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Wissenschaft oder Kriegspropaganda?

Die Wiederkehr des deutschen Militarismus und die Auseinandersetzung an der Berliner Humboldt-Universität

AutorChristoph Vandreier, David North, Johannes Stern, Ulrich Rippert
VerlagMEHRING Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl248 Seiten
ISBN9783886348336
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Im Mai 2015 entfachten die Medien einen Sturm gegen kritische Studierende der Berliner Humboldt-Universität. Die Autoren des anonymen Blogs 'Münkler-Watch' und die trotzkistische Jugendorganisation International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) wurden übel beschimpft und sogar mit 'Bombendrohungen und Mordaufrufen' in Verbindung gebracht, weil sie sich kritisch mit den Professoren Herfried Münkler (Theorie der Politik) und Jörg Baberowski (Geschichte Osteuropas) auseinandersetzten. Dieses Buch geht auf die Hintergründe dieser Auseinandersetzung ein. Es weist minutiös nach, wie Münkler und Baberowski in ihren Schriften und öffentlichen Äußerungen für eine aggressive deutsche Großmachtpolitik und die Verharmlosung deutscher Verbrechen in beiden Weltkriegen eintreten. Es untersucht den Zusammenhang zwischen dem von der Bundesregierung verkündeten 'Ende der militärischen Zurückhaltung' und dem Angriff auf die Meinungsfreiheit an der Humboldt-Universität. Es dokumentiert den Kampf der IYSSE gegen Zensur und gegen die Verwandlung der Humboldt-Universität in ein ideologisches Zentrum für Kriegspropaganda.

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Leseprobe

Peter Schwarz: Warum wollen die deutschen Eliten wieder Krieg?[1]


Bevor ich auf die Frage eingehe, warum die deutschen Eliten wieder Krieg wollen, möchte ich nachweisen, dass sie wieder Krieg wollen. Angesichts der raschen Veränderungen der deutschen Außenpolitik und der Propaganda, die sie begleitet, ist das nicht für jeden offensichtlich.

Vor einem Jahr, am 3. Oktober 2013, hielt Bundespräsident Joachim Gauck eine Rede zum Tag der Deutschen Einheit, in der er für ein verstärktes außenpolitisches und militärisches Engagement Deutschlands eintrat. Eine Kernpassage dieser Rede lautete:

Es stellt sich tatsächlich die Frage: Entspricht unser Engagement der Bedeutung unseres Landes? Deutschland ist bevölkerungsreich, in der Mitte des Kontinents gelegen und die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt … Welche Rolle sind wir dann bereit, bei Krisen in ferneren Weltregionen zu spielen? Unser Land ist keine Insel. Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, wir könnten verschont bleiben von den politischen und ökonomischen, den ökologischen und militärischen Konflikten, wenn wir uns an deren Lösung nicht beteiligen.[2]

Gaucks Rede war sorgfältig vorbereitet worden. Über ein Jahr lang hatten mehr als fünfzig Politiker, Ministerialbeamte, Journalisten, Akademiker, Militärs, Wirtschaftsvertreter und Mitglieder von NGOs über eine Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik diskutiert. Sie taten dies im Rahmen eines Projekts der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und des Washingtoner Thinktanks German Marshall Fund of the United States (GMF). Das Ergebnis war ein Papier mit dem Titel »Neue Macht. Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch«[3]. In diesem Papier finden sich die folgenden Aussagen:

Deutschland wird künftig öfter und entschiedener führen müssen …

Seine [Deutschlands] gegenwärtige Stärke beruht wesentlich … auf seinem Erfolg als Handels- und Exportnation … Deutschland braucht also die Nachfrage aus anderen Märkten sowie den Zugang zu internationalen Handelswegen und Rohstoffen … Deutschlands überragendes strategisches Ziel muss es daher sein, diese Weltordnung zu erhalten, zu schützen und weiter zu entwickeln.

Dies soll nicht zuletzt mit militärischen Mitteln erfolgen. Das Papier betont wiederholt, dass Deutschland nicht nur eine europäische, sondern eine Weltmacht sei. So heißt es darin:

Deutsche Sicherheitspolitik kann heute … nicht mehr anders als global konzipiert werden … Dazu gehört auch, dass sich eine pragmatische deutsche Sicherheitspolitik – besonders dann, wenn es um aufwändige und längerfristige militärische Einsätze geht – in erster Linie auf das zunehmend instabil werdende europäische Umfeld von Nordafrika über den Mittleren Osten bis Zentralasien konzentrieren muss …

Die Rede ist hier also von aufwändigen und langfristigen Militäreinsätzen in Regionen, die einen beträchtlichen Prozentsatz der Weltoberfläche ausmachen.

Das Papier befasst sich auch mit der innerstaatlichen Dimension des Militarismus, mit der Frage, wie man den Widerstand der Bevölkerung gegen solche Militäreinsätze überwinden kann. An einer Stelle heißt es:

Schließlich wird in Deutschland von Gestaltern wie Experten gern beklagt, es fehle der Gesellschaft an außenpolitischem Verständnis. Aber es liegt an ihnen, das zu ändern … Staatliche Außenpolitik muss deshalb lernen, ihre Ziele und Anliegen effektiver zu kommunizieren, um zu überzeugen – die eigenen Bürger ebenso wie die internationale Öffentlichkeit.[4]

Es ist also kein Zufall, dass sogenannte Alpha-Journalisten, Parteistiftungen, Universitäten und NGOs in das Projekt eingebunden waren. Ihnen fällt die Aufgabe zu, der Öffentlichkeit die neue Politik zu verkaufen. Am Ende des SWP-Papiers werden alle namentlich angeführt, die an seiner Ausarbeitung beteiligt waren. Ich nenne hier nur die Vertreter der Parteien, Journalisten und einige Professoren.

Der Bundestag war mit fünf Abgeordneten dabei: Peter Beyer und Roderich Kiesewetter von der CDU, Dietmar Nietan von der SPD, Omid Nouripour von den Grünen und – was besonders bemerkenswert ist – Stefan Liebich von der Linken. Die Linkspartei war also fest in das Projekt einbezogen. Die Medien waren durch Jochen Bittner von der »Zeit« und Nikolas Busse von der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« vertreten. Von beiden werden wir im Laufe dieses Vortrags noch hören. Auch mehrere Universitäten beteiligten sich an der Ausarbeitung der neuen Strategie. Für die Humboldt-Universität nahm Professor Georg Nolte daran teil. Er ist Völkerrechtler und der Sohn von Ernst Nolte, auf den wir ebenfalls noch zu sprechen kommen.

Eine Schlüsselrolle in dem Projekt spielte Thomas Kleine-Brockhoff. Unter seinem Namen heißt es nur: »The German Marshall Fund of the United States (bis 15.08.2013)«. Was er nach dem 15. August 2013 tat, wird nicht angegeben. Das ist aber wichtig. Er wechselte nämlich als »Leiter Planungsstab und Reden« ins Bundespräsidialamt. Laut einem Bericht der »Zeit« gehen dort sämtliche Reden des Bundespräsidenten über seinen Schreibtisch. Er schreibt also die Reden von Joachim Gauck.

Im »Spiegel« heißt es über Kleine-Brockhoff, er habe »als ›Zeit‹-Korrespondent in Washington jahrelang gegen den antiamerikanischen Zeitgeist angeschrieben«. Gauck teile mit ihm »nicht nur die Sehnsucht nach Amerika, sondern auch den Wunsch nach einer aktiveren Rolle Deutschlands in der Welt«. Mit ihm habe Gauck »endlich einen Berater gefunden, der prägnant formuliert, was Gaucks eigene Überzeugung ist«.[5]

Als Vertreter des German Marshall Fund of the United States war Kleine-Brockhoff für das Papier »Neue Macht. Neue Verantwortung« zuständig. Es bildete offensichtlich die Grundlage für Gaucks Rede. Diese Rede hielt der Bundespräsident zu einem äußerst kritischen Zeitpunkt. Zehn Tage zuvor war der Bundestag neu gewählt worden, die FDP war aus dem Parlament geflogen, und die Verhandlungen über eine neue Regierungskoalition standen kurz bevor. Gaucks Rede und das Papier, auf dem sie beruhte, dienten als außenpolitischer Leitfaden für die Koalitionsverhandlungen, die sich zwei Monate lang hinzogen.

Kaum war die Große Koalition im Amt, hielt der neue Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) eine Rede, die sich teilweise wörtlich mit der Oktoberrede Gaucks deckte. Steinmeier forderte auf der 50. Sicherheitskonferenz in München: »Deutschland muss bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen.« Den Einsatz von Militär bezeichnete er zwar als »äußerstes Mittel«, fügte aber hinzu: »Allerdings darf eine Kultur der Zurückhaltung für Deutschland nicht zu einer Kultur des Heraushaltens werden. Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kom­men­tieren.«[6]

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hielt auf der Sicherheitskonferenz eine ähnliche Rede. Zu den Kriegen in Syrien, Libyen und Afrika sagte sie: »Es liegt auf der Hand: Diese Krisen und Konflikte betreffen uns unmittelbar … Daher ist Abwarten keine Option. Wenn wir über die Mittel und Fähigkeiten verfügen, dann haben wir auch eine Verantwortung, uns zu engagieren.«[7]

Ukraine – die neue Außenpolitik in der Praxis

Die neue außenpolitische Strategie wurde umgehend in die Tat umgesetzt, und zwar in der Ukraine. Ich fasse hier kurz zusammen, wie sich die Krise in der Ukraine entwickelt hat. Die Berichterstattung über dieses Thema ist derart mit Propaganda überfrachtet, dass man leicht den Überblick verliert und vergisst, wie der Konflikt eigentlich begonnen hat.

Am 21. November 2013 gab der damalige ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch bekannt, dass er aus wirtschaftlichen Gründen das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union vorläufig nicht unterzeichnen werde. Über dieses Abkommen war mehrere Jahre lang verhandelt worden. Janukowitsch rechtfertigte seine Entscheidung mit wirtschaftlichen Gründen. Das Land stand kurz vor dem Bankrott. Eine Bedingung des Abkommens lautete, dass sich die Ukraine dem Diktat des Internationalen Währungsfonds unterwirft. Was das bedeutet hätte, zeigt Griechenland. Dort ist der Lebensstandard der Bevölkerung unter dem Spardiktat der sogenannten Troika innerhalb von...

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