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Wilde Dichter

Die größten Abenteurer der Weltliteratur

AutorMarc Bielefeld, Rüdiger Barth
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783492972581
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Sie wagten, wovon andere nur träumen, segelten über die Weltmeere, trotzten Dschungel und Eiswüste, lebten unter Kannibalen und Indianern, jagten Wale und Löwen, umrundeten Kap Hoorn, überwanden den Yukon, durchstreiften die Wildnis Afrikas und brachten unglaubliche Geschichten nach Hause: Herman Melville, Jack London, Stephen Crane, Joseph Conrad, Ernest Hemingway und B. Traven. Sechs mitreißende Porträts über die mutigsten Draufgänger und spannendsten Schriftsteller-Persönlichkeiten der Weltliteratur.

Rüdiger Barth, Jahrgang 1972, im Schwarzwald aufgewachsen, lebt mit seiner Familie in Hamburg. Er ist Mitglied der Chefredaktion des stern und veröffentlichte bei Malik »Die 10 - Magier des Fußballs«, »Wilde Dichter« und zuletzt »Ein Mann, ein Boot«.

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Leseprobe

 

Gelbes Meer. Korea. Februar 1904

Der Sturm schleudert Eiskristalle ins Gesicht, seit Tagen schon, die Gischt gefriert in der Luft, so lausig kalt ist es. Durch den frostigen Wind hangelt sich die Dschunke, dieser jämmerlich wackelige Sampan, die koreanische Westküste empor. Es ist eine wilde Küste, die See mit gewaltigem Tidenhub, kein Leuchtturm weit und breit. Nicht mal unterhalten kann sich Jack London. Außer ihm, dem Amerikaner, sind drei Einheimische an Bord, dazu fünf Japaner, von denen vier sehr bald zu Tode geängstigt sind, und einer ist seekrank. Tagelang gibt es Reis und rohen Fisch, geschlafen wird unter Reismatten. Mit lädiertem Ruder schleppt sich das Boot auf halber Strecke in den Hafen von Kunsan, der Mast ist gebrochen.

Noch sind es ein paar hundert Meilen nach Norden, da brechen demnächst die Kämpfe zwischen Rußland und Japan aus, in der Mandschurei, das heißt, da sollen sie angeblich ausbrechen, gesehen hat London vom Aufmarsch der Truppen noch nichts. Achtundzwanzig Jahre alt, hat der gefeierte Autor von Ruf der Wildnis bereits am Yukon River nach Gold gegraben, im Pazifik Robben gejagt, in der San Francisco Bay Austernbänke geplündert, bei Prügeleien acht Zähne verloren, in Elendsvierteln gehaust, ist kreuz und quer durch die Staaten getrampt. Was ihm fehlt, ist ein ausgewachsener Krieg.

Nach der Ankunft in Japan war London wie die anderen westlichen Reporter, es sind die Besten ihrer Zunft, von den Behörden festgehalten worden, und als er das Saufen, Spielen und Warten nicht mehr aushielt, nach ganzen drei Tagen, schlug er sich in den Süden durch, nach Moji, nicht weit von Nagasaki. Dort buchte er die Überfahrt nach Korea, wanderte umher, fotografierte ein bißchen, das übliche Reporterblut – und wurde als Spion des Zaren verhaftet. Acht Stunden Verhör, und dann ab in den Knast. Zu seinem Glück griff ein amerikanischer Gesandter ein, London mußte fünf Yen bezahlen und bangte um seine Kamera, war aber wieder auf freiem Fuß.

So begann Londons Feldzug in Fernost, und zu seinem Glück weiß er nicht: Danach wird es nur noch schlimmer.

In Kunsan wechselt er Boot und Mannschaft und kommt nach acht Tagen Frostfahrt übers Gelbe Meer endlich in Chemulpo an, der Hafenstadt nahe Seoul. Dort trifft er seinen Landsmann Robert Dunn, der sich ebenfalls auf eigene Faust, allerdings weit bequemer, hierher durchgeschlagen hat. »Jack war ein physisches Wrack«, erinnerte sich Dunn später, »seine Ohren waren erfroren, seine Finger waren erfroren, seine Füße waren erfroren. Er sagte nur, sein Zustand sei ihm egal, solang er zur Front gelange.«

Über schneebedeckte Reisfelder, durch ein Land voller Schluchten, reiten sie gen Pyöngyang und weiter, immer nach Norden. Sie streifen hungrig durch Dörfer, durch die bereits russische und japanische Soldaten plündernd gezogen sind, »wir geben ihrer Furcht den Feinschliff«, schreibt London nach Hause. In einem Weiler stöbern sie »zwei tödliche Stunden lang« nach Eßbarem, schließlich finden sie tütenweise Gerste, versteckt in einer Männerhose. Krieg ist ein dreckiges Geschäft, begreift London. Aber am meisten haßt er, daß man ihn nicht dahin ziehen läßt, wo nun tatsächlich das große Sterben stattfindet.

Er ist neugierig auf den Tod. Und nach strapaziösen Wochen nur noch einen halben Tagesritt entfernt von der Front. Jack beobachtet die Bewegungen der japanischen Armee und schickt Artikel und Fotos nach Hause, ohne zu wissen, ob sie den »San Francisco Examiner« und die anderen Redaktionen des Hearst-Konzerns, seines Auftraggebers, wirklich erreichen. Tatsächlich füllen seine Geschichten bald überall in den USA die Titelseiten – worauf sich die feinen Kollegen prompt bei der japanischen Armee beschweren, warum diesen beiden Berichterstattern ein solch exklusiver Zugang gewährt werde. Wieder wird London von Soldaten einkassiert und muß wie Dunn kurze Zeit später nach Seoul zurückkehren. »Ich war ganz nah dran am Spaß«, klagt er in diesen Wochen. »Ich werde niemals wieder zu einem Krieg zwischen Orientalen gehen. Die Untätigkeit frißt mein Herz auf. Es ist eine solch verstörende Untätigkeit, daß ich nicht mal mehr Briefe schreiben kann.«

Zum glorreichen Ende seines Asienzugs prügelt sich London mit einem Japaner, den er des Diebstahls bezichtigt, und wird zum dritten Mal binnen vier Monaten verhaftet. In Japan munkeln die Zeitungen bereits, der Amerikaner erhalte die Todesstrafe, da schickt Präsident Teddy Roosevelt ein Telegramm, in dem er persönlich um Begnadigung bittet. Mitte Juni wird London aus der Haft entlassen, muß aber sofort in die Heimat zurückkehren. »Ich habe fünf Monate meines Lebens in diesem Krieg verschwendet«, sagt er. Mit dem nächsten Schiff reist er nach Hause.

Abbildung: Bettmann/CORBIS

»Jack London ist ein Mann, der mit dir durch dick und dünn geht«, schrieb Robert Dunn Jahre danach. »Er ist eine der härtesten Männer, die zu treffen ich das Glück hatte. Er ist genauso heldenhaft wie jede seiner Romanfiguren.«

London war jener harte Bursche und wollte diesen Eindruck auch hinterlassen. Den anderen Jack hielt er für die meisten Menschen verborgen.

Glen Ellen, Kalifornien. 2004

Es ist November, die Sonne steht strahlend am weiten Himmel, sechzehn Grad Celsius. Das sanft geschwungene Land erstarrt nur selten im Frost, und die Bäume verlieren ihre Blätter spät, so spät, daß man schon wieder den Frühling riechen kann. So ist das im Sonoma County, dem nördlichsten Flecken in Kalifornien, an dem Palmen wachsen und auch Orangen, das hatte Jack London einmal gewettet. Hierher zog er sich zurück, wenn er Luft schöpfen wollte.

Die Hügel sind nicht so hoch, daß sie den Horizont versperren. Es sind Pilgerhänge der Weintouristen. Sonoma hat einen ebenso guten Ruf wie das benachbarte Napa Valley, das Klima läßt überragende Merlots und Chardonnays und Cabernet Sauvignons gedeihen. Sechzig Meilen sind es nur nach San Francisco, immer nach Süden und dann über die Golden Gate Bridge.

Glen Ellen ist ein Weiler, abseits des Highways, der aus nicht viel mehr als einer Kreuzung besteht. Zwei Eisenbahnlinien führten zu Londons Zeiten bis in das Tal, es gab acht Hotels und ebenso viele Saloons, das Leben in der Sommerfrische tobte ganz ordentlich, und der Fluß, der heute nur noch ein Bach ist, er war schiffbar, den Kai sieht man noch. Hier hat London damals seine Gäste abholen lassen, mit dem Pferd sind es nur ein paar Minuten, hinauf auf den Berg.

Wo heute der Feinkostladen steht, war einst eine Bar, und was früher die Post war, ist jetzt der »Jack London Saloon«, und daneben serviert das »Wolfhouse Restaurant« Steaks am Kaminfeuer. Jenseits des Flußes warten morgens lederhäutige Männer in Holzfällerhemden und Jeanswesten, sie sind nicht groß, sie schauen erwartungsvoll und scheu zugleich, sie müssen sofort zu dir ins Auto springen oder vor den Häschern der Behörden Reißaus nehmen können; Mexikaner, wie sie T. C. Boyle in America beschrieben hat, die auf einen Hilfsjob hoffen, mit dem sie ihre Familie einen weiteren Tag über die Runden bringen.

Im Saloon fließt Anchor Steam Beer, an den Wänden hängen Fotos von Jack und Charmian London, seiner zweiten Ehefrau, sie sehen aus wie Filmstars. Darunter wartet eine altmodische Jukebox, auf dem Plattenteller ruht Easy Rider. Es bedient Kathlyn, die erst seit ein paar Monaten hier arbeitet. Die Leute kommen vor allem wegen des Weins, sagt sie, und ein paar kommen auch wegen Jack London, aber die könne sie nicht auseinanderhalten. Manchmal, hat sie gehört, verlasse London seine Ranch, oben in den Hügeln, aber sie habe ihn noch nie gesehen. Er besuche auch manchmal die Bar, flüstert sie plötzlich, er muß aber doch schon sehr alt sein, oder? Jack ist seit achtundachtzig Jahren tot, sagen wir, übermorgen ist sein Todestag, übermorgen, am 22. November. Oh, really, sagt sie, und wir sagen nichts mehr. In der Vitrine im Nebenraum stehen Londons Bücher. Eine Staubschicht bedeckt die Rücken.

Weil Kathlyn nach nebenan ins Restaurant verschwindet, zapft nun Chris, dem der Saloon gehört oder vielleicht tut er nur so. Jack London? Nein, viel wisse er nicht über ihn, aber jeder hier kenne seinen Namen, klar. Die Kleinen denken, er sei so etwas wie der Weihnachtsmann. Und die Großen? fragen wir. Und die Großen, fährt Chris fort, kennen die wildesten Geschichten, zum Beispiel die, wie Jack mit seinem Schimmel sturzbetrunken … Aber er besaß nie einen Schimmel, entgegnen wir. Wir sind schon gewappnet, die Geschichte komme immer als erstes, unten in Glen Ellen, hatte uns Mike Wilson am Telefon erzählt, den wir am nächsten Tag treffen werden. Na ja, sagt Chris, ich erzähle die Geschichten ja auch nur, wie ich sie höre. Dann muß er gehen, und wir sitzen am Tresen, in den Köpfen eine andere Zeit.

Knotenfechten

Es ist das Jahr 1910. Ambrose Bierce, der Schriftsteller-Veteran, ob seiner scharfen Zunge und Feder gefürchtet, bequemt sich zum Landsitz Bohemian Grove. Es ist wieder Zeit des »High Jinks«, eines allsommerlichen Treffens kalifornischer Intellektueller am Russian River, in einem lieblichen Tal nördlich von San Francisco. Nur Männer sind eingeladen, eine ganze Woche lang mißt man sich in Worten, Ideen – und Trinkfestigkeit.

Bierce, achtundsechzig Jahre, hatte den Plot des Seewolf zwar in harschen Worten kommentiert, aber über den Protagonisten Wolf Larsen geurteilt: »Die Ausarbeitung einer solchen Figur ist genug für einen Mann in einem Leben.« Trotzdem hält er den halb so alten London für einen Literaten, der sich...

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