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E-Book

Wo wir gerade von belegten Brötchen reden

Die Komödie meines Lebens

AutorJochen Busse
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783843711777
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Grandseigneur des deutschen Kabaretts, Ikone der TV-Unterhaltung, Stammgast auf den Boulevardbühnen - Jochen Busses Weg führt quer durch die Humorlandschaft, gesäumt von großartigen Kollegen, verehrten Frauen und jeder Menge Zufälle. So abwechslungsreich wie seine Karriere, so vielgestaltig ist auch sein Leben, von dem er in diesem Buch erzählt. »Busse ist von jeher Humanist, Bonvivant - und vor allem erstaunt über das, was ihm in der Welt so alles begegnet.« Frankfurter Rundschau

Jochen Busse, geboren am 28. Januar 1941 in Iserlohn, ist deutscher Schauspieler, Kabarettist und Drehbuchautor. Drei Jahre war er im Düsseldorfer Kom(m)ödchen aktiv, von 1976 bis 1991 gehörte er zum Ensemble und Autorenteam der Münchner Lach- und Schießgesellschaft. Ab Ende der 60er Jahre übernahm Busse auch Rollen in Film- und Fernsehproduktionen. U.a. war er Dreh- und Angelpunkt der Sketchreihe 'Nur für Busse', 1994 spielte er mit in der Serie '3 Mann im Bett'. Von 1996 bis 2005 moderierte er die von RTL gesendete Freitagabendshow '7 Tage, 7 Köpfe'. Außerdem spielte er ab 1997 den Amtsrat Krause in der RTL-Serie 'Das Amt' (über 70 Episoden). Im April 2006 wurde er Moderator der Comedy-Talkshow 'Der heiße Brei' auf Sat.1. Seit 2007 tourte er mit Henning Venske und dem Programm 'Legende trifft Urgestein' durch den deutschsprachigen Raum, nach 2009 tourten die beiden mit dem Bühnenprogramm 'Inventur'. Er wurde u.a. mit dem Bambi, dem Deutschen Kleinkunstpreis sowie zwei Mal mit dem Deutschen Comedypreis ausgezeichnet.

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Leseprobe

Fümpf Fennich für ein Eis


Meine Kindheit war geprägt durch die Nachkriegszeit. In Deutschland lag noch alles in Schutt und Asche, wobei meine Stadt selbst kaum von Bomben getroffen worden war. Betroffen waren wir insofern, dass uns die Besatzungstruppen – erst die Amerikaner, dann die Engländer – insgesamt acht Mal umziehen ließen. Und wer den Schwund kennt, den allein schon ein Umzug erzeugt, weiß, wie viel wir am Ende noch besaßen …

Ich war vier, fünf Jahre alt, fand alles ganz doll aufregend und bekam von einem Amerikaner eine Orange geschenkt, die damals noch Apfelsine hieß – und von mir dann auch mitsamt der Schale wie ein Apfel gegessen wurde.

Ich war ein glückliches Schlüsselkind, denn meine Eltern gingen immer wieder hamstern in den Dörfern des Sauerlandes. Manchmal wurde ich mitgenommen, um mit meinem verhungerten Aussehen die weibliche Landbevölkerung mildtätig zu stimmen. Verglichen mit den vielen damals in die Stadt strömenden Flüchtlingen aus Schlesien ging es uns jedoch gut – jedenfalls vom Ansehen her.

Als unterernährtes, noch nicht schulpflichtiges Kind wurde ich zum Aufpäppeln in ein Heim nach Bad Rothenfelde gegeben. Dort war ich dann vier Wochen krank – erst vor Heimweh, danach an meiner Hylusdrüse, was bewirkte, dass ich über viele Jahre anfällig blieb für Erkältungskrankheiten. Unser Kinderarzt prophezeite damals meinen Eltern: »Das wird der Junge sein Leben lang nicht wieder los.« Jahrzehnte später meinte ein kompetenter Pneumologe in Köln: »Das kommt im Alter wieder.« Beide sollten recht behalten. Aber wenn mich zu Lebzeiten weiter nichts plagt als ständig wiederkehrender Husten, soll es mir recht sein.

Nach der Währungsreform machten sich meine Eltern daran, ihre kleinbürgerliche Reputation und den dazugehörenden Besitzstand zu bewahren und zu mehren. Weil beide arbeiteten, schickten sie meinen Bruder und mich tagsüber in ein Kinderheim, das auch als Waisenhaus fungierte. Mein Bruder litt, ich hingegen war ja bereits vorgebildet. Meine Ganztagsbeschäftigung war Liebsein, und bald schon wurde ich von den Schwestern als Gegenleistung gut behandelt, was wahrhaftig nicht allen Kindern zuteilwurde. Genau genommen nur sehr wenigen.

Als meine Mutter schwer erkrankte, mussten mein Bruder und ich nunmehr auch im Heim schlafen. Wie viele solcher Institutionen war das städtische Kinderheim in einer hochherrschaftlichen Villa untergebracht, umgeben von einem gepflegten Park. Da bin ich später auch noch als Schuljunge manchmal hingegangen, einfach nur zum Spielen und auch, weil es dort immer ganz gut zu essen gab – nun ja, vielleicht nicht immer gut, aber dafür reichlich. Zu den Schwestern, Tante Ida und Tante Berta – in Bethel ausgebildete Diakonissinnen, die von den Amerikanern Sonderzuteilungen erhielten –, pflegten meine Eltern ein gutes Verhältnis. So kamen sie an ein bisschen Schokolade und Kekse, die ich zu Ostern 1947 in meiner vom Vater eigenhändig gebastelten Schultüte fand.

Richtig gut erinnern an ein »normales« Leben kann ich mich erst ab den Jahren 1948/49. Damals bekam ich mein erstes Eis – ich schmecke es heute geradezu noch. Da kriegte das Kind für »fümpf Fennich« eine Kugel auf einer runden Pappe. Wenn das Kind die Pappe nicht richtig hielt, rutschte das Eis runter und lag im Dreck.

Seit dieser Zeit bin ich eissüchtig. Ich kann Berge davon vertilgen, und zwar in rekordverdächtigem Tempo. Wenn ich erst einmal damit anfange, höre ich so bald nicht wieder auf. Weil ich als kleiner Junge so dünn war, musste ich immer erst ein Stück Kuchen essen, bevor ich Eis durfte. Damals hatten meine Eltern noch keine Ahnung, wie viele Kalorien in so einer Portion Speiseeis stecken. Hätten sie mich doch lieber gleich Eis essen lassen – wir wären alle glücklicher gewesen.

Viel ist mir von Iserlohn nicht in Erinnerung geblieben. Es ist ja auch nicht gerade eine musische Stadt. Außer dass die Brüder Aloys und Alfons Kontarsky, ein zu ihrer Zeit berühmtes Pianistenduo, das sehr viel Stockhausen uraufgeführt hat, in dieser Stadt geboren und aufgewachsen sind, gibt es von dort nichts Besonderes zu vermelden. Mit Alfons am Flügel habe ich Anfang der 90er Jahre im Parktheater auf der Iserlohner Alexanderhöhe fürs Westdeutsche Fernsehen »Oh du mein schönes Iserlohn« gesungen … Aber ob das zu den Highlights der Stadtgeschichte zählt?

Wenn ich heute in meiner Heimatstadt gastiere – was überhaupt erst in letzter Zeit häufiger vorkommt –, ziert jedes Mal ein »Ausverkauft« die Plakate. Aber die wenigsten Leute dort wissen, dass ich aus ihrer Stadt stamme. So treffen mich dort nicht selten verwunderte Blicke:

»Was machen Sie denn bei uns in Iserlohn auf dem Friedhof?«

»Ich besuche hier meine Mutter.«

»Ja, nee … wieso das denn?«

Ich gehöre halt nicht zum Stadtbild. Der Kulturamtsleiter und die Zeitung, der Iserlohner Kreisanzeiger mit seinem tüchtigen Chefredakteur, sowie ein paar noch lebende Spiel- und Schulkameraden sprechen vom »Sohn unserer Stadt« – in der ich trotz hinreichend belegter Begabung zum Glück nie ganz zu Hause gewesen bin. Dabei spielt vermutlich auch die Tatsache eine Rolle, dass meine Eltern in Iserlohn, wie sie meinten, wirtschaftlich und gesellschaftlich gescheitert sind.

Der Kuckuck auf dem Teppich


Meine Eltern haben das Haus, das mein Vater Anfang der 50er Jahre gebaut hat, im Jahr 1963 mit ziemlichen Verlusten und unter großen Schmerzen verkaufen müssen. Für meine Mutter ging damit das letzte Symbol ihres gesellschaftlichen Ansehens in der Stadt verloren. Mein Vater erlitt bald darauf einen Schlaganfall und saß fortan im Rollstuhl. Das Haus ging plus minus null auf in Schulden, und meine Eltern zogen in eine Sozialwohnung, was für sie den endgültigen sozialen Absturz bedeutete.

Mein Vater war nie ein begabter Geschäftsmann gewesen, aber er sah sich als anständigen Menschen. Er hat nicht versucht, sich aus den Schulden herauszumogeln, denn nach bürgerlichem Recht war er nun einmal alleinhaftender Inhaber der Firma und hatte als solcher für deren Schulden aufzukommen. Die Firma hatte in ihren besten Tagen 40 Beschäftigte und einen stattlichen Jahresumsatz, der sich allerdings von Jahr zu Jahr verringerte. Die immer größeren finanziellen Löcher wurden mit dem ererbten Privatvermögen gestopft. Das ging so lange gut, bis kein Vermögen mehr da war. Am Ende musste mein Vater auch die drei letzten verbliebenen Mitarbeiter entlassen und alle Maschinen verkaufen.

Was aber hatte zu dieser Pleite geführt? Über Jahre hinweg hatten meine Eltern ihre wirtschaftliche Situation ignoriert; sie hatten sie sich schöngeredet. Und wohin hat ihre Lebenslüge meine Eltern gebracht? Das habe ich mich damals schon als pubertierender Heranwachsender gefragt. Es sollte das Thema meines Lebens werden. Die Lebenslüge wurde zum wesentlichen Kern aller meiner Rollen, ob im Fernsehen oder in sämtlichen Komödien auf der Bühne. Wie die Lebenslüge verzweifelt aufrechterhalten und letztendlich doch entlarvt wird, ist Gegenstand aller Komik.

Zu einem kleinen bürgerlichen Trauerspiel allerdings wurde sie in meiner Familie. Einer ihrer Kernsätze lautete: »Wenn die damals nicht den Scheiß-Kunststoff erfunden hätten, dann hätten wir weiter von unseren ringlosen Vorhanggarnituren gut leben können. Unsere waren die besten, weil unsere Qualität die beste ist.« So klang das Standard-Lamento meines Vaters.

Zweifellos, unsere Messing- und Aluminiumschienen waren von hoher Qualität, genau wie die dazugehörigen Rollringe. Darauf hatte mein Vater großen Wert gelegt. Das war solide produziert, mit erstklassigen Maschinen und gutem Draht. »Alles ausse Gegend«, wie mein Vater zu sagen pflegte. Die Region um Iserlohn war die Heimat vieler kleiner erstklassiger Drahtziehereien, die dem Umland großen Wohlstand bescherten. Sauerländer »Drahtzöger«, wie sie sich nannten, waren durchwegs stillreich, das heißt, sie machten kein Wesen von dem, was sie besaßen. Und sie produzierten Qualität.

Aber Qualität erweist sich durch Haltbarkeit. Und was nicht kaputt geht, muss auch nicht ersetzt werden. Wer sich in der Zeit des Wiederaufbaus das von uns gefertigte Dekorationszubehör für seine Fenster anschaffte, hatte für die nächsten zwei Jahrzehnte seine Ruhe. Das aber bedeutete, dass die Aufträge mit der Zeit nachließen und die Firma langsam, aber sicher den Baarbach runterging (so heißt das Flüsschen, an dem Iserlohn liegt) – was unter beinahe lächerlichen Anstrengungen meiner Mutter auf keinen Fall in unserer Stadt bekannt werden durfte. Ein wirtschaftlicher Misserfolg galt nun mal als persönliches Versagen.

Kein Wunder also, dass ich fast mein ganzes Leben lang von Existenzangst geplagt wurde. Als ich zwölf war, zeichnete sich ab, dass mein Vater diesen Laden nicht mehr hochbringen würde. Das kriegte ich alles mit, denn ich wurde von meiner Mutter, die keinen anderen Gesprächspartner für ihre Sorgen hatte, in das ganze Desaster direkt miteinbezogen. Ich war in dieser Situation quasi ihre einzige Bezugsperson. Mit meinem Vater war nicht zu reden – er wollte das alles nicht wahrhaben, sagte immer wieder, dass sie nichts davon verstehe, setzte sich in den Sessel (den ich heute noch besitze), nahm die Zeitung und war nicht mehr ansprechbar. Meine Mutter machte dann stets einen Rückzieher, war beleidigt, trug ihre Sorgen mit sich herum, und wenn ich in den Ferien zu Hause war, wurde im Erker unseres Wohnzimmers beim nachmittäglichen Kaffee alles mit allen denkbaren...

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