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Wie Jugendämter entscheiden

Ursachen einer veränderten Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung

AutorFrank Eger
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl140 Seiten
ISBN9783531911502
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis40,00 EUR
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Christian Schrapper

Dr. Frank Eger promovierte bei Prof. Dr. Christian Schrapper am Fachbereich Bildungswissenschaften der Universität Koblenz-Landau und ist als Referatsleiter für Kindertagesbetreuung, Jugendarbeit und Jugendhilfeplanung bei einem kommunalen Jugendamt tätig.

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Leseprobe
3 Theorien des Jugendamtes (S. 41-42)

Die der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegende Fragestellung nimmt unmittelbar Bezug auf das Phänomen jugendamtlicher Entscheidung. Infolge dessen war es nahe liegend die bisherigen Versuche einer theoretischen Fundierung des Jugendamtes auf ihre Aussagen hinsichtlich der Anlässe und Rahmenbedingungen jugendamtlicher Entscheidungen zu prüfen. Dem schloss sich die Frage an, ob die Ausführungen bereits Merkmale für einen geeigneten theoretischen Bezugsrahmen der vorliegenden Arbeit aufweisen.

3.1 Pädagogische Orientierung einer Institution

M. R. Vogel führt die Entstehung der Jugendämter in der Monographie „Das Jugendamt im gesellschaftlichen Wirkungszusammenhang" (Vogel 1960) auf einen postulierten, eigenständigen Erziehungsanspruch von Kindern zurück, der von Seiten geeigneter öffentlicher Institutionen zu sichern sei, dem aber im Rahmen der allgemeinen Fürsorge nicht adäquat Rechnung getragen werden könne. Der Bericht enthält eine Analyse der Entstehungsbedingungen des Jugendamtes und mündet in der Hauptthese:

„Das Jugendamt ist aus dem Erziehungsgedanken entstanden" (Vogel 1960: 10). Grundlegend sei eine Pädagogik „vom Kinde aus" und damit verbunden die Feststellung, Kinder und Jugendliche seien eine von Erwachsenen prinzipiell unterschiedene Spezies, deren definiertes Kriterium die Erziehungsbedürftigkeit sei (vgl. Vogel 1960: 11). Vogels Position wird vor allem von Heinrich Webler, einem Vertreter der Fürsorgetheorie, zurückgewiesen. Webler (1961: 34) betrachtet die Jugendhilfe als Teil der Sozialhilfe, in dessen Rahmen das Sonderwesen Kind einen besonderen erzieherischen Akzent erhalten könne.

Schrapper (1987: 27) erkennt in dieser Auseinandersetzung die grundlegende Differenz für eine Beurteilung von Auftrag und Funktion öffentlicher Jugendhilfe. Demnach stehe das Konzept einer aus dem Erziehungsgedanken entstandenen Jugend- und Erziehungshilfe- Fachbehörde, die in ihren Arbeitsformen und Methoden sozialpädagogisch orientiert sei und darüber hinaus sozial- und gesellschaftspolitisch für gute Entwicklungs- und Erziehungsbedingungen von Kindern und Jugendlichen eintritt, einem klassischen Konzept notlagenorientierter Fürsorge entgegen, das die wesentliche Bestimmung der Hilfebehörde dahingehend verorte, Ausfallbürge für in Not geratene Einzelne zu sein. Schrapper/Sengling/Wickenbrock (1987) nehmen diese Grunddifferenz mit einer Untersuchung über sozialpädagogische Entscheidungen in einem Jugendamt auf.

Eingangs ihrer Untersuchung steht die Überzeugung, dass „das Jugendamt sich zu einer Erziehungsbehörde entwickelt hat, wobei ihr sozialpädagogischer Entscheidungsspielraum und ihr sozialpädagogisches Handeln sich einerseits unter dem Einfluss von Verwaltungsstruktur und Organisation, andererseits von gesellschafts- und ordnungspolitischen Grundüberzeugungen relativieren, die die Wahrnehmung und Deutung sozialer und erzieherischer Not sowie die sich daraus ergebenden Hilfevorstellungen prägen" (Schrapper/Sengling/Wickenbrock 1987: 3).

Die Autoren finden diese Grundthese sowohl in ihrer historischen Studie als auch empirischen Untersuchung bestätigt und heben zwei Befunde hervor. Demnach fällt die Hilfe restriktiv korrigierend aus, wo psychosoziale Schwierigkeiten vorrangig als Regelverstöße wahrgenommen und individualisierend gedeutet werden. Werden hingegen Notlagen als Symptome für komplexe Ursachenzusammenhänge gesehen, orientieren sich Diagnose und Hilfeplanung eher an einem ganzheitlichen Verständnis und die sozialpädagogischen Angebote fallen differenzierter aus. Die Autoren leiten aus diesen Ergebnissen Hinweise für die Jugendamtsarbeit ab: Infolge der Tatsache, dass es verschiedene Grundorientierungen und Handlungsmuster für die Beurteilung sozialer und erzieherischer Notlagen gebe, müsse fachlich und politisch geklärt werden können welche Konzeption, geleitet von der Frage „Welche Hilfe ist die richtige ?", für ein Amt prägend sein soll.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort6
Vorwort8
Inhalt10
Abbildungsverzeichnis12
Abkürzungsverzeichnis14
1 Einleitung15
2 Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung in einem Landkreis – Beschreibung und erste Erklärungsmuster20
2.1 Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung in einem Landkreis 1991 bis 200021
2.2 Sozialstrukturelle Verhältnisse31
2.3 Zur Relevanz organisationaler Erwartungen39
3 Theorien des Jugendamtes42
3.1 Pädagogische Orientierung einer Institution42
3.2 Jugendämter als Disziplinierungsagenturen oder Anwaltschaften des Kindes44
3.3 „Neue Steuerung – neue Rationalisierung“ ?47
3.4 Das System und seine Umwelt49
3.5 Der theoretische Bezugsrahmen vorliegender Arbeit51
4 Lernprozesse eines kommunalen Jugendamtes I – Entdeckung eigener Steuerungspotentiale54
4.1 Erwartungen im Fluss: Vom Schicksal zur Steuerung der Hilfen zur Erziehung55
4.2 Entscheidung und Asymmetrisierung: Mit welchen Prämissen wird über Hilfen entschieden ?63
5 Lernprozesse eines kommunalen Jugendamtes II – Arbeit an Systemgrenzen72
5.1 Bearbeitung extern auferlegter Begründungslasten: Organisationsgrundsätze der Verwaltung in Bewegung74
5.2 Aufmerksamkeit für die operative Ebene: Suche der Adressaten Sozialpädagogischer Familienhilfe80
5.3 Facework gegenüber der gesellschaftlichen Umwelt und Steuerung der operativen Ebene: Wer erhält die Deutungshoheit ?85
6 Lernprozesse eines kommunalen Jugendamtes III– Integration93
6.1 Kopplung organisationaler Entscheidungen94
6.2 Evolution der Organizational Map102
7 Zusammenfassung und Ausblick117
8 Wahl des methodischen Zugangs127
8.1 Vorstudie127
8.2 Explikation des Theoriegrunds - Hypothesenbildung129
8.3 Vertiefte qualitative Analyse130
Literatur135

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