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E-Book

Wie viel verrückt ist noch normal?

Mein Leben, meine Neurosen und ich

AutorDiana Fey
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783451805615
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Seit dem ersten Schultag fürchtet sich Diana vor Killer-Keimen im Klassenzimmer. Ihr Kopf erkennt: 'Wer wäscht, gewinnt'. Aus dem Waschen wird ein Zwang, dem weitere folgen: Diana berührt weder Türgriffe noch Pflasterfugen, brummt wie ein Bär und betet bis zum Morgengrauen. Dreißig Jahre später schafft sie es schließlich, den Teufelskreis der Ticks und obsessiven Gedanken zu durchbrechen. Humorvoll und selbstironisch führt uns dieses Buch vor Augen, dass es Normalität nicht gibt und das in jedem von uns etwas Verrücktheit schlummert.

Nach fünfzehn Jahren ernüchternder, anonymer Bürotätigkeiten entschied sich Diana Fey, heute 36 Jahre alt, Autorin zu werden. 2013 erschien ihr erstes Sachbuch 'Kotzt du noch, oder lebst du schon' - Verfilmung in Arbeit. Als Anna Gold schreibt sie außerdem belletristische Unterhaltungsliteratur. Sie ist Mutter von zwei Kindern, Ehefrau eines Drehbuchautors und wohnt auf einem idyllischen Hof in Bayern.

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Leseprobe

Kapitel II

Absteigen


Neues Leben – Altes Laster


Mit neunzehn Jahren fing ich also von vorne an. Im entfernten Wiesbaden. Und ganz auf mich allein gestellt. Nun ja, nicht ganz. Bei der Wohnungssuche begleitete mich meine Mutter. Da sich dies vorzüglich mit ihrem Shopping verbinden ließ, machten wir zuerst einen Abstecher zum schwedischen Möbelgiganten.

Sollte man seine eigenen vier Wände nicht vor der Einrichtung besitzen?, fragte Guru, während der Einkaufswagen immer voller und die verbleibende Zeit immer weniger wurde. Ich riss Mama aus den Regalen und ohne weitere Umwege brausten wir schnurstracks in die Innenstadt.

Verseuchter als Muttis Flohmärkte!, rief Guru, als wir uns eine vornehme Altbauwohnung ansahen.

Die auf keinen Fall!, sagte er zu einer hippen WG. Hier stirbt bald einer nach dem anderen.

Und zu einer stinknormalen Zweizimmerwohnung sagte er: An diesem gottverlassenen Ort wird dir auch das Beten nichts mehr bringen.

Da die Wiesbadener Innenstadt trotz ihres sauberen Anscheins verseucht zu sein schien, richtete ich meine Aufmerksamkeit folglich auf den Stadtrand. Die erste und letzte Wohnung, die wir in der Dämmerung in einem verschlafenen Nest zu sehen bekamen, war ein nahezu steriler Neubau. Guru resümierte: Sauber! Das traf es. Am Eingang wurde man von einem übergroßen Putzplan empfangen, es duftete nach Atlantik-Frische und der Marmor des Treppenhauses war so blitzeblank poliert, dass man sich sogar im Dunkeln darin spiegeln konnte. Die Nachbarn waren allesamt jenseits der siebzig und schienen de facto ihre Rente der Reinigung verschrieben zu haben. Hier wollte ich, eine Waschsüchtige, nun allen Ernstes einziehen? Und dann auch noch mit einem Hund? Der weit entfernte Vermieter hatte nichts gegen Bonnie. Meine Mitmieter dagegen …

»Könnense putze?«, fragte Frau Kleinschmidt, deren Wohnungstür an meine grenzte.

Und wie!, waren Gurus letzte Worte, während ich bloß nickte und damit willkommen war. Hündin Bonnie weniger.

»Mit Hund müssense zwomal die Woch putze, okay?«, sprach meine zukünftige Nachbarin.

Ich nickte abermals und unterschrieb den Mietvertrag für mein neues, reinliches Reich. In meinem Bauch wurde es ganz warm und wohlige Gefühle stiegen in mir auf.

Später sollte ich feststellen, dass ich im Ministerium mit Abstand die jüngste Mitarbeiterin war. Aktuell stellte ich fest, dass ich mit noch größerem Abstand die jüngste Einwohnerin des Ortes war, dessen Name Altenruh tatsächlich Programm war. Das passte. Vor allen Dingen zu mir. Denn wie meine Wenigkeit schlossen auch meine senilen Nachbarn mehrmals ihre Fenster und Türen, gingen oftmals hinaus und wieder hinein und brummten sich in den Schlaf. Der Unterschied war einzig, dass die Senioren das wahrscheinlich aus anderen Gründen taten. Aber wer wusste das schon?

»Mit dir und Bonnie kehrt Leben in dieses tote Nest«, stellte hingegen Joana fest, als sie mich kurz nach meinen Einzug besuchte. Es war Sonntag, vier Uhr morgens, und wir kamen gerade aus der Diskothek. Die wiederum befand sich natürlich nicht in Altenruh. Nach zwei Stunden tiefen Schlafes weckte uns eine krächzende Stimme: »Zweihundat Kramm Zucka! ZUCKAR!«

Blitzschnell öffneten wir unsere Augen und blinzelten einander ungläubig an.

»Viehundat Millilitta Milch! MILCH!«

Frau Kleinschmidt telefonierte mit ihrer ebenso schwerhörigen Freundin. Und das tat sie so laut und so oft wiederholend, dass sich das Nusskuchenrezept für immer in unsere Köpfe brannte.

Da an Schlaf nicht mehr zu denken war, füllte ich Joanas Tasse mit Kaffee und ihre Ohren mit Gejammer. Wegen Tom, dem ich trotz seiner fiesen Tat noch immer irgendwie hinterher trauerte. Und wegen meinem ersten Arbeitstag, der stündlich näher rückte und mir unerklärbare Ängste bereitete.

»Warte mal ab, was für einem prachtvollen Mann du im Ministerium über den Weg läufst«, warf Joana ein, sah dabei aber verlegen auf den Boden. Sie wusste wohl intuitiv, dass die Männer unseres Lebens nicht im Amt auf uns warteten.

Nachdem ich meine Freundin zum Bahnhof gebracht hatte, hörte ich schon von draußen mein Telefon läuten.

Wer war wohl der erste Mensch, der auf meinem ersten eigenen Festnetzanschluss anrief? War es Tom, der wie eine Sirene heulte, der um unsere erloschene Liebe kämpfte, der schon morgen mit gepackten Koffern bei mir vor der Türe stünde?

Nein, es war Holger. Ausgerechnet.

»Also, ich komme heute doch nicht mehr vorbei«, ließ er mich kurz und knapp wissen.

»Okay«, antwortete ich ebenso kurz und knapp.

»Nein wirklich, Diana, ich komme auch nächste Woche nicht zu dir.«

Ich wollte sowieso nicht, dass er zu mir kam. Holger wartete darauf, dass ich ihn nach dem Grund seines Fernbleibens fragte. Das tat ich dann auch. Leider.

»Ja, das hat einen tollen Grund. Ich habe eine Freundin. Hanna. Die ist unglaublich. Ach Mensch, ein Traum. So verliebt war ich noch nie …«

Das wollte ich nun wirklich nicht hören und legte kommentarlos auf. Holger rief wieder an und zählte alle Kosenamen auf, die ihm für seine Hanna einfielen. Nach »süßer Puschelmaus« platzte mir der Kragen, ich legte den Hörer beiseite, ließ ihn ins Leere reden und suchte mit dem Hund fugenmeidend das Weite. Den restlichen Nachmittag verbrachte ich mit Bonnie auf den Pfaden von Altenruh, als ich mich urplötzlich zu wundern begann. Guru?, fragte ich in meinen Kopf hinein, erhielt jedoch keine Antwort.

Seit der nun schon einige Wochen zurückliegenden Wohnungsbesichtigung hatten wir kein einziges Wort miteinander gewechselt. Zweifelsohne, weil es mir in meiner neuen Selbstbestimmtheit sehr gut ging, ich mich pudelwohl und irgendwie auch frei fühlte. Holgers Anruf jedoch hätte Guru unweigerlich aus der Versenkung holen müssen. Guru?, fragte ich daher noch einmal.

Keine Reaktion. Tatsache. Er war fort. Anstatt mich daran zu ergötzen, überzog es mich mit einem mulmigen Gefühl, das ich den restlichen Weg über vergeblich wegzubrummen versuchte, und erst damit aufhörte, als wir vor Frau Pfeiffers Haustür standen.

Frau Pfeiffer wollte Bonnie künftig mittags ausführen, was absolut in ihren Terminplan passte, da auch sie schon lange ihre Pension genoss. »Keine Sorge, Diana. Ich werde mich gut um deinen Hund kümmern, während du arbeitest.« Zumindest um meine vierbeinige Freundin musste ich mir keine Sorgen mehr machen, auch wenn mein schlechtes Gewissen noch immer daran zu knabbern hatte, den armen Billy nicht nur verlassen, sondern auch noch um seine Bonnie gebracht zu haben. »Du kannst Bonnie und mich ganz oft besuchen«, hatte ich ihm tröstlich am Tage meiner Abreise zugerufen, während es mir so vorkam, als ob Billy daraufhin keine Fliesenfugen berührte. Nein, unmöglich!, sagte ich auch jetzt zu allen aufkommenden Gewissensbissen. Ich hatte mich (unter?)bewusst für ein neues Leben fernab meiner Familie entschieden. So hart das auch klingen mochte. Ein Leben, das bereits am nächsten Morgen seinen Lauf nahm, als ich ehrfürchtig vor dem Ministeriumskoloss stand, in dem sich mein neues Arbeitsleben abspielen sollte. Am Eingang musste man durch einen Detektor laufen, Gäste wurden nur nach Abgabe ihres Personalausweises in das Gebäude gelassen und mitunter auf eingeschmuggelte Sprengsätze abgetastet. Allein das schindete schon schweren Eindruck. Ebenso die grau wie asbestverseuchte Kantine, die mit dem Flair eines Sezierraums aufwartete, welchem selbst das gut genutzte Campingmobiliar keinen Wohlfühlcharakter mehr entgegensetzen konnte.

Nach diesen ersten Eindrücken bekam ich wirklich Angst vor dem, was mir in meinem Referat alias Büro blühen würde. Und dort blühte mir dann das, was ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt hatte. Meine neuen Vorgesetzten, ausnahmslos Frauen, waren total aus dem Häuschen als sie mich erblickten. »Och Gott, das putzige, kleine Mädchen. Ganz allein in der großen Stadt.« Sie strahlten mich an, als sei ich ihr verloren geglaubter Sohn.

Hatte ich vielleicht das falsche Outfit gewählt? Irritiert blickte ich an mir herunter, von meinem weißen Rollkragenpullover über die blassrosa Marlene-Hose bis hin zu meinen weißen Ballerinas. Statt weiblichem Konkurrenzkampf weckte ich mütterliche Instinkte. Anders jedenfalls konnte ich mir die Östrogensoße auch nicht erklären, in der sich meine Vorgesetzten nun suhlten, während ich ihre Hände nahezu überall spürte. Fehlte eigentlich nur noch, dass sie mich badeten und ins Bett brachten.

Mit meinem ersten Tag im Ministerium mutierte ich also zum Schoßkind meines Referates, wurde geherzt, geknuddelt und geknutscht, rund um die Arbeitsuhr. Etwas, das ich in der Form auch noch nicht erlebt hatte. Und etwas, das meinem angestrebten Erwachsenenstatus vollkommen entgegenwirkte. Und doch fühlte ich mich dermaßen gewollt und wohl am Arbeitsplatz, dass es nichts gab, das mir schlechte Gefühle bescherte, nichts, vor dem ich mich hätte fürchten müssen (von den Achtziger-Jahre-Monitoren einmal abgesehen, die augenscheinlich kurz vorm Explodieren standen). Selbst die tristen Tätigkeiten, die meinen ­ehemaligen in nichts nachstanden, taten meiner guten Stimmung keinen Abbruch. Und so gab es auch keinerlei Gründe für Zwangshandlungen.

Ich genoss die Aufmerksamkeit, richtete mein neues Arbeitszimmer ein und bekam vier Pflanzen geschenkt, von denen ich sogleich zwei ertränkte. Parallel erkannte ich, dass Guru gut daran getan hatte, sich zu verkrümeln. Ich brauchte weder ihn,...

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