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E-Book

Wie Kinder gerne lernen

Internationale Konzepte für eine Schule der Zukunft

AutorAlex Beard
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl496 Seiten
ISBN9783492993654
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Auf der Spur der glücklichsten Schüler von Lima bis London  Lernen ist ein menschliches Grundbedürfnis. Egal wo wir geboren werden, egal wie viel wir besitzen - wir sind die Summe unseres Wissens. Unsere Ausbildung bestimmt darüber, wie viel wir verdienen, wie zufrieden wir sein werden und wie lange wir leben. Bildungsexperte Alex Beard beobachtet daher mit Sorge, dass die Bildungslandschaft mit dem Wissensbedürfnis der Menschen nicht mehr mithalten kann. Wir leben in einem Informationszeitalter, doch unsere Schulen sind Relikte einer industriellen Ära. Auf der Suche nach der Schule der Zukunft bereist er die Bildungsfabriken Koreas, erkundet das Inklusions-Geheimnis finnischer Schulen, spricht mit den Erfindern der PISA-Studie und ergründet so die Wurzeln wahrer Kreativität. Wie Bildung im 21. Jahrhundert aussehen sollte Alex Beard ist der international renommierte Bildungsexperte von Teach First

Alex Beard arbeitet seit über zehn Jahren als Englischlehrer und engagiert sich bei Teach First, einer international tätigen Non-Profit-Organisation. Im Rahmen dieser Tätigkeit beriet er die EU in Bildungsfragen und bereiste die Welt, immer auf der Suche nach vielversprechenden und kindgerechten Lernkonzepten der Zukunft. Seine Erkenntnisse setzt er in der weltweiten Beratung von Bildungsinstitutionen in inzwischen 46 Ländern ein. Alex Beard lebt und arbeitet in London.  

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Leseprobe

1 Künstliche Intelligenz


Hüte dich vor Computerfreaks, auch wenn sie Geschenke bringen!


Wen die Götter vernichten wollen,
den nennen sie vielversprechend.

Cyril Connolly

Aufmarsch der Roboterlehrer


Brett Schilke saß in einem Hinterzimmer im Hauptsitz der Singularity University im kalifornischen Mountain View und sprach über die Zukunft. Seit seiner Schulzeit fühlte er sich berufen, das Lernen zu revolutionieren. »Ich war eins dieser Kinder«, sagte er, »die immer fragen: ›Erklärt mir, warum ich das lernen soll.‹ Ich hatte einen Lehrer, der mich einfach ankotzte. Er antwortete mir jedes Mal dasselbe – vielleicht kommt das ja mal bei Wer wird Millionär? Und ich dachte jedes Mal, hast du wirklich nichts Besseres zu bieten? Kann ich bitte gehen

Schilke hatte im Bildungsbereich gearbeitet, seit er das College abgeschlossen hatte, natürlich mit Bestnoten. Er war ein unverhohlener Enthusiast: Abenteurer, Erzieher und Anstifter, der – Willkommen in Kalifornien! – gern Geschichten erzählte, Wortspiele liebte und seine Kumpels abklatschte. Nachdem er zunächst Initiativen zur Kultur-, Kunst- und Bildungsförderung in Sibirien und Siebenbürgen geleitet hatte – »Ja, in Sibirien ist es kalt, und nein, in Siebenbürgen gibt es keine Vampire«[1] –, war er vor ein paar Jahren in den Mittleren Westen zurückgekehrt und hatte dort die Organisation IDEAco geleitet, eine gemeinnützige Bildungsinitiative mit Projekten wie City X, ein Lernprogramm für Kinder zur Problemlösung und zum 3D-Drucken. Dann kam er an die Singularity University, deren Gründer Ray Kurzweil, Guru der Zukunftsforschung und Autor von Menschheit 2.0: Die Singularität naht, in dieser Einrichtung »Leader fortbilden, sie inspirieren und ihnen ermöglichen will, exponentielle Technologien zu nutzen, um die großen Herausforderungen der Menschheit anzugehen«.[2]

»Singularität« ist Kurzweils Bezeichnung für einen hypothetischen Punkt in der Zukunft, an dem die künstliche Intelligenz unser menschliches Denken Billionen Mal überflügeln wird; das führt zu einer neuen Zivilisation, die in der Lage ist, »ihre physischen und geistigen Fähigkeiten über alle gegebenen Grenzen hinweg zu erweitern«, indem wir mit unserer Technik verschmelzen.[3] Ein cooler Ansatz, vielleicht ein bisschen gruselig. Kurzweil, der heute den KI-Bereich bei Google leitet, entwarf damit eine Utopie, in der unser erweitertes Bewusstsein unvorstellbare kognitive Leistungen vollbringt – andere dagegen fürchten, dass der Mensch sich einem hyperintelligenten Roboter auf Gedeih und Verderb ausliefern wird. Die Singularity University – unter Anhängern SU – ließe sich als Kurzweils Versuch verstehen, das Ergebnis in seinem Sinn zu beeinflussen.

Brett Schilke war kürzlich zum Leiter der Abteilung Youth and Educator Engagement der SU befördert worden. Seine Arbeit besteht darin, sich wie besessen mit der Zukunft des Lernens zu beschäftigen – die er sehr scharf von Bildung oder Schule unterscheidet.[1]

Hinter ihm hing ein Gemälde von einem Roboter auf einer Harley-Davidson, die von einem Berg von Eis-Donuts in einen goldenen Horizont sprang. Er sprach schnell, die Gedanken schossen aus ihm heraus wie Popcorn in der Mikrowelle.

»Es ist eine wahnsinnig aufregende Zeit, um, tja, am Leben zu sein«, sagte er. »Das klingt vielleicht blöd, aber es stimmt. Es ist einfach toll. Es ist so überraschend, was man Tag für Tag tun kann.«

Er sah mich mit seinen hellen Augen an.

»Es ist geradezu geil.«

Er sprach gerade davon, wie die Technologie die Welt verändert und wie die Welt – und unsere Schulen – sich mit ihr verändern müssen. Im Silicon Valley ist der Gedanke, dass wir Menschen zu mehr fähig sind, genauso ein Gemeinplatz wie der Glaube, Technologie sei eine rein positive Macht. Schilke hatte dieses Elixier geschluckt. Und er fügte hinzu, wir müssten gemeinsam lernen und kreativ werden, um unser maschinen-assistiertes Potenzial voll zu entfalten. Nur aus historischen Gründen sei es noch nicht so weit.

»Unser System wurde für die industrielle Revolution entworfen. So ist das moderne Bildungssystem entstanden. Es musste massive Arbeitskraft produziert werden, die einfache Aufgaben immer und immer wieder ausführen konnte. Und wie erreicht man das? Tja, wir schnappen sie uns, wenn sie noch ganz jung sind, und bringen ihnen bei, still zu sitzen und sich zu melden.«

Er schnaufte vor Erregung.

»Es ging eben darum, eine fast schon militarisierte Masse von Menschen aufzubauen.«

Er hatte damit weitgehend recht. Die Bildungssysteme sind in der Tat von einem militaristischen Modell beeinflusst. In den 1830er-Jahren hatte der damalige Erziehungsminister von Massachusetts, Horace Mann, eine im ganzen Bundesstaat gültige Schulform eingeführt, die die Grundlage der kostenlosen Schulbildung in den USA wurde. Inspiration hatte er bei einem Besuch in Preußen gefunden, dem Land der strengen Hierarchien, des Gehorsams und des militärischen Drills; Friedrich der Große hatte dort ein halbes Jahrhundert zuvor mit dem Generallandschulreglement das weltweit erste staatliche Schulsystem per Gesetz verankert. Dieses Paradigma erstarkte durch das Gedankengut der Industrialisierung, der Mechanisierung und der Massenproduktion und wurde schließlich zur Vorlage für Schulsysteme, die bald weltweit eingeführt wurden. Doch Computer und andere neue Technologien, so Schilke, stellen heute diesen Ansatz infrage.

Ich hatte meine Reise in die globale Lernrevolution im Silicon Valley begonnen, um herauszufinden, wie die Techno-Humanisten der Bay Area es schafften, unseren Blick auf die Zukunft so stark zu beeinflussen. Und ich wollte wissen, was uns künstliche Intelligenz über die Leistungskraft unseres eigenen Verstands verraten kann. Wird menschliches Lernen irgendwann ganz obsolet, wie manche meinen, oder können wir mithilfe von Computern unsere Denkfähigkeit in ungeahnte Höhen steigern? Meines Erachtens laufen wir Gefahr, unsere eigenen, natürlichen Fähigkeiten zu unterschätzen, die sich in Millionen Jahren der Evolution passgenau herausgebildet haben – und sollten das Lernen im digitalen Zeitalter überdenken. Wenn wir unser Gehirn besser begreifen und herausfinden, wie wir unsere Technologien klug einsetzen, wäre das Potenzial womöglich weit höher, als wir ahnen.

Als Erstes müssen wir verstehen, so Schilke, dass wir nicht einfach nur in die neuesten Gadgets investieren müssen, sondern unser Verständnis vom Lernen radikal verändern.

»Die SU will Lehrer für die größeren technologischen und sozialen Trends fit machen, die uns noch bevorstehen«, erklärte er. »Wir unterrichten 3D-Druck nicht als 3D-Druck, als Berufsqualifikation wie in der Ausbildung zum Buchhalter. Wir unterrichten 3D-Druck, um 3D-Denken zu fördern, um zu lernen, wie man Ideen konzeptualisiert.«

Dieser Fokus auf höhere Denkprozesse erfährt zunehmende Unterstützung aus der Forschung. Zwei Wirtschaftswissenschaftler an der Martin School in Oxford, einem Forschungsinstitut, das gesellschaftlichen Wandel prognostizieren und Strategien zum Umgang damit entwerfen soll, errechneten vor ein paar Jahren, dass von den 702 Berufen, die (nach ihrer Berechnung) Menschen derzeit ausüben, etwa die Hälfte schon bald von Maschinen mit Künstlicher Intelligenz übernommen werden könnten.[4] Im Lauf der Industrialisierung hatten die Roboter Muskelarbeit ersetzt, und in der Ära der Digitalisierung werden sie sich an die Kopfarbeit machen. Das bedeutet eine zweifache Herausforderung an die Schule – erstens muss sie die neuesten Technologien in den Lernprozess integrieren, und zweitens Inhalte für eine sinnvolle Schulbildung neu definieren. Wenn irgendjemand auf der Welt wusste, wie man diesen Herausforderungen begegnen konnte, dann, so dachte ich, war das ein Technikfreak wie Schilke.

Zuvor hatten wir einen Rundgang über das Gelände der SU gemacht, ein ehemaliges Forschungsinstitut der NASA mit Militärbasis, das von einer riesigen, entkleideten Baustruktur überragt wurde, dem Skelett eines alten Hangars, in dem in den 1950er-Jahren Luftschiffe gebaut wurden. Die leer stehende Halle nutzte Google manchmal für exklusive Mitarbeiterfeiern – ihr Firmengelände grenzt auf drei Seiten daran. Gleich hinter dem Zaun sahen wir den Flugplatz Moffett Field, wo der Hightech-Gigant führerlose Transportflugzeuge testet; Barack Obama war dort mit der Airforce One gelandet, wenn er in der Bay Area zu Besuch war. Hoch über uns kreiste ein Adler, die Proto-Drohne der Natur.

Schilke genoss es sehr, dass die SU von all diesen Innovationen umgeben war. Er zeigte auf den baufälligen McDonald’s des Flugplatzes, der längst umgenutzt wurde. »Da drin läuft ein Projekt, bei dem die Mondoberfläche kartografiert werden soll«, erklärte er. »So cool. Sie nennen es McMoon.« Sämtliche führenden Hightech-Unternehmen waren hier versammelt: Tesla, Carnegie Mellon, Moon Express. Weiter hinten ragten die Türme des NASA-Testzentrums für Raketenmotoren, auf dem Parkplatz standen überall die neuesten Hybrid- und Elektroautos herum. Die Sonne schien, im Hintergrund erhoben sich die Berge und die massigen Lagerhallen der früheren Regierungsinstitution, die jetzt von freundlich lächelnden Hightech-Unternehmen genutzt wurden – das hier war das Zentrum alles Neuen in der Welt. Es war...

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