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E-Book

Wer nicht alt werden will, muss vorher sterben

Nachdenken über die letzte Lebenszeit

AutorLuisa Francia
Verlagnymphenburger Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783485061261
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Gutes Sterben - was ist das? Bestsellerautorin Luisa Francia beleuchtet Alter und Sterben aus ihrer Sicht als Tochter, die ihre alte Mutter pflegt und bis zum Tod begleitet. Offen, schonungslos ehrlich und fernab der heilen Welt der Werbeprospekte beschreibt sie, wie kräftezehrend die Pflege Angehöriger ist, wie die Pflegesituation in Heimen heutzutage oft aussieht und welche Konsequenzen sie für sich daraus gezogen hat. Luisa Francia beschäftigt sich vor allem mit den zwei essenziellen Fragen: Wie können wir gut alt werden und dabei unser Leben Stück für Stück loslassen, um angstfrei und friedvoll zu sterben? Sie gibt Mut machende Anregungen für das Alter und die Vorbereitung auf den eigenen Tod. Denn nur wer sich mit diesem Thema früh genug auseinandersetzt und sich vorbereitet, wird am Ende gut gehen können.

Luisa Francia ist Schriftstellerin, Künstlerin, Zauberkundige, Reisende, hat eine erwachsene Tochter, spricht fünf Sprachen und hat über dreißig Bücher veröffentlicht, von denen einige Bestseller wurden. Sie macht Seminare, unterrichtet Yoga, hält Lesungen und Vorträge, die sich hauptsächlich mit Magie als Kommunikation, als Weg zum tieferen Verständnis spiritueller Energien beschäftigen. Sie führt unter salamandra.de ein Internet-Tagebuch.

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Leseprobe

Fast ein Ende

Der Morgen des 25. Juni 1992 ist trüb. Es nieselt. Meine Tochter hat vor, gleich mit ihrem Roller zur Schule zu fahren. Ich werde mir ein Taxi zum Bahnhof nehmen, denn ich habe am Abend eine Lesung und noch eine weite Reise vor mir. Sie möchte allerdings unbedingt, dass ich mit ihr auf dem Roller fahre. Das Wetter ist zwar lausig, aber ich gebe nach und fahre mit ihr mit. Vor ungefähr drei Monaten habe ich mein Auto aufgegeben, als eine Art Deal mit den Mardern, denn ich liebe die Marderfamilie. Ich habe das Gefühl, sie sind eigentlich Untergrundkämpfer gegen den Autoverkehr. Seither versuche ich, mich mit öffentlichen Verkehrsmitteln (den letzten Abenteuern der Menschheit) und Taxis durchzuschlagen. Zum Einkaufen nehme ich das Fahrrad.

Zur gleichen Zeit setzt sich Professor Edgar Biemer zum Frühstück hin. Karl Kandler, der Sozialarbeiter, richtet Kakao und Semmeln für seine Schützlinge in der Außenstelle der Heckscher-Kinderklinik auf der Rottmannshöhe her. Der Sanitäter Michael Schwedler hat in der Einsatzzentrale gerade mal eine ruhige Minute und trinkt einen Kaffee. Chirurg Klaus Höllenriegel verlässt seine Wohnung in München und steigt in sein schnelles Auto.

Am Abend zuvor war ich am Waldrand spazieren gegangen und auf einen Jägerstand geklettert. Erst oben merkte ich, wie wacklig und brüchig er war. »Wenn du hier runterfällst, brichst du dir alles«, dachte ich und weiß doch gar nicht, wie das ist, sich alles zu brechen: 42 Jahre bin ich alt und noch nie habe ich mir einen Knochen gebrochen. Zu Hause schrieb ich zwei Artikel, für die ich eigentlich noch lange Zeit hatte. Und einem Impuls folgend stellte ich für alle offenen Rechnungen Schecks aus. Sogar Briefmarken fanden sich. Noch am Abend lief ich zum Briefkasten und gab die ganze Post auf. Das hätte mich schon stutzig machen können. Aber was nützt das: Kann man aufhören zu leben, nur weil man Vorahnungen hat?

Ein Müllwagen biegt auf die Vorfahrtsstraße ein, auf der wir mit dem Roller fahren, der Fahrer sieht uns nicht. Ich schreie, Walli gibt Gas, der Reifen des Lasters streift fast meinen Arm.

Nach diesem Vorfall hätten wir umkehren können. Andererseits ist uns ja nichts passiert. Alles ging gut. Wir steigen ab, schimpfen, regen uns auf und ab. Zigarettenpause vor dem Super-GAU. Wir fahren weiter. Es ist 7:08 Uhr. Wir unterhalten uns schreiend durch die offenen Klappen unserer Helme. Ich bewundere Wallis Gelassenheit nach diesem Beinahe-Unfall. Ich denke: »Ich nehme den Zug um 8:03 Uhr nach München, dann gehe ich dort frühstücken. Und danach in die Bibliothek, das Buch von Nigel Calder über Einsteins Universum holen.«

Mein alter Freund und Anwalt Jürgen Arnold bricht jetzt in seinen Urlaub auf. Dass ich ihn sehr bald dringend brauchen werde, wissen wir beide nicht. In etwa zehn Minuten wird von diesem Tag nicht mehr viel übrig sein.

Wir passieren die Rottmannshöhe. Der Sozial­arbeiter Kandler ist auf dem Weg nach Hause. Während wir die leichte Linkskurve zur Ab­zwei­gung Maxhöhe nehmen, steigt Frau M. in ihren BMW und fährt los. Sie plagen Sorgen: Ihr Mann hat Schulden und eine Geliebte. Aber an diesem Morgen fühlt sie sich leicht und frei, wird sie mir zwei Jahre später erzählen. Sie gibt Gas. Ich sehe den dunklen BMW, der vor der Kreuzung abbremst und dann plötzlich auf uns zuschießt (»Ich habe Sie nicht gesehen«, wird sie später sagen). Ein Augenblick, der in der Unendlichkeit einfriert.

»Tatsächlich«, denke ich, »es ist, wie alle immer sagen.«

Walli denkt: »Verdammt, schon wieder so ein Scheißauto, das einfach rausfährt.«

Und sie realisiert, dass sie diesmal keine Chance hat, auszuweichen. Sie schreit wütend: »Nein!« Mit hässlichem Knirschen und Krachen prallen wir aufeinander. Der Wagen hat Airbags – wir sind leider draußen.

Die Zeit hört auf zu existieren und alles liegt nebeneinander: das unglaublich tiefe Grün der Wiese, der Holzzaun – wahrscheinlich stehen Pferde dahinter –, das grauenhafte Geräusch des Metalls, Wallis Schrei: »Nein!«, mein Gedanke: »Doch!«

Meine Hände streben nach oben und ziehen den Körper mit, raus aus dem scharfen Schmerz, dem trockenen Krachen der Knochen, zwei dunklen Eulenaugen unter grauem Haar im Auto.

Verwunderung: So ist das? So beiläufig fliegt man ins Verderben? So weit hinauf? So leicht. So seltsam. Dieser Schrei – das ist meine Stimme. Später wird einer sagen: »Ein Kamikazeschrei.«

Und dann dieses Gefühl: Jetzt ist es passiert, jetzt ist alles vorbei. Schade eigentlich. Ach, was solls! Während der Körper Arme und Beine ausbreitet, der Rücken auf den Asphalt knallt und sofort wütenden Schmerz freisetzt. Ich ringe nach Luft, der ganze Organismus kämpft wie unter Wasser. Über allem dieser widerliche tierische Schrei. Mein Schrei. Über der Plexiglasklappe vor meinem Gesicht taucht das angespannte Gesicht eines Mannes auf, beugt sich weg, ich höre, wie sich jemand übergibt, ich denke – oder sage ich es? –: »Bitte gehen Sie doch etwas weiter weg!« Und irgendwo drin ein wildes Lachen über den Gedanken, jetzt auch noch vollgekotzt zu werden!

»Ich sah, dass es nicht war wie jeden Morgen«, sagt Herr Kandler, »mitten auf der Straße stand ein Auto, jemand lag auf der Straße, Leute standen drumherum. Ich dachte: ›Fährst du jetzt einfach vorbei oder sollst du halten?‹ Ich hab dann halt doch angehalten. Ich dachte, vielleicht kann ich irgendwas tun, die Ambulanz von der Rottmannshöhe aus anrufen oder so. Das sah nicht gut aus. Die Frau war so eigenartig verdreht …«

Walli liegt ganz entspannt am Auto, wie schlafend. Ich mache mir keine Sorgen um sie. Nur wenn sich ihr jemand nähert, kreische ich: »Nicht bewegen!« Denn unter den chaotischen Impulsen von Schmerz, ungläubigem Staunen – oder ist es Entsetzen? –, der Wahrnehmung von Gesichtern, die neugierig, schockiert oder interessiert über mir auftauchen und wieder wegschwimmen, liegt eine funktionierende Leitung. Durch die kommt: Bei Motorradunfällen könnte die Wirbelsäule verletzt sein. Nicht bewegen! Nicht drehen! Ein Mann beugt sich über Walli und öffnet ihren Mund. Sie hat sich die Zunge abgebissen. Er holt sie vorsichtig aus dem Rachen, sie hängt nur noch an einem schmalen Streifen und wird später wieder so angenäht, dass nichts mehr von der Verletzung bleibt.

»Jemand wollte Ihre Beine anders legen, aber Sie haben ganz bestimmt gesagt, dass er das bleiben lassen soll. Da habe ich Sie bewundert, wie stark Sie in dieser Situation waren, Sie haben keinen Augenblick die Kontrolle über die Situation verloren«, wird Herr Kandler später sagen.

Wieder ein bleiches Gesicht über meinem. Jemand sagt: »Haben Sie Schwein gehabt, dass der Rucksack unter Ihr Genick gerutscht ist, sonst wäre es gebrochen.«

Im Rucksack liegt, in ein Tuch eingewickelt, eine Figur der Göttin Kali, zusammen mit dem Buch meiner Freundin Ute Schiran, Menschenfrauen flie­­­­gen wieder.

Zwei Männerstimmen unterhalten sich über meine Zukunft, wobei von Amputation und Rollstuhl die Rede ist. Ich fühle mich unbeteiligt. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nichts von zynischen Versicherungsvertretern, von Verhandlungen mit der Krankenkasse, von der existenziellen Bedrohung. Ich arbeite freiberuflich. Obwohl die »Schuld« von Anfang an feststeht (die BMW-Fahrerin hat die Vorfahrt missachtet), bekomme ich von der Versicherung monatelang kein Geld.

Durch die Wellen von Schmerz schneidet eine Polizeisirene. Eine Kappe taucht auf und wieder weg. Ein Mann mit einer Brille beugt sich über mich, eine Stimme sagt: »Biemer. Ich bin Arzt.« Ich weiß, wer er ist. Er ist Professor, Doktor für plastische Chirurgie. Unsere Kinder sind im gleichen Alter. Ich denke: »Hab ich ein Glück! Schutzengel! Mehrere.«

»Das blutet nach innen«, sagt er.

Ich sage: »Ich spüre meine Hände und Füße.«

Er erwidert: »Ich lege Ihnen jetzt eine Kanüle, damit wir dann gleich eine Blutkonserve dranhängen können, wenn der Notarztwagen da ist.«

Er ist blass. An diesem Morgen sind irgendwie alle Gesichter so blass. Er drückt an meinem Arm herum.

»Da werden Sie nichts mehr finden!« Ich lache.

Er fragt: »Sind Sie vom Fach?«

Und ich antworte: »Ich bin Fachfrau für meinen Körper.«

Er drückt mir eine Nadel in den Hals und ich denke: »Was? Auf dem dreckigen Asphalt! Und wieso gibt mir eigentlich niemand eine Decke, merken die gar nicht, dass ich erfriere?«

Das Blaulicht der Ambulanz, besorgte Satzfetzen fliegen über mich hinweg. Ich höre Walli die Orte aufzählen, die wir passiert haben. Neben ihr kauert ihre Schulfreundin Sonja, die dazugekommen ist.

»Kümmere dich bitte um Walli«, sage ich zwischen zwei unkontrollierbaren Schreikrämpfen zu ihr. Und habe dabei das Gefühl, dass ich schon zurechtkomme.

Das Fachpublikum diskutiert: »Das überlebt die doch nie«, sagt einer.

»Schauen Sie mal die Blutlache da an!«, sagt ein anderer.

»Jetzt gehen Sie mal weg da«, sagt eine autoritäre Stimme.

»Ich war aber zuerst da«, beklagt sich einer.

»Sie ist so tapfer«, sagt eine heisere Frauenstimme.

Wie ist man tapfer? Wie ist es, wenn man nicht tapfer ist? Stirbt man dann zur Strafe gleich? Was kann man tun? Man liegt da und schreit vor Schmerz, verliert gelegentlich den Überblick, zieht sich wieder...

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