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Westliches und islamisches Frauenbild in Elisabeth Gaskells 'North and South' (1854), David Lodges 'Nice Work' (1988) und Monica Alis 'Brick Lane' (2003)

Oder: Die AndersFrau

AutorMatthias Dickert
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl83 Seiten
ISBN9783656919162
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Wissenschaftlicher Aufsatz aus dem Jahr 2015 im Fachbereich Didaktik - Englisch - Literatur, Werke, , Sprache: Deutsch, Abstract: Der englische Roman integrierte mit Defoes Werk Moll Flanders (1722) eine Frauenfigur, die die Grundlage für so viele andere wurde. Das 18. und 19. Jahrhundert erschuf mit Autoren wie Fielding, Austen oder den Brontë -Schwestern weibliche Gegenbilder in einer männlich dominierten Welt und sie zeigten auf, dass die literarische Präsentation von Frauen anders sein musste und konnte, eine Grundstruktur, die sich im Roman bis in die Gegenwart gehalten hat. Gaskell steht mit der Figur einer Margaret Hale an der Schnittstelle zwischen 19. und 20. Jahrhundert, da sie noch fest in gesellschaftlichen Traditionen verwurzelt zu sein scheint, aber auch erste emanzipatorische Ansätze aufweist. Diese Polarität prädestiniert sie für einen Vergleich mit Robyn Penrose, der weiblichen Hauptfigur von Nice Work (1988), da dieser Roman North and South (1854/55) intertextuell benutzt, was eine literarische Annäherung erlaubt. Die Hinzunahme von Monica Alis Brick Lane (2005) erweitert die hier vorgelegte Analyse von Frauen, die als anders gelten müssen. Sie zeigt auch, dass gerade die Autorinnen mit Migrationshintergrund (und hier besonders diejenigen, die über einen islamischen Hintergrund verfügen) diejenige Gruppierung ist, die die literarische Präsentation von Frauen vorantreiben und neu akzentuieren, weil sie dies als Insider und Outsider der englischen Gesellschaft tun können. Diese Doppelperspektive erlaubt gerade dem westlichen Leser einen neuen Zugang zur Frauenfigur, weil der Islam bestens geeignet ist, innere Konflikte und Kämpfe aufzuzeigen, beides Voraussetzungen für eine Betonung der Identitätsthematik von Frauen, die anders als Andere sind.

Matthias Dickert, geb. 1955, ist von Beruf Gymnasiallehrer (Englisch, Sport, katholische Religion). Studium an der Philipps Universität/Marburg und Durham University (GB). Forschungsschwerpunkt: Migrationssoziologie/ Islamische Autorinnen und Autoren im gegenwärtigen englischen Roman. Zahlreiche Veröffentlichungen (z.B. Blickpunkt der Forschung, Zeitschrift für Interdisziplinäre ökonomische Forschung, GRIN Verlag); Vorträge an europäischen Hochschulen. Doktorarbeit über das Thema Islam, Islamic Fundamentalism and the Question of Identity in Muslim Writing.

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Leseprobe

II. North and South (Elizabeth Gaskell) [1854/55]


 

1. Sozialgeschichtliche Hintergründe


 

North and South ist Elisabeth Gaskells vierter Roman. Er gehört zu denjenigen Romanen der viktorianischen Zeit, in denen auch die in England stattfindenden wirtschaftlichen, politischen und kulturellen sowie gesamtgesellschaftlichen Veränderungen und Umbrüche beschrieben und interpretiert wurden. In den Mittelpunkt vieler Industrieromane rückten somit neben der Charakteranalyse der Hauptpersonen eine Analyse der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Dennoch war die Condition-of-England-Frage nicht nur eine ökonomische, sondern auch Teil einer gesamtgesellschaftlichen Debatte über den Stellenwert menschlicher Werte und die Rolle des Menschen in einer zunehmend materialistischen Welt. Diese Diskussion dauert, beginnend mit der industriellen Revolution, bis zum heutigen Tag an und erfährt durch die Globalisierung sogar eine Steigerung.[64] Die industrielle Revolution setzte in Großbritannien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit einer Reihe technischer Erfindungen ein (insbesondere in der Textilindustrie), welche die Anfänge der Technisierung der Arbeit markieren.[65] Englands führende Rolle als Industrienation hatte jedoch auch ihre dunklen Seiten. Die revolutionären Errungenschaften der Technik zogen immense wirtschaftliche und soziale Umwälzungen nach sich.

 

 Die Veränderungen in allen Bereichen der frühviktorianischen Zeit erfolgten rasant. Diese Tatsache musste die nachdenklichen und kritischen Beobachter jener Epoche beunruhigen. Sie erkannten den Verlust vieler traditioneller Werte; Religion und zwischenmenschlicher Umgang wurden stetig hinterfragt. Kurzum: Die Veränderungen erschütterten das traditionelle soziale Gleichgewicht innerhalb der englischen Gesellschaft. Obgleich viele Viktorianer, das Bild der Französischen Revolution vor Augen, den völligen Zusammenbruch der britischen Gesellschaft fürchteten,[66] kam es dort zu keiner Revolution, weil die britische Gesellschaft –im Gegensatz zu der französischen – über ein Netzwerk von sozialer Kontrolle verfügte und somit weniger anfällig für Veränderungen war.[67]

 

Es war die Zeit der großen Migrationsbewegungen, in der sehr viele Menschen in die Industriegebiete Mittel- und Nordenglands[68] abwanderten, um dort zumeist als ungelernte Arbeiter ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie alle wurden von der Hoffnung getrieben, in Städten wie Liverpool, Manchester und Newcastle eine neue Existenz aufzubauen oder ein besseres Leben mit ihren Familien zu führen. Die hieraus resultierende massive Landflucht innerhalb Englands wurde nach der großen Hungersnot der Jahre 1846/47 durch die hohe Anzahl irischer Einwanderer verstärkt,[69] da diese die gesamtwirtschaftliche Situation verschärften (billigere Arbeitskräfte, Verelendung der Slums etc.). Der überwiegende Teil dieses Industrieproletariats profitierte jedoch nicht vom rapiden Aufstieg der neuen Klasse von Unternehmern, sondern fand sich am Rande der Gesellschaft wieder – zu schlecht waren Einkommen und Lebensverhältnisse. Daneben gab es den neuen Typ des grundbesitzlosen, aber reichen Unternehmers, der sich durch Fleiß, Sparsamkeit und Selbstdisziplin nach oben gearbeitet hatte und so durchaus die viktorianisch-puritanischen Tugenden eines selfmademan verkörperte.[70] Mit der Erweiterung des Wahlrechts durch den 'Reform Act' von 1832 waren lediglich diejenigen Männer wahlberechtigt, die über Besitz verfügten, der jährlich mehr als zehn Pfund wert war. Diesem 'Reform Act' folgte bald eine Umstrukturierung der Wahlkreise, sodass die sogenannten 'rotten boroughs' abgeschafft und neue Wahlkreise in den bevölkerungsreichen Industriestädten wie Manchester, Birmingham und Leeds geschaffen wurden.[71] Das Jahr 1832 markierte den Beginn einer Periode in der britischen Geschichte, die wie keine andere von Reformbewegungen gekennzeichnet war. Politische Reformen, der Chartismus, die Gründung von Gewerkschaften, die Kritik am 'Poor Law' aus dem Jahre 1834, die Säkularisierung, Wohlfahrtsverbände, das Bündnis gegen das 'Corn Law' von 1825, Kampagnen gegen die Staatskirche, die Bewegung der 'Luddists' sowie Aufstände der Landarbeiter sind lediglich einige Beispiele für Bewegungen dieser beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts. Sie belegen jedoch die allgemeine Unzufriedenheit vieler Menschen mit ihrem Schicksal, unter den neuen Bedingungen der Industrialisierung an der politischen Willensbildung sowie an Veränderungen mitzuwirken.

 

 Im Mittelpunkt der Industrieromane standen sicherlich die sozialen Probleme jener Zeit.[72] Große Teile der landwirtschaftlichen Flächen waren in den Hände weniger Großgrundbesitzer. Viele Kleinbauern wurden besitzlos und gerieten durch die 'Corn Laws' in Armut. Neue Produktionsmethoden auf den großen Landgütern vernichteten viele Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, und ein Großteil dieser Menschen zog in die neuen Industriezentren. Die erste moderne Migrationswelle wegen Arbeitsuche setzte ein. Bereits am Anfang des 19. Jahrhunderts kam es zu einer Bevölkerungsexplosion, insbesondere in den Städten Nordenglands. Städte wie Newcastle, Manchester und Leeds, in denen hauptsächlich die Textilindustrie angesiedelt war, wuchsen stärker als diejenigen, in denen die Eisenindustrie der wichtigste Industriezweig war, etwa in Glasgow, Sheffield und Birmingham.[73] Bereits um 1850 lebte etwa ein Viertel der Bevölkerung Englands in Städten mit mehr als 20.000 Einwohnern.

 

 Für diese Menschenmassen musste auf relativ kleiner Fläche Wohnraum geschaffen werden, der meist minimalistisch, schäbig und ohne sanitäre Einrichtungen war. Das neue Industrieproletariat, das unter diesen erbärmlichen Bedingungen lebte, das 'Lumpenproletariat', konnte seinen Kindern keine Ausbildung finanzieren und wandte sich von den Kirchen ab. Es gab keine Zeit mehr für Religion.[74] In den neuen Industriegebieten kamen Engländer aller Klassen zusammen, und die Kluft zwischen den Arbeitern und den Angehörigen der Mittel- und Oberschicht vergrößerte sich stetig.

 

 Während sich die Verhältnisse in den ländlichen Gebieten mit hohem und niedrigem Adel als Grundbesitzer kaum änderten und sich der rasanteBevölkerungsanstieg zwischen 1830 und 1850 fast ausschließlich auf die Städte konzentrierte, war die urbane Mittelschicht von wachsender Vielfalt gekennzeichnet.[75]

 

 Die meisten Autoren der Industrieromane waren, wie bereits eingangs erwähnt, Angehörige der Mittelschicht, und sie wurden direkt mit der fortschreitenden Industrialisierung und Urbanisierung der Gesellschaft konfrontiert. Sie erkannten die moralische und politische Zerrissenheit der britischen Gesellschaft und die Notwendigkeit, mithilfe ihrer kritischen Literatur darauf aufmerksam zu machen.[76] Diese sozial engagierten Autoren boten zwar keine realen Lösungsmöglichkeiten, aber sie machten dennoch in ihren Romanen Vorschläge, welche die unterschiedlichen Auffassungen der viktorianischen Mittelschicht widerspiegeln: Gaskells Lösungsansatz war ihr Glaube, der auch in ihren beiden Industrieromanen Einzug fand.[77]

 

 Die Forschung bezeichnet Gaskell deshalb zu Recht als gläubige Unitarierin mit liberalen Ansichten. Ihre Eltern entstammten ebenfalls diesem religiösen Umfeld. Ihr Vater trat jedoch aus Gewissensgründen von seinem Amt als unitarischer Geistlicher zurück, was Gaskell autobiografisch in ihrem Roman einbaut.[78] Auch Gaskells Mann gehörte dieser protestantischen Glaubensrichtung an, deren religiöse Wurzeln für sie von großer Bedeutung waren, da Unitarier als eine besonders tolerante Religionsgemeinschaft angesehen werden. Christliche Nächstenliebe, Unterstützung der Bedürftigen und Toleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen waren und sind für sie wichtige Werte. Diese religiöse Lebenshaltung spiegelt sich in ihren Romanen wider. Das Christentum bildet die Grundlage für den religiösen und didaktischen Ton ihrer Werke und die immer wieder artikulierte Forderung nach Toleranz und Verständigung von Menschen, die wegen ihres Glaubens, ihrer Klassenzugehörigkeit oder wegen gesellschaftlicher Vorurteile zerstritten sind und fast unversöhnbar zu sein scheinen.[79]

 

2. Margaret Hale - Das Ideal der viktorianischen Frau?


 

 Um die Entwicklung und Erfahrungen, welche Margaret Hale, die Hauptperson in Elizabeth Gaskells viertem Roman, North and South, in der Industriemetropole Milton-Northern macht, verstehen zu können, sollten grundlegende Ereignisse ihres bisherigen Lebensweges kurz erläutert werden. Am Anfang des Romans (Kapitel 1–6) wird Margarets Leben in London und Helstone geschildert. Bereits hier werden ihre...

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