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E-Book

Wenn unsere Welt aus den Fugen gerät

Wie wir persönliche Krisen bewältigen und überwinden

AutorGeorg Pieper
VerlagKnaus
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783641081805
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Deutschlands Krisenpsychologe Nr. 1
Dass Menschen Schlimmes zustößt, ist nicht zu ändern. Doch wir selbst haben Einfluss darauf, ob wir unsichere und extreme Lebenssituationen bestehen oder an ihnen scheitern. Deutschlands erfahrenster Krisenpsychologe Georg Pieper berichtet von seiner Arbeit mit Katastrophenopfern und vermittelt, wie wir die beeindruckende Stärke unserer Psyche für uns nutzen können.

Dr. Georg Pieper, Jahrgang 1953, ist promovierter Psychologe mit eigener Praxis für Trauma- und Stressbewältigung in der Nähe von Marburg. Der international anerkannte Spezialist für Krisenintervention und Traumatherapie betreute u.a. Opfer, Angehörige und Einsatzkräfte nach dem Grubenunglück in Borken oder dem ICE-Unglück in Eschede. 2002 organisierte er im Auftrag der Thüringischen Landesregierung die Nachsorge nach dem Amoklauf in Erfurt, 2011 unterstützte er das Kriseninterventionsteam nach dem Attentat in Oslo. Sehr häufig holen ARD und ZDF bei Katastrophen seine Einschätzung ein, etwa im Fall der in Chile über Wochen eingeschlossenen Bergleute, der Massenpanik bei der Love-Parade in Duisburg oder im Entführungsfall Kampusch.

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Leseprobe

1. Die Krisen- und Überforderungsgesellschaft

Seit die Menschheit auf der Erde lebt, ist sie immer wieder von schweren Katastrophen und Unglücken heimgesucht worden. Durch Erdbeben, Vulkanausbrüche, Flutwellen, Seuchen oder Kriege verloren Zehntausende, Hunderttausende, sogar Millionen Menschen ihr Leben. Von den persönlichen Schicksalsschlägen, von denen auch in den Geschichtsbüchern selten zu lesen ist, gar nicht zu reden. Auch wenn wir persönlich davon nicht betroffen waren: sowohl in der menschlichen Psyche als auch in unserem körperlichen Gedächtnis sind diese Bedrohungen verankert.

Zieht man Aufzeichnungen von den frühen Katastrophen der Neuzeit bis zur Gegenwart in Betracht, kommen pro Jahr im Schnitt mindestens 80000 Menschen allein durch Naturkatastrophen ums Leben, verlieren ihr Hab und Gut, ihre Angehörigen, leiden unter gesundheitlichen Folgen. Wenn man diese Zahlen bedenkt, könnte man meinen, ein Großteil der Menschheit müsste schwer traumatisiert und längst verzweifelt sein. Denn die meisten Überlebenden einer solchen Katastrophe erfüllen genau die Voraussetzungen, die seit den 1980er Jahren den Begriff Trauma definieren: Es handelte sich stets um plötzliche, lebensbedrohliche Ereignisse, bei denen die Menschen einen schweren Schock, Hilflosigkeit und Todesangst erlebten. Wie kommt es, dass dennoch nicht alle traumatisiert sind?

Es scheint, dass wir im Laufe der Evolution auch psychisch einiges an Handwerkszeug mitbekommen haben. Trotz immenser Belastungen und deprimierender Rückschläge bei unseren Bemühungen um eine sichere und lebenswerte Zukunft stecken in uns ein starker Überlebenswille und ein erstaunlicher Pragmatismus. Die Menschheit hat sich immer wieder an die Widrigkeiten des Lebens angepasst und Kräfte entwickelt, auf die wir uns verlassen und in kleinen wie in großen Krisen zurückgreifen können. Theoretisch könnten wir aus dem enormen Reservoir an Ressourcen schöpfen, das die Menschheit in der Geschichte ihrer Evolution stetig ergänzt und perfektioniert hat. Tatsächlich haben wir es aber ganz offensichtlich im Laufe der Zeit verlernt, auf unsere Instinkte zu hören, unseren ureigenen Kräften, unserer Selbstwirksamkeit zu vertrauen.

Seit geraumer Zeit schon stelle ich fest, dass immer mehr Patienten mit unspezifischen Angstzuständen in meine Praxis kommen, die nicht in das übliche Diagnoseschema passen. Burnout mag derzeit eine Modediagnose sein, die manchem vielleicht etwas zu leichtfertig attestiert wird; Tatsache ist jedoch, dass eine wachsende Anzahl von Menschen in unserem Land den Anforderungen des Lebens offenbar nicht mehr gewachsen ist. Sie leiden unter Zukunftsängsten und dem enormen Druck, sich in der Arbeitswelt, der Familie, ja sogar während der Freizeit ständig beweisen zu müssen. Viele agieren bereits am Limit ihrer Kraft und haben das Gefühl, die Kontrolle über ganze Lebensbereiche verloren zu haben, mehr und mehr fremdbestimmt zu sein.

In Deutschland beziehungsweise Europa ist das beste Beispiel dafür wohl die Finanzkrise. Kaum jemand versteht noch, wie Heuschrecken, Banken, Bonuszahlungen, Immobilienblasen, Rettungsschirme, Euro-Bonds und dergleichen mehr funktionieren. Man fühlt sich zum passiven Zuschauer degradiert, der Abend für Abend beim Ansehen der Nachrichten ein Stück mehr Kontrolle verliert und verunsichert zurückbleibt. Die sich global immer stärker ausweitende ökonomische Unsicherheit ist selbst von Optimisten nicht mehr schönzureden. Unser gesunder Menschenverstand sagt uns: Man kann nur das ausgeben, was man hat, und nur den Kredit in Anspruch nehmen, den man auch abbezahlen kann. Aber was im Kleinen gilt, scheint im Großen nicht zu gelten. Wir verlieren den Überblick über das, was da möglicherweise auf unserem Rücken ausgetragen wird, und verspüren die Angst, Teil eines Untergangsszenarios zu werden und nichts dagegen ausrichten zu können. Diese Angst ergreift auch jene, die nicht – wie etwa die Menschen im Süden Europas – von harten Sparmaßnahmen oder gar Jobverlusten betroffen sind. Sie manifestiert sich in der Befürchtung, das ganze eigene Lebenskonzept könne mit einem Mal ins Wanken geraten.

Nun mag die aktuelle Krise durchaus Anlass zur Besorgnis geben, was die wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen angeht. Sie trifft uns aber auch in einer Zeit, in der sich eine Art Weltuntergangsstimmung längst zusammengebraut hat. So ernst diese Lage auch ist, ich glaube, dass viele Menschen mit zu großen Unsicherheitsgefühlen reagieren, die ihr ganzes Leben negativ beeinflussen, weil sie es lange Zeit nicht geübt haben, Krisensituationen zu erleben und sie aktiv anzugehen. Es kommt mir manchmal sogar so vor, als habe sich bei vielen Menschen die Grundhaltung etabliert, dass eine Änderung der Lebensgewohnheiten nicht vorgesehen ist. Nicht im Sinne von Einschränkung und schon gar nicht im Sinne einer fundamentalen Änderung der Parameter, beispielsweise durch eine Krankheit, einen Schicksalsschlag, der alles auf den Kopf stellt. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Wir gehen dabei sogar so weit, dass wir Anzeichen einer Krise ignorieren. Viele meiner Patienten haben sich über längere Zeit über körperliche Symptome hinweggesetzt, um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern oder zu halten, haben Schlafstörungen und Rückenbeschwerden mit Medikamenten bekämpft oder Pillen geschluckt, wenn der Magen signalisierte, dass er »sauer« auf die Lebensführung der Betreffenden ist. Die Wenigsten konnten erkennen, dass der Körper ihnen damit etwas sagen wollte. Wir alle überschreiten unsere Grenzen nur allzu bereitwillig, reizen alles aus bis zum Äußersten und bringen damit unser ureigenes Alarmsystem zum Schweigen. Die Ursachen blenden wir gerne aus, bekämpfen stattdessen die Symptome, man will ja funktionieren. Damit schwächen wir jedoch unsere Fähigkeiten, im Ernstfall auch mit Notsituationen umgehen zu können. Und mehr noch: Dieser Hang zum Ausblenden in Kombination mit der latenten Angst, an den immer komplexer werdenden Anforderungen des Lebens zu scheitern, lähmt viele Menschen schon beim kleinsten Anzeichen einer drohenden Veränderung. In unserem Bedürfnis, mit aller Macht am »Bewährten« festhalten zu wollen, um nicht noch stärker verunsichert zu werden, schaden wir jedoch letztlich uns selbst. Psychisch und physisch.

Augen zu und durch?

Häufig werden aufkommende Problemkonstellationen und sogar solche, die sich schon zu handfesten Krisen entwickelt haben, von den Betroffenen nicht sensibel genug wahrgenommen oder gar geleugnet. Erfahrungsgemäß neigen mehr Männer zu dieser Haltung als Frauen. Sie wollen Härte zeigen, nicht als Weichei gelten und ignorieren oft hartnäckig körperliche oder psychische Symptome.

Wenn Menschen eine traumatische Situation erleben, ist die erste Reaktion ein innerer Aufschrei: »Das kann nicht sein!« In unserem Alltag folgt darauf häufig die Schlussfolgerung: »Was ich nicht sehen will, ist auch nicht da.« Wir wollen nun einmal nicht gerne aus unserer Normalität herausgerissen werden, wenn sich Probleme andeuten. Um Krisen oder Schwierigkeiten bewältigen zu können, müssen wir aber immer etwas verändern – entweder an den situativen Bedingungen, die uns belasten, oder an uns selbst. Veränderungen werden von vielen Menschen jedoch als unangenehm empfunden, sie machen Angst. Deswegen begnügen wir uns zunächst einmal damit, mehr oder weniger den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun, als könne alles weitergehen wie bisher. Hinzu kommt, dass viele Menschen ein starkes Bedürfnis nach Harmonie haben und Auseinandersetzungen eher scheuen.

Situationen, in denen wir so reagieren, dürfte jeder von uns aus dem Alltag kennen: In der Arbeit schwelt ein Konflikt unter Kollegen, aber keiner schafft es, dies anzusprechen. Alle machen weiter wie bisher, spüren aber, dass sich die Stimmung im Team geändert hat. Im Laufe der Zeit stauen sich viel Frust und Ärger an, der sich dann oft an ganz falscher Stelle ein Ventil sucht. Etwa, indem einer der Kollegen bei einem nichtigen Anlass die Fassung verliert und emotional »explodiert«. Die Anderen reagieren verblüfft, können diesen unverhältnismäßigen Ausbruch nicht einordnen.

Auch viele Paare kennen das Gefühl, sich an einer Eigenart oder einer Verhaltensweise des Partners zu stören, ein Gespräch darüber aber lange Zeit vor sich her zu schieben. Es ergeben sich latente Spannungen, die immer weiter zunehmen, bis aus dem eher kleinen Gefühl der Unzufriedenheit ein gravierendes Problem wird. Beide Seiten werden immer missmutiger, es kann keine richtige Freude und Nähe mehr aufkommen. Man ist auf Nebenschauplätze ausgewichen und gerät zunehmend wegen Kleinigkeiten in Streit. In solchen Scharmützeln entladen sich dann auch die Vorwürfe, die man so lange verschwiegen hat. Und zwar auf eine sehr angespannte und oft vollkommen übertriebene Art und Weise, so dass der Partner das Gesagte nicht annehmen kann. Stattdessen reagiert er verletzt, schlägt verbal zurück – und plötzlich steckt man in einer ernsthaften Beziehungskrise.

Ich bin im Laufe der Zeit einer ganzen Reihe von Menschen begegnet, die Krisen über viele Monate oder manchmal auch Jahre vor sich selbst geleugnet haben und sich im Nachhinein eingestehen mussten, dass sie sich viel Leid hätten ersparen können, wenn sie ehrlicher zu sich selbst gewesen und frühzeitig konsequenter gehandelt hätten. Einen besonders tragischen Fall für diese Verdrängungshaltung erlebte ich dabei in meinem persönlichen Umfeld: Ein Freund von mir arbeitete als Wissenschaftler in der Verwaltung einer großen Versicherungsgesellschaft, bei der er Softwareprogramme für Lebensversicherungen entwickelte. Er war ein sehr intelligenter Mann, dessen Leben von außen...

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