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E-Book

William Shakespeare - Dramatiker der Welt

Ein SPIEGEL E-Book

VerlagSPIEGEL-Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl170 Seiten
ISBN9783877631676
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Das Leben des erfolgreichsten, wirkungsmächtigsten Dramatikers der Welt ist ein Geheimnis: Wir wissen fast nichts über William Shakespeare. Er ist ein Phantom und seine Stücke, die jeder kennt, sind ein Kulturerbe der Welt. Vor 400 Jahren starb er und ist dafür immer noch erstaunlich lebendig. Und jeder neuen Zeit stehen seine Stücke neu gegenüber. Das verdeutlicht dieses E-Book, das mehr als fünfzig Jahre Shakespeare-Rezeption, Shakespeare-Spurensuche und -Deutung umfasst - in über 40 Porträts, Theater- und Filmkritiken sowie Interviews aus dem SPIEGEL.

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SPIEGEL 17/2016

Das Weltphantom


Vor 400 Jahren starb William Shakespeare. Dafür ist er immer noch erstaunlich lebendig. Eine Reise um den Globus auf den Spuren des wirkmächtigsten Dramatikers aller Zeiten. Von Volker Weidermann
Sie haben alle eine kleine Schriftrolle in den Flügeln, die bärtigen, kahlköpfigen gelben Gummientchen, die in der Grabbelkiste in einem Andenkenshop in Stratford-upon-Avon zusammengepfercht sind und unverkennbar Shakespeares Züge tragen. Auf der Rolle steht „To quack or not to quack“. Das ist genau die Frage.
Kurz vor dem 400. Todestag des größten Dramatikers aller Zeiten ist in seiner Heimatstadt in Mittelengland die Hölle los. „Och, die ist hier eigentlich immer los“, sagen die, die hier leben. Nur im Januar sei es ein bisschen ruhiger. Jetzt aber, in den ersten Frühlingstagen, ist die kleine Fachwerkstadt im Rausch. Shakespeare-Leser aus aller Welt, Verehrer des Dichters, leidende Schulklassen streifen durch diesen Geburtsort der britischen Weltpopkultur, der heute so eine Art Disneyland auf Europäisch und auf Uralt ist, und suchen Spuren, die nicht zu finden sind.
Natürlich gibt es da das Elternhaus in der Henley Street, es gibt den Garten von New Place, dem prächtigen Anwesen, das er sich von seinem Reichtum als Autor, Schauspieler, Anteilseigner eines Theaters erworben hatte. Es gibt die Farm seiner Mutter, das Elternhaus seiner Frau, Taufurkunde und Taufbecken, Testament und Grabstein. Aber dazwischen, aus der Zeit zwischen Taufbecken und Grabstein, gibt es fast nichts, außer seinen Stücken und Sonetten. Shakespeare ist ein Phantom, das wirkmächtigste aller Zeiten.
Auf dem Grabstein in Stratford stehen seine letzten Verse. Ein Flehen und ein Fluch: „O guter Freund, um Jesu willn lass ab / Stör nicht den Staub, der hier liegt in dem Grab / Gesegnet sei, wer schonet diesen Stein / Und Fluch dem Mann, der rührt an mein Gebein“. Sein letztes Bitten um Ruhe und um Einsamkeit für immer.
400 Jahre ist das nun her. Die Welt hat sich verändert seitdem. Wir fahren Autos, wir waren auf dem Mond, wir wählen alle paar Jahre eine neue Regierung, wir haben dieses seltsame Internet, in dem man mit nur wenig Mühe viel Wahres entdecken kann über den Meister aus Stratford und auch einiges, was überhaupt nicht stimmt. Seit 400 Jahren liegt er im Grab, aber sein Werk ist lebendiger als je zuvor.
Geboren wurde er im Jahr 1564, hinein in eine Welt des Umbruchs, in eine Welt, die so ganz anders war und der Welt von heute doch so ähnelt. Es war, es ist eine Welt, die aus den Fugen gerät.
Die Geschichte von William Shakespeare ist die Geschichte eines Mannes aus einer kleinen Stadt zwischen grünen Hügeln mitten in England, der nach London kam, als das britische Weltreich entstand. Francis Drake war von seiner ersten Weltumseglung zurückgekehrt. Die Erde war eine Kugel, die Gewissheit hatte man nun. Land um Land wurde entdeckt und zu Handelszwecken unterworfen, fremde Völker wurden gefunden. Kaufleute und Abenteurer brachten Gewürze, Waren und Menschen aus aller Welt mit nach London, Afrikaner mussten zur Belustigung der Menschen die Themse hinaufpaddeln. Willkommen, Welt, zu Hause in London. Es waren die Geburtsjahre der Globalisierung.

Shakespeare entdeckte die Seele des hadernden, modernen Menschen.


Das europäische Mittelalter war geprägt gewesen von der Religion, von der Vorstellung, dass der Allmächtige und nur er den Lauf der Welt und das Schicksal der Menschen bestimmte. Nun aber hatte Martin Luther, knapp fünfzig Jahre vor der Geburt Shakespeares, seine 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche geschlagen und damit die Reformation begonnen. Kopernikus hatte erkannt und beschrieben, dass die Erde um die Sonne kreist, Galileo Galilei die exakten Naturwissenschaften begründet. Michelangelo, der Künstler der Hochrenaissance, starb im Jahr der Geburt des Dramatikers aus Stratford. Und kurz bevor Shakespeare seine ersten Stücke schrieb, veröffentlichte Michel de Montaigne seine „Essais“, geprägt von Humanismus und Reformation.
Das Zeitalter der Aufklärung begann, und Shakespeare beschrieb, was es heißt, wenn der Mensch den Hauch der Freiheit spürt, was aber auch heißt, dass nicht Gott uns führt, sondern nur wir uns selbst. Der Mensch, der die Freiheit sucht und gleichzeitig überfordert von ihr ist.
In Shakespeares 16. Jahrhundert entstand in Umrissen die moderne Welt von heute, und er entdeckte und beschrieb die Seele des modernen Menschen. Dessen Ringen um Gut und Böse, dessen Gier und seine Güte, die Kraft der Liebe und die dunkle Gefahr der Triebe, den Kampf um Macht und die Abgründe der Rache. Shakespeare war der Writer der Apokalypse, ein früher Terrorexperte, sein Werk ist erstaunlich aktuell.
Vom Feudalismus zum modernen Staat, alles war ins Rutschen geraten, die politische, kulturelle und soziale Ordnung. Enormer Reichtum wurde von einigen wenigen in Zeiten der Öffnung der Welt plötzlich angehäuft, alles war möglich, und viele scheiterten. Es war die Zeit der brutalen Unterdrückung des Katholizismus durch Elizabeth I. Die alten kirchlichen Rituale wurden verboten, Zierrat aus den Kirchen geklopft. Shakespeare selbst, so legt es der Harvard-Professor Stephen Greenblatt, einer seiner besten Biografen, dar, kam vermutlich aus einem stark katholisch geprägten Elternhaus. Der Vater war zu Shakespeares Kindheit ein angesehener Mann in Stratford gewesen, mit höchsten Ämtern ausgestattet. Als William zwölf war, ging es mit dem Vater bergab. Warum, wissen wir nicht.
In einer Epoche der Weltenwende erlebte auch der Junge aus Stratford den Sturz der eigenen Welt. Als er das erste Mal nach London kam, wann immer das genau auch gewesen sein mag, dürfte er über die prächtige London Bridge in die Stadt eingezogen sein. Auf den Pfeilern der Brücke staken die Köpfe von widerständigen Jesuiten, von Verbrechern und Verschwörern. Und etwa 15 Jahre nach Shakespeares vermuteter Ankunft in London gelang es dem katholischen Terroristen Guy Fawkes beinahe, König Jakob I. und das gesamte Parlament in die Luft zu sprengen. Der schwerste Terroranschlag der frühen Moderne konnte im letzten Moment verhindert werden. Stephen Greenblatt sagt: „In Zeiten wie unseren, in denen wir nicht nur die Kräfte lokaler Veränderungen spüren, sondern Kräfte seismischer Verschiebungen der politischen Tektonik, da sind die Texte Shakespeares besonders kraftvoll und stark.“
Auch der Intendant der Berliner Schaubühne, Thomas Ostermeier, der sich die erfolgreiche deutsche Shakespeare-Inszenierung mit Lars Eidinger als Hamlet ausgedacht hat, sagt: „Wir ähneln uns. Unsere Zeiten ähneln sich. Sie sind extrem prosperierend und gewaltsam. Es sind Zeiten extremer Dekadenz und großer Armut. Religionskriege, öffentliche Hinrichtungen, Terror-Angst.“ Und machtversessene, skrupellose Führerfiguren seien es, die die Erotik der Macht mittels bewusster Tabubrüche noch steigern. Politiker wie Donald Trump oder Wladimir Putin heute oder die extrem populäre Figur Frank Underwood in der amerikanischen Serie „House of Cards“, in der Kevin Spacey einen zutiefst amoralischen Präsidenten im Weißen Haus darstellt, der nichts anderes ist als eine perfekte Verkörperung von Shakespeares Richard III. in unserer Zeit.

Shakespeare war wohl 21 Jahre alt, als er der kleinen Welt von Stratford den Rücken kehrte. Er verließ das Haus in der Henley Street, die Frau, die Kinder, wahrscheinlich, um mit einer fahrenden Theatertruppe aufzubrechen. Man weiß es nicht. Es sind „die verlorenen Jahre“, die nun folgten, sieben Jahre, von denen in einem ohnehin schlecht dokumentierten Leben überhaupt keine Spuren geblieben sind. Kein Dokument, kein Brief, keine Erinnerung, nichts.
Hier setzen sie vor allem an, die Shakespeare-Bezweifler, die seit Langem eine Wissenschaft aus der Frage machen, ob dieses mäßig gebildete Handschuhmachersöhnchen im Ernst das alles erschaffen haben kann. Die amerikanische Lehrerin und Buchautorin Delia Bacon gehörte in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu diesen vehementen Zweiflern. Sie verbrachte Jahre zu Studienzwecken in England, war besessen von ihrer These, dass all die genialen Werke nur von einer ganzen Gruppe von Personen verfasst worden sein konnten, unter anderem von Francis Bacon und Walter Raleigh. Sie verlor darüber fast den Verstand und verließ England, psychisch zerrüttet. Ihr Buch erschien 1857.
Bacons These folgte seitdem eine Flut von Spekulationen. Man vermutete einen fintenreichen Agenten, eine Autorengruppe, den Shakespeare-Konkurrenten Christopher Marlowe, immer wieder Francis Bacon, den Earl of Oxford, sogar Königin Elizabeth I. wurde als die wahre Dramen-Queen ausgemacht. Zu den Ungläubigen gehörten auch Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud, die davon überzeugt waren: So viel Welt, so viel Wissen über die Menschen, die Medizin, die Kunst, die Rechtswissenschaften, die Länder und die Macht, so viel Wissen und Weisheit kann aus diesem einen Phantomleben nicht erwachsen sein. Heute sind die meisten Zweifler still. Die Forschung ist sich weitgehend einig: Es ist total unwahrscheinlich, dass dieses Weltgenie aus einer unauffälligen, ungebildeten Handwerksfamilie im Nirgendwo entspross, aber es ist die einzige wirklich plausible Geschichte.
In jenen sieben Jahren von 1585 bis 1592, in denen dieser William Shakespeare überhaupt keine Spuren hinterließ, hat er sich in einen Schauspieler und Dramatiker verwandelt. In diesen verlorenen Jahren ist er so bedeutend geworden, dass ihn der...
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