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E-Book

Wir vom Posaunenchor

Geschichte und Gechichten

AutorReinhard Lassek
VerlagKreuz
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783451802102
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
120.000 Bläserinnen und Bläser gehören dem 'Evangelischen Posaunendienst in Deutschland' an. 7.000 Posaunenchöre, die für protestantische Zuversicht stehen und aus den evangelischen Kirchen nicht mehr wegzudenken sind. Doch wie hat diese große musikalische Laienbewegung einst begonnen und wie sieht sie heute aus? Reinhard Lassek erzählt kenntnisreich und unterhaltsam die Geschichte des evangelischen Blechs vom Kaiserreich bis heute. Er spart das dunkle Kapitel des Nationalsozialismus nicht aus, schildert Bläseranekdoten aus dem geteilten und wiedervereinigten Deutschland und wagt einen optimistischen Blick in die Zukunft. Ein Muss für jeden Posaunenchorler.

Reinhard Lassek, Dr., geb. 1954, Pfarrerssohn, Wissenschaftsjournalist und Posaunenchorleiter in der dritten Generation, lebt in Celle.

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Leseprobe

I. Was ist ein Posaunenchor?


Was macht eine Blechbläsergruppe zum »Posaunenchor«? Ist es die Besetzung – das Instrumentarium, auf dem gespielt wird? Ist es der Auftrag – die Mission, die erfüllt werden soll? Oder ist es die Herkunft – die Gründungslegende?

Um es gleich herauszuposaunen: Es ist selbstverständlich eine Mischung der drei genannten Aspekte. Erst die richtige Kombination verleiht dem »Posaunenchor« seine unverwechselbare Note. Wer heutzutage von einem »Posaunenchor« spricht, meint jedenfalls zumeist einen evangelischen Posaunenchor. Und das allein weist bereits daraufhin, dass die Posaunenchorgeschichte vor allem eine Erfolgsgeschichte ist.

Eine Frage der Besetzung


Bevor dem »Posaunenchor« die Anführungszeichen genommen werden, gilt es abzuklären, was für den evangelischen Posaunenchor – egal ob nun landes- oder freikirchlicher Prägung – eigentlich sinn- und identitätsstiftend ist. Der Begriff »Posaunenchor« lässt jedenfalls zunächst auch an eine bestimmte Art der Besetzung denken. Nämlich an eine Blechbläserformation, der ausschließlich Posaunen angehören. Doch solch ein reines »Posaunen-Stimmwerk« – bestehend aus Diskant- (Sopran-), Alt-, Tenor- und Bassposaune – ist vor allem eine musikalische Attraktion des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts. Das Posaunen-Stimmwerk entspricht dabei dem A-cappella-Ideal der Renaissance und des frühen Barock. »A cappella« heißt nicht nur »ohne Instrumentalbegleitung«, sondern bedeutet auch eine bestimmte Kompositionsweise, bei der im Zentrum des Klangideals das mehrstimmige kirchliche Vokalensemble mit fakultativer Instrumentalbegleitung steht. Großartige Werke für reine Posaunenbesetzungen entstehen in jener Zeit. Zu nennen sind etwa Kompositionen von Michael Praetorius, Johann Christoph Pezelius (Pezel) und Gottfried Reiche. Diese fabelhaften Blechbläser-Suiten, Pavanen, Intraden, Kanzonen und Ritornelle, Turm- und Festtagsmusiken gehören bis heute zum Repertoire evangelischer Posaunenchöre – in reiner Posaunenbesetzung gespielt werden sie allerdings so gut wie nie.

Die Altposaune ist hin und wieder noch in den Bläserchören anzutreffen, wohl kaum jedoch eine Sopranposaune. Aufführungen in der musikalisch reizvollen Originalbesetzung sind eine absolute Rarität. Sie bleiben in der Regel Profibläsern vorbehalten. Für Liebhaber der historischen Aufführungspraxis sind diese reinen »Posaunenchor-Konzerte« pure Festtagsmusiken. Die verzückten Zuhörer werden dabei nicht nur in längst vergangene Klangwelten entführt, sie werden zugleich auch daran erinnert, dass unsere heutigen »Posaunenchöre« durchaus noch in Beziehung zur Musizierpraxis der Reformationszeit stehen.

Das Posaunen-Stimmwerk ist ein »Instrumentaler Sängerchor«. An dieses Klangideal des 16. Jahrhunderts knüpfen zunächst die Chorbläser der »Herrnhuter Brüder« im 18. Jahrhundert an – zum Teil sogar mit originalem Posaunen-Stimmwerk. Später, Mitte des 19. Jahrhunderts, feiert das »gesangliche Blasen« auch in Westfalen und Niedersachsen fröhliche Urstände. Allerdings will und kann die Posaunenchorbewegung – so wie wir sie heute kennen – vom originalen Posaunen-Stimmwerk nicht mehr viel wissen. Zum einen, weil im 19. Jahrhundert die Ventil-Blechblasinstrumente aufkommen, zu Anfang des 20. Jahrhunderts bereits in jeder Stimmlage und Klangfarbe eine ansprechend große Auswahl »wohlventilierten« Blechs zur Verfügung steht – inklusive Ventilposaunen. Zum anderen ist es nicht leicht, genügend talentierte Laienmusiker zu finden, die für das Erlernen des durchaus heiklen Posaunenspiels überhaupt geeignet sind.

Letzteres ist ein buchstäblich »nachvollziehbarer« Grund, warum (Zug-)Posaunen nicht in jedem Posaunenchor den Ton angeben. Manchmal sind sie sogar überhaupt nicht vertreten.

Evangelische Posaunenchöre sind also bei weitem keine reinen Posaunen-Ensembles. Aber im Unterschied etwa zu Militär- und Tanzmusikkapellen oder Blasorchestern sind sie in der Regel doch immerhin reine Blechbläserensembles. Die Posaune gibt dem »Posaunenchor« den Namen. Sie ist stets erwünscht, doch keineswegs immer verfügbar.

Eine Frage des Auftrags


»Lobet den Herrn mit Posaunen!« – Das ist aus Sicht eines evangelischen »Posaunenchorlers« die entscheidende Botschaft des 150. Psalms. Die Frage nach dem »Posaunenchor« ist somit in jedem Fall immer auch eine Frage des geistlichen Auftrags – also eine Glaubensfrage. Eine flächendeckende evangelische Posaunenarbeit, so wie wir sie heute kennen, beginnt sich erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts im engen Verbund mit der pietistischen Erweckungsbewegung in Westfalen und Niedersachsen zu entwickeln. Doch auf nachhaltige Resonanz stößt der 150. Psalm zunächst in Herrnhut, einem Städtchen der Oberlausitz. Dort siedelt sich im frühen 18. Jahrhundert eine Gemeinschaft böhmischer Glaubensflüchtlinge und deutscher Pietisten an. Die sich alsbald in ganz Deutschland ausbreitende Gemeinde der Herrnhuter Brüder hat jedenfalls das Copyright für den Begriff, unter dem sich heute das gesamte evangelische Blech versammelt. In einem Synodalbeschluss aus dem Jahre 1764 ist erstmals offiziell von einem rein kirchlichen »Posaunenchor« die Rede.

Die Herrnhuter Blechbläser, so der Musikwissenschaftler Nils Niemann, sind »keine gewöhnlichen Kirchenmusikgruppen«, sondern »sicht- und hörbare Zeichen eines lebendigen christlichen Gemeinwesens«. Ein frühes Zeugnis dafür liefert der »Posaunistenchor« in Kittlitz – heute Stadtteil des sächsischen Löbau. Die Kittlitzer Bläser geben sich 1817 eine 46 Punkte umfassende Satzung, laut der es die vornehmste Aufgabe des Chores ist, »a) den Namen Gottes sowohl selbst zu verherrlichen, als auch b) andere dazu zu ermuntern«.

Zwischen der Kittlitzer Ausformulierung des geistlichen Bläserauftrags und der Gründung des »Evangelischen Posaunendienstes in Deutschland« (EPiD) liegen grob aufgerundet zwei Jahrhunderte. Doch der Geist ist noch immer derselbe: »Der Verein«, so heißt es 1994 in der EPiD-Satzung, »hat den Zweck, das Evangelium von Jesus Christus durch die Posaunenchormusik weiterzutragen«.

In der Tat: Kirchenmusik, so Ingo Bredenbach, ist eine »Sprachschule des Glaubens«. Für den Tübinger Orgelprofessor gilt daher auch das Musizieren im Bläserchor als »gelebter Glaube, als eine zielgerichtete Arbeit hin zu einem Laut-Werden der biblischen Botschaft, eben einer Verlautbarung der Frohen Nachricht«.

Doch warum Posaunenklänge? Warum nicht Flöten- oder Streichmusik? Für bibelfeste Gründerväter der Posaunenbewegung vom Schlage eines Johannes Kuhlo, Jahrgang 1856, gibt es keinerlei Zweifel: Weil Gott selbst diese Instrumente in Auftrag gegeben hat. Im 4. Buch Mose, Kapitel 10 heißt es: »Und der HERR redete mit Mose und sprach: Mache dir zwei Trompeten von getriebenem Silber und gebrauche sie, um die Gemeinde zusammenzurufen und wenn das Heer aufbrechen soll.«

Es ist also das »heilige« Blech, das im 150. Psalm zum Dienst berufen wird. Und »Posaunengeneral« Kuhlo, der sich selbst gern als »Mitarbeiter am Psalm 150« bezeichnet, versucht seinerzeit auch alles, um den geistlichen Bläserauftrag in Verbindung zur Heilsgeschichte zu bringen. Und so listet er die biblischen Trompeten-, Posaunen- und Hörnerstellen auf: Im Alten Testament sind es 65, in den Apokryphen 13 und im Neuen Testament 20. Seinen ersten glänzenden Auftritt hat das Blech demnach bereits bei Mose. Der erste »Posaunenchor« erklingt indes erst in Jerusalem zu Zeiten König Davids. Schon damals wird der Bläserklang als Zeichen für die Gegenwart Gottes erlebt. Und von Anfang an spielt dabei das Blech eine privilegierte Rolle. Nur Priester dürfen da einst diese heiligen Instrumente benutzen. Doch echten Lutheranern wie Kuhlo ist natürlich bewusst: »Jedes Kind Gottes ist ein Priester des Allerhöchsten. Das gilt für uns als Bläser. Und das in besonderer Weise. Der alttestamentarische Priesterdienst ist Vorbild für uns.« Nach der Zerstörung des Tempels durch die Römer folgt eine beinahe 2000-jährige Generalpause. Da die Herrnhuter »Posaunisten-Chöre« in Kuhlos großzügiger Überschlagsrechung nicht vorkommen, wird das Schweigen der Bläser demnach erst um 1843 durch die Jöllenbecker Erweckungsbläser beendet. In der Tat, die Tradition der evangelischen Posaunenchorbewegung wird im ostwestfälischen Jöllenbeck begründet. Die flächendeckende Posaunenbewegung, so, wie wir sie heute kennen, entsteht nicht im direkten Bezug zu den Herrnhutern. Sie vermag sich vielmehr erst im engen Verbund mit der Erweckungsbewegung zu entwickeln.

Trotz Kuhlos recht origineller Argumentation wird das »heilige Blech« selbstverständlich nicht wegen der biblischen Vorbilder als Instrumentarium ausgewählt. Es ist vielmehr genau umgekehrt: Man greift aus praktischen Erwägungen zum Blech: Die vergleichsweise leichte Erlernbarkeit, gute Transportierbarkeit und vor allem die klangliche Durchsetzungsfähigkeit im Freien. Erst nachträglich sucht man dann nach biblischer Legitimation.

Im »Posaunenchor« kann also auf die Posaune als Instrument notfalls verzichtet werden, nicht jedoch auf den Begriff. Denn der geistliche Auftrag ist allemal so wichtig wie die Besetzung. Schließlich ist es in der Lutherübersetzung stets die Posaune, die Entscheidendes zu verkünden hat. So etwa im 1. Thessalonicher 4,16: »Denn er selbst, der Herr wird, wenn der Befehl ertönt, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallen, herabkommen vom Himmel, und zuerst werden die Toten, die in Christus gestorben sind, auferstehen.«

Doch der Verfasser des apostolischen Sendschreibens konnte...

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