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Wenn die Kinder klein sind, gib ihnen Wurzeln, wenn sie groß sind, gib ihnen Flügel

Ein Elternbuch

AutorUrsula Neumann
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783641140298
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Ein Erziehungs(lese)buch mit Herz und Verstand
»Wenn die Kinder klein sind, gib ihnen Wurzeln, wenn sie groß sind, gib ihnen Flügel.« Die Weisheit und Lebenserfahrung, die in diesem Erziehungsgrundsatz stecken, sind kennzeichnend für Ursula Neumanns einfühlsames Elternbuch. Darin nimmt sie die klassischen Problemfelder der Kindererziehung in den Blick, greift Erziehungsfragen wie Trösten, Toleranz, Trotz und Eifersucht auf. Diese beantwortet sie undogmatisch und lebensnah anhand von exemplarischen Szenen und Beispielen aus ihrer langjährigen Erfahrung als Psychotherapeutin für Kinder, Jugendliche und Familien. Die erweiterte Ausgabe geht über die ersten sechs Lebensjahre hinaus und befasst sich auch mit der Gefühlswelt und dem Innenleben von Schulkindern.

Ursula Neumann war Psychotherapeutin für Kinder, Jugendliche und Familien, Erziehungsberaterin und Supervisorin. Nach langer klinischer Tätigkeit arbeitete sie viele Jahre als Leiterin einer Münchner Erziehungsberatungsstelle, danach in freier Praxis.

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Leseprobe

Noch ehe das Kind geboren ist …


Wenn junge Eheleute das erste Kind erwarten, sprechen sie selbstverständlich davon, wie es wohl sein wird und wie es werden sollte. Wünsche in Bezug auf Begabung, Aussehen und Geschlecht melden sich an. Die Wünsche können sich auch zu Riesenwünschen auswachsen. Das Kind muss dann Spitzensportler werden, ein Pianist oder vielleicht sogar ein Minister. Ebenso selbstverständlich stellen sich Befürchtungen ein. Was bleibt an Zeit für mich übrig? Wie weit muss ein Kind eine Hauptperson bleiben? Das ganz normale Hin und Her der Gefühle kann bei manchen Frauen dazu führen, schon vor der Geburt des Kindes den inneren Beschluss zu fassen, nur auf kürzeste Zeit auf Gewohnheiten zu verzichten und für Einschränkungen bereit zu sein. Männer, und auch die, die »gute« Väter werden wollen, sind da meist besser dran. Sie haben als Schutzschild gegen neue Aufgaben und Einschränkungen ihre Berufsarbeit vorzuweisen. Das viel gebrauchte Wort vom Partner, zu dem das Kind von Anfang an erzogen werden soll, macht auf diese Zwiespältigkeit der Gefühle aufmerksam. Jedes Wort hat seine Hintergründe. Immer ist es auch so etwas wie eine Maske für Verborgenes. Auf seiner Vorderseite zeigt das Wort »Partner« die Moderne an. Es wird dann als Symbol für die Gleichwertigkeit von Kind und Erwachsenem verstanden. Das Kind ist dann nicht weniger wert als ein Erwachsener. Das Kind ist aber anders, sehr anders. Seine Entwicklungsstufe ist völlig verschieden von der eines Erwachsenen. Sie ist deshalb aber nicht weniger »reif«.

Ein Säugling ist so reif wie ein Säugling. Ein Kleinkind ist so reif wie ein kleines Kind. Wer Reife nur dem Erwachsenen zuerkennt, geht über unauflösliche Gegebenheiten des Lebens hinweg. Das hängt oft damit zusammen, dass wir Selbstverständlichkeiten gar nicht mehr recht wahrnehmen. Zu diesen Lebensgesetzen gehört die Tatsache, dass zur gleichen Zeit immer mehrere Generationen miteinander und nebeneinander leben und sich »aushalten« müssen. Säuglinge, Kleinkinder, Jugendliche, junge und alte Erwachsene unterscheiden sich nicht nur in ihren äußeren Erscheinungen. Sie haben auch ihr eigenes Verständnis von sich selbst und der Welt. Es kann hilfreich sein, das Reifen als einen Prozess zu verstehen und nicht als einen Zustand. Wir kommen in einem späteren Zusammenhang auf diesen Aspekt zurück. Mit dem Begriff »Partner« können insgeheim auch Ängste vor der neuen Verantwortung verbunden sein, etwa vor der Angst, über lange Zeit in das Leben des Kindes eingebunden zu sein. »Partner« kann dann zum Symbol für den bewussten oder auch nicht bewussten Wunsch von Mutter und Vater werden, das Kind möglichst schnell zu verselbstständigen. Es wird mit diesem Wort »Partner« gleichsam aufgewertet. Die heutige Kleidung für Babys und Kleinkinder scheint mir unter anderem diesem Wunsch Rechnung zu tragen. Sie unterscheidet sich häufig weder in ihren Farben noch in ihrem Design von der der jungen Erwachsenen. Gerade bei einem ersten Kind sind solche Ängste der Eltern gut verständlich. Auch Erwachsene erleben angesichts von neuen unbekannten Aufgaben Angstgefühle. Der Erwachsene tut gut daran, diese nicht einfach wegschieben zu wollen. Das kann ihm auch gar nicht gelingen. Gefühle lassen sich zwar verdrängen, jedoch nicht ausscheiden. Wer sie zulassen kann, das heißt mit sich selbst oder einem anderen über sie spricht, lernt sich wieder ein wenig besser kennen und das wird ihm auf dem langen Weg der Bejahung seiner persönlichen Schwächen und Stärken helfen. Diese Ängste haben immer auch mit dem zu tun, was wir Zeittendenz nennen. Wir sprechen zu Recht von einer individualistischen Gesellschaft. Trotzdem neigen nicht wenige Menschen dazu, dasjenige, was alle machen oder denken, als richtig aufzuwerten. Auch Individualisten brauchen in manchen Bereichen die Zustimmung einer Gruppe, der Gleichdenkenden, gleichsam als Tragebehälter, in dem sie sich aufgehoben fühlen können. Und dieses Zugehörigkeitsgefühl gibt keinen Anlass, über die Qualität von Mengen nachzudenken. Mengen beziehen sich auf die Anzahl, nicht aber auf die Qualität.

Wer gewohnt ist, sich nur um sich selbst zu kümmern, dem wird es natürlich schwer fallen, sich auf die Verantwortung für ein Menschenkind einzulassen. Verantworten heißt: auf einen anderen zunächst hören, um ihm dann antworten zu können. Der »neue« Mensch, das Baby, spricht nicht in der uns geläufigen Sprache. Es spricht mit dem Körper, wir nennen das eine »Körpersprache«. Junge Mütter und Väter müssen daher lernen, die so andere Sprache zu übersetzen und zu verstehen. Was heißt Weinen oder Schreien, was heißt Nahrungsverweigerung? Da es kein Sicherheit vermittelndes Nachschlagelexikon für diese frühkindliche Sprache gibt, kann es nicht ausbleiben, dass etwa eine Mutter das Schreien ihres Säuglings mit »Ungeduld« übersetzt und der Vater mit »angeborener bayerischer Trinkfreude«. Auch das gehört zu unseren Lebensgesetzen, dass der Mensch vom ersten Tage an auf die »Übersetzungen« oder »Deutungen« seiner Eltern angewiesen ist. So beginnt die menschliche Lebensgeschichte.

Uns interessiert hier die psychologische Frage: Was hat den Einzelnen in seiner Lebenssituation als kommender Vater oder kommende Mutter innerlich bewegt? Wenn ich auch nur wenige Angaben aus Gesprächen mit Eheleuten mitteilen werde, so werden diese dennoch deutlich machen, wie unterschiedlich das menschliche Herz auf das gleiche Ereignis eines ersten Kindes reagieren kann. Wir wollen seelische Wirklichkeit in ihrer Vielgestaltigkeit andeuten und anklingen lassen, dass selbstverständlich auch der erwachsene Mensch Gefühlskonflikte hat und haben darf. Manchmal trifft man auf die Vorstellung, Erwachsensein heißt keine Konflikte haben und mit allen Problemen des Lebens fertig werden. Das ist ganz gewiss eine Fehlvorstellung. Sie wirkt sich besonders misslich auf Kinder aus, denen man vormachen will, dass das wirklich so sei.

Reifung und Harmonisierung der Persönlichkeit sind etwas Relatives. Sie stellen sich nicht proportional zum Lebensalter ein. Sie bestehen wohl vor allem darin, dass der Mensch lernt, sich mit den Grundkonflikten seines Daseins immer konstruktiver und wirklichkeitsgerechter auseinanderzusetzen. Insofern ist Reifung ein lebenslanger Prozess.

Lieben Frauen ihre Kinder anders als Männer?


Frau B. berichtet davon, dass sie und ihr Mann sich sehr auf ihr Kind freuen. Sie möchten Literatur genannt haben, die sie auf die kommende Erziehungsaufgabe vorbereiten hilft. Sie ist interessiert an der Frage, ob Mann und Frau in der Betreuung kleiner Kinder austauschbar sind. »Wir sind neugierig zu erfahren, wie wir uns als Mutter und Vater zurechtfinden werden. Mein Mann hat sich vorgenommen, einmal am Tag das Kind selbst zu füttern und zu versorgen, weil er verhindern will, dass es zu einem Mutterkind heranwächst.«

Mit ihrem Mann lässt sich gut reden. Er ist Realschullehrer und Biologe. Er hat sich vielleicht mehr mit den Fragen der kommenden Vaterschaft beschäftigt, als das gewöhnlich zu geschehen pflegt. Lächelnd und selbstverständlich kann er davon sprechen, dass er nicht frei von Eifersuchtsgefühlen sei. Bisher hat er geglaubt, solche Gefühle seien eine Angelegenheit von Kindern oder sehr jungen Menschen. Den Wunsch, sein Kind nicht zu eng an die Frau gebunden zu wissen, sieht er selbst im Zusammenhang mit seiner persönlichen Lebensgeschichte: »Noch heute als verheirateter Mann bin ich nicht wirklich frei meiner Mutter gegenüber. Ich bin der Meinung, das kann nur daher kommen, dass kleine Kinder am Anfang ihres Lebens so restlos von ihren Müttern versorgt werden.«

Es ist leicht nachzuvollziehen, dass Herr B. seinem Kind eine ähnliche innere Unfreiheit, wie sie ihn bedrückt, ersparen möchte. Der väterliche »Fütterungsplan« allein wird ihm diesen Wunsch nicht erfüllen können. Ein kleiner Säugling kann weder die Bedingung des Vaters erfassen, die er an die tägliche Versorgung knüpft, noch lässt sich auf diese Weise vorschreiben, wie er in Zukunft seine Zuneigung an Mutter und Vater verteilen wird. Von der frühen, sehr engen Mutter-Kind-Beziehung, welche die Voraussetzung für die Liebesfähigkeit des Menschen ist, werden wir später hören. Nur eines soll schon hier gesagt werden: Kinder, die an der Mutter lieben gelernt haben, lernen auch ihre Väter lieben – vorausgesetzt, dass ihre Väter sich väterlich verhalten. Noch an anderer Stelle melden sich bei Herrn B. Eifersuchtsgefühle. Er befürchtet, seine Frau könne sich infolge der innigen körperlichen Verbundenheit mit dem heranreifenden Kind dem Säugling so intensiv zuwenden, dass für ihn wenig Zeit übrig bleibe. »Das Kind ist wie ein Stück von ihr, das muss doch eine besondere Nähe zum Kind bringen. «Dürfen Frauen ihre Kinder eigentlich anders lieben als Männer?

Diese Frage führt zu Gefühlsproblemen, die auch heute bei der angestrebten Gleichstellung von Mann und Frau zwischen den Geschlechtern bestehen. Wir sind immer noch kräftig dabei, das tief verwurzelte traditionelle Denken vom höheren Wert des Mannes und seinen spezifischen Aufgaben als kulturgeschichtliches Phänomen zu entlarven. Dennoch kommen wir nicht daran vorbei, dass es Unterschiede von Mann und Frau gibt, und zwar biologische Unterschiede. Sie wirken sich selbstverständlich auf das Erleben von Mann und Frau aus und haben darum auch gewisse charakterologische Unterschiede zur Folge. Diese Unterschiede können in unserem heutigen Verständnis des Menschen nicht ausschließlich den biologischen Gegebenheiten zugeordnet werden.

Die Beziehung der Frau zu ihrem Kind darf anders sein als die des Mannes zum Kind. Es gibt väterliche und mütterliche Liebesformen. Mann und Frau sind gerade für die...

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