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Wie spricht man mit Kindern über den Tod? Die Themen Tod und Trauer im Sachunterricht der Grundschule

AutorIsabell Stock
VerlagStudylab
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl115 Seiten
ISBN9783960955221
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Obwohl er uns alle gleichermaßen betrifft, spricht niemand gerne über den Tod. Dabei kann eine aufgeklärte Haltung zum Sterben den Umgang damit erleichtern. Das trifft auch auf Kinder zu. Wie aber vermittelt man ihnen dieses emotional schwierige Thema? Wie Isabell Stock betont, hilft es nicht weiter, den Tod zu tabuisieren und zu dämonisieren. Sie erklärt, warum die Themen Tod und Trauer Teil des Sachunterrichts sein sollten. In diesem Rahmen können Lehrerinnen und Lehrer die kindlichen Todesvorstellungen nämlich positiv beeinflussen. Gerade im Grundschulalter sind diese Konzepte noch nicht voll ausgeprägt. Stock hilft Lehrenden, die eine solche Death Education didaktisch angemessen umsetzen wollen. Gespräche sind dabei genauso wie gezeichnete Bilder letztlich hilfreiche Ausdrucksformen. Denn Kinder mit dem Tod zu konfrontieren heißt auch, sie und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen. Aus dem Inhalt: - Tod und Trauer; - Trauerkultur; - Trauerbewältigung; - Kinder; - Grundschule

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Leseprobe

3 Gesellschaftliche Entwicklungstendenzen zu Tod und Trauer


 

3.1 Tabus und die Tabuisierung bzw. Enttabuisierung


 

„Tabus sind Messstationen für kulturelle Selbstzwänge wie auch Frühwarnstationen gesellschaftlicher Entwicklungen […]“(Michael Kröger, Marta Herford o.J. zit. in Otten, Wittkowske 2014, 4). Der Begriff Tabu stammt aus dem 18. Jahrhundert und wurde durch die Tagebücher des britischen Seefahrers, Entdeckers und Kartografen James Cook[9] überliefert. Erstmals wurde der Begriff für etwas Unerklärliches oder Unvernünftiges bei der Beschreibung von Naturvölkern gewählt. Später setzte der Psychoanalytiker Sigmund Freud[10] diesen Begriff ebenfalls für die Verhaltensmuster von Kulturvölkern durch. „Tabus charakterisieren heute einerseits Gegenstände, Taten und Gefühle, die man meiden soll, andererseits Themen, über die man nicht oder nur in einer bestimmten Art und Weise spricht.“ (Otten, Wittkowske 2014, 4). Meistens entstehen Tabus als Selbstschutz, denn mit ihnen gehen oft Ängste, starke Emotionen und Unsicherheiten einher. Sollte dennoch ein Austausch darüber stattfinden, sind die Gespräche einerseits von Gefühlen wie Befangenheit und Hilflosigkeit geprägt oder sie befinden sich andererseits in einem öffentlichen Diskurs, sodass sie anonym und sachlich bleiben (vgl. Otten, Wittkowske 2014, 4). Einige Wissenschaftler sind der Auffassung, dass eine solche Verdrängung der Todesgewissheit notwendig ist, um den Alltag unbeschwert zu meistern. Auch viele Veränderungen in gesellschaftlichen Dimensionen innerhalb des Umgangs mit thantalen Themen bestärken diese These der Verdrängung. Die zunehmende Privatisierung, Exklusion von Sterbenden und Toten, emotionale Ablehnung und Professionalisierung des Umgangs mit Sterbenden, welches mit dem Verlust der Primärerfahrung des Todes einhergeht, sind Merkmale für eine starke Enttabuisierung. Auch die Entfremdung und Entpersonalisierung, welche mit Kommunikationsdefiziten zwischen Laien und Experten und dem Erfahrungsentzug einhergeht, führt z.B. dazu, Kinder von Begräbnissen fernzuhalten. Das Bestärken der Unsterblichkeitsdimension[11] und die Marginalisierung der Rituale (vgl. Jennessen 2007, 7f.) sind zusätzliche Kennzeichen, die den Prozess der Offenheit und Aufklärung ersticken. Je mehr Menschen ein Thema innerhalb der Gesellschaft ausgrenzen, desto mehr wird die Wirksamkeit des Tabus bestärkt. In unserer Kultur sind Tabus und Tabuisierungen aktuelle Phänomene, die beweisen, dass wir keineswegs in einer tabufreien Zeit leben. Ferner sind Tabus immer gewisse „Meinungsangebote, deren Übertretung mit Ausschluss aus einer Gemeinschaft bedroht ist, zumindest aber mit Restriktionen gerechnet werden muss.“ (Otten, Wittkowske 2014, 5). Diese Tabus können dabei in verschiedenen Formen auftreten: von bewusst-öffentlich bis nonverbal-unbewusst. Außerdem sind sie stets kontext- und kulturabhängig und formen sich daher aus den drei Determinanten Bezugsgruppe, Ort und Zeit. In den Individuen selbst sind Tabus intrapsychisch und interpersonell und bilden sich fortwährend weiter aus (vgl. ebd.).

 

Manche Thanatoexperten sind einer anderen Meinung: Menschen setzen sich zu einem Teil auf unkonventioneller oder indirekter Art und Weise mit dem Tod auseinander (vgl. Jennessen 2007, 8f.). So zeigen sich nach neuen Entwicklungen zusätzliche Enttabuisierungen, denn die Beschäftigung mit dem Tod bleibt im Alltag nicht aus. Die Menschen müssen sich mit bestimmten Dokumenten wie z.B. der Lebensversicherung oder dem Testament beschäftigen. Insofern lässt sich deutlich feststellen, dass uns Tod und Sterben im Alltag zwar nicht mehr so konkret wie früher auftreten, dafür sind sie in anderen Bereichen so präsent wie noch nie zuvor (vgl. Möller 2006, 42). Eine erhöhte Beschäftigung mit dem Tod ist deutlich erkennbar: Es gibt immer mehr individuelle Bestattungsformen, Hospizgruppen, AIDS-Initiativen, Sterbebegleitungs- und Trauerseminaren, Death-Awareness-Bewegungen und Museen über Tod. Weiterhin gibt es öffentliche Debatten über Sterbehilfe und Patientenverfügungen.

 

Deswegen wird der Tod zwar einerseits gängiger im Alltag (enttabuisiert), andererseits gibt es eine starke Verschiebung des Todes in die Hände von Institutionen. Es kann abschließend festgehalten werden, dass die Tabuisierung des Todes in dem kollektiven Bewusstsein vorherrschend ist, insbesondere bei der Todesverdrängung in Form der Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod oder eines nahestehenden Menschen. Dennoch steht die Neugier nach den Fragen und Antworten zu dem persönlichen Tod und Sterben für den einzelnen Menschen dem gegenüber. Ferner sind Enttabuisierungen zu beobachten, die durch gesellschaftliche Bewegungen wie z.B. Hospizarbeit oder neue Formen der Bestattung, einen offenen, mutigeren und interessierten Umgang innerhalb der Allgemeinheit zulassen. Es lässt sich im Gegensatz zu den vergangenen Jahren trotzdem keine uneingeschränkte Enttabuisierung feststellen, vielmehr zeigt sich eine neue, andere und vor allem subtilere Tabuisierung bei dieser Thematik.

 

3.2 Der gesellschaftliche Umgang mit thantalen Themen


 

Nach der Auffassung allerhand Autoren wird der Tod in der modernen Gesellschaft „ignoriert, verdrängt, tabuisiert, verschleiert, beschönigt, verharmlost, maskiert, bagatellisiert, verobjektiviert, privatisiert, entöffentlicht und entexistentialisiert“ (Arens 1994, 25). Dieses sind alles Begriffe die im Zusammenhang mit der Verdrängungsthese fallen. Die Verdrängung ist innerhalb dieses Diskurses als ein psychologischer Abwehrmechanismus zu verstehen, mit dem Ergebnis, dass dem Betroffenen durchaus das bewusste Beiseiteschieben der Gedanken an den Tod nützlich ist (vgl. Wittkowski 1990, 105). Wie bereits erwähnt, begründen Kritiker der Verdrängungsthese, dass der Tod für die Menschen kein Tabu, sondern nur vorerst nicht unmittelbar bedeutsam ist, da zu wenige Erfahrungen gemacht wurden. Die ungewohnte Auseinandersetzung mit dem Tod resultiert also nicht aus einer Verdrängung, sondern hat sich aus den gesellschaftlichen Veränderungen ergeben, zum Beispiel durch den medizinischen Fortschritt. Dieser ist ein zentraler Grund für die geringe Konfrontation mit dem Tod. Die Lebenserwartung steigt zunehmend, besonders durch die Verbesserung von Hygiene und Ernährung sowie die Erkenntnisse in der medizinischen Forschung, welche zur Eindämmung von Krankheit und Säuglingssterblichkeit ermittelt wurden (vgl. Weidmann 1999, 58). Das Leben der Menschen wird länger, der Tod rückt dabei in die Ferne.

 

Früher verbrachten die Sterbenden meist die Zeit innerhalb des Familienkreises, bevor sie verstarben. Eine Sprachlosigkeit gegenüber dem Thema Tod gab es nicht, dafür bot sich die Möglichkeit Gespräche zu führen um mit gewissen Dingen abzuschließen. Die sinnliche Wahrnehmung des Todes ist real vor Ort greifbar, das Begleiten des Sterbenden und die ritualisierten Ausführungen nach dem Eintritt des Todes, wie beispielsweise die Totenwaschung, das Einkleiden der Leiche sowie das Vorbereiten des Leichenschmauses, wurde von den Familienmitgliedern persönlich durchgeführt. Das langsame Abschiednehmen fördert eine tiefe und ausreichende Möglichkeit, den Tod zu verstehen und wahrhaben zu können. Dieses Aufeinandertreffen ist heute durch die Inanspruchnahme verschiedenster Serviceleistungen in dem häuslichen Umfeld nicht mehr vorzufinden. Der persönliche Kontakt schrumpft, der reale Tod als eine Art Sorge oder Problem entfernt sich aus der Öffentlichkeit. Ein Abschiednehmen durch die Angehörigen erfolgt erst nach dem Tod (vgl. Peschel 2006, 10f.).

 

Dieser hervortretende Wandel ermöglicht die Verschiebung des Themas von persönlichen Instanzen in weitgehende Bereiche der Gesellschaft. Es zeigt sich somit eine starke Wechselwirkung zwischen der Angst und Unsicherheit im Kontakt mit Sterbenden, der gesellschaftlichen Ausgrenzung von Sterben und Tod und der entstehenden Verlagerung des Sterbens in die Institutionen (vgl. Jennessen 2007, 18f.). Weitere Erkenntnisse zeigen, dass die Menschen durchschnittlich alle sechs Jahre mit dem Tod eines nahe stehenden Menschen konfrontiert werden (vgl. Fachverlag des deutschen Bestattungsgewerbes GmbH 2006). Durchgeführte Studien zeigten dabei, dass das Todesbewusstsein von einem Menschen in der Abhängigkeit seiner gemachten Erfahrungen mit Todeskontakten steht (vgl. Jennessen 2007, 8). Dabei ist der Tod für die jüngeren Menschen trotz der gesellschaftlichen Hemmnisse nichts Unbekanntes. So haben die meisten Menschen den Tod einer ihnen nahe stehenden Person bereits miterlebt. Auch die tödlichen Bedrohungen in der Welt sind stetig wiederaufkommende Themen, die Interesse hervorrufen. Dabei beschäftigen sich die Menschen bewusst mit Krankheiten wie Aids oder Krebs, atomaren Unfällen, Katastrophen, Kriegen, nuklearen Bedrohungen, Kernwaffen, Terroranschlägen, Drogen und Suizid.

 

Grundsätzlich kann aus diesen ambivalenten Grundhaltungen behauptet werden, dass trotz der Todesverdrängung aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein, die individuell zu beantwortenden Fragen nach dem persönlichen Tod und der unumgänglichen Sterblichkeit für den einzelnen Menschen ein bedeutender Aspekt ist (vgl. Jennessen 2007, 8f.). Der Mensch strebt dabei nach Antworten. Dennoch ist festzustellen, dass die Tabuisierung des Todes in den meisten Gesellschaftsbereichen dennoch überwiegt.

 

3.3 Das kindliche Todeserleben in der Gesellschaft


 

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