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We were eight years in power

Eine amerikanische Tragödie

AutorTa-Nehisi Coates
VerlagHanser Berlin
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783446259805
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
George Floyds Tod erschüttert die USA und löst Proteste gegen rassistische Polizeigewalt aus. Ta-Nehisi Coates, 'die Stimme des schwarzen Amerika' (Tobias Rüther, F.A.S.), über die Ära Obama und Donald Trump.
Mit Barack Obama sollte die amerikanische Gesellschaft ihren jahrhundertealten Rassismus überwinden. Am Ende seiner Amtszeit zerschlugen sich die Reste dieser Hoffnung mit der Machtübernahme Donald Trumps, den Ta-Nehisi Coates als 'Amerikas ersten weißen Präsidenten' bezeichnet: ein Mann, dessen politische Existenz in der Abgrenzung zu Obama besteht. Coates zeichnet ein bestechend kluges und leidenschaftliches Porträt der Obama-Ära und ihres Vermächtnisses - ein essenzielles Werk zum Verständnis der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der USA, von einem Autor, dessen eigene Geschichte jener acht Jahre von einem Arbeitsamt in Harlem bis ins Oval Office führte, wo er den Präsidenten interviewte.

Ta-Nehisi Coates ist einer der angesehensten Intellektuellen der USA. Mit seinem Essay 'Plädoyer für Reparationen' stieß er eine landesweite Diskussion zur Aufarbeitung der Sklaverei an. 'Zwischen mir und der Welt', für das er 2015 den National Book Award erhielt, ist in den USA eines der meistverkauften Bücher der vergangenen Jahre. Coates lebt mit seiner Familie in New York.

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Leseprobe

 

 

EINLEITUNG

 

WE WERE EIGHT YEARS IN POWER

 

1895, ZWEI JAHRZEHNTE nachdem sein Bundesstaat den Weg von der egalitären Erneuerung der Reconstruction-Ära hin zu einer unterdrückerischen Politik der »Wiedergutmachung« gegangen war, wandte sich der Kongressabgeordnete Thomas Miller aus South Carolina an die verfassunggebende Versammlung des Staates:

 

Wir waren acht Jahre an der Macht. Wir haben Schulen gebaut, Wohltätigkeitseinrichtungen gegründet, das Strafvollzugssystem errichtet und unterhalten, für die Bildung von Taubstummen gesorgt, die Fähren wieder in Betrieb genommen. Kurzum, wir haben den Staat wiederaufgebaut und den Weg zu neuer Blüte bereitet.

 

Mit Beginn der 1890er Jahre war das vorherrschende Bild der Reconstruction das einer durch und durch korrupten Ära der »Negerherrschaft«. Es hieß, South Carolina laufe Gefahr, »afrikanisiert« zu werden und in Barbarei und Unrecht zu versinken. Miller hoffte, dass er, indem er die schwarzen Regierungsleistungen herausstellte und auf überzeugende Weise von schwarzer Rechtschaffenheit berichtete, die zweifellos unvoreingenommenen Einwohner South Carolinas davon überzeugen könnte, die Bürgerrechte der Afroamerikaner unangetastet zu lassen. Sein Plädoyer fand kein Gehör. Die Verfassung von 1895 verlangte schließlich sowohl einen Nachweis über die Lese- und Schreibfähigkeit als auch Grundbesitz als Voraussetzung für die Wahlberechtigung. Als sich diese Maßnahmen als unzureichend erwiesen, um die white supremacy – die weiße Vorherrschaft – zu sichern, wurden schwarze Bürger erschossen, gefoltert, verprügelt und verstümmelt.

Im Zuge seiner Bewertung von Millers Einspruch und der Versammlung von 1895 machte W. E. B. Du Bois eine ernüchternde Beobachtung. Aus Du Bois’ Perspektive ging es der verfassunggebenden Versammlung von 1895 nicht um moralische Reform oder den Versuch, den Staat von der Korruption zu befreien. Dies war nur der Deckmantel für das wahre Ziel der Versammlung – eine weiße Willkürherrschaft wieder einzusetzen. Das Problem war nicht, dass South Carolinas Regierung während der Reconstruction-Ära von einer nie dagewesenen Bestechlichkeit verzehrt worden wäre. In Wahrheit war genau das Gegenteil der Fall. Die Erfolge, die Miller herausstellte, die tatsächliche Bilanz der Reconstruction in South Carolina, untergruben die weiße Vorherrschaft. Um sie wiederherzustellen, wurde die Bilanz verdreht, verhöhnt und verzerrt, bis sie den Vorurteilen des weißen South Carolina besser entsprach. »Wenn es etwas gab, das South Carolina mehr fürchtete als eine schlechte Negerregierung«, schrieb Du Bois, »dann war es eine gute Negerregierung.«

Die Furcht hatte einen Vorläufer. Gegen Ende des Bürgerkriegs, nachdem sie Zeuge der Effektivität der »farbigen Truppen« der Union geworden waren, zogen die in hilflosen Aktionismus verfallenden Konföderierten Staaten in Erwägung, Schwarze für ihre Armee zu rekrutieren. Doch im 19. Jahrhundert war das Bild des Soldaten eng mit Vorstellungen von Männlichkeit und Staatsbürgerschaft verknüpft. Wie konnte eine Armee, die gebildet worden war, um die Sklaverei mit allen damit einhergehenden Annahmen über schwarze Minderwertigkeit zu verteidigen, eine Kehrtwende machen und erklären, dass Schwarze es wert seien, in die Ränge der Konföderierten aufgenommen zu werden? Und tatsächlich konnte sie es nicht. »Der Tag, an dem wir sie zu Soldaten machen, ist der Anfang vom Ende unserer Revolution«, bemerkte Howell Cobb, Politiker aus Georgia. »Und wenn sich Sklaven als gute Soldaten erweisen, dann ist unsere ganze Theorie der Sklaverei falsch.« Für die weiße Vorherrschaft gab es hier nichts zu gewinnen. Wenn Schwarze sich als die Feiglinge herausstellten, die sie jener »ganzen Theorie der Sklaverei« zufolge waren, dann würde die tatsächliche Schlacht auf dem Feld verloren gehen. Sollten sie hingegen effektiv kämpfen – und damit den Nachweis einer »guten Negerregierung« erbringen –, dann konnte der grundlegendere Krieg nicht gewonnen werden.

Den roten Faden dieses Buches bilden acht Artikel, die ich in den acht Jahren der ersten schwarzen Präsidentschaft geschrieben habe – einer Zeit guter Negerregierung. Obama wurde inmitten umfassender Panik gewählt und ging aus seinen acht Jahren als guter Sachwalter und umsichtiger Baumeister hervor. Auf der Basis eines konservativen Modells errichtete er das Gerüst einer staatlichen Gesundheitsversorgung. Er verhinderte den ökonomischen Kollaps und unterließ es, jene zu verfolgen, die für diesen Kollaps die Hauptverantwortung trugen. Er beendete die staatlich sanktionierte Folter, führte jedoch den seit Generationen währenden Krieg im Nahen Osten fort. Seine Familie – die charmante und schöne Ehefrau, die wunderbaren Töchter, die Hunde – schien einem Brooks Brothers-Katalog entsprungen zu sein. Er war kein Revolutionär. Er vermied große Skandale, Korruption und Bestechlichkeit. Er war über die Maßen bedächtig, sah sich als Hüter des heiligen Erbes seines Landes, und wenn ihn die Sünden seines Landes störten, so hielt er dieses Land letztlich doch für eine Kraft, die Gutes in der Welt bewirken konnte. Kurzum, Obama, seine Familie und seine Regierung waren die beste Werbung dafür, mit welcher Leichtigkeit schwarze Menschen vollständig in den nicht bedrohlichen Mainstream amerikanischer Kultur, Politik und Mythen integriert werden konnten.

Und das war schon immer ein Problem.

Eine Richtung afroamerikanischen Denkens geht davon aus, dass gewaltbereites schwarzes Draufgängertum – der schwarze Gangster, der schwarze Aufrührer – der ultimative Schrecken des weißen Amerikas ist. Vielleicht stimmt das auf einer sehr individuellen Ebene. Auf kollektiver Ebene aber fürchtet dieses Land nichts so sehr wie schwarze Respektabilität – gute Negerregierung. Es applaudiert, ja feiert die Idee guter Negerregierung, solange sie abstrakt und ungefährlich ist – in der Cosby Show zum Beispiel. Doch wenn sich abzeichnet, dass eine gute Negerregierung echten Schwarzen Macht über echte Weiße verleihen könnte, kommt Angst auf; dann wird über Affirmative Action geklagt und die Herkunft des Präsidenten angezweifelt. Der Grund dafür ist, dass die amerikanischen Mythen in ihrem Kern nie farblos waren. Sie können nicht aus der »ganzen Theorie der Sklaverei« herausgelöst werden, die behauptet, dass eine gesamte Klasse von Menschen die Leibeigenschaft im Blut hat. Diese Klasse der Leibeigenen bereitete das Fundament, auf dem all die Mythen und Vorstellungen errichtet wurden. Und auch wenn wir uns eine nahtlose schwarze Integration in den amerikanischen Mythos theoretisch vorstellen können, erinnert sich der weiße Teil dieses Landes an den Mythos so, wie er ersonnen wurde.

Ich glaube, die alte Furcht vor guter Negerregierung vermag zu erklären, was als eine schockierende Wende erscheint – die Wahl Donald Trumps. Manche Stimmen behaupten, dass die erste schwarze Präsidentschaft vor allem »symbolisch« gewesen sei, was eine Abwertung ist, die die Macht von Symbolen gehörig unterschätzt. Symbole repräsentieren die Wirklichkeit nicht nur, sie können auch Werkzeuge für ihre Veränderung sein. Die symbolische Kraft der Präsidentschaft Barack Obamas – dass Weißsein nicht mehr ausreichte, um den Einzug der Leibeigenen ins Schloss zu verhindern – griff die am tiefsten verwurzelten Ideen weißer Überlegenheit und Vorherrschaft an und sorgte unter ihren Anhängern und Begünstigten für Angst. Es war diese Angst, die den Symbolen, die Donald Trump einsetzte – den Symbolen des Rassismus –, genug Macht verlieh, um ihn zum Präsidenten zu machen und somit in eine Position zu hieven, in der er der Welt schaden kann.

Eine gängige These in diesem Land, eine, für die Schwarze nicht unempfänglich sind, besagt, dass den Schwarzen, wenn sie sich auf eine Art und Weise verhalten, die den Werten der Mittelschicht entspricht, wenn sie höflich, gebildet und rechtschaffen sind, alle Früchte Amerikas zur Verfügung stehen. In ihrer vulgärsten Form verneint diese Theorie individueller guter Negerregierung, dass Rassismus und weiße Vorherrschaft bedeutende Kräfte im amerikanischen Leben darstellen. In ihrer differenzierteren und seriöseren Form verkauft sie sich als gleichwertiges Komplement zum Antirassismus. Doch ein zentrales Argument dieses Buches lautet, dass gute Negerregierung – auf individueller und politischer Ebene – häufig genau die weiße Vorherrschaft verstärkt, die sie zu bekämpfen sucht. Genau das ist Thomas Miller und seinen Kollegen 1895 passiert. Es ist den Schwarzen in ganz South Carolina während der Wiedergutmachung passiert. Es ist den Schwarzen in Chicagos South Side passiert, als zwischen den Weltkriegen der New Deal eingeführt wurde. Und es passiert meiner Meinung nach genau jetzt mit dem Erbe des ersten schwarzen Präsidenten.

Jeder der Essays in diesem Buch greift einen Aspekt der laufenden Diskussion über den Nutzen und die Lage guter Negerregierung auf, wie sie sich in meinem Kopf vollzieht. Die Essays zeigen mich in einer Bewegung, in einem Prozess des Nachdenkens, der sich auch beim Schreiben dieser Einleitung fortsetzt. Ich bezweifle beispielsweise nicht, dass Anzug und Krawatte beeinflussen, wie manche Menschen auf andere reagieren. Ich bin mir nur nicht sicher, ob im Fehlen von Anzug und Krawatte das eigentliche Problem liegt. (Was gute Negerregierung angeht, war Barack Obama der Beste, den wir je hatten. Doch als er aus dem Amt schied, glaubte eine Mehrheit in der Oppositionspartei nicht einmal, dass er Bürger dieses Landes war.) Jedem dieser Essays ist eine Art erweiterter Blogeintrag...

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