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E-Book

Willensbestimmung zwischen Recht und Psychiatrie

Krankheit, Behinderung, Berentung, Betreuung

VerlagSpringer-Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl156 Seiten
ISBN9783540280507
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis70,00 EUR

Wann verlieren Verträge und Testamente infolge psychischer Beeinträchtigung des Verfassers ihre Verbindlichkeit? Binden in gesunden Zeiten erstellte Patiententestamente Ärzte und Betreuer in kranken Zeiten? Wann wird eine psychische Krankheit versicherungswirksam?

Hochkarätige Autoren bereiten zivilrechtliche Fragen aus der Sicht von Psychiatern, erkennenden Vormundschaftsrichtern und Berufsbetreuern wissenschaftlich und praxisnah auf.

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Leseprobe
Patientenbriefe und Patientenautonomie am Ende des Lebens (S. 51-52)

Andreas Spickhoff
Lehrstuhl für Bürgerliches Recht
der Universität Regensburg
Universitätsstr. 31
93053 Regensburg

1 Einleitung

Die Sicherung der freien Entfaltung der Persönlichkeit und der Menschenwürde ist das zentrale Anliegen jeder freiheitlichen Rechtsordnung. Nicht nur, aber auch bei einem sich abzeichnenden Ende des Lebens wirft die Konkretisierung dieses Anliegens besondere Probleme auf. Es geht dann um die Sicherung der sog. Patientenautonomie, insbesondere gegenüber ärztlichem oder sonst fremdbestimmendem Verhalten. Zunehmend wird der Wille der Patienten irgendwann, mehr oder weniger ausführlich, niedergelegt oder geäußert. Und es stellt sich dann die Frage, wie weit die Bindungswirkung solcher Anweisungen reicht. Bezeichnet werden sie – juristisch eher irreführend, aber üblich geworden – als sog. Patientenverfügungen, zum Teil auch Patiententestamente oder Patientenbriefe mit den weiteren Varianten der Betreuungsverfügung und der Vorsorgevollmacht.

Natürlich müssen solche Anordnungen nicht erst zu einer Zeit erstellt werden, zu welcher der oder die Betroffene als Patient(in) in ärztlicher Behandlung stehen. Die Patientenverfügung ist darauf gerichtet, vor einer Erkrankung bzw. dem Sterbeprozess den Willen des Patienten so verbindlich zum Ausdruck zu bringen, dass die entsprechenden Weisungen so weit wie möglich auch, ja gerade dann befolgt werden, wenn es zu einer Ausschaltung des Bewusstseins oder zu einer durchgreifenden Bewusstseinsstörung gekommen ist, die einer entsprechenden – wirksamen – Artikulation entgegensteht. Das damit angesprochene Thema war aufgrund vieler Zweifel gerade auf juristischem Gebiet Gegenstand des Deutschen Juristentages 2000 in Leipzig. In der Diskussion ist dabei deutlich geworden, dass nicht nur diejenigen um eine Lösung ringen, die als Patienten potentiell betroffen sind. Oft wird eine strikte und weitestgehende Bindung an solche Anordnungen bis hin zur sog. aktiven Sterbehilfe propagiert. Auch die Ärzteschaft ist besorgt um das Patientenwohl, steht daneben aber ebenso in der Sorge vor überraschend drohenden rechtlichen Sanktionen; als Stichworte seien nur genannt: standesrechtliche und ggf. disziplinarrechtliche Konsequenzen, Haftung auf Schadensersatz und Schmerzensgeld, und nicht zuletzt die Strafbarkeit.

2 Grenzen der Patientenautonomie: Strafbarkeit der Sterbehilfe

2.1 Arten


Damit ist aber zugleich die erste und hauptsächliche Grenze der Patientenautonomie angesprochen. Sie besteht in der möglichen Strafbarkeit der Sterbehilfe. Kein Arzt kann vom Patienten dazu gezwungen werden, eine Straftat zu begehen. Wel che Formen der Sterbehilfe kennen wir? Aktive Sterbehilfe meint das positive Eingreifen mit dem Ziel der Verkürzung des Lebens. Passive Sterbehilfe umfasst den Behandlungsverzicht beim Sterbenden oder die Beendigung von Maßnahmen, die das menschliche Sterben verlängern. Auf der Grenze steht die sog. mittelbare oder indirekte Sterbehilfe. Sie bezieht sich auf Fälle der unbeabsichtigten, aber in Kauf genommenen Nebenwirkung einer therapeutischen Maßnahme, die den Eintritt des Todes beschleunigt, etwa im Zusammenhang mit der Schmerzlinderung. Die Notwendigkeit dieser Fallgruppe wird gelegentlich von Medizinern bestritten.

2.2 Ausländische Rechtsordnungen

In jüngster Zeit haben neue Regelungen im Ausland, insbesondere in den Niederlanden, auch unsere Diskussion zur Sterbehilfe wiederbelebt. Niederländische Gerichte hatten sich schon in den 70er Jahren daran gemacht, die auch dort an sich strafbare Tötung auf Verlangen und die – anders als in Deutschland – gleichfalls strafbare Beihilfe zum Selbstmord zu rechtfertigen. Im Anschluss daran gibt es nun einen entsprechenden ausdrücklichen Strafausschließungsgrund auch für aktive Sterbehilfe im Gesetz. Er greift bei aussichts- und ausweglosem, unerträglichem Leiden eines voll informierten Patienten, der – frei verantwortlich und sorgfältig überlegt – Sterbehilfe verlangt. Außerdem muss ein weiterer unabhängiger Arzt hinzugezogen, gewissermaßen eine second opinion eingeholt werden. Nach dem Tode ist ein Leichenbeschauer zu informieren, der den Fall einer regionalen Prüfungskommission meldet. Diese prüft ihn dann, freilich erst im Nachhinein. Minderjährige können ab dem 16. Geburtstag selbst entscheiden, jüngere bis hin zu 12-Jährigen mit Zustimmung der Eltern.

Eine solche Zulassung der aktiven Sterbehilfe stellt im internationalen Vergleich4 den seltenen Ausnahmefall dar. Japanische Gerichte scheinen sie noch zum Teil zu tolerieren. Und in Australien ist die aktive Sterbehilfe wieder insgesamt verboten worden. Von 1995-1997 war sie in einer Provinz im Norden dieses Kontinents aufgrund eines regionalen Gesetzes erlaubt worden. Nur 4 Personen sollen Gebrauch von dieser Möglichkeit gemacht haben.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Vorwort6
Inhalt8
Ethische Fragen bei der Begutachtung10
Inhaltsverzeichnis10
1 Der Arzt als Sachverständiger11
2 Eine Kasuistik12
3 Das ethische Spannungsfeld13
4 Das Spannungsfeld zwischen Fürsorge und Sicherheit14
5 Die geschichtlichen Grundlagen15
6 Die heutigen ethischen Prinzipien18
7 Zusammenfassung21
8 Literatur23
Zwischen Freiheitsrecht und Fürsorglichkeit: Psychiatrie- und Unterbringungsgesetze der deutschen Länder24
Inhaltsverzeichnis24
1 Das Problem der Unterbringung25
2 Psychiatrie- und Unterbringungsgesetze in Deutschland26
3 Besondere Aspekte der Psychiatriegesetze29
4 Literatur29
Vom BayUnterbrG zum BayStrUBG: Rückfallprävention zwischen staatlichem Sicherheitsanspruch, Selbstverständnis psychiatrischer Kliniken und individuellen Freiheitsrechten30
Inhaltsverzeichnis30
1 Wie kann man künftige Opfer vor zumindest potentiell gefährlichen Straftätern nach der Haftentlassung schützen?31
2 Straftäterunterbringung mit dem BayUnterbrG? - Der Verstoß des Ministeriums mit den „Vollzugshinweisen“32
3 Das Bayerische Gesetz zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten hochgefährlichen Straftätern (BayStrUBG)36
4 Kasuistiken zu den Voraussetzungen des BayUnterbrG im Rahmen einer Unterbringung nach dem BayStrUBG38
5 Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts, der Auftrag an die Bundespolitik und der vorgelegte Gesetzentwurf der Bundesregierung41
6 Resümee43
7 Literatur43
Die Begutachtung der „freien Willensbestimmung“ im deutschen Zivilrecht: Geschäftsfähigkeit, Testierfähigkeit, Prozessfähigkeit, Suizid bei Lebensversicherung46
Inhaltsverzeichnis46
1 Einführung47
2 Rechtliche Grundlagen48
3 Von der Rechtsprechung entwickelte Beurteilungskriterien51
4 Psychopathologische Beurteilungskriterien53
5 Anknüpfungstatsachen56
6 Zeitliche Zuordnung57
7 Schlussbemerkung58
8 Literatur58
Patientenbriefe und Patientenautonomie am Ende des Lebens60
Inhaltsverzeichnis60
1 Einleitung61
2 Grenzen der Patientenautonomie: Strafbarkeit der Sterbehilfe61
3 Die Fähigkeit zur Selbstbestimmung: Einwilligungsfähigkeit66
4 Arten der Patientenverfügungen71
5 Mögliche Inhalte von Patientenverfügungen72
6 Wirkung und Bindungsdauer der Patientenverfügungen73
7 Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung75
8 Schluss76
Vormundschaftsgerichtliches Verfahren im Betreuungsrecht78
Inhaltsverzeichnis78
1 Einleitung80
2 Einstweilige Anordnung zur vorläufigen Betreuerbestellung80
3 Einstweilige Anordnung für eine vorläufige Unterbringung oder unterbringungsähnliche Maßnahmen (Bettgitter, Bauchgurt etc.)87
4 Für Ärzte wichtige Genehmigungspflichten89
Anwendung und Entwicklung des Betreuungsrechts aus forensisch-psychiatrischer Sicht92
Inhaltsverzeichnis92
1 Die Einführung des Betreuungsrechts93
2 Statistische Entwicklung93
3 Begutachtung im Betreuungsverfahren94
4 Die Rolle des Sachverständigen im Betreuungsverfahren95
5 Altersstruktur und Gesundheitsprobleme der Probanden in Betreuungsverfahren96
6 Unterbringung und Betreuung98
7 Anwendungsprobleme98
8 Ausblick99
9 Literatur100
Praxis einer Betreuung102
Inhaltsverzeichnis102
1 Einleitung103
2 Aufgabenkreise und ihre Wahrnehmung durch den Betreuer105
3 Mögliche Tätigkeiten für den Betreuer107
4 Aufenthaltsbestimmung108
5 Freiheitsbeschränkende Maßnahmen108
6 Wohnungsangelegenheiten108
7 Vermögenssorge, Sorge für das Vermögen, Vermögensverwaltung110
8 Mögliche praktische Tätigkeiten für den Betreuer112
9 Entscheidung über den Fernmeldeverkehr bzw. Entgegennahme, Anhalten und Öffnen der Post113
10 Vertretung vor Behörden und Gerichten113
11 Allgemeine Erfordernisse114
12 Literatur114
Begutachtung für Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, privaten Unfallversicherung und Haftpflichtversicherung116
Inhaltsverzeichnis116
1 Stellung des Gutachters117
2 Voraussetzungen117
3 Ablauf118
4 Befunderhebung119
5 Beurteilung120
6 Bewertung der Schädigungsfolgen122
7 Literatur123
Erfahrungen mit Betreuungsgutachten – Ergebnisse einer Expertenbefragung –124
Inhaltsverzeichnis124
1 Einleitung125
2 Methodik125
3 Ergebnisse126
4 Zusammenfassung128
5 Literatur129
Kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit in Zusammenhang mit Alter und Selbsteinschätzung – Eine Untersuchung im Rahmen der Fahreignungsdiagnostik130
Inhaltsverzeichnis130
1 Einleitung131
2 Methodik131
3 Ergebnisse132
4 Schlussfolgerungen132
5 Literatur133
Delinquenzanalyse und Delinquenzbearbeitung in der Maßregelvollzugsbehandlung134
Inhaltsverzeichnis134
1 Einleitung135
2 Die Delinquenzanalyse135
3 Die Delinquenzgruppe – ein Beitrag zur angemessenen Straftäterbehandlung136
4 Die Delinquenzbearbeitung138
5 Zusammenfassung139
Scanner in the court: Was leistet neurobiologische Forschung zu forensischen Fragestellungen?140
Aspekte zur Schuldfähigkeit psychopathischer Persönlichkeiten bei der strafrechtlichen Begutachtung144
Inhaltsverzeichnis144
1 Einleitung145
2 Schuldfähigkeit und psychopathische Persönlichkeitsstörung145
3 Neurobiologische Grundlagen147
4 Literatur149
Neurobiologische Grundlagen der emotionalen Informationsverarbeitung bei Patienten mit pädosexueller Störung152
Inhaltsverzeichnis152
1 Einleitung153
2 Empirische Befunde zur Neurobiologie der154
Pädosexualität154
3 Diskussion159
4 Literatur160
Autoren162

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