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E-Book

Weit weg vom Rest der Welt

In 90 Tagen von Tanger nach Johannesburg

AutorAndreas Altmann
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783644461512
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
'Sie sollten dieses Buch lesen.' (Elke Heidenreich) In Tanger, der dunkelsten und geheimnisvollsten Stadt des Maghreb, beginnt eine achttausend Kilometer lange Reise den dunklen Kontinent hinab. Die Westsahara, Mauretanien und Mali mit dem sagenumwobenen Timbuktu sind die ersten Stationen, reich an faszinierenden Erlebnissen, aber auch voller Hindernisse und Gefahren. Die Fahrt in Zonen, vor deren Besuch alle Botschaften warnen, entwickelt sich bald zum Abenteuer, das ohne Glück, Mut und Schmiergeld nicht zu überleben ist. 'Altmann hat den menschlichen Blick auf die Zustände bewahrt, er wertet nicht, er fühlt mit, er sieht das Elend, aber er sieht auch Witz, Schönheit, Poesie. Es ist ein spannendes, ein unterhaltendes und ein zutiefst menschliches, warmes Reisebuch, geschrieben von einem klugen Mann, der literarisch über diesen Kontinent Bescheid weiß und doch das naive Staunen nicht verlernt hat. Und das Lieben nicht. Alle Achtung.' (Elke Heidenreich) 'Ein fesselndes Buch.' (Tagesspiegel)

Andreas Altmann war Dressman, Schauspieler am Residenztheater M?nchen und am Schauspielhaus Wien, Jura- und Psychologiestudent, G?rtner, Taxifahrer, Privatchauffeur, Sp?ler, Kellner, Anlageberater, Stra§enarbeiter. Er lebt heute als Auslandsreporter und Reiseschriftsteller in Paris. Unter anderem ist er ohne Geld von Berlin nach Paris gelaufen ('34 Tage/33N?chte'), durch Indien ('Notbremse nicht zu fr?h ziehen') und durch S?dostasien ('Der Preis der Leichtigkeit') gereist. Zudem hat er Storys aus der weiten wilden Welt unter dem Titel 'Getrieben' vorgelegt. Er war unterwegs in Kolumbien, Ecuador, Peru, Bolivien und Chile ('Reise durch einen einsamen Kontinent'). Andreas Altmann wurde mit dem 'Egon-Erwin-Kisch-Preis', dem 'Weltentdecker-Preis' und dem 'Seume-Literatur-Preis' ausgezeichnet. andreas-altmann.com

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Leseprobe

Zweites Kapitel


Dreißig Sekunden lang träume ich, König zu sein. Hassan II., König von Marokko. Der Traum hat Gründe. Seit Tagen lese ich die hiesige Presse. Ununterbrochen dankt darin das Volk seinem König. Ich wache auf, im Traum, und lese in allen Zeitungen, dass mich wieder alle – wie gestern, wie immerfort – loben. «Dass Gott mir beistehe und mich bewahre», so schreiben sie über mich, den «Zusammenführer», den «Retter», den «Einiger».

Als ich tatsächlich aufwache, im wirklichen Leben, bin ich wieder ich. Die Hitze foltert, keiner wispert ein lobendes Wort in mein Ohr. Ich öffne die schweißverkrusteten Augen und glotze auf eine flimmernde Leinwand. Ich bin ab sofort kein König mehr, nur noch einer von sechsunddreißig armen Teufeln, die in einem luftdicht genieteten Bus durch die Wüste fahren. Die ersten zehn von achtzehnhundert Kilometern haben wir bereits hinter uns. Von Rabat nach Dakhla im tiefen Süden ist es weit. Damit wir durchhalten, gibt es ein Bordkino. Der Titel des Videofilms passt: «48 Stunden zum Überleben».

Schon sensationell. Draußen die weite Welt, drinnen achtundzwanzig Zentimeter Mattscheibe. Kein Entkommen. Das Medium, das Ding zwischen der Wirklichkeit und den Menschen, scheint attraktiver als die Wirklichkeit. Meine Augen sehen durch das Fenster eine Bauernfamilie ihren Weizen dreschen, und meine Ohren hören drei Todesschreie aus der South Bronx. Wäre ich noch König, könnte ich jetzt abschalten lassen. Aber ich bin aufgewacht, bin wieder sterblich und normal. Zwei Stunden lang dreschen marokkanische Bauern unter dem mörderischen Soundtrack aus Hollywood ihren Weizen.

Der Abend kommt, es wird friedlich. Auch die Sonne zeigt Erbarmen, sie verschwindet sanft. Der Bus schaukelt, Seelenruhe kehrt ein. Zwei Uhr nachts erreichen wir Tarfaya. Dieser Ort hat auf seltsame Weise mit einem Buch zu tun, das zu den berühmtesten der französischen Literatur gehört. Der erste Dialog zwischen den Helden und dem Autor klingt so:

– Bitte ... zeichne mir ein Schaf.

– Wie bitte?

– Zeichne mir ein Schaf ...

Diese Zeilen schrieb Antoine de Saint-Exupéry, zehn Jahre nachdem er mitten im Wüstensand, ganz nah bei Tarfaya, notlanden musste. Während er den Motor reparierte, kam ihm die Idee eines Kindes, eines kleinen Prinzen von einem anderen Stern. Er brauchte den Kleinen. Um seine Einsamkeit zu lindern.

Kurzer Stopp. Einige Männer knien nieder, Zeit für das Morgengebet. Es ist stockfinster. Damit keiner in die falsche Richtung murmelt, fragt man fürsorglich nach dem Standort von Mekka. Hinterher steigt ein Taubstummer zu, verteilt Zettel. Als stille Aufforderung zu einer Geldspende. Nur jeweils ein Wort – vorne arabisch, auf der Rückseite französisch – steht da zu lesen: VIE, Leben.

Am nächsten Morgen beginnt Afrika. Und die afrikanische Straßenverkehrsordnung. Am Rande der Piste sitzen Polizisten. Im «Überlandsitz». Wie es im amerikanischen Western den «Überlandgang» gibt – Cowboys, die ihr Pferd verloren haben und nun O-beinig den langen, endlosen Weg antreten –, so gibt es in Arabien den Überlandsitz. Sitzen als Lebensstellung. Der Mensch wartet auf nichts mehr, er ist nur noch «da», lebenslänglich zum Herumhocken verurteilt.

Aber die Herren sind freundlich. Da ich der einzige Ausländer bin, geht es rasch. Einer notiert die Personalien, der andere verscheucht die Fliegen, alle wünschen alles Gute. Ohne Erfolg. Wie bei jeder Reise in ein Land mit einer weniger strikten Lebensmittelverordnung, erwischt es mich auch diesmal. Manchmal habe ich Glück und bin allein. Oft habe ich kein Glück und bin mittendrin. So auch diesmal. Plötzlich jaulende Bauchschmerzen und das peinigende Wissen, dass jetzt alle anhalten müssen, damit ich Erlösung finde. Als ich beim Fahrer vorbei zur Tür hinausrenne, schreit er mir lachend hinterher: «Beeil dich.» Der Witzbold. Während ich hinter die nächste Düne hechte, lachen fünfunddreißig Marokkaner. Erlösung. Freud wusste es längst: «Alle Abgabe von Materie ist Lustgewinn.»

Abends, um 7.30 Uhr, erreichen wir Dakhla, letzte Stadt vor der Grenze nach Mauretanien. Es wimmelt von Militär. Die Regierung pumpt viel Geld in dieses Kaff. Überall weht die Nationalflagge. Hier soll bewiesen werden, dass dieses Gebiet, die vormals spanische Kolonie «Westsahara», nun endgültig zu Marokko gehört. Gegen den rabiaten Widerstand der Ureinwohner, der Saharauis, die ihren eigenen Staat verlangen, die «Demokratische Arabische Republik Sahara». Nicht ohne Erfolge. Auch auf internationaler Ebene. Über siebzig Staaten erkennen das Recht der Saharauis auf Selbstbestimmung an. Unter dem Sand lieg Phosphat. Es geht um Freiheit und Reichtum. Und den Größenwahn von Hassan II.

Ein Referendum ist geplant. Unter Federführung der UNO. Damit die Bewohner des 266000 Quadratkilometer großen Gebiets selbst entscheiden, wohin sie gehören wollen. Das dauert. Jeder Trick ist recht, um die Wirklichkeit zu vertuschen. Im Süden von Dakhla, im letzten, versteckten Zipfel der Halbinsel, liegen riesige Zeltstädte. Seit Jahren. Ohne Kanalisation, ohne Arbeit, ohne Ausweg.

Hier hat der Herr König sein Volk ankarren lassen und zwischengelagert. Für den Tag der Abstimmung. Stimmvieh aus dem Norden des Landes. Wie auswendig gelernt, erzählen sie, dass sie alle Saharauis sind und alles Marokko gehört. Für diese Lügengeschichten werden sie (schlecht) ernährt, (kärglich) bezahlt und mit (falschen) Papieren versorgt. Der Eindruck soll entstehen, dass selbst die Saharauis für die Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko eintreten. Um diese Farce elegant zu verkaufen, hat Hassan II. sogar ein neues französisches Wort erfunden. Bei jeder Gelegenheit schwadroniert er von der «Marocanité» des umstrittenen Gebiets.

Im Bus lernte ich Sayed B. kennen. Ein Saharaui, ein echter. Mit Kontakten nach Tindouf, dem Hauptquartier der Polisario in Algerien. An ein Gespräch war nicht zu denken. Er schob mir ein Stück Papier mit seiner Adresse zu. Er arbeitet in Dakhla als Elektriker. Als ich ihn besuche, müssen wir in sein Auto steigen und wegfahren. Erst dann wagt er zu reden. Die Stadt ist voller Spitzel. Auch hat er Angst vor der eigenen Verwandtschaft. Einige sind gekauft, arbeiten als Zuträger für den marokkanischen Geheimdienst. Er wirkt bedrückt. Die hiesigen Zeltstädte sind nicht die einzigen. Der Betrug ist gigantisch. Es sieht nicht gut aus für sein Volk.

Man darf sterben, ohne Dakhla gesehen zu haben. Aber an zwei Dinge will ich mich erinnern. Im Bazar gibt es eine «Miroiterie Paris», eine Spiegelei Paris. Bis hinter alle Wüstenhügel hat sich die Eitelkeit der Pariser herumgesprochen. Und nicht weit davon entfernt, steht der Schlachthof, wo mich Oberschlächter Karim darüber aufklärt, dass jede Kamelgurgel Richtung Mekka zeigen muss, um gottgefällig schlachtreif zu sein.

Am nächsten Morgen darf ich weiter. Mein Pensum an Bürokratie habe ich ordnungsgemäß erledigt. Ab jetzt beginnt militärisches Sperrgebiet, und ein einziger Mensch braucht vier Behörden, um da hineinzudürfen. Von der «Nationalen Sicherheit» bis zum Generalstab, jeder will alles wissen. (Auf einer Tür steht «Jefe». Die Spanier sind vor zwanzig Jahren davon, und der Chef hinter der Tür heißt noch immer Jefe.) Da die nächsten 450 Kilometer vermint sind, gibt es zweimal die Woche eine militärische Eskorte. Damit keiner auf der Strecke bleibt. Letztes Jahr blieben drei Ausländer liegen, als Leichen.

Ein Haufen eigenwilliger Subjekte trifft sich um neun Uhr früh vor dem Polizeiposten am Rande der Stadt. Ich bin der Harmloseste unter ihnen, die anderen sind, so tarnen sie sich grinsend, «Kaufleute». Professionelle Autoschieber, die Fahrzeuge nach Schwarzafrika schaffen, um sie dort cash und unauffällig abzustoßen. Ich zahle, und Fabrice lädt mich hinten auf. Die Kolonne mit dem Jeep an der Spitze, sechs Autohändlern, einem mauretanischen Großvater und zwei Kamelimporteuren aus Dakhla setzt sich in Bewegung.

Fabrice hat Witz. Mit sechzehn warf er Uhr, Haarbürste und Rasierapparat auf den Kehricht und beschloss, sein Leben lang keine Steuererklärung auszufüllen. Dafür vertrieb er (steuerfrei) Harley-Davidson-Maschinen in Europa, zog mit einer Krankenschwester zusammen und bastelte konsequent an dem Image eines «instable», eines Gefährdeten, eines nutzlosen Kantonisten. Mit Erfolg. Sein Ruf bei den französischen Behörden gilt nun seit Jahren als gefestigt. Das Zusenden von Steuererklärungen wurde eingestellt. Er hat Frieden.

«J’sais pas», sagt er, «si je suis un être humain. Mais je sais, que je suis un être vivant.» Ein Wortspiel, das sich nur ungenau ins Deutsche übersetzen lässt: «Ich weiß nicht, ob ich ein menschliches Wesen bin, aber ich weiß, dass ich lebe!» Mit dem in Kürze zu erwartenden Gewinn aus dem Verkauf seines Peugeot 404 wird er ein Ticket buchen. Er braucht dringend Erholung. Diesmal in Australien.

Flache Wüste, rechts und links die vom Wind leergefressenen Felsen. Überall dazwischen die versteckten Sprengladungen. Wir halten uns eisern an die vorgegebene Route. Wieder die einsamen Polizisten in ihren fliegenverseuchten Baracken. Sie haben nichts. Keinen Strom, kein Telefon, kein Funkgerät. Nur die Pritsche, den Hocker und das große, schmuddelige Buch, in das sie dienstags und freitags die Adressen wildfremder Männer eintragen.

Abends Ankunft in La Gouera, Grenzposten mit Kaserne. Abschied von den Soldaten. Im Schutze von drei riesengroß an die...

Blick ins Buch

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