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E-Book

Wenn Gott verschwindet, verschwindet der Mensch

Eine Verteidigung des Glaubens

AutorRolf Bauerdick
VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783641101367
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Was der Glaube an Gott heute bedeutet
Kein Himmel, keine Hölle, kein Gott! Nicht nur John Lennon erträumte eine friedliche Welt ohne Religion. Immer mehr Menschen scheint die Abkehr vom Glauben das Heilmittel gegen Kriege, Unrecht und Gewalt, gegen Fanatismus, Unmündigkeit und kirchliche Bevormundung.

Der Katholik und Weltreisende Rolf Bauerdick folgt den Wegen und Irrwegen des Christentums der Gegenwart nicht als distanzierter Beobachter. Er zeigt, was es heißt, wenn der Mensch die spirituelle Dimension seines Daseins verliert. In einer Zeit, in der die alten Gottesbilder verschwinden und der Mensch selbst zum Maß aller Dinge wird, wirbt Bauerdick für einen selbstbewussten Glauben, der Tradition und Freiheit versöhnt. Dieser Glaube lebt vom steten Wachhalten des Fragens und verlässt sich nicht auf ewig gültige Antworten. Rolf Bauerdicks Buch ist eine äußere und innere Reise auf den Spuren einer der zentralen Fragen des Menschseins.

Rolf Bauerdick, Jahrgang 1957, lebt im Münsterland. Nach dem Studium der Literaturwissenschaft und Theologie wurde er Journalist. Er hat Reportagereisen in rund sechzig Länder unternommen; seine Text- und Bildreportagen erscheinen in europäischen Tageszeitungen und Magazinen u.a. in Stern, Brigitte, Spiegel, GEO, Playboy und wurden vielfach preisgekrönt, u.a. mit dem Natali-Award (für Menschenrechtsjournalismus) der Europäischen Union und beim Hansel-Mieth-Preis. »Wie die Madonna auf den Mond kam«, sein viel beachtetes Debüt, erschien 2009, wurde in zwölf Sprachen übersetzt und 2012 mit dem Europäischen Buchpreis in der Kategorie »Roman« ausgezeichnet.

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Leseprobe

Vorwort

Der Hase und der Igel und die Angst, niemals anzukommen

Beginnen wir mit einem Wettlauf, der tödlich endet. Zumindest für einen der Rivalen. Unter der Nummer 187 fand das Rennen Eingang in die Märchensammlung der Gebrüder Grimm und nahm von dort den Weg in die Theologiegeschichte des späten 20. Jahrhunderts. In dem Märchen von Hase und Igel treffen zwei gegensätzliche Charaktere aufeinander, die sich idealtypisch ergänzen. Der Igel, von dem Hasen wegen seiner krummen Stummelbeine verspottet, verkörpert die Pfiffigkeit der im echten Wortsinn Zukurzgekommenen. Der flinke Hase hingegen repräsentiert die Blindheit selbstgefälligen Hochmuts. Aus trügerischer Überlegenheit nimmt er die Herausforderung des Igels an, sich auf einem Feld beim Lauf durch die Ackerfurchen zu messen. Den Gewinn des Wetteinsatzes, eine goldene Münze und eine Flasche Branntwein, wähnt der Hase sicher. Doch der Igel greift zu einem Trick. Heimlich postiert er seine Frau, die ihm zum Verwechseln ähnelt, am Ende des Ackers, während er selbst am Start ausharrt. Als der Hase dem Ziel entgegeneilt, ruft die Igelfrau: »Ich bin schon hier!« Der brüskierte Verlierer fordert ein neues Rennen. Nur wartet am anderen Ende der Strecke der Igelgatte bereits als allgegenwärtiger Sieger. Wie bekannt erweist sich der Hase als hartnäckig. Erst beim vierundsiebzigsten Rennen bricht er nach einem Blutsturz tot zusammen.

Gemeinhin gehört die Sympathie der Märchenleser dem listigen Igel. Der katholische Fundamentaltheologe Johann Baptist Metz indes liest die Erzählung gegen den Strich. Er ergreift Partei für den Hasen. Metz bedient sich des Märchens, um seine Idee eines Glaubens darzulegen, der sich kritisch in die Konflikte in Geschichte und Gesellschaft einmischt. Hase und Igel symbolisieren für Metz zwei gegensätzliche Modelle christlicher Identitätsbildung: Der Hase rennt und rackert sich ab. Er geht das Risiko ein, zu stürzen, zu scheitern und auf der Strecke zu bleiben. Der Igel steht für die sichere und bequeme Variante. Ohne sich einem Wettlauf auszusetzen, hat er sein Ziel immer schon erreicht.

Dem doppelten Igel entspricht die Vorstellung von einem Gott, der vor, nach und jenseits aller Zeit existiert. Welche Höhen und Tiefen der Mensch auch durchläuft, Gott ist bereits da. Über der Geschichte waltend und sich selbst immer gleich bleibend ist er Schöpfer und Erlöser, Ursprung und Ziel. Der Glaube an ihn verleiht vermeintliche Sicherheit, erkauft um den Preis eines Selbstbetrugs. Der »Igel-Trick« erzeuge die Illusion, so Metz, »die Straße der Geschichte fest im Blick« zu haben. Warum sollte der Gläubige, der Anfang und Ende der Geschichte überschaut, sich noch auf den Weg machen? Warum sich auf das Wagnis des Lebens einlassen?

Hase oder Igel? Wem auch immer die Sympathie gelten mag, als Allegorie für den Gottesglauben taugt das Märchen im 21. Jahrhundert nur noch bedingt. Der Wettlauf setzt das Fundament eines kollektiven Selbstverständnisses voraus, von dem nur noch Fragmente geblieben sind. Der Acker, auf dem der Hase und der Igel wetteiferten, war das Feld des homo religiosus. Auf dessen Terrain wird nicht darum gerungen, dass geglaubt wird, sondern wie. Dieses Feld liegt heute nicht bloß brach. Es scheint unfruchtbar geworden und vertrocknet. Womöglich auch überdüngt, mit einer inflationären Rede von Gott, dessen Existenz zwar behauptet, aber nicht erfahren wird. Gott! Der Begriff ist entkernt, füllbar mit allzu menschlichen projektiven Zuschreibungen. Kein Attribut blieb Gott erspart, alle denkbaren Bilder wurden gedacht: der geoffenbarte Gott, der verborgene Gott, der verschwundene Gott, der schweigende Gott, der verheißene Gott. Er ist der lebendige, liebende, hörende, sehende, verstehende, der grausame und strafende, der allmächtige, der ohnmächtige, der entthronte, der stille oder der sterbende Gott. Für viele auch der kommende. Die einen beweisen seine Realität, führen zu ihm hin oder widmen ihm täglich fünf Mal fünf Minuten Zeit. Andere erklären ihn für tot oder vergleichen den Wahrscheinlichkeitsfaktor seiner Existenz, wie etwa der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins, mit dem Evidenzquotienten von Rotkäppchen, der Zahnfee oder den Mars umschwirrenden Teekannen. Manche geben um Gottes willen ihr Leben hin und gelten als Heilige, andere morden für ihn, halten ihn für den Größten und sich selbst für Märtyrer. Eine Bildungsministerin, die über eine Plagiatsaffäre stolperte und heute Botschafterin im Vatikanstaat ist, schrieb ein Buch Gott ist größer, als wir glauben. Mir wird bei solchen Aussagen schwindelig. Nicht weil sie falsch wären, sondern weil ihr Erkenntniswert so unendlich ist, dass er wieder gegen null geht.

Gottesbilder kommen und gehen. Ihr Verschwinden ist kein Anlass zur Beunruhigung. Die Religionsgeschichte quillt über von verloren gegangenen und entsorgten Bildern. Zu Beginn des dritten Jahrtausends jedoch geschieht etwas Verstörendes. Nicht weltweit, aber im christlichen Abendland. Nicht die Gottesbilder verschwinden, vielmehr der Rahmen, in dem sie einst hingen. Die aufklärerische Religionskritik erkannte diesen Rahmen, die Frage nach Gott, jederzeit an. Sie lehnte allerdings die Antworten ab. Die atheistischen Kritiker radierten die menschlichen Projektionen aus dem Rahmen heraus und stellten dann fest, dass er leer ist. Aber sie ließen den leeren Rahmen hängen. Der bekennende Atheismus steckt da in einer Zwickmühle; mit jedem Gott, den er demontiert und vom Thron stürzt, bleibt ein verwaister Königsstuhl übrig, der die Erinnerung an die Frage nach Gott lebendig hält. Nur sterben Fragen nicht, wenn alle Antworten als falsch entlarvt werden; sie sterben, wenn sie niemand mehr stellt. Wenn sie gleichgültig geworden sind. Der leere Rahmen forderte heraus, ihn immer wieder zu füllen, mit Zeichen, Symbolen und inneren Bildern – mit Wahrheit und Sinn, die über den Horizont des Projektiven hinausweisen. Wo der Rahmen zerfällt, hat die Sehnsucht zwar noch einen Ort, aber kein Ziel mehr.

»Imagine there’s no heaven!« Kein Himmel, keine Hölle, kein Gott! John Lennon erträumte eine friedliche Welt ohne Religion. Und er blieb mit seinem Traum nicht allein. Mit »Imagine« hat Lennon den Geist einer Epoche gleichermaßen geschaffen und gespiegelt. Sein hymnischer Abgesang auf die Religion verbucht ihren Untergang als Freiheitsgewinn. Ihre Verabschiedung scheint das Heilmittel gegen Glaubenskriege, gegen Unrecht und Gewalt, fundamentalistischen Irrsinn, Unmündigkeit, Verdummung und klerikale Bevormundung. Dem säkularisierten Subjekt ist der Glaube an Gott nicht bloß suspekt. Er ist ihm ein Wahn, der die Entfaltung des kreativen Menschheitspotentials blockiert. Doch ist es wirklich ein Sieg der Freiheit, wenn die Kirchen, wie Johann Baptist Metz so schmerzlich konstatierte, »wie entlaubte Bäume in unserer postmodernen Landschaft stehen«? Eröffnet eine Welt ohne Gott die Tür zu einer Zukunft, in der die Menschen zu wahrer Humanität erblühen, und befördert ein aggressiver, oft militanter Atheismus tatsächlich jene Souveränität, um derentwillen er den Gläubigen die Gottesidee austreiben will? Oder bewahrheitet sich zusehends das Trauma von Friedrich Nietzsches tollem Menschen, der nach dem Tod Gottes orientierungslos durch den sternenlosen Raum taumelt, wo ihn die kalte Nacht anhaucht?

Der Gläubige war immer eingebunden, oft auch gefangen, in einem horizontalen und vertikalen Koordinatensystem. Er lokalisierte sich zwischen Himmel und Erde, zwischen Heiligem und Profanem, und ging allzu häufig dabei verloren. Der säkulare Mensch tritt aus der Religionsgeschichte heraus. Mit der Abschaffung des Himmels im Achsenkreuz seiner Weltverortung wirft er das jüdisch-christliche Erbe des Alten und Neuen Testamentes ab: das Glaubenswissen um die untrennbare Einheit von Gottesliebe und Nächstenliebe. Da dem Atheisten Erstere ein Hirngespinst ist, zählt für ihn allein Letztere. »Liebe galt einst einem Horizont von Dingen, die über einem liegen, so wie ein Stern, an dem man sich orientiert«, sagt der Philosoph Peter Sloterdijk. »Eine solche Spannung auf ein fernes, aber unendlich liebenswertes Objekt hin ist aus dem modernen Weltentwurf a priori ausgegliedert. In dem Moment, in dem man die Liebe vollständig aus zwischenmenschlichen Beziehungen erklärt, verschwindet ihre Vertikaldimension. Es fehlt die Schöpfung, es fehlt der Stern.«

Einst wurde dem Menschen zugetraut, die Krone der Schöpfung zu sein. Als Gottes Ebenbild, das der Allmächtige schuf, um im Geheimnis seiner Ewigkeit nicht in sich selbst gefangen zu sein. »Glauben, dass Gott existiert«, sagt der Religionsphilosoph Robert Spaemann, »heißt glauben, dass er nicht unsere Idee, sondern dass wir seine Idee sind.« Was auch immer der glaubensbefreite Zeitgenosse in seiner Liberalität zu tolerieren vermag, der Gedanke, als Idee eines Anderen zu existieren, zählt nicht dazu. Er ist nicht Geschöpf. Er ist Schöpfer. Er bedarf des Segens nicht mehr, mit dem der Gott der Genesis die ersten Menschen in die Welt entließ. Der säkulare Mensch macht sich selbst und erfindet sich selbst, ohne allerdings dem höchsten Anspruch an sich je zu genügen. Er ist ständig in Bewegung, rastlos, aber nicht mehr unermüdlich, vielmehr dauernd erschöpft. »Wir sind immer noch unterwegs«, sagt der polnisch-jüdische Sozialphilosoph Zygmunt Baumann, »aber wir wissen nicht mehr wohin.« Im 21. Jahrhundert, so scheint es, ist dem Hasen das Ziel abhandengekommen.

Sein Problem stellt sich nicht mehr. Kein Igel fordert den Hasen mehr heraus. Aus der Not seiner Ziellosigkeit haben wir eine Tugend gemacht, indem wir den...

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