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Willkomm und Abschied

Goethe und Friederike Brion

AutorHelmut Koopmann
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl299 Seiten
ISBN9783406659997
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
In Frankfurt und Leipzig erlebt der junge Goethe das erste Scheitern von Liebesbeziehungen: Er wird verlassen und rettet sich in sein dichterisches Talent. Die Verquickung von Liebe und Dichtung setzt sich auch in Sesenheim fort. «Wir lebten bloß wechselseitig für uns», schrieb Goethe später. Durch Friederike inspiriert, verfasst er einige seiner schönsten Gedichte, darunter das gewaltige «Willkomm und Abschied». Es nahm den wirklichen Abschied vorweg. Der Abschied: wir wissen nicht, warum er kam. Käthchen Schönkopf in Leipzig hatte ihn verlassen, jetzt verließ er Friederike: da war eine schlimme Urerfahrung ins Gegenteil verkehrt. Friederike hat später nicht geheiratet, eigentlich nie ein eigenes Leben geführt; sie blieb die Verlassene. Goethe war noch einmal davongekommen. Aber nur so konnte er wohl zum Dichter werden. Denn in den «Sesenheimer Liedern» hat Goethe eine dichterische Sprache gefunden wie vorher nie. Das Buch geht den Lebensspuren des jungen Goethe nach, aber es will auch zeigen, was aus der Geliebten geworden ist: jener unglücklichen Friederike, die mit Goethe so glücklich gewesen war.

Helmut Koopmann lehrte bis zu seiner Emeritierung als Professor für Neuere deutsche Literatur in Bonn und in Augsburg. Außerdem war er als Gastdozent u.a. in China, Indien, Italien, Südafrika und vielfach in den USA tätig.

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Leseprobe

VORSPIEL IN LEIPZIG.
LIEBES-GRAUSAMKEITEN – UND IHR LITERARISCHES ECHO


 

Anfänge.
Und eine erste schmerzliche Liebeserfahrung, ganz ohne Zutun der Geliebten


Sein erstes Gedicht verfaßte Goethe zum Jahresanbruch 1757 – da war er sieben Jahre alt. Es ist ein Gedicht zum Jahreswechsel, den Großeltern überreicht «aus Kindlicher Hochachtung» und mit Segenswünschen an sie gerichtet. Ein Hauslehrer wird geholfen haben. Da schrieb ein Anfänger, der aber schon etliches gelernt hatte. Der junge Goethe hatte einige Lehrer, so einen Schreiblehrer, der auch Rechnen, Geschichte und Geographie unterrichtete; ein Theologiekandidat gab Latein- und später auch Griechischunterricht, bei einem Kupferstecher lernte Goethe zeichnen, aber hinzu kam auch Unterricht im Französischen und Italienischen, im Englischen und Hebräischen, und im übrigen gab es so etwas wie einen «Gesamtunterricht» durch den Vater – und dann noch Reiten, Tanzen und Fechten. Und daß die Bibel gelesen wurde, war Selbstverständlichkeit.

Der junge Mann aus gutem Hause war ungemein gelehrig. Es gab Regeln der Metrik, des Reimes, des Strophenbaus, die zu beherrschen waren und über die der junge Goethe auch unterrichtet wurde, und Spuren des erfolgreichen Unterrichts zeigen sich schon in jenem Neujahrsgedicht. Gelegenheitsgedichte zu schreiben galt als selbstverständliche Übung und Pflicht; Muster waren vorgegeben und waren zu beachten – Eigenwert und Individualität hatten diese Gedichte natürlich nicht, aber sie zeigen immerhin, daß Goethe sich mit Erfolg übte. Ein Gedicht des Zwölfjährigen zum 1. Januar 1762 bezeugt schon einiges mythologisches Wissen, und der Hinweis auf die «fremde Zunge» läßt erkennen, daß Goethe damals auch Kenntnisse in anderen Sprachen hatte – er wird sich ihrer in Briefen an seine Schwester Cornelia später gerne bedienen.

Ein Frühreifer – aber so ganz ungewöhnlich war das damals nicht. Kinderbücher gab es nicht, gelesen wurde sehr viel. Goethe hatte die Bibliothek seines Vaters zur Verfügung, und er berichtet in Dichtung und Wahrheit, was ihm an Büchern in die Hände kam: es war der Orbis pictus des Amos Comenius, eine «Welt im Bild»-Enzyklopädie für Kinder; eine große Folio-Bibel, Ovids Metamorphosen, die Acerra philologica («Philologisches Weihrauchkästchen», Titel einer Geschichtensammlung von 1633), und dazu kamen noch Les aventures de Télémaque, die Abenteuer des Telemach in der Alexandriner-Übersetzung von Benjamin Neukirch, mit «Kupfern im französischen Theatersinne» ausgestattet; aber da waren auch Die Insel Felsenburg von Johann Gottfried Schnabel (Wunderliche Fata einiger See-Fahrer) und Defoes Robinson Crusoe, es gab dazu die Volksbücher, die bei einem Büchertrödler zu finden waren: «Der Eulenspiegel, die vier Haimonskinder, die schöne Melusine, der Kaiser Octavian, die schöne Magelone, Fortunatus»: da war eine Phantasiewelt, «mit einer Masse von Bildern und Begebenheiten, von bedeutenden und wunderbaren Gestalten und Ereignissen angefüllt», die Goethe immerfort beschäftigten. Langeweile kam nicht auf, weil es ihm immer darum ging, «diesen Erwerb zu verarbeiten, zu wiederholen, wieder hervorzubringen». Goethe hat in Dichtung und Wahrheit ausführlich darüber berichtet. Er lernte Homer kennen, und es versteht sich von selbst, daß die Kinder, also Goethe und seine Schwester Cornelia, «auch eines fortwährenden und fortschreitenden Religionsunterrichts genossen». Der Unterricht war langweilig, aber die Bibel lieferte einen unendlichen Schatz an Bildern und Geschichten.

In Vaters Bibliothek waren auch Werke von Klopstock, Canitz, Hagedorn, Drollinger, Gellert, Creuz, Haller, neben dem schon erwähnten Neukirchschen Telemach auch Koppes Befreites Jerusalem und Klopstocks Messias: Goethe hatte, wie er selbst sagte, «diese sämtlichen Bände von Kindheit auf fleißig durchgelesen und teilweise memoriert». Auf dem Theater war der junge Goethe auch zu finden; Diderots Hausvater etwa wurde gegeben, Tänzer traten auf, und die französische Besatzung in Frankfurt unterbrach den gelehrten Zustrom kaum.

Ein reicheres Dasein eines jungen Menschen läßt sich kaum denken. Hinzu kamen Bekanntschaften mit Honoratioren der Stadt, und einige von ihnen wurden ihm zu Vorbildern: die Gebrüder Schlosser und Griesbach etwa, zwei Advokaten, Griesbach ein Student der Theologie, der später Professor in Jena wurde.

Und Goethe dichtete auch. Nicht nur, weil er viel gelesen hatte, fiel ihm das Versemachen nicht schwer. 1764, sicher aber spätestens 1765 entstanden seine Poetischen Gedanken über die Höllenfahrt Jesu Christi – ein breit ausgemaltes Gedicht mit vielen Metaphern und Vergleichen; die Höllenfahrt Christi geschieht, um die Hölle zu strafen. Das Gedicht «erhielt von meinen Eltern und Freunden viel Beifall, und sie [die Ode] hatte das Glück mir selbst noch einige Jahre zu gefallen», schrieb Goethe später in Dichtung und Wahrheit; er meinte sich zu erinnern, daß Susanne von Klettenberg, eine Freundin seiner Mutter, ihn dazu veranlaßt habe. Am 17. März 1830 bemerkte er allerdings selbstkritisch zu Eckermann, dem späteren Weimarer Vertrauten und geschätzten Gesprächspartner: «Das Gedicht ist voll orthodoxer Borniertheit und wird mir als herrlicher Paß in den Himmel dienen.»

Goethe wurde einmal auch gefragt, ob er «einen recht artigen Liebesbrief in Versen» verfassen könne, den «ein verschämtes junges Mädchen an einen Jüngling schriebe, um ihre Neigung zu offenbaren». Goethe entgegnete damals: «Nichts ist leichter als das.» Mystifikationen und Attrappen waren ohnehin beliebtes Spielmaterial; «Wir hatten uns in unsern Knabenjahren einander oft angeführt», wußte noch der alte Goethe.

Es blieb nicht dabei. Eines Abends traf man sich wieder, Goethe langweilte sich und hatte wenig Freude an der «boshaften Verstellung», die einem «freilich nicht sehr aufgeweckten Menschen» galt, doch dann kam es zu einer «unerwarteten Erscheinung»: ein Mädchen trat herein, «von ungemeiner, und wenn man sie in ihrer Umgebung sah, von unglaublicher Schönheit». Es war jenes Gretchen, das Goethe in Dichtung und Wahrheit in ihrer Anmut beschrieben hat: «Das Häubchen saß so nett auf dem kleinen Kopfe, den ein schlanker Hals gar anmutig mit Nacken und Schultern verband. Alles an ihr schien auserlesen, und man konnte der ganzen Gestalt um so ruhiger folgen, als die Aufmerksamkeit nicht mehr durch die stillen treuen Augen und den lieblichen Mund allein angezogen und gefesselt wurde.» Goethes erste Liebe. Er tat alles, um die Schöne wiederzusehen, und es gelang auch: und als es um eine poetische Epistel ging, da konnte er nicht widerstehen: «Meine Neigung wuchs unglaublich, ich war nicht Herr von mir selbst.» Es waren «die ersten Liebes-Neigungen einer unverdorbenen Jugend». Goethe folgte ihnen. «Das liebe Mädchen zu sehen und neben ihr zu sein, war nun bald eine unerläßliche Bedingung meines Wesens» – aber es war eine Neigung mit einiger Distanz, denn die Angebetete erwiderte nichts: «Gretchens Betragen gegen mich war nur geschickt, mich in Entfernung zu halten. Sie gab Niemanden die Hand, auch nicht mir; sie litt keine Berührung».

Von «Gretchen», dem «schönen Kinde», wissen wir so gut wie nichts, nur das, was Goethe im Fünften Buch von Dichtung und Wahrheit über sie geschrieben hat. Die ersten «Liebes-Neigungen» endeten ebenso abrupt wie unglücklich. Gretchen war in eine kriminelle Affäre verwickelt, in «Verfälschung von Papieren, Nachbildung von Unterschriften»; Goethe litt «schmerzlich» unter den Anschuldigungen, die gegen sie vorgebracht wurden, geriet in «große Unruhe, Rasen und Ermattung», die in Krankheit ausartete. Gretchen verließ die Stadt, zog wohl wieder in ihre Heimat (Offenbach). Goethes «Verhältnis zu Gretchen zerriß» – Grund, sich noch enger an seine Schwester anzuschließen. Aber er brauchte Zeit, um über die Gretchen-Geschichte hinwegzukommen.

Die Zeit des Wechsels an eine Universität kam. Er dachte an Göttingen, doch der Vater wollte ihn in Leipzig sehen. Der Vater entwarf ihm auch einen «Cursus der Studien und des Lebens, wie ich ihn auf Akademieen und in der Welt zu durchlaufen hätte», aber Goethe hatte seine eigenen Vorstellungen und ersann sich einen «Gegencursus», der freilich ein mehr phantastischer als realer Zukunftsplan war, und so zog er denn nach Leipzig. Gretchen blieb verschwunden. Vergessen war sie aber keineswegs, Goethe sollte sich noch öfters an sie erinnern. Und der sonderbare Liebesroman mit Gretchen sollte sich, auch wenn er damals gar nicht ausgelebt worden war, fortsetzen; in Leipzig trat ein anderes Mädchen an die Stelle jenes Gretchens. Und nicht zuletzt war es der Umgang mit ihm, der ihm bestätigte, daß er «einige Eigenschaften besitze die zu einem Poeten erfordert werden» – und...

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