus. Immerhin. Den Kiosk gibt es nicht mehr. Dort hat eine kleine Kaffeebude aufgemacht.

Als ich noch, einige Jahre älter inzwischen, in Nippes gewohnt habe, habe ich mich dort, an der Kaffeebude, oft mit meiner Freundin Luise getroffen. So saß ich mit Anfang zwanzig wieder gerne auf den Betonstufen, statt Wassereis einen Cappuccino in der Hand. Der Kaffeeladen wird von zwei Frauen betrieben, die Kund*innen mit einem Lächeln begrüßen und ihre Kaffees mit viel Liebe durch das Durchreichfenster übergeben.

Eines Tages, als Luise ihren Kaffee bezahlte und Trinkgeld geben wollte, stellte eine der Frauen eine Spardose vor uns. »Hier kannst du es reinschmeißen«, sagte sie vergnügt. Es war eine antike Spardose: der Oberkörper eines Schwarzen Mannes. Rote Lippen, breit zu einem absurden Lächeln geformt, große Augen und Nase. Vor seinem Mund eine Hand, in die man die Münze hineinlegen konnte. Als die Frau einen Hebel betätigte, hob sich die Hand. Die Augen des Mannes rollten nach hinten, die Münze verschwand in seinem Mund und landete scheppernd im Inneren der Spardose.

Ich hatte so eine Sparbüchse schon einmal gesehen. Meine Mutter hatte vor vielen Jahren eine weibliche Version in einem Antiquariat in Irland gekauft, als wir dort Urlaub machten. Damals war ich neun Jahre alt. Ich wunderte mich über diese seltsame Spardose. »Warum hast du sie gekauft?«, fragte ich meine Mutter. »Ich will nicht, dass jemand so etwas Rassistisches besitzt, deshalb muss ich sie aus dem Verkehr ziehen«, sagte sie. Sie erklärte mir auch, dass diese Spardose symbolisieren sollte, dass Schwarze das ganze Geld der Weißen verschlucken würden. Damals habe ich noch nicht genau verstanden, warum.

Heute weiß ich, dass diese Spardosen zwischen dem Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts sehr beliebt waren, »Jolly N**ger Bank« genannt wurden und aus den USA kommen. Nach der offiziellen Beendigung der Sklaverei 1865 dort, wurde jedem Schwarzen Menschen im Zuge einer Agrarreform sechzehn Hektar Land und ein Esel versprochen. Außerdem fielen Schwarze Menschen als kostenlose Arbeitskraft weg. Das kam weißen Landbesitzer*innen natürlich erst einmal sehr teuer vor. Die ehemaligen Sklav*innen wurden also als Geldfresser*innen der Weißen gesehen, einfach nur, weil sie jetzt bezahlt werden mussten. Schwarze Menschen bekamen das ihnen zugesicherte Land und Vieh nicht, das Versprechen wurde schnell wieder zurückgezogen. Doch Rassismus hat sich noch nie von Fakten beirren lassen. Das Narrativ der gierigen Schwarzen blieb. Aus dieser Ansicht entstand unter anderem diese Spardose. Unter Sammler*innen sind Spardosen wie diese heute immer noch begehrt. Allerdings nicht zu verwechseln mit den sogenannten »Nickn**gern« — Spendendosen, die lange Zeit auch in deutschen Kirchen zu finden waren, mit denen die Gemeinden Geld für »die Armen in Afrika« sammelten. Diese Spendendosen kamen meist in Form eines Schwarzen Jungen, der eine Art Korb vor sich trug und, wenn man eine Münze einwarf, artig und demütig den Kopf verneigte. Ebenso rassistisch, doch aus einem anderen historischen Kontext — dazu kommen wir noch.

Hier war ich nun auf dem rummeligen Marktplatz vor der netten Kaffeeverkäuferin und der rassistischen Spardose, die gerade Luises Trinkgeld verschluckt hatte. Offensichtlich kannte oder erkannte die Frau den historischen Zusammenhang nicht. Vielleicht war diese Spardose für sie nur ein antikes Trödelstück — eben ein Mann, der Geld verschluckt. Vielleicht fand sie das witzig. Wahrscheinlich fiel der Kaffeeverkäuferin die Darstellung des Mannes mit den großen weißen Augen und Zähnen, den roten Lippen und der wulstigen Stirn nicht als rassistisch auf. Eine Sekunde lang überlegte ich, einfach nichts zu sagen. Die Frau in ihrem friedlichen Unwissen zu lassen. Das machte ich oft — einfach nichts sagen. Ich bin nicht besonders schlagfertig und eher konfliktscheu. Ich wusste, wenn ich das »R-Wort« aussprechen würde, wäre die Stimmung dahin.

Selten fühlen sich weiße Menschen so angegriffen, allein und missverstanden wie dann, wenn man sie oder ihre Handlungen rassistisch nennt. Das Wort »Rassismus« wirkt wie eine Gießkanne voller Scham, ausgekippt über die Benannten. Weil die Scham so groß ist, geht es im Anschluss selten um den Rassismus an sich, sondern darum, dass ich jemandem Rassismus unterstelle. Meist sind solche Auseinandersetzungen kräftezehrend und wenig zielführend. Denn so viel haben die meisten schon verstanden: Rassistisch sollte man nicht sein. Rassismus, so die geläufige Annahme, sei nur offener Hass, Verachtung, und trete seit 1945 nur noch vereinzelt auf. Kaum ein Land habe sich so viel Mühe gegeben wie Deutschland, die eigene rassistische Vergangenheit aufzuarbeiten, heißt es dann. Deshalb sei es jetzt auch mal gut. Und überhaupt: Rassismus gegenüber Schwarzen sei doch ohnehin ein Problem der USA — oder Großbritanniens oder Frankreichs.

Weiße Menschen haben so wenig Übung darin, mit ihrem eigenen Rassismus konfrontiert zu werden, dass sie meist wütend darauf reagieren, anfangen zu weinen oder einfach gehen.

Am Ende bin oft ich es, die sich dafür entschuldigen soll, das Thema überhaupt adressiert zu haben. Diese Dynamik nennt man Täter*innen-Opfer-Umkehr. Egal, wie ruhig ich mich verhalte, ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass Menschen meine Reaktion als irrational, empfindlich, dramatisierend oder überemotional bewerten. Für viele Menschen wirkt das R-Wort so, als ob man eine Fliege mit einem Baseballschläger erschlagen würde. Wenn ich jemanden rassistisch nenne, dann hört dieser Mensch meist nicht, was ich ihm oder ihr sage. Was er oder sie hört, ist: »Du bist ein schlechter Mensch. Du bist böse. Du bist ein Nazi.«

Das liegt auch daran, dass Menschen eine einseitige Vorstellung davon haben, was Rassismus ist.

Für Rassismus gibt es unterschiedliche Definitionen. Der Historiker Ibram X. Kendi definiert es in seinem Buch Gebrandmarkt zum Beispiel so: »Jegliche Vorstellung, die eine bestimmte ethnische Gruppe als einer anderen ethnischen Gruppe unterlegen oder überlegen betrachtet.«

Doch in einer Welt, in der Ungleichheit besteht, ist auch Rassismus ungleich gewichtet. Viele Menschen gehen davon aus, dass grundsätzlich jede Person von Rassismus betroffen sein könnte. Diese Menschen sehen Rassismus als rein individuelle Haltung. Wie ein einzelner Mensch die Welt für sich ordnet, hat erst einmal wenig Konsequenzen. Doch Rassismus ist ein System, das mit der Absicht entstanden ist, eine bestimmte Weltordnung herzustellen. Es wurde über Jahrhunderte aufgebaut und ist mächtig. Darin wurde die Hierarchie rassifizierter Gruppen festgeschrieben, und die lautet, ganz grob, so: Weiße ganz oben,...

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