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Weil es nur zusammen geht

Commons-basierte Selbstorganisation in der Leipziger Hausprojekteszene

AutorMatthias Wendt
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2018
ReiheInterdisziplinäre Stadtforschung 23
Seitenanzahl386 Seiten
ISBN9783593438924
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis40,99 EUR
Im Kontext der Debatte um bezahlbaren Wohnraum, renditegetriebene Investitionen auf dem Wohnungsmarkt und Gentrifizierung wird deutlich, dass es alternativer Organisationsformen bedarf. Mit der Erforschung der Leipziger Hausprojekte gibt Matthias Wendt aufschlussreiche Einblicke in die Motive, Handlungslogiken und Funktionsweisen einer lokalen Szene, die sich durch Selbstorganisation von den Verwertungszwängen des Wohnungsmarktes zu emanzipieren sucht. Im Kern ist sie auf die Dekommodifizierung der Immobilien, auf Kollektiveigentum und Solidarität ausgerichtet.

Matthias Wendt hat am Lehrstuhl Wirtschaftsgeographie der Universität Bayreuth promoviert.

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Leseprobe
1 Einführung Im April 2012 veröffentlichte das Leipziger Stadtmagazin Kreuzer unter dem Titel 'Goodbye, Immobilienhai: Wie Leipzigs neue Hausbesitzer auf eigene Faust sanieren und bauen' (Rank 2012) einen Artikel, in dem mit einem Selbstnutzerprojekt, einer Zwischennutzung und einem selbstverwalteten Hausprojekt verschiedene unkonventionelle Wohnkonzepte porträtiert werden. Der Artikel skizziert damit einen Ausschnitt der vielfältigen Landschaft von Projekten im Wohnbereich, die seit der Umkehr des Schrumpfungstrends in Leipzig entstanden sind und der Umsetzung vielfältiger Wohn- und Lebensvorstellungen gedient haben. Infolge der jahrzehntelangen Schrumpfungsprozesse bestanden auf dem Leipziger Wohnungsmarkt lange Zeit Gelegenheitsfenster günstiger Rahmenbedingungen, die von verschiedenen Akteursgruppen zur Umsetzung von Zwischennutzungen genauso wie eigentumsorientierten Selbstnutzerprojekten, selbstverwalteten Hausprojekten oder Wagenplätzen genutzt wurden. In Reaktion auf den Kreuzer-Artikel positionierte sich eine Teilgruppe von Hausprojekten in einem Leserbrief an den Kreuzer als 'selbstorganisierte Wohnhäuser im Kollektiveigentum' (A und V u.a. 2012) und formulierte ein gemeinsames Selbstverständnis als sogenannte Kollektivhäuser, um sich von anderen gemeinschaftlichen Wohnformen wie Selbstnutzerprojekten oder Zwischennutzungen konzeptionell abzugrenzen. Damit führte der Kreuzer-Artikel, in dem 'wie so oft in der öffentlichen Debatte [...] ganz verschiedene Konzepte [...] zu einem indifferenten Brei unter dem Label neue Hausbesitzer' (ebd.) vermischt werden, zu einer ersten öffentlichkeitswirksamen Stellungnahme und inhaltlichen Positionierung einer Teilgruppe von eng vernetzten Hausprojekten, die in Leipzig seit dem Jahr 2009 entstanden waren. In der vorliegenden Arbeit wird der Typus der neueren Leipziger Hausprojekte in den Blick genommen, bei denen es sich weder um Zwischennutzungen wie die sogenannten Wächterhäuser handelt, noch um Baugruppen, die selbstgenutztes Wohneigentum bilden, oder um ausschließlich genossenschaftliche Wohnprojekte. Vielmehr stellen die neueren Leipziger Hausprojekte ein eigenes Wohn- und Lebensmodell dar, das regelmäßig die grundlegenden Organisationsprinzipien der Selbstorganisation und des Gemeineigentums an den Immobilien umfasst. Unter den heterogenen Leipziger Hausprojekten bilden die oben erwähnten Kollektivhäuser eine progressive Teilgruppe, die durch weitergehende Prinzipien verbunden sind. Dies zeigt das nachfolgende Selbstverständnis einer Kollektivhausgruppe, in dem neben der Ablehnung von Privateigentum und der zentralen Bedeutung selbstbestimmten Wohnens gerade der Verpflichtung auf eine gemeinschaftliche und solidarische Organisation des Projekts Ausdruck verliehen wird: 'Wir wollen nicht länger alleine in einer Mietwohnung leben und auf die Zufälligkeit einer guten Nachbarschaft hoffen, sondern stattdessen in einem Haus in der Stadt leben, in dem alle, die dort wohnen sich nach ihren Möglichkeiten gegenseitig unterstützen. Privates Wohneigentum kam für uns nicht in Betracht. Wir wollen eine solidarische Hausgemeinschaft ohne auf eigene Rückzugsbereiche zu verzichten. Das Haus gehört praktisch all denen, die dort wohnen. Also: sicheres, günstiges und selbstbestimmtes Wohnen! Gleichzeitig wollen wir mit diesem Haus zeigen, dass eine andere Form des Zusammenlebens praktisch möglich ist. Es wird daher öffentliche Räume geben, in denen über das Hausprojekt berichtet werden kann und die offen sind für andere Gruppen aus der Stadt.' (Kunterbunte 19 2016) Der Fokus der nachfolgenden Untersuchung liegt mit den neueren Leipziger Hausprojekten auf selbstorganisierten Wohnarrangements, die jenseits von Unterschieden in den zugrunde liegenden Rechtsformen sowie einer Vielfalt von kulturellen und politischen Einflüssen eine Basis gemeinsamer Organisationsprinzipien besitzen und sich in der lokalen Hausprojekteszene intensiv vernetzen. Die Kollektivhäuser als hartem Kern der Leipziger Hausprojekteszene stehen dabei im Zentrum der Untersuchung, da die szeneinternen Aktivitäten und Strukturen, die über die interne Organisation der Hausprojekte hinausgehen, maßgeblich von Akteuren aus den enger vernetzten Kollektivhäusern getragen werden. Ergänzend werden die Sichtweisen der Bewohner der Hausprojekte jenseits der Kollektivhäuser berücksichtigt, um die Abgrenzungen und Differenzierungen innerhalb der Hausprojekteszene herauszuarbeiten. Im Kontext der sich rasant wandelnden Leipziger Stadt- und Wohnungsmarktentwicklung fragt die vorliegende Untersuchung als sinnverstehende Analyse nach der sozioökonomischen und räumlichen Logik der szenehaft vernetzten Leipziger Hausprojekte. Indem die Charakteristika, Motivationen und Lebensstile der Bewohner sowie die institutionelle Verfasstheit der Projekte analysiert werden, wird die sozioökonomische Logik der neueren Hausprojekte herausgearbeitet. Zudem wird durch die Untersuchung der Standortentscheidungen und der Ausstrahlungswirkungen die stadträumliche Logik der Hausprojekte aufgearbeitet. Die Analyse der innovativen Formen kollektiver Wohnraumbeschaffung in Hausprojekten ist dabei auf die Destillation von Modellcharakteristika gerichtet, die den Bewohnergruppen vielfältige Handlungs- und Gestaltungsspielräume in quartiersbezogenen Entwicklungs- und Aufwertungsprozessen eröffnen sowie weitreichende Implikationen für die selbstorganisierte Bereitstellung preisgünstigen Wohnraums besitzen. Im Anschluss an die Einleitung wird mit dem Commons-Konzept zunächst der theoretische Rahmen der vorliegenden Untersuchung aufgearbeitet und für die Analyse kollektiver Steuerungsarrangements über Wohnraum adaptiert, da das Commons-Konzept traditionell in Bezug auf gemeinschaftlich genutzte natürliche Allmenderessourcen wie Viehweiden Anwendung gefunden hat. Das Commons-Konzept stellt eine tragfähige Fundierung der Analyse kollektiver selbstorganisierter Wohnformen dar, da der institutionenökonomische Strang der Commons-Forschung (Wade 1988, Ostrom 1990) ein differenziertes Verständnis der institutionellen Steuerungsarrangements über gemeinschaftlich verwaltete Güter, der Rechtspositionen der Commons-Mitglieder und der internen Steuerungsmechanismen entwickelt hat. Der Embeddedness-Ansatz der Commons-Forschung (McCay/Jentoft 1998) sensibilisiert darüber hinaus für die soziale Einbettung der Mitglieder selbstorganisierter Arrangements und verweist auf ihre Begründung durch Gemeinschaften interdependenter Mitglieder, die nicht ausschließlich nutzenrational motiviert handeln. Das Commons-Konzept bezieht seine Relevanz daneben aus der intensiven Rezeption in sozialen Bewegungen und stadtpolitischen Initiativen sowie der Bedeutung in einer Reihe von neuen Anwendungsgebieten und Forschungsfeldern. Mit Hausbesetzungen und Wohnungsgenossenschaften werden zum Abschluss der theoretischen Ausführungen die bedeutendsten Formen der selbstorganisierten Beschaffung nichtkommerziellen Wohnraums diskutiert, die Züge von Commons tragen und wichtige Bezugspunkte der in der vorliegenden Arbeit untersuchten Hausprojekte darstellen. In Kapitel 1 wird das methodische Vorgehen der Untersuchung dargelegt, begründet und kritisch reflektiert. Die empirische Untersuchung erstreckte sich auf mehrere Vor-Ort-Aufenthalte in den Jahren 2012 und 2013 und umfasst insgesamt 37 leitfadengestützte Interviews mit Akteuren der Hausprojekte sowie mit der Szene in Verbindung stehenden Experten und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Integraler Bestandteil der Erhebungen war daneben eine sechsmonatige teilnehmende Beobachtung in einem Hausprojektkollektiv, die für den Zugang zum Forschungsfeld und ein vertieftes Verständnis der Hausprojekteszene entscheidend war. Ergänzend wurde eine Analyse von Dokumenten wie Selbstverständnissen, Leitfäden und Stellungnahmen der Hausprojekte vorgenommen. In Überleitung zu den Ausführungen im empirischen Teil werden in Kapitel 4 die Rahmenbedingungen der Leipziger Stadt- und Wohnungsmarktentwicklung umrissen, unter denen die untersuchten Hausprojekte agieren. Dabei bestimmt gerade der Übergang von extremer Schrumpfung und einem entspannten Wohnungsmarkt zu rasantem Wachstum und einem zunehmend angespannten Wohnungsmarkt die Handlungsspielräume der Hausprojektgruppen. Zudem wird das vielfältige Spektrum selbstorganisierter Wohnformen in Leipzig strukturiert und die räumliche Verteilung der Formen selbstorganisierten Wohnens dargestellt. Im empirischen Teil wird die sozioökonomische Logik der szenehaft vernetzten Leipziger Hausprojekte aus Sicht der Mitglieder herausgearbeitet. Dafür werden zunächst die Charakteristika und Motivationen der in den Leipziger Hausprojekten engagierten Akteure in den Blick genommen, die Konstituierungsprozesse der Hausgemeinschaften analysiert und der für die Leipziger Hausprojekte typische Lebensstil umrissen. Anschließend werden die institutionellen Arrangements der Leipziger Hausprojekte entlang der im Selbstverständnis der Kollektivhäuser zentralen Prinzipien der Selbstorganisation, des Kollektiveigentums, der Dekommodifizierung und der Solidarität aufgearbeitet. Von grundlegender Bedeutung sind daneben die Vernetzungen, Abgrenzungen, Infrastrukturen und Professionalisierungsprozesse innerhalb der Gruppe der Leipziger Hausprojekte, die den Begriff der Szene als geeignet erscheinen lassen, um die thematisch fokussierten Netzwerke zwischen den Hausprojekten analytisch zu fassen. Zudem werden auch die Berührungspunkte der Hausprojekte mit dem politisch-administrativen System sowie die Reibungspunkte mit professionellen Immobilienmarktakteuren dargestellt, die trotz der Konzeptionalisierung von Commons als eigenen Sphären jenseits von Staat und Markt (Ostrom 1999a) aufschlussreich für ein vertieftes Verständnis der Hausprojekteszene sind. Die räumliche Logik der Hausprojekteszene wird anhand der Standortwahl und der Standortprägungsprozesse der Hausprojekte, der szeneinternen Agglomerationsprozesse sowie der räumlichen Ausstrahlung und Integration der Hausprojekte nachvollzogen. In der Synthese werden die empirischen Ergebnisse vor dem Hintergrund der theoretischen Ausführungen diskutiert. Im Zuge dessen wird der Beitrag der vorliegenden Untersuchung zur Commons-Forschung dargestellt sowie die Hausprojekte hinsichtlich ihrer sozioökonomischen und räumlichen Logik abschließend charakterisiert und damit Möglichkeiten und Grenzen der selbstorganisierten Wohnraumbeschaffung in Wohnprojekten aufgezeigt. Schließlich werden im Ausblick die Entwicklungsperspektiven der szenehaft vernetzten Leipziger Hausprojekte erörtert. 2 Theorie Die Untersuchung der szenehaft vernetzten Leipziger Hausprojekte wird durch das Commons-Konzept theoretisch fundiert, das in einem breiten Spektrum sozialwissenschaftlicher Disziplinen wichtige Beiträge zum Verständnis von Formen kollektiven Handelns in selbstorganisierten kooperativen Arrangements geliefert hat. Wie der 2009 an Elinor Ostrom für ihre Forschung zur 'Verfassung der Allmende' (Ostrom 1999a) verliehene Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften zeigt, stellen Commons ein etabliertes Forschungsfeld dar. Zugleich wird die Wiederaneignung von Commons auch von Aktivisten, Initiativen und sozialen Bewegungen propagiert (Klein 2001, Exner/Kratzwald 2012) und ist zuletzt etwa in der Recht-auf-Stadt-Bewegung (Harvey 2013) artikuliert worden. Darüber hinaus spielen Commons auch in Diskussionen um alternative Formen der Wohnungsversorgung eine Rolle, da Wohnrechtsaktivisten die Organisation von Wohnraum als Commons propagieren (Pauw 2012) und bestimmte Formen von Hausprojekten als Commons verstanden werden (Rost 2012a, 2012b, Balmer/Bernet 2015). Im Folgenden wird zunächst die historische Entwicklung der Commons-Forschung skizziert und die verschiedenen Forschungsstränge herausgearbeitet. In Anlehnung an Benda-Beckmann u.a. (2006) werden anschließend die Dimensionen von Commons entlang der als Commons konzeptualisierten Güter und Ressourcen, der institutionellen Verfasstheit von Commons und ihrer sozialen Organisation dargestellt sowie das der vorliegenden Arbeit zu Grunde gelegte Verständnis von Commons erläutert. Dabei werden die Erkenntnisse der Commons-Forschung auf die güterspezifischen Eigenschaften von Wohnraum, die institutionellen Arrangements zur Steuerung kollektiver Wohnformen und die Konstituierung von Gemeinschaften im Wohnbereich bezogen. Anschließend wird die zuletzt intensive Rezeption des Commons-Konzepts in den Blick genommen und der Forschungsstand zu Commons im urbanen Kontext und Wohnbereich aufgearbeitet. Schließlich wird die Bedeutung des Commons-Konzepts in sozialen Bewegungen analysiert, bevor in einer kritischen Würdigung Reichweite und Grenzen des Commons-Konzepts ausgelotet werden. Abschließend werden anhand von Wohnungsgenossenschaften und Hausbesetzungen die bedeutendsten kollektiven Organisationsformen zur Wohnraumbeschaffung in Selbstorganisation diskutiert. Für die Analyse der kollektiven Steuerung von Commons sind die Begriffe der Selbstorganisation und Kooperation von zentraler Bedeutung und werden nachfolgend zunächst kurz umrissen. Zum Begriffsverständnis der Selbstorganisation haben insbesondere systemtheoretisch orientierte Arbeiten einen Beitrag geleistet. Danach wird Selbstorganisation als Organisationstyp sozialer Systeme verstanden, die in emergenten Prozessen entstehen und sich 'selbst erhalten und ihre inneren Prozesse nach Maßgabe ihrer eigenen Dynamik und ihres inneren Zustands steuern' (Kneer/Nassehi 2000: 24). Nach Probst (1987: 76) sind selbstorganisierende Systeme komplex, selbstreferenziell, redundant und autonom. Selbstorganisierte Systeme sind insofern komplex, als dass sie auf Grund interner, sich ändernder wechselseitiger Beziehungen unvollständig beschreibbar und in ihrem Verhalten nicht vorhersagbar sind. Sie sind selbstreferentiell, da das Verhalten des Systems auf sich selbst zurückwirkt und zum Ausgangspunkt für weiteres Verhalten wird. Selbstorganisierende Systeme sind zudem redundant, da es keine Trennung zwischen den Teilen, die lenken und gestalten, und den Teilen, die gelenkt und organisiert werden, gibt. Schließlich sind diese Systeme autonom, weil sie nicht von außen gestaltet, gelenkt oder entwickelt werden, aber dennoch starken Einflüssen von außen ausgesetzt sein können. Kooperation wird im Folgenden als Interaktion von Individuen zur Erreichung gemeinsamer Ziele verstanden. Da in der vorliegenden Arbeit insbesondere die Kooperation auf der Ebene von Kleingruppen diskutiert wird, ist die Theorie der Kooperation nach Deutsch (1949) ein wichtiger Bezugspunktpunkt, wonach Individuen kooperieren, wenn die Erreichung gemeinsamer Gruppenziele mit der Erreichung individueller Ziele verbunden ist. Bezüglich der Grundlagen erfolgreicher Kooperationen bestehen in der Forschung grundlegende Differenzen. Während etwa Argyle (1991: 16) betont, dass Kooperation notwendig ist, um grundlegende soziale Beziehungen zwischen Individuen aufrechtzuerhalten und Individuen demzufolge auf Grund 'interner Belohnungen' (ebd.: 18) wie Befriedigung und Glück kooperieren, wird Kooperation in der Regel vor dem Hintergrund 'externer Belohnungen' (ebd.: 17) analysiert. So hat etwa Axelrod (1984) in seiner wegweisenden spieltheoretischen Studie die Bedingungen für die Kooperation nutzenmaximierender Akteure untersucht und die erfolgreiche Etablierung von Kooperation auf Basis direkter Reziprozität nachgewiesen. Eine zentrale Schwierigkeit bei der Aufarbeitung der Literatur zu Commons bestand zunächst im Umgang mit den englischsprachigen Fachtermini, da die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Commons schwerpunktmäßig in englischsprachigen Fachpublikationen stattfindet. Trotz einer Reihe von deutschsprachigen Publikationen in der jüngeren Vergangenheit (Moss 2012, Helfrich/Heinrich-Böll-Stiftung 2012, Bernhardt u.a. 2009) sind die zentralen Begrifflichkeiten der englischsprachigen Literatur entlehnt und bisher nur unvollständig und uneinheitlich ins Deutsche übertragen worden. Einige der zentralen englischsprachigen Publikationen liegen in deutscher Übersetzung vor, wie Ostrom (1990, 1999a), McCay und Jentoft (1996, 1998) sowie Ostrom und Helfrich (2012) als Übersetzung von Aligica und Boettke (2009) und Ostrom (2008). Diese dienten als Orientierungspunkte für die Übertragung der englischsprachigen Fachbegriffe. Für den Begriff Commons hat sich bisher keine einheitliche Übersetzung in der deutschsprachigen Literatur etabliert. Bisweilen werden Commons als Allmende übersetzt (McCay/Jentoft 1996), in der Regel jedoch als Gemeingüter (Ostrom/Helfrich 2012, Harvey 2013) bzw. Gemeinschaftsgüter oder Kollektivgüter (Moss 2012). Diese Übersetzungen stellen entweder einseitig auf die historischen Weideflächen in Gemeineigentum oder die gütertheoretische Dimension von Commons ab und werden damit der nachfolgend herausgearbeiteten Vielschichtigkeit von Commons nur partiell gerecht. Daher wird im Folgenden der englische Begriff Commons verwendet, der auch in der deutschsprachigen Literatur zunehmend Verwendung gefunden hat (Sennlaub 2005a, 2005b, Helfrich/Heinrich-Bö?ll-Stiftung 2012, Merseburger 2014). Für andere englische Begrifflichkeiten haben sich dagegen einheitliche deutsche Bezeichnungen etabliert, die nachfolgend verwendet werden. So werden Common-Pool Resources als Allmenderessourcen (Ostrom 1999a: 38) geführt, während der in der neuen Institutionenökonomik zentrale Begriff der Property Rights in der deutschsprachigen wirtschaftswissenschaftlichen Literatur überwiegend als Verfügungsrechte (Richter/Furubotn 2010, Erlei u.a. 2007) übersetzt wird. Common Property Regimes werden in aller Regel als Gemeineigentumsregimes übersetzt (McCay/Jentoft 1996, 1998, Richter/Furubotn 2010). Zudem wird im Folgenden in Anlehnung an die angloamerikanische Literatur von Regimes bzw. Arrangements gesprochen, da Regelsysteme für Güter nicht ausschließlich gesetzlichen Regelungen entspringen, sondern oftmals auch Gewohnheiten, Normen und Sanktionsmechanismen umfassen (Ellickson 1993: 1319) und Gemeineigentumsregimes demnach Amalgame aus Gesetzen, Normen und gewohnheitsmäßigen Rechten darstellen. 2.1 Entwicklung und Stränge der Commons-Forschung Bevor die Erkenntnisse der Commons-Forschung aufgearbeitet werden, liegt der Fokus zunächst auf der Evolution der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Fragen kollektiven Handelns und Commons. Zudem werden die wichtigsten Stränge dieses durchaus heterogenen Forschungsfeldes dargestellt und in Bezug auf Erkenntnisinteresse, theoretische Fundierung, disziplinäre Verortung und methodische Herangehensweise differenziert. 2.1.1 Entwicklung des Forschungsfeldes Ausgangspunkt der Commons-Forschung ist die Beschäftigung mit Problemen kollektiven Handelns im Kontext von Überbevölkerung und Ressourcendegradation (Johnson 2004: 410). Wegweisend für die Evolution des Forschungsfelds war der Artikel von Hardin (1968) 'The Tragedy of the Commons'. Hier entwirft Hardin eine modellhafte Situation frei zugänglichen Weidelands, in der jeder rational handelnde Hirte ein Interesse daran hat, die Anzahl seiner weidenden Tiere beständig zu steigern, da jedes zusätzliche Tier einen direkten Gewinn verspricht, er jedoch die Kosten der Verschlechterung der Allmende infolge von Überweidung nur anteilig zu tragen hat. In der Folge, so Hardin, komme es zwangsläufig zur Übernutzung der Weide, da jeder Hirte Gefangener eines Systems sei, das ihn dazu zwinge, seine Herde in einer begrenzten Umwelt zu vergrößern. Als Lösung für die Tragik der Allmende kommen laut Hardin (1968: 1245) nur die Überführung der Allmende in Privateigentum oder staatliche Regulierung in Frage. Das Bild des Gefangenen im System aufgreifend, ist die Tragik der Allmende wiederholt als Gefangenendilemma spieltheoretisch modelliert (Dawes 1975, Edney/Harper 1978) und kritisiert worden (Ostrom 1990). Das Gefangenendilemma-Spiel, konzipiert als nichtkooperatives Spiel mit vollständiger Informationsverfügbarkeit, schildert das Paradox, dass individuell rationale Strategien zu kollektiv irrationalen Ergebnissen führen. Dies hat bisweilen zu der Überzeugung geführt, dass es für rationale Akteure unmöglich sei zu kooperieren (Ostrom 1990). Die von Hardin formulierte pessimistische Sicht auf Situationen kollektiven Handelns in Selbstorganisation und das Modell der Tragik der Allmende entwickelten sich zu einflussreichen Denkmustern, die Untersuchungen von Ressourcendegradation infolge anthropogener Übernutzung prägten. Eine Übernutzung von Ressourcen tritt gemäß Hardin immer dann ein, wenn rationale Individuen eine knappe Ressource gemeinschaftlich nutzen (Ostrom 1990: 2). Hardin problematisiert die scheinbar unüberwindlichen Widersprüche zwischen individuellen und kollektiven Interessen und verortet die Quelle dieses Dilemmas in der Verfasstheit der betrachteten Ressourcen als Gemeineigentum, das er mit Situationen eines freien und unkontrollierten Zugangs zu knappen Ressourcen gleichsetzt (McCay/Acheson 1987b: 1). Die Tragik der Allmende und ihre Formalisierung als Gefangenendilemma-Spiel sind vielfach hinsichtlich der konzeptionellen Fundierung, empirischen Validität und Generalisierbarkeit kritisiert worden (Dietz u.a. 2002: 11). Der zentrale Kritikpunkt betrifft die analytische Vermischung von Gemeineigentum mit Situationen freien Zugangs, in denen keine Regeln für die Nutzung und den Zugang zu einer Ressource existieren. Hardin beschreibt in seinem Modell eine Situation freien Zugangs ohne gemeinschaftliche Nutzungsregelung. Gerade die gemeinschaftliche Nutzungsregelung ist jedoch zentrales Charakteristikum der 'Verfassung der Allmende', wie der deutsche Titel des Schlüsselwerkes von Ostrom (1999a) lautet. Hardin beschreibt also letztlich keine Allmende, sondern eine Art Niemandsland, für das keine Regeln bestehen. Dieser Einwand brachte Hardin (1998: 682) später dazu, sein früheres Modell zu korrigieren und von der 'tragedy of the unmanaged commons' zu sprechen. Neben spieltheoretisch entwickelten Einwänden gegenüber der Generalisierbarkeit des von Hardin postulierten Determinismus der Zerstörung von Commons durch Übernutzung sind seit den 1970er Jahren zahlreiche empirische Beispiele institutioneller Arrangements dokumentiert und analysiert worden, in denen die Nutzer die zu Grunde liegenden Allmenderessourcen erfolgreich bewirtschaftet und dauerhaft bewahrt haben. In der Folge ist ein umfangreicher Korpus anthropologischer, historischer, politikwissenschaftlicher und umweltwissenschaftlicher Fallstudien entstanden. Diese Arbeiten stellen den Determinismus der Ressourcendegradation durch kollektive Übernutzung in Frage und dokumentieren die langfristig nachhaltige Bewirtschaftung von Ressourcen in Gemeineigentum auf Basis kollektiver Selbstorganisation und Kooperation (McCay/Acheson 1987a, Bromley u.a. 1992, Ostrom u.a. 1999, Ostrom u.a. 2002, und Dietz u.a. 2003). Die intensive Auseinandersetzung mit Commons in den Natur- und Geisteswissenschaften führte zur Etablierung eines internationalen und interdisziplinären Forschungsfelds (Dietz u.a. 2002: 7), das sich ausgehend von der Beschäftigung mit natürlichen Ressourcen diversifizierte. So sind zunehmend Probleme kollektiven Handelns in anthropogen verursachten Prozessen wie Klimawandel sowie Fragen geistigen Eigentums und Copyright in technologiebasierten Commons, wie digitalen Medien, in den Fokus gerückt (McShane 2010: 102). Zu diesen sogenannten neuen Commons werden auch urbane Commons gezählt, die in der Commons-Forschung lange deutlich unterrepräsentiert waren (Blomley 2008: 318). Disziplinär sind die traditionellen Untersuchungen insbesondere in den Politik-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften verortet, während das Konzept der Commons in anderen Disziplinen wie Geschichtswissenschaften, Anthropologie und Geographie bisher weit weniger stark rezipiert wurde (Laerhoven/Ostrom 2007: 7). Auch wenn die Probleme der Übernutzung und Ressourcendegradation von Commons in vielfältiger Hinsicht geographischer Natur sind (Giordano 2003: 365), so sind geographische Perspektiven in der Commons-Forschung deutlich unterrepräsentiert. Vor diesem Hintergrund hat zuletzt Moss (2012: 223) eine stärkere Beschäftigung mit den Raumdimensionen von Commons in Humangeographie und Commons-Forschung angemahnt, da es von Bedeutung ist, 'die räumliche Verteilung von Gemeinschaftsgütern als Produkt oder Medium sozioökonomischer Ungleichheiten [...] zu untersuchen'. Diese Frage wird in der vorliegenden Arbeit in Bezug auf die Leipziger Hausprojekte und ihre Verortung auf dem sich zunehmend ausdifferenzierenden lokalen Wohnungsmarkt in den Blick genommen.
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