Durch die Dokumentation wie Explikation der Rahmenbedingungen der Abhandlung, kann die Ratgeberanalyse nunmehr als fundamentalisiert betrachtet werden. Um der betreffenden Fragestellung jedoch nicht nur hinsichtlich ihrer theoretischen Prämissen gerecht zu werden, gilt es im Folgenden eben jene auf die einzelnen Schriften zu projizieren.
Hierbei erhält zunächst der Erziehungsratgeber Richtige Erziehung. Ein Ratgeber für alle Eltern Einzug in die Analyse und wird dahingehend transpariert, wie Strafe als Form des pädagogischen Handelns beschrieben bzw. begründet ist. Um ein umfassendes Verständnis der spezifischen Betrachtungsweise von Strafe zu gewährleisten, bedürfen zunächst die basalen Konstituenten des Werkes der Skizzierung.
Die vorliegende Schrift ist 1961 erschienen und von der Psychologin Waltraut Kunkel verfasst worden (vgl. Kunkel, o.J., S. 196). Die erzieherische Intention der sechziger Jahre stand grundsätzlich noch unter dem Phänomen der Autorität (vgl. Keller, 2008, S. 118, 121) und fokussierte im Besonderen die Integration „in eine Gesellschaft, die als bestmögliche dargestellt wurde“ (Höffer-Mehlmer, 2007a, S. 678). Wenngleich das Leitmotiv entsprechender Publikationen sonach in der „Idealisierung der bürgerlichen Familie“ (ebd., S. 678f.) bestand, kündigte sich singulär bereits eine liberalisierende Perspektive von Erziehung an. Die Ratgeberliteratur dieser Zeit brachte dabei v.a. Werke hervor, welche die Erziehung im Allgemeinen thematisieren (vgl. ebd., S. 678). So sieht auch Kunkels Schrift von der Behandlung eines spezifischen Sujets ab, was bereits durch das grobe Inhaltsverzeichnis der ersten bzw. letzten beiden Seiten bekundet wird, welches in alphabetischer Chronologie schlagwortartig verschiedene zu diskutierende Aspekte präsentiert. Die substantivischen Vermerke wie ‚Geburt‘ oder ‚Das Krabbelkind‘ dokumentieren ferner, dass auch von der Orientierung an eine bestimmte Alters- oder Entwicklungsstufe des Zöglings Abstand genommen wird. Das tatsächliche Inhaltsverzeichnis ist jenen unterschiedlichen Phasen des Kindes entsprechend strukturiert und demonstriert die Vielseitigkeit des Werkes (vgl. Kunkel, 1961, S. 7-12). Die folgende Doppelseite charakterisiert die Publikation überdies als „praktische[n] Ratgeber“, der gemäß seinem Untertitel für alle Eltern geeignet ist.[12]
Den bibliographischen Informationen nachgestellt, offenbart das an die Rezipienten adressierte Vorwort erste elementare Annahmen der Schrift. So negiert die Autorin etwa die These, „man solle die Kinder nur ausreichend versorgen und gesund aufwachsen lassen, das Leben selbst werde dann die Erziehung übernehmen“ (ebd., S. 5) und degradiert eine derartige – tendenziell passive – elterliche Haltung expressis verbis. Jener Position wird an Hand eines Vergleichs von Mensch und Tier, welcher an die Unterscheidung von Natur und Kultur erinnert, insofern Nachdruck verliehen, als durch das Fehlen des Instinkts die Notwendigkeit der Erziehung exponiert wird (vgl. auch Deißler, 1981, S. 13; ebd., S. 5). Ferner wird eklatant, dass Erziehung als eine, dem Wohl des Kindes dienliche Entwicklungshilfe begriffen wird, welche in gleicher Maßen zwischen schützendem Wachsen-lassen und leitender Intervention zu positionieren ist. Ziel derselben ist es, dem Zögling „zur verantwortlichen Selbstentscheidung“ (Kunkel, 1961, S. 5) zu verhelfen. Das Bestreben der vorliegenden Monographie hingegen besteht in der elterlichen Befähigung zur Identifikation und Korrektur bestimmter Entwicklungsrichtungen, um dem Kind „den rechten Weg“ (ebd., S. 5) aufzuzeigen. Im Kapitel ‚Das Spielkind‘, welches zwischen jenem des Krabbel- und des Schulkindes eingeordnet ist, beschäftigt sich ein Unterpunkt explizit mit der Strafe als Mittel der Erziehung. Die hierbei empfohlenen Formen, ihre spezifische Ausgestaltung sowie die dabei delikat in Erscheinung tretenden Paradigmen bzw. Betrachtungs- und Begründungsweisen gilt es im Folgenden en détail zu transparieren. In diesem Kontext sollen zuvörderst einige grundlegende Gesichtspunkte der pädagogischen Handlungsform in Richtige Erziehung herausgearbeitet werden, um anschließend die jeweiligen rekommandierten Strafmaßnahmen zu ergründen.
Obgleich Kunkel – wie auch die übrigen Autoren – keine konkrete Definition von Strafe vornimmt, versucht sie den Begriff dennoch zu spezifizieren. So räumt sie zunächst ein, dass Erziehung nicht bedeute, „das Kind bedingungslos dem Willen der Erwachsenen zu unterwerfen, sondern in ihm die Fähigkeit zu selbstständiger Gewissensentscheidung zu wecken und die Willensbereitschaft zum ethisch richtigen Handeln zu schulen“ (ebd., S. 180). Die damit verbundenen intentionalen Bemühungen von Seiten des Kindes können sodann „den Druck der Strafe notwendig machen“ (ebd., S. 180). Neben der Herausstellung dieses ersten Merkmals der Strafe, also des ihr inhärenten Drucks, konstatiert sie das Ziel, welches weniger eine „Erniedrigung des Kindes durch Willkür oder Machtentfaltung der Erwachsenen“ (ebd., S. 180), als vielmehr eine Unterstützung für die kindliche Willensbildung zu repräsentieren hat. Strafen sollten demnach nicht instrumentalisiert werden, um den Zögling dem Erwachsenen intentional zu unterwerfen, sondern um seine Willensbildung, welche ihrerseits zum rechten Handeln befähigen soll, zu fördern (vgl. ebd., S. 180). In diesem Kontext ist zu konzedieren, dass nicht – zumindest nicht an dieser Stelle – konkretisiert wird, wie eben jene intentionale Formung ohne eine Unterordnung unter den elterlichen Willen realisiert werden kann. Ebenso fraglich bleibt, ob eine erzieherische Willensbildung durch Strafe nicht zwangsläufig zunächst in der Vorgabe bzw. Projektion des elterlichen Willens auf den des Kindes besteht, der Zögling erst im Lauf der Zeit zum rechten Handeln befähigt und somit auch sein eigener Wille erst allmählich ausgebildet wird. Kunkels These, der Strafvollzug inkludiere immer auch „die Gewaltanwendung eines Mächtigeren“ (ebd., S. 181), steht dabei in einem prinzipiell problematisierten Verhältnis zum konstatierten Tenor der betreffenden pädagogischen Handlungsform. Mit eben jenem Stichwort wird indes ein weiteres Charakteristikum des entsprechenden Erziehungsmittels offenbart, das seine anachronistische Sichtweise bekundet.
Um zu gewährleisten, dass die Maßregelung für das Kind gleichwohl eine Hilfe darstellt, werden fünf Funktionen derselben präzisiert, die es zu erfüllen gilt: Zunächst soll die Strafe sachlich substantiiert sein, wobei der Fokus auf der Wiedergutmachung zu liegen hat. Der sekundäre Aspekt beabsichtigt einen lebensnahen bzw. praktischen Zweck (vgl. ebd., S. 191). Während die Strafe gemäß dem dritten Punkt am Alter des Kindes orientiert, eine Übung zur Selbstüberwindung repräsentieren soll,[13] strebt der folgende Leitsatz eine Schockwirkung an, „die zur Selbstbesinnung mahnt und die Umkehr einleitet“ (ebd., S. 191).[14] Das letzte Signum besteht sonach in der Einsicht des Kindes als Prämisse für die Strafe, das bereits von Francke im 17. Jahrhundert betont wurde (vgl. Scheibe, 1967, S. 50f.). Die fehlende Explikation der fünf Determinanten bzw. ihrer jeweiligen Phänomene bedarf indes der Beanstandung. So wird die – v.a. aus dem Moment der Wiedergutmachung resultierende – Annahme, der zufolge die sachliche Begründung auf eine Präferenz von natürlichen Strafen im Sinne ihrer Korrelation zur kindlichen Tat zielt, weder bestätigt noch verworfen. Ebenso wenig wird thematisiert, was im vorliegenden Ratgeber unter der Selbstüberwindung – etwa die Entschuldigung bei einer geschädigten Person – verstanden wird. Nebstdem bleibt unklar, inwiefern die Selbstbesinnung vom letzten Kriterium der Einsicht zu nuancieren ist.
Diese bildet ein weiteres Ziel der betreffenden pädagogischen Handlungsform und wird simultan insofern als Voraussetzung für die ‚Läuterung‘ des Zöglings verstanden, als die Strafe andernfalls wirkungslos bleibt (vgl. Kunkel, S. 186f.). Die potentielle Problematik, der zufolge die Einsicht ob des angesprochenen Drucks der Strafe lediglich vorgetäuscht wird, um die unangenehme Situation zu beenden bzw. weitere Maßregelungen abzuwenden, erfährt indes keine Beachtung. Auch an späterer Stelle differenziert Kunkel zwischen einer ‚erzieherisch gezielten Strafe‘ und einem ‚Affektangriff‘: Erstere setzt die Einsicht voraus, wonach der Zögling sein Fehlverhalten gemäß seiner Entwicklungsstufe einbekennen und die Sanktion aufgrund ihrer Berechtigung bzw. Angemessenheit billigen muss. Sein Gerechtigkeitsgefühl darf durch die Strafe allerdings nicht beschädigt, sondern muss mit ihrer Hilfe saturiert werden, sodass das Kind den Eindruck erlangt, die Ordnung – und damit zugleich sein Gewissen – durch den Strafvollzug wieder herstellen bzw. bereinigen zu können (vgl. ebd., S. 184, 186). Die Betonung, der Zögling fordere unbewusst eine (angemessene) Strafe, legt zunächst einen Rekurs auf Freuds psychoanalytische Theorie nahe. In der psychoanalytischen Logik werden Schädigungen während der Kindheit – etwa durch Körperstrafen ausgelöst – jedoch als Ursachen für Störungen im Erwachsenenalter betrachtet. Zwar verlangt auch hier das Unbewusste nach Strafe,...