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Wir, Ritter der Ehrenrunde

Prominente berichten vom Sitzenbleiben

VerlagKösel
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783641180379
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Iris Berben, Roger Willemsen, Reinhold Beckmann und viele andere berichten von der einschneidenden Erfahrung, in der Schule ein- oder mehrere Male sitzengeblieben zu sein. Beim einen war es schlicht die eigene Faulheit, bei der anderen die Verliebtheit in den Lateinlehrer, die auf Versetzung ohne gelernt zu haben hoffen ließ. Die Gründe für das Nicht-Erreichen des Klassenziels sind vielfältig, die Auswirkung auf den weiteren Lebenslauf jedoch mitnichten nachteilig. Vielmehr führte das Sitzenbleiben, das mit Scham als Scheitern wahrgenommen wurde, später in den meisten Fällen zu Eigenschaften wie Entschlossenheit, Ehrgeiz und schließlich zu Erfolg.

Eine Sammlung ehrlicher Bekenntnisse von prominenten Persönlichkeiten - spannend zu lesen für alle Sitzenbleiber, Fast-Sitzenbleiber und alle Eltern, die sich vor dem blauen Brief fürchten.

'Die Jugend ist die beste Zeit, die man haben kann. Man darf, ja man soll auch auf die Schnauze fallen, das gehört dazu.' Iris Berben

  • Für alle Eltern, die sich vorm blauen Brief fürchten
  • Beiträge von Roger Willemsen, Iris Berben, Reinhold Beckmann und vielen anderen

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Leseprobe

Roger Willemsen

»Ich verlegte mich früh auf intelligentes Verwahrlosen.«

Roger Willemsen war einer der letzten Universalgelehrten unseres Landes. Ob es damit zu tun hat, dass er in der Schule lieber Adorno gelesen und Mädchen geküsst hat, statt Hausaufgaben zu machen?

Sie sind erfolgreicher Autor, Moderator, Honorarprofessor. Kaum zu glauben, dass Sie in der Schule Probleme hatten. Wann sind Sie denn sitzen geblieben?

In der Untertertia, das wäre heute die 8. Klasse. Es hatte sich schon in der Volksschule angedeutet, dass ich in Mathematik nicht so gut bin. Die Form von abstrakter Intelligenz, die man für Algebra braucht, ist mir heute noch fern. Ich bin übrigens nicht ein-, sondern zweimal sitzen geblieben.

Wann das zweite Mal?

Zwei Jahre später, also in der Zehnten. Damals sind auch meine zwei Geschwister sitzen geblieben; es war das Jahr, in dem mein Vater gestorben ist. Wir waren dreimal in der Woche in der Krebsklinik, alle Bewegungen des Wachstums, der Pubertät, des Erwachens waren kontaminiert von den Bildern dessen, der gerade stirbt, der immer weniger wird, aber gleichzeitig und gerade deshalb eine immer größere Autorität ausstrahlt. Trotzdem würde ich den Tod meines Vaters nicht als Entlastung für mein Scheitern anführen wollen. Die Wahrheit ist, ich war faul, ich war eingeschränkt intelligent und vor allem mit anderen Sachen beschäftigt.

Womit denn?

Ich habe alles gemacht, nur nicht Mathe- und Physikhausaufgaben. An Dingen, die außerhalb des Lehrplans lagen, war ich hochinteressiert, also Sprachen, Kunst, politischen Aktionen, Musik, Philosophie, Haschisch. Nach dem Abitur (Durchschnitt: 2,1) bekam ich ironischerweise ein Hochbegabtenstipendium. Als mein Vater gestorben war, bat ich meine Mutter, auf ein Internat gehen zu dürfen. Ich kam auf das Nordseeinternat, bekam Halbwaisenunterstützung und hatte im ersten Halbjahreszeugnis schon wieder drei Fünfen und eine Sechs. Am Ende konnte ich mich gerade noch auf eine Fünf retten, sodass ich versetzt wurde.

Man kann sagen, Sie haben sich schwergetan.

Schule, das erschien mir damals vor allem als ein System aus Befehlen, einem Klima des Verbots und einer Autorität, die etwas Martialisches hatte. Ich hatte permanent ein schlechtes Gewissen, kam mir nicht erwünscht, höchstens geduldet vor, ständig in Gefahr, der eigenen Nichtigkeit überführt zu werden. Auf dem Totenbett sagte mein Vater, dass wir alle auf der Tankstelle landen würden, und ich war überzeugt davon, dass er recht hatte. Ich sah mich ungelogen im Blaumann an der Aral-Tankstelle. Er ist gestorben, als ich auf dem Tiefpunkt meiner Leistungsfähigkeit war, und es macht mir bis heute viel aus, dass ich ihm nicht mehr habe zeigen können, dass noch anderes in mir steckt.

Zurück zu Ihrer ersten Ehrenrunde in der 8. Klasse: Haben Sie unter der Nichtversetzung gelitten oder waren Sie der coole Junge, dessen Biografie dadurch veredelt wird, dass er mal sitzen geblieben ist?

Ich wehre mich gegen die Koketterie dessen, der es später vermeintlich geschafft hat und das eigene Scheitern rückblickend verherrlicht. Warum? Weil dieses Scheitern eben keinen Mehrwert hatte. Es war einfach nur peinlich, unerfreulich, blamabel, und ich habe darunter gelitten. Es war eben nicht so, dass ich mich der höheren Klasse der Rabauken zugehörig fühlte im Sinne von: Wir, die wir das Scheitern kennen, sind die Wahren. Nein, ich wusste, dass ich versagt hatte, und zwar nicht nur vor mir selbst, sondern auch vor meinen Eltern, Lehrern, Mitschülern und ganz wichtig: den Mädchen, die ich toll fand. Für die spielte es schon eine Rolle, wenn sie ihren Eltern erklären mussten, dass sie mit jemandem zusammen sind, der zweimal hängengeblieben ist.

Wie ging es Ihnen in der neuen Klasse?

Ich fühlte mich degradiert. Ich war der Älteste, der unter Kindern sitzen musste, zu groß geraten, auffällig, erkennbar der Misfit, langhaarig und Haschisch rauchend, den Makel der Nichtversetzung vor sich hertragend.

Was für ein Junge waren Sie mit 13, 14, 15?

Mit 15 habe ich Adorno und Hegel auf dem Pausenhof gelesen, nein, wir Versager haben uns die schönsten Stellen gegenseitig vorgelesen und gemeinsam über die intellektuellen Kapriolen gelacht. Meine Clique und ich, wir wollten durch die Eiswüste der Abstraktion gehen. Wir haben spielerisch, aus einer Außenseiterposition heraus, den intellektuellen Dünkel, die Boheme kultiviert. Ich besaß starke Interessen, die in der Schule nicht angesprochen wurden, und so verlegte ich mich auf das intelligente Verwahrlosen. Dadurch war ich ein permanenter Störfaktor.

Inwiefern?

Ich war Schulsprecher und Chefredakteur der Schülerzeitung, eine Art außerparlamentarische Opposition, ging zu Demos, sprühte Graffiti. Ich stand außerhalb des Kerns der Schülerschaft, bekam ständig Tadel und Verweise, mehrmals schrammte ich haarscharf am Schulverweis vorbei. Ich weiß noch, wie ich einen Tadel bekam, weil ich eine Mitschülerin am Lehrerparkplatz geküsst hatte, offenbar ziemlich leidenschaftlich.

War Küssen nicht erlaubt?

Die Schule war damals noch ein System aus Befehl und Gehorsam, organisiert wie ein kleiner Staat, mit einer großen Distanz zwischen Schülern und Lehrern. Auf jeden Fall hat der Direktor uns beobachtet und meinte: »Willemsen, jetzt kriegen Sie einen Tadel.« Und ich antwortete: »Wenn Sie mir einen Gefallen tun wollen, Herr Direktor, dann schreiben Sie doch bitte genau auf, was ich gemacht habe, damit meine Eltern es auch nachvollziehen können.« Er bekam erst einen Wutausbruch, dann formulierte er folgendes Schreiben: »Der Schüler Roger Willemsen wird getadelt, weil er den Schülern des Helmholtz-Gymnasiums das Schauspiel bot, dass er eine seiner Mitschülerinnen umarmte, mit ihr schmuste und sie küsste.« Meine Eltern lachten, ich druckte den Text auf Flyer, und wir klebten ihn auf Litfasssäulen in ganz Bonn. Es soll Nachahmungstäter gegeben haben.

Es gibt diesen Typus Schüler, dessen Noten eher mittelmäßig bis schlecht sind, der aber von vielen Lehrern respektiert, ja bewundert wird, weil er irgendwie besonders, auf jeden Fall anders als die braven Streber ist. Waren Sie so einer?

Ich hatte, sowohl was die Lehrer, als auch was die einzelnen Fächer betrifft, stark ausgebildete Sympathien und Antipathien. Es gab Lehrer, die mich unbedingt von der Schule entfernen wollten, es gab aber auch ein paar, die eine echte Orientierungsgröße waren. Ich erinnere mich an einen, mit dem lasen wir philosophische Bücher, machten Musik, organisierten kleine Ausstellungen. Dem bin ich rückblickend dankbar, genau wie den strengen Lehrern, die einen mit ihrer Autorität in den Wissenserwerb zwangen. Schlecht waren nur die, die keine Form von Begeisterung wecken konnten.

Wie haben Ihre Eltern auf die erste Ehrenrunde reagiert?

Mit Stubenarrest und Disziplinarmaßnahmen.

Und Ihre Mutter auf die zweite?

Überfordert. Sie war ja berufstätig und schon aus dem Haus, wenn ich morgens mit meinen Geschwistern aufstand. Mittags haben wir bei Freunden gegessen oder uns selbst was gemacht. Wenn sie heimkam, waren wir oft noch unterwegs. Also haben wir uns zu einem großen Teil selbst durchgewurstelt, ohne das als besonders heroisch zu empfinden.

Haben Ihre Eltern kontrolliert, ob Sie Ihre Hausaufgaben gemacht haben?

Sie bestanden darauf, dass ich eine bestimmte Zeit am Schreibtisch verbrachte, kontrollierten aber nicht, was ich in dieser Zeit machte. Die Form wurde eingehalten, das Ritual erfüllt, ich aber habe alles gemacht, nur keine Hausaufgaben. Ich weiß noch, dass es damals schon mein großer Wunsch war, eines Tages vom Schreiben leben zu können. Konjunktivisch war die Schule ein Riesenversprechen. Ich ahnte, wie interessant es sein kann, eine Landkarte oder den Aufbau einer menschlichen Zelle zu studieren, aber praktisch konnte ich es nicht umsetzen. Rückblickend sind das abgestorbene Bereiche der Vitalität, tote Äste, die sich nicht entwickelt haben, einstiges Wissen, das nicht mehr aktivierbar ist. Da fallen mir diese Verse von Rilke ein: Da rinnt der Schule lange Angst und Zeit / mit Warten hin, mit lauter dumpfen Dingen. / O Einsamkeit, o schweres Zeitverbringen … und am Ende: O Kindheit, o entgleitende Vergleiche. / Wohin? Wohin?

War Ihnen bewusst, warum Sie durchgefallen sind? Haben Sie die Schuld eher bei sich oder beim System Schule gesucht?

Ausschließlich bei mir. Das finde ich rückblickend ganz interessant. Ich habe das Schulsystem nicht infrage gestellt, ja kam überhaupt nicht auf die Idee, dass die Kategorien der Wissensvermittlung und -bewertung falsch sein könnten. Im Gegenteil, ich sagte mir, nach diesen Parametern des Erfolgs bin ich zu Recht erfolglos. Ich habe mit 14 angefangen, Texte in Untergrundmagazinen zu publizieren, aber das hat keine Rolle gespielt. Was eine Rolle gespielt hat, war, dass ich nach den Maßgaben der schulischen Autorität versagt hatte.

Haben Sie aus dem Scheitern etwas für Ihr späteres Leben gelernt?

Komischerweise habe ich die beiden Jahre nie als vergeudet wahrgenommen. Ich musste nicht zur Bundeswehr, habe die Zeit also wieder reingeholt. Abgesehen davon spielte so eine Form von Zeitökonomie in meiner Biografie ohnehin keine Rolle. Aber etwas anderes ist geblieben, nämlich das bedrohliche Gefühl erwischt zu werden, etwas nicht zu können. Das hat mich lange begleitet, vielleicht tut es das bis heute. Ich bin inzwischen Honorarprofessor in Berlin und durfte neulich eine Rede zur Verabschiedung der Studentinnen und Studenten halten. Ich stand also auf dem Podium und sagte, dass sie eine Erfahrung schon mal verpasst...

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