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Wenn es auch unmöglich scheint

Eine Geschichte wahrer Liebe

AutorThich Nhat Hanh
VerlagGoldmann
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783641092658
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Berührende Botschaften voller Liebe und Kraft
Kinh Tam fühlt sich von klein auf zu den Lehren Buddhas hingezogen. Ihrer Familie zuliebe heiratet sie, doch der Wunsch, im Kloster zu leben, ist stärker als alles andere. Eines Tages fasst sie den Mut, ihrer Bestimmung zu folgen und wird Novize, als Mann verkleidet. Glückliche Jahre vergehen, bis eine Frau aus dem Dorf verkündet, von dem Novizen ein Kind zu erwarten. Kinh Tam wird vor eine schier unlösbare Wahl gestellt... Thich Nhat Hanh schenkt einem alten vietnamesischen Volksmärchen eine zeitlose Botschaft: Trotz aller Widerstände im Leben können Geist und Herz frei und glücklich sein, wenn man der Welt mit Liebe begegnet.

Thich Nhat Hanh war einer der bekanntesten spirituellen Lehrer unserer Zeit. Der Zen-Meister, Dichter und Friedensaktivist lebte zwischenzeitlich aufgrund seines Engagements für ein Ende des Vietnam-Kriegs in Frankreich im Exil. Das von ihm gegründete Praxiszentrum Plum Village wird jährlich von Menschen aus aller Welt besucht. Die zahlreichen Bücher des Autors bringen den Menschen aller Kulturen die Kunst des achtsamen Lebens näher.

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Leseprobe

Das ausgesetzte Kind

Kinh Tam hatte gerade die Glocke zur Abendrezitation geläutet, und während der letzte Schlag verklang, hörte der junge Novize einen Säugling schreien. »Wie sonderbar«, dachte er. Er ließ das Seil los, trat leise in den Torbogen des Glockenturms und blickte gerade rechtzeitig den Hang hinunter, um zu sehen, wie Thi Mau näher kam. Sie war in einen hellbraunen nam than gekleidet, das traditionelle Seidenkleid der vietnamesischen Frauen, und hatte ein schreiendes Neugeborenes auf dem Arm. Ihr Blick war auf den Novizen gerichtet.

Ein beunruhigender Gedanke schoss Kinh Tam durch den Kopf: »Thi Mau hat ihr Kind geboren und bringt es nun hierher, um es in meiner Obhut zu lassen.«

Sofort brandeten stürmische Gefühle in ihm auf. Kinh Tam betrachtete die heikle Lage. »Ich habe die Novizengelübde abgelegt. Erst vor kurzem hat man mich einer Affäre mit Thi Mau bezichtigt und mir vorgeworfen, sie geschwängert und mich nicht zu meinem vermeintlichen Fehltritt bekannt zu haben.« Die Gedanken stürmten weiter auf ihn ein. »Wer kann verstehen, in welchem Dilemma ich mich befinde? Sieht denn niemand, welch großes Unrecht mir geschieht? Auch wenn mein Lehrer, der Abt dieses Tempels, mich liebt, auch wenn meine beiden Dharma-Brüder mich sehr mögen, wer weiß, ob sie nicht doch an meinem Herzen zweifeln. Und jetzt ist das Kind da. Thi Mau weigert sich beharrlich, es zu seinem echten Vater zu bringen, und ist stattdessen hierher in den Tempel gekommen. Wenn ich das Kind aufnehme, werden dies all jene missverstehen, die mich ohnehin der Vaterschaft verdächtigen. Sie werden es als Schuldeingeständnis werten. Was wird mein Lehrer denken? Was werden meine Dharma-Brüder tun? Und die Dorfbewohner?«

Schließlich gelangte Kinh Tam zu dem Schluss: »Vielleicht sollte ich zu Thi Mau hinuntergehen und ihr raten, tapfer zu sein, ihren Eltern den Namen des wahren Vaters zu gestehen und das Kind zu ihm zu bringen.« Er stieg vom Glockenturm herab und rief dabei immer wieder den Buddha an. Der Novize hatte großes Vertrauen in die heilende Kraft der liebenden Güte, die der Buddha verkörperte. Gewiss würde ihm die Weisheit Buddhas in dieser schwierigen Zeit den Weg weisen. Der Novize wollte freundlich und sanft zu Thi Mau sprechen. Er wollte ihr helfen, eine bessere Lösung für ihr Dilemma zu finden. Aber als er aus dem Glockenturm trat, war Thi Mau schon wieder ein gutes Stück den Hang hinabgelaufen. Wie ein Pfeil schoss sie durch die Tempelpforte und verschwand in den dicht mit immergrünen Pflanzen bewachsenen Hügeln. In diesem Augenblick begann der Säugling, den sie in mehrere Schichten weißen Baumwollstoff gewickelt und auf die Stufen des Glockenturms gelegt hatte, herzzerreißend zu weinen.

Kinh Tam lief sofort zu ihm und hob ihn auf. Der Novize spürte, wie tief in seinem Inneren eine neue Liebe keimte. Sein Beschützerinstinkt regte sich mit Macht. »Dieses Kind hat niemanden, der sich um es kümmert und es annimmt. Sein Vater bekennt sich nicht zu ihm, seine Mutter hat es gerade ausgesetzt. Die Eltern des Vaters wissen noch nicht einmal, dass es überhaupt auf der Welt ist. Wer wird sich seiner annehmen, wenn ich es nicht tue?«, dachte der Novize. »Ich behaupte, ein Mönch zu sein, also ein Mensch, der sich um mehr Mitgefühl bemüht. Wie kann ich da das Recht haben, wie kann ich es über’s Herz bringen, dieses Kind im Stich zu lassen?« Der Novize fasste einen unerschütterlichen Entschluss: »Sollen sie doch reden! Sollen sie mich doch weiter verdächtigen und verfluchen! Dieses Kind braucht jemanden, der für es sorgt und es aufzieht. Wer wird sich seiner annehmen, wenn ich es nicht tue?«

Kinh Tam drückte das Neugeborene liebevoll an sich, während ihm die Tränen über die Wangen liefen. Sein Herz war gleichzeitig von großer Traurigkeit und dem süßen Nektar des Mitgefühls erfüllt. Er spürte, dass der Säugling allmählich Hunger bekam, und dachte sofort an Onkel und Tante Han (»Seltenheit«). Die beiden lebten im Dorf am Fuß des Hügels, auf dem sich der Tempel befand. Tante Han hatte erst vor zwei Wochen selbst ein Kind zur Welt gebracht. Im Augenblick war das Wichtigste, dass Kinh Tam das Neugeborene ins Dorf hinunterbrachte und darum bat, dass es gesäugt wurde. Onkel und Tante Han kamen regelmäßig zur Andacht in den Tempel und hatten ein gutes Verhältnis zu allen Novizen. Sicher war die gute Frau bereit, diesem unglücklichen Kind ein wenig von ihrer Milch abzugeben.

Kinh Tam wickelte die Baumwolltücher fester um den Säugling, um ihn warm zu halten. Dann trat der Novize mit ihm durch das Tor und trug ihn zum Dorf hinunter. Dabei widmete er jedem Schritt und jedem Atemzug seine volle Aufmerksamkeit.

»Sicher werden mein Lehrer und meine beiden Dharma-Brüder morgen früh wissen wollen, weshalb ich das Kind aufgenommen habe«, sinnierte der Novize im Stillen. »Dann werde ich antworten: Verehrter Lehrer, Ihr habt mir beigebracht, dass das Verdienst, das man erwirbt, wenn man einem Menschen das Leben rettet, unvergleichlich größer ist als das, das man durch den Bau eines kunstvollen neunstöckigen Tempels erlangt. Ich habe Euren Rat beherzigt und dieses Kind aufgenommen, um es großzuziehen. Ich bitte Euch, verehrter Lehrer, liebe Dharma-Brüder, habt Mitgefühl. Dieses Kind wurde vernachlässigt, ausgesetzt und von allen verstoßen. Thi Mau hat es gestern Abend auf die Stufen des Glockenturms gelegt und ist ohne ein Wort weggelaufen. Hätte ich den Säugling nicht aufgenommen und mich um ihn gekümmert, wäre er gestorben.

›Verehrung sei Avalokiteshvara, dem Bodhisattva, der in verzweifelter Lage hilft.‹ Mit großer Hingabe sprechen die Besucher des Tempels diesen und ähnliche Verse. Jeder von uns muss Zuflucht zum Bodhisattva des universellen Mitgefühls und der liebenden Güte nehmen. Dennoch üben wir uns im Alltag nur sehr selten darin, das universelle Mitgefühl und die liebende Güte zu mehren und anderen zukommen zu lassen.« Der Novize überlegte weiter. »Ich bin ein Schüler Buddhas und der Bodhisattvas und muss ihnen nacheifern. Ich muss die in mir schlummernden Energien des universellen Mitgefühls und der liebenden Güte pflegen und zum Ausdruck bringen.«

Obgleich Kinh Tam damals erst vierundzwanzig Jahre alt war, war ihm schon zwei Mal großes Unrecht widerfahren. Beim ersten Mal hatte man ihn des versuchten Mordes beschuldigt. Beim zweiten Mal hatte man ihm vorgeworfen, sein Ordensgelübde gebrochen, mit Mau, der Tochter der wohlhabendsten Familie im Dorf, geschlafen und sie geschwängert zu haben. Zwei Augenblicke großen Unrechts. Doch der Novize konnte es ertragen, da er die Praxis der Herzensweite (der Großmütigkeit) kannte und gelernt hatte, liebende Güte und Mitgefühl zu mehren.

Dabei war der Novize noch nicht einmal ein junger Mann. In Wirklichkeit war Kinh Tam die Tochter der Familie Ly (»Pflaume«) und stammte aus einer anderen Provinz. Ihre Eltern hatten sie Kinh (»Verehrung«) genannt. Sie hatte sich so sehr nach einem Leben als Mönch gesehnt, dass sie sich als Jüngling verkleidet hatte, um ordiniert werden zu können. Der Buddhismus war erst zweihundert Jahre zuvor nach Giao Chi gekommen, wie das heutige Vietnam früher hieß, und damals war die Möglichkeit der Ordination nur Männern offengestanden.

Kinh hatte gehört, in Indien habe es vor langer Zeit viele Tempel gegeben, in denen auch Frauen buddhistische Nonnen werden konnten. Sie fragte sich oft: »Wie lange müssen wir in diesem Land noch auf ein Nonnenkloster warten?«

Sie kam zum Dharma-Wolken-Tempel, einem der schönsten Tempel im ganzen Land, um ordiniert zu werden und ein Leben als Mönch zu führen. Der Tempel befand sich in der Provinz Giao Chi, sechs Tage von ihrem Heimatdorf in der Provinz Cuu Chan entfernt. Ihren Eltern hatte Kinh verschwiegen, dass sie im Dharma-Wolken-Tempel praktizierte. Sie wusste, wenn sie Kenntnis von ihrer Ordination und ihrem Aufenthaltsort hätten, würden sie sich einmischen und darauf dringen, dass sie nach Hause zurückkehrte.

Ihr Lehrer müsste nur herausfinden, dass sie eine junge Frau war, und schon würde man sie des Tempels verweisen. Aber es wäre ihr einfach unerträglich, das Mönchsleben aufgeben zu müssen.

Kinh war schon als kleines Mädchen ein richtiger Wildfang gewesen und hatte stets mit den Jungen gespielt. Ihre Eltern hatten sie sogar wie einen Buben gekleidet. Als sie älter wurde, erhielt sie die Erlaubnis, zusammen mit den Jungen den typisch chinesischen Unterricht bei Dorflehrer Bai (»Verbeugung«) zu besuchen. Kinh war eine sehr gute Schülerin und hatte bessere Noten als viele ihrer männlichen Klassenkameraden.

Kinh war höflich, kontaktfreudig und gelassen, aber nicht leicht von ihrer Meinung abzubringen. Wenn sie wusste, dass sie nichts Unrechtes getan hatte, entschuldigte sie sich nicht einmal dann, wenn ihr Lehrer oder ihre Eltern sie darum baten. Sie legte nur respektvoll die Hände vor der Brust zusammen und begründete ihr Verhalten mit den Worten: »Ich kann mich nicht entschuldigen, da ich nichts Unrechtes getan habe.«

Mancher nannte Kinh einen Dickkopf. Vielleicht war sie es auch, aber was konnte sie schon dagegen tun? So war sie eben. Kinh war damals ein heiß geliebtes Einzelkind und wurde von ihren Eltern tatsächlich ein wenig verwöhnt. Dies sollte sich freilich ändern, als sie sieben Jahre alt war und ihre Mutter einen Sohn zur Welt brachte, dem ihre Eltern den Namen Chau (»Juwel«) gaben.

Mit jedem Jahr wurde Kinh schöner. Als sie sechzehn Jahre alt war, wollten viele Familien ihre Söhne mit ihr...

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