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E-Book

Wie ich Rabbinerin wurde

AutorElisa Klapheck
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl220 Seiten
ISBN9783451339172
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Eine außergewöhnliche Frau, jung, reformorientiert, Rabbinerin in Deutschland. Und sie kann erzählen. Elisa Klapheck berichtet nicht nur von ihrem Weg ins Rabbinat. Sie zeichnet das Porträt einer ganzen Generation junger Juden - persönlich und politisch zugleich. Brisant, klar, spannend zu lesen. Elisa Klapheck hat ihre 2005 verfasste Autobiografie überarbeitet und um ein Kapitel erweitert, das erstmals ihre Arbeit als Rabbinerin seit 2005 beschreibt.

Elisa Klapheck, geb. 1962, war Redakteurin und Journalistin u. a. für die 'taz'. 2004 wurde sie zur Rabbinerin ordiniert. Elisa Klapheck ist heute Rabbinerin der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschlands.

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Leseprobe

 

Zusammen mit ein paar anderen jüdischen Studenten der Uni Hamburg gründe ich eine Studentengruppe, deren Sprecherin ich vorübergehend werde. Sie kommen aus den verschiedensten Ländern, eine Engländerin, eine Amerikanerin, zwei junge Männer ungarischer Herkunft, ein Holländer, mehrere Israelis, aber auch mehrere gebürtige Hamburger. Wir halten einen Studenten-Seder, sehen israelische Filme, beteiligen uns an einer Gedenkfahrt zum KZ Neuengamme und diskutieren über den in Deutschland immer noch vorhandenen Antisemitismus.

Auch der Sohn eines Rabbiners gehört zu dieser Gruppe. Als er zu uns stößt, ertappe ich mich bei dem Gefühl, ihn um seine religiöse Erziehung zu beneiden. Zunächst schätze ich sein jüdisches Wissen meinem gegenüber als haushoch überlegen ein. Zu meinem Erstaunen ist er jedoch nicht nur genauso areligiös wie ich, sondern kann noch nicht mal Hebräisch lesen. Er beherrscht, wie sich herausstellt, auch die jüdischen Rituale nicht sicher. Die anderen sehen ihm das nach und scherzen. Als Rabbinersohn sei er schon mit einer Überdosis an Religion geschlagen und wolle sich zu Recht davon befreien. Das mag sein. Doch seine verlegene, geradezu verklemmte Reaktion auf meine neugierigen Fragen bringt, wie mir scheint, auch ein anderes Unbehagen zum Vorschein: Die jüdischen Rituale werden, wie ich sie bis dahin in ihrer traditionellen Form kenne, überwiegend von Männern ausgeführt. Der Vater sagt am Schabbat den Kiddusch, das männliche Oberhaupt leitet den Seder, der Sohn spricht den Kaddisch der Waisen.

Ich spüre, dass diesem Rabbinersohn jedoch nicht nur Religiosität im Allgemeinen peinlich ist, sondern dabei vor allem die ritualisierte Form jüdischer Männlichkeit. Das mutet bei ihm jedoch keineswegs wie eine bewusste Entscheidung an. Sein Blick ist plötzlich vage und sucht meinem fragenden Blick zu entgehen. Unausgesprochen und unbeabsichtigt steht das Tabu groß und fordernd zwischen uns. Die traditionelle Rolle des jüdischen Mannes erscheint plötzlich als etwas ganz und gar Unzugängliches. Ich vermute, dass dieser Sohn von seinem Vater statt einer Überdosis an Religion vielmehr ein ambivalentes Verhältnis zur Männlichkeit vermittelt bekommen hat. Aber wie kann es sein, dass ein Rabbiner seinem Sohn nur diese Ambivalenz vermittelt?

Am Anfang unserer Unterhaltung geniere ich mich noch mit meinen Interpretationen der biblischen Texte. Doch als ich keine Überlegenheit an Kenntnissen bei ihm zu befürchten habe, erzähle ich ihm vom Tora-Lesen mit meinen Freundinnen. Befremdet runzelt er die Stirn. »Ihr solltet lieber mit einem Lehrer lernen, sonst lest ihr schnell etwas Falsches in die Texte hinein. Ich würde an eurer Stelle erstmal einen Rabbiner fragen.«

Den Rabbiner fragen? – Das sagt ausgerechnet er, der sich selbst distanziert. Schon damals nehme ich eine neue Selbstsicherheit in mir wahr: Ich möchte mir erst einmal meine eigene Meinung bilden, so entgegne ich, danach könne ich mich ja immer noch von einem Rabbiner belehren lassen. Tatsächlich hätte ich bis jetzt nichts von Rabbinern gelernt, was eine konkrete Bedeutung in meinem Leben entfalten könnte.

Unwillkürlich wird mir bei diesem Gespräch bewusst, dass ich mich bereits in einer anderen Bahn bewege. Sie läuft auf ein alternatives Modell zu den bestehenden Vorstellungen vom Verhältnis des Rabbiners zu den Gemeindemitgliedern hinaus. Immer wieder würde ich in den kommenden Jahren diese Formulierung hören »den Rabbiner fragen«, und mir dabei denken: Wäre es nicht viel wichtiger, eigene Zugänge und vor allem ein eigenes Urteilsvermögen für die Inhalte des Judentums zu erschließen, statt die Verantwortung immer wieder an die Autorität des Rabbiners zu delegieren?

 

Nicht dass es damals keine interessanten Rabbiner gegeben hätte, von denen ich etwas hätte lernen können. Während meiner Studienzeit ist Nathan Peter Levinson Rabbiner in Hamburg, Jahre später wird er mein rabbinischer Mentor. Ich schätze seine moderne Herangehensweise an die jüdische Religion sehr. Als ich ihn während meine Rabbinatsstudiums auf Mallorca besuche, wo er seit seiner Pensionierung lebt, und wir jeden Morgen nach dem Frühstück zusammen rabbinische Responsen zu politischen Themen lesen, frage ich ihn, warum die Rabbiner damals so wenig getan haben, um meine Generation anzusprechen. Ich erzähle ihm, wie ich mit meinen Freundinnen in Hamburg und später allein das gelernt habe, was ich von ihm gern gelernt hätte. Er antwortet, im Rückblick sei es ihm bewusst, dass meine Generation sich selbst überlassen geblieben ist. Doch es sei ihm damals so erschienen, dass sich die jüngeren Juden für religiöse Themen nicht interessierten. Außerdem habe er sich als Rabbiner anpassen müssen. Die Mehrheit der Gemeindemitglieder sind zu diesem Zeitpunkt Überlebende der Schoa und stammen aus der untergegangenen Welt des osteuropäischen Judentums. Sie klammern sich an ihre alten, nostalgischen Erinnerungen an eine vermeintlich heile Welt, bevor die Deutschen eingefallen sind und sie zerstört haben. Als liberaler Rabbiner, der die Themen der Zeit aufgreife – Gleichberechtigung der Frau, kritische Fragen an die Gottesbegriffe in der Liturgie, Identifikation der jüdischen Religion mit der bundesrepublikanischen Demokratie –, würde er sofort den Widerstand jener wenigen provozieren, die überhaupt noch zur Synagoge kommen. Ohnehin hätten fast alle gemeint, dass das einstige liberale deutsche Judentum – von vor der Schoa – gescheitert sei, weil es blind gegenüber der nationalsozialistischen Gefahr an das »gute« Deutschland geglaubt habe. Aus diesem Grund habe er, der in den 40er Jahren am liberalen Rabbinerseminar in Cincinnati studiert hat, die orthodoxen Regeln in den Nachkriegsgemeinden akzeptiert, auch wenn sie seiner Richtung, dem Reformjudentum, nicht entsprachen.

 

Die »orthodoxen« Regeln, die nur die wenigsten Gemeindemitglieder selbst praktizieren, setzen dem jüdischen Leben scharfe Grenzen. Als frisch eingetragenes Mitglied der Hamburger Gemeinde bemühe ich mich um einen Raum für die Studentengruppe. Die erste barsche Frage des Vorsitzenden bringt das Anliegen sofort zu Fall: Sind die Studenten auch alle halachische Juden? Wenn nicht, könne er sie nicht hereinlassen.

Die Halacha sind die jüdischen Gesetze. Halacha heißt »Weg« – und bislang habe ich darunter einen Weg verstanden, jüdisches Leben zu ermöglichen –, eine Anleitung sozusagen, wie man es am besten macht. Erstmals höre ich den Begriff jedoch nicht als etwas, das das jüdische Leben positiv bestimmt, sondern das zum Instrument wird, jüdisches Leben fernzuhalten.

Bis dahin habe ich mich nie von Menschen, die nach der Halacha leben, ausgegrenzt gefühlt. Ich bewundere die wenigen alten Juden, die koscher essen, das heißt sich für teures Geld rituell geschächtetes Fleisch aus Frankfurt oder Antwerpen bestellen, kaum ins Restaurant gehen, bei festlichen Buffets auf die besten Leckerbissen verzichten, Menschen, die den Schabbat halten, das heißt nicht arbeiten, kein Auto fahren, keine Vergnügungen unternehmen, die etwas kosten, weil man am Schabbat kein Geld mit sich trägt, und vor allem die, die im Tagesablauf vorgeschriebenen Gebete und Brachot verrichten, das heißt schon frühmorgens sich das erste Mal Gott zuwenden und von da an alle Handlungen mit einem kleinen Segen einleiten, der einen lehrt, das Leben zu schätzen. Ich selbst könnte freilich nicht so leben, brauche es aber auch nicht. Kein Jude, den ich kenne, verlangt es von mir – und auch nicht von den anderen.

Man ist halachisch jüdisch, wenn die Mutter Jüdin ist oder man zur jüdischen Religion übergetreten ist. Historisch gesehen hat es immer wieder Zeiten gegeben, in denen diese Definiton zu eng war. So auch nach der Schoa. Verschiedene jüdische Gemeinden nehmen nach 1945 Menschen auf, die nach den NS-Rassekriterien »Halbjuden« oder »Mischlingskinder«, aber keine halachischen Juden sind. Denn sie alle haben dasselbe jüdische Trauma durchlitten. Ohnehin sind die jüdischen Gemeinden für die Generation der Überlebenden mehr Schicksalsgemeinschaften denn religiöse Institutionen.

Mit der Einstellung, einer Solidarfamilie anzugehören, in der alle zusammenhalten, habe ich mich an den Hamburger Gemeindevorsitzenden gewendet. Ich bin davon ausgegangen, dass er sich freuen würde, wenn jüngere Menschen den Weg ins Gemeindehaus fänden. Seine Frage, die ich in die Gruppe trage, verursacht jedoch fast unsere Spaltung. Es stellt sich heraus, dass mehrere der Studenten einen jüdischen Vater, aber keine jüdische Mutter haben oder nur ein jüdisches Großelternteil auf der »falschen Seite«. Danach sind sie keine halachischen Juden. Zwei bis drei Leute, von denen man schon insgeheim vermutet hat, dass sie »Verrückte« sind, haben überhaupt keine jüdischen Vorfahren und erdichten sich paranoide »Opfer«-Biographien. Das Gespräch rührt schnell an vielen wunden Punkten. Es droht an der ahnungslosen Naivität der wenigen Gemeindemitglieder zu eskalieren, die den nicht-halachischen Juden neue seelische Verletzungen beifügen. Von Letzteren haben manche bereits versucht, in eine jüdische Gemeinde einzutreten, zumal sie sich als Angehörige der »zweiten Generation« betrachten. Sie seien von der Gemeinde jedoch aufgeklärt worden, dass sie keine Juden sind. Einen Übertritt lehnen sie ab. Erstens sind sie nicht religiös, zweitens wollen sie nicht in eine Gemeinde eintreten, in der sie nicht willkommen sind.

Ratlos lassen wir das Thema wieder fallen und treffen uns...

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