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Wilkie Collins' 'The woman in white': Psychoanalytische Figurendeutung

AutorKatharina Stricharz
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl85 Seiten
ISBN9783638877626
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Anglistik - Literatur, Note: 2, Universität Hamburg (Institut für Anglistik), 69 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die vorliegende Examensarbeit beschäftigt sich mit Wilkie Collins Werk 'The Woman in White'. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, das Verhältnis zwischen dem Leben des Autors, seinem Werk und den psychischen Grundstrukturen der wichtigsten Protagonisten (Marian Halcombe, Laura Fairlie und Walter Hartright) aufzuklären. In der Arbeit sollen einige der wichtigsten Charaktere in ihren Wünschen, Sehnsüchten und Handlungsabsichten dargestellt und zugleich in ihrer Abwehr und in ihren zeittypischen Hemmungen beschrieben werden. Dazu bietet sich an, sich auf die drei oben genannten Protagonisten und ihr Beziehungsgeflecht zu beschränken. Dies kann nur gelingen, wenn auch die psychosozialen Grundmuster der Viktorianischen Gesellschaft beleuchtet werden, so dass eine adäquate historische Einordnung möglich wird. Als Mittel der Analyse dient ein psychoanalytisches Verständnis der Literaturinterpretation, so wie es z.B. von Pietzcker und Schönau vertreten wird. Ziel der Untersuchung ist es, zu einer theoriegeleiteten und psychologisch begründeten Beschreibung von Personen und Beziehungen zu gelangen. Dafür bietet sich die Psychoanalyse in besonderem Maße an, weil sie unter allen psychologischen Schulen das am Tiefsten entfaltete Verständnis von inneren Strukturen und intrapsychischen Konflikten enthält. Ein Versuch, die Charaktere auf diese Weise zu analysieren, ist, soweit erkennbar, bisher noch nicht unternommen worden. In der Folge soll gezeigt werden, welche grundlegenden Antriebskräfte beispielsweise Marian Halcombe als äußerlich starke und gefestigte Persönlichkeit dazu bewegen, ihr Leben als 'Zweitfrau' an der Seite ihrer Schwester und ihres Schwagers zu verbringen. Die enge und teils symbiotische Beziehung zwischen Marian und Laura ist ebenfalls von großem Interesse. Auch soll erhellt werden, weswegen Laura Fairlie sich zu einem gänzlich lebensuntüchtigen Charakter entwickelt hat. Damit wird ein Einblick in die innere Erlebniswelt dieser Leute erreicht werden. Dieser ist jedoch nur begrenzt fruchtbar, sofern nicht auch die äußere Lebensrealität des Autors und damit die zeittypische Einbindung der Protagonisten bedacht wird. Deswegen soll aspekthaft beleuchtet werden, in welcher persönlichen, sozialen und zeitgeschichtlichen Situation sich der Autor befunden hat, während er 'The Woman in White' schrieb. Eine Zusammenfassung sowie ein Ausblick schließen die Arbeit ab.

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Leseprobe

1. Die sensation novel


 


1.1 Ursprünge und Entstehung der sensation novel


 

Die sensation novel entspringt einer langen literarischen Tradition. Sie wurde einerseits von der gothic novel und andererseits von der Newgate novel beeinflusst, die als literature of the prisons in den 1830ern und den 1840ern bekannt und beliebt war. Die Leserschaft der sensation novel wurde nunmehr nicht länger, wie sie es von dem Genre der gothic novel gewöhnt war, von mittelalterlichen Mönchen in einem mystischen Spukschloss in Angst und Schrecken versetzt; die Bedrohung schien plötzlich viel näher und viel unkontrollierbarer zu sein. Und anders als gothic novels spielen die meisten sensation novels in der Jetzt-Zeit, so Walter C. Phillips: “It affected particularly contemporaneity and depended primarily upon the appeal to fear. It was the narrative of villainy, violence, and crime; a delineation of the abnormal, the terrible and the hideous is some measure for their own sake.”[1] David Punter bemerkt speziell zu der Beziehung zwischen der sensation novel The Woman in White[2] und dem Genre gothic novel: “Collins’s kind of Gothic was transitional and short-lived, partly because it points the way towards other kinds of fiction altogether, the adventure story primarily, in which excitement remains but all the other distinguishing features of the Gothic have disappeared.”[3] Der sich verändernde Geschmack der Leserschaft brachte also eine Veränderung in der Literaturlandschaft mit sich. Die gothic romance, die bis in die 50er Jahre des 18. Jahrhunderts sehr populär war, wurde nun dem Geschmack des Publikums entsprechend variiert. Winifred Hughes sieht hier auch eine Verbindung zu dem Stil von Charlotte Brontё: “In the sensation novel of the 1860s, the emphasis on violent crime was combined with the romantic and sexual motifs of Brontё’s Jane Eyre.”[4]

 

Sensationalism existierte schon vor dem überwältigenden Erfolg von WW in der englischen Populärliteratur in den beliebten romances, die ihrerseits auf die bekannten Stilmittel der gothic romances zurückgriffen. Fred Botting bemerkt hierzu: „Romances were easily categorised as examples of childish fancy, trivial and incredible tales of ignorance and superstition.“[5] Phillips unterstreicht diese neue Verbindung, aus der die sensation novel erwuchs: “Historically sensationalism clearly represents a popular development in fiction in which the novel of mystery is crossed with that of fashionable life.”[6] Der Bezug des sensationalism auf Wirklichkeitsnähe und auf Ereignisse, die durchaus im täglichen Leben hätten passieren können, war also neu, so Hans Ulrich Seeber: „Eine neue Gattung entsteht also, weil man die natur- und geisteswissenschaftlichen Erkenntnisverfahren des Kausalitätsdenkens und der individuellen Einfühlung für Zwecke der Verbrechensbekämpfung auf die Literatur überträgt.“[7]

 

Und auch das sensation drama, nach dem die sensation novel wohl benannt wurde, war ein Teil ihrer Entstehungsgeschichte. Dies wird auch deutlich durch Bücher, die in ihrer ersten Erscheinungsform als sensation drama erschienen und erst später als sensation novel veröffentlicht wurden, wie z. B. The New Magdalen von Wilkie Collins. Collins schrieb also nicht nur für die Leserschaft, sondern auch für die Bühne und sah zwischen einem Roman und einem Bühnenstück keine großen Unterschiede: “(…) one is a drama narrated, one is a drama acted.”[8]

 

Vorlagen oder Vorbilder für die Charaktere der sensation novels fanden die Autoren, wie beispielsweise Mary Braddon und Charles Reade[9] in Zeitungen und Zeitschriften, besonders in Artikeln, die berühmte Kriminal- und Mordfälle behandelten. So ist es möglicherweise auch Wilkie Collins ergangen: Zu der Zeit, in der er WW schrieb, erregten einige Gerichtsprozesse das Interesse der Öffentlichkeit. Unter anderem wurden drei Fälle diskutiert, in denen augenscheinlich unschuldige Personen in Irrenhäuser eingewiesen wurden. Ganz besonders interessant für Collins’ Leser waren auch die Themen Vergiftung und Fälschung[10], denn genau dieser beiden Vergehen muss sich Count Fosco in WW schuldig bekennen. Außerdem war die shocking story des Lord Lytton, der seine Frau Rosina in ein Irrenhaus verbrachte, um sie davon abzuhalten, ihn weiterhin öffentlich bloßzustellen, eine weitere Parallele zu WW und damit auch ein weiterer Anreiz für die Leser.[11]

 

1.2 Ein neues Genre: die sensation novel


 

Wilkie Collins kreierte mit WW ein ganz neues Genre: die sensation novel, wie sie von Kritikern, allen voran Margaret Oliphant, benannt wurde. Der Begriff sensation wurde von dem Publikum in den 1860ern und den 1870ern einerseits als ein electrical stimulus und andererseits als die reißerische Schlagzeile einer Zeitung verstanden.[12] The Penguin Dictionary of Literary Terms definiert die novel of sensation folgendermaßen: “As the term suggests, the themes and action of the novels were improbable, melodramatic and lurid. The guilty secret was a favourite theme.”[13] Und Winifred Hughes schreibt zu den narrativen Techniken der sensation novel: “The sensation novel (…) combines a melodramatic tendency to abstraction with the precise detail of detective fiction, an unlimited use of suspense and coincidence with an almost scientific concern for accuracy and authenticity.”[14] Die sensation novel zeigt, dass „(...) hinter der Ausmalung bürgerlicher Häuslichkeit auch uneingestandene psychische und moralische Konflikte lauern (...).“[15] Die Autoren der sensation novels spielen also mit den Emotionen ihrer Leser, indem sie gewöhnliche und alltägliche Gegebenheiten mit ungewöhnlichen und beängstigenden Ereignissen kombinieren. Bigamie, Ehebruch, Wahnsinn, die dunklen Zonen der menschlichen Psyche statten die sensation novels mit dem Reiz des Verbotenen oder Verdrängten aus, ohne dass – und das war eben neu – der Erzähler Gerechte oder Ungerechte unzweideutig auseinanderdividiert.[16] In der engen Welt der Viktorianischen Gesellschaft, die klar definierte Rollenbilder von Männern und Frauen als mehr als selbstverständlich erachtete, muss beispielsweise ein Charakter wie Count Fosco wie ein Albtraum erscheinen. Äußerlich freundlich, aber innerlich niederträchtig und charakterlos, verschafft er sich Zutritt in den privaten Lebensbereich seiner unschuldigen Opfer. Dieses Eindringen des ‚Bösen’ in die Privatsphäre des Heims – und die Akzeptanz dieses ‚Bösen’ durch den Leser – ist ein typisches Merkmal einer sensation novel. Dies hebt auch Peter D. Edwards hervor:

 

In the typical sensation novel, (…), no matter how bizarre and complicated the stories, how deep-dyed the villainies, how doom-laden the atmosphere, the settings are always ordinary English households, the characters are mostly harmless, unremarkable people suddenly menaced by deprivation, dishonour, or death, and the menace is always human, not supernatural, in origin.[17]

 

Weitere charakteristische Merkmale der sensation novel sind beispielsweise das dead-but-not-dead-Motiv oder auch das Auftauchen eines Doppelgängers. Ferner ist es für die Verfasser von sensation novels quasi obligatorisch, dass ein tödliches Geheimnis enthüllt werden muss (siehe Punkt 1.3). Laut Hughes sollten überdies Verführung, Bigamie, oder sogar Prostitution Themen in einer sensation novel sein, möglichst in Verbindung mit der Heldin, die somit dem Helden die Möglichkeit gibt, sie zu retten.[18] Auffällig ist, dass Verbrechen in den meisten Fällen eben gerade nicht von der üblichen ‚verdächtigen’ Schicht, d. h. der Unterschicht, begangen werden; vielmehr sind die Täter zumeist reich und/oder Angehörige der Aristokratie.

 

Kenneth Robinson betont, dass die Geschehnisse der sensation novels vor dem Hintergrund einer Atmosphäre der Unsicherheit und der dräuenden Gefahren dargestellt werden.[19] Alles wirkt überspitzt und übertrieben – seien es Emotionen, oder gar Verrat, Mord, Inzest und sonstige häusliche Katastrophen. Unheil oder Schicksalsschläge passieren nicht einfach, sie passieren auf viele unterschiedliche Arten und bestenfalls gleichzeitig. Die Protagonisten sind fortwährend Krisen und unerwarteten Wendungen ausgesetzt und sehen sich zumeist nicht in der Lage, die Geschehnisse zu kontrollieren oder auch nur zu beeinflussen. ”Heroes and villains alike are at the mercy of the accident, of external caprice.”[20] Auch Winifred Hughes unterstreicht noch einmal die Bedeutung von vermeintlichen Zufällen:

 

The universe of the sensation novel, which encompasses all...

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