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Wörterbuch der Philosophie

Vollständige Ausgabe

AutorFritz Mauthner
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl1288 Seiten
ISBN9783849618353
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Ein umfassendes und grundlegendes Werk mit Definitionen der wichtigen philosophischen Begriffe und einer Kritik der Sprache.

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Leseprobe

VIII.

 

Redensarten und Sprichwörter, Anekdoten und selbst historische Lebensläufe, Fabeln und Legenden, Volkslieder und Novellen, Religionen und Wissenschaften, unser gesamtes geistiges Eigentum ist nicht autochthon, ist nicht national, wandert durch die Jahrhunderte und die Jahrtausende von Volk zu Volk. Nur die Sprache eines Volkes, die doch nichts weiter ist als die Vorratskammer der wandernden Erbweisheit, soll national, soll autochthon sein. Ausnahmsweise, wenn Entlehnung oder Lehnübersetzung gar nicht zu übersehen ist, wird die Tatsache zugegeben; sonst aber redet die Wissenschaft, blind und taub, von einer Verwandtschaft, wo nur immer eine Ähnlichkeit vorliegt oder vorzuliegen scheint. Und doch würden in allen Wörtern einer Sprache, wenn man sie nur weit genug zurückverfolgen könnte, Niederschläge von Redensarten und Sprichwörtern, von Fabeln und Anekdoten nachzuweisen sein, und wo das nicht der Fall wäre, zum mindesten Rückstände von alten Kenntnissen und alten Religionen, von altem Glauben also. Und doch ist eine Sprache in der psychologischen Wirklichkeit des allein sprechenden Individuums nichts weiter als das bereite Gedächtnis für die zugewanderten Erfahrungen der Menschheit.

 

Wie wandernde Menschen entweder ihr heimatliches Kleid in der Fremde beibehalten oder das fremde Kleid anlegen, so geht es auch den wandernden Worten; sie kommen in großen Scharen bald als Entlehnungen, bald als Lehnübersetzungen von einem Volke zum andern3. Die Entlehnungen lassen sich in drei Klassen einteilen; die erste Klasse umfaßt die Wörter, die zu der Wirtsprache ganz und gar übergegangen sind, so daß nur gelehrte Forschung die Herkunft noch erraten kann, übrigens, wie gesagt, lieber von Verwandtschaft redet als Entlehnung zugibt; als Lehnwörter anerkannt sind bei uns aus dieser Klasse z.B.: Kirsche, Pech, Ziegel. Der zweiten Klasse gehören die Worte an, die ganz volkstümlich geworden sind, aber irgendwie die ausländische Herkunft erkennen lassen, wie z.B.: Form, Chaussee, Sauce. Der dritten Klasse gehört die stattliche Zahl der technischen Ausdrücke an, die aus den Sprachen der Wissenschaften und Künste noch nicht in die Gemeinsprache übergegangen sind; die meisten philosophischen Lehnwörter gehören hierher. Überall gibt es Übergänge zwischen diesen drei Klassen; auch die Begriffe Fremdwort und Lehnwort sind nicht scharf zu unterscheiden. Wäre es mir um klassifikatorische Arbeit zu tun, so könnte ich auch unter den Lehnübersetzungen viele Gruppen unterscheiden, je nachdem das Modellwort Silbe für Silbe übersetzt worden ist oder mit geringerer, mit größerer Freiheit; es wäre nicht schwer, die Lehnübersetzungen der Philosophie zu solchen Gruppen zu ordnen.

 

Mir aber handelt es sich darum, im bewußten Gegensatze zu der gegenwärtigen Sprachwissenschaft, die ungeheure Menge des Lehngutes vor Augen zu führen, und darum will ich jetzt daran gehen, eine kleine und beinahe flüchtige Sammlung von Lehnübersetzungen aus den beiden Kultursprachen vorzuführen, mit denen wir es in den Wortgeschichten der Philosophie zumeist zu tun haben werden: aus dem Lateinischen und aus dem Deutschen. Eine Aufzählung von Fremd- und Lehnwörtern beider Sprachen ist ja wohl nicht nötig; für die deutsche Sprache geben die Fremdwörterbücher eine genügende Vorstellung von der Masse des Lehngutes; und für die lateinische Sprache hat nach den Vorarbeiten von Curtius, Corssen und Saalfeld der fleißige Weise (in seiner Preisschrift »Die griechischen Wörter im Latein«) Fremd- und Lehnwörter gesammelt. Zu den Entlehnungen gehören aber auch die Lehnübersetzungen, und von diesen ist viel zu wenig die Rede; auch von ihnen Jedoch gilt das Wort Hehns: »Viel entlehnt, viel gelernt«. Meine eigenen beiden kleinen Sammlungen sollen natürlich nur anregen, die Untersuchung weiter zu führen.

 

Für das Latein soll auch hier der Satz des Horatius nicht fehlen, der immer zitiert wird, wenn von Entlehnungen die Rede ist: Graecia capta ferum victorem cepit et artes intulit agresti Latio. Weise hat, trotzdem auch er natürlich sehr viele Ähnlichkeiten aus Urverwandtschaft erklärt, gegen 4000 griechische Fremd-und Lehnwörter im Latein gefunden. Von der erstaunlichen Menge der Lehnübersetzungen wird man sich nun eine Vorstellung machen können, wenn ich mich nur auf den Buchstaben A beschränke, um von der Menge der Lehnübersetzungen aus dem Griechischen eine Probe zu geben; die methodische Arbeit eines Fachmannes würde kaum weniger als 4000 Lehnübersetzungen aus dem Griechischen nachweisen können. Bei einigen Beispielen habe ich gleich angedeutet, daß das entsprechend.; deutsche Wort wieder eine Lehnübersetzung aus dem Lateinischen ist. Hier meine Probe:

 

abaclio = exelasis, apelasis (abactor, der Viehdieb, auch abigeus = apelatês); abigere partum = deutsch: abtreiben,

 

abjunctum = (lexis) dialelymenê, die knappe Redeweise;

 

abludere = apadein, nicht stimmen;

 

abnormitas = arrhythmia, das Unverhältnismäßige;

 

abnuere = aponeuein, abwinken;

 

abscondere = apokryptein, in der Schiffersprache: aus dem Gesichte verlieren;

 

abstractio = aphairesis(Cicero macht, ad Att. 6. I, den Scherz: Cato ex aphaireseôs provinciam curavit, C. behandelte die Provinz mit abstrakter Nahrung);

 

abundantia = plêsmonê (Überfüllung des Magens);

 

abusio = katachrêsis = Mißbrauch, term. techn. der Rhetorik;

 

accentus = prosôdia (= Betonung) von accinere; auch das Zeichen der Betonung;

 

acceptio = hypolêpsis, term. t. der Rhetorik: Annahme eines Satzes;

 

accidens, frei nach symbainein (aber beeinflußt von prospiptein) = to symbebêkos; Zufall; sodann genau = symptôma, franz. accident, der Unfall, im 18. Jahrh. der Zufall;

 

acclamatio, als term. techn. der Rhetorik, dann wohl auch gemeinsprachlich = epiphônêma

 

accubitum = anaklintêsion, Ruhebank, Lehnstuhl;

 

accusativus, casus = hê aitiatikê, scil. ptôsis, falsch oder volksetym. übersetzt;

 

acer, metaphorisch oft als Übersetzung von oxys;

 

acervalis (von acervus) genau = sôreitês (von sôros), der Häufelschluß in der Logik, ein Trugschluß;

 

acetabulum, frei nach oxybaphon, die Sauciere (ein Essignäpfchen, zum Eintauchen der Bissen); sodann Lehnübersetzung I. für ein Hohlmaß, 2. für ein Musikinstrument;

 

acredula (von acer-cris) = ololylôn, ein Tier mit einer scharfen Stimme; Käuzchen oder Grille?

 

acroterium, Lehnwort aus akrôtêrion, in der Bedeutung Vorgebirge des Hafens, Landspitze, durch promunturium übersetzt (eig. von prominere, wovon engl. prominent), das wieder an mons angelehnt zu promontorium wurde (franz. promontoire), deutsche Lehnübersetzung Vorgebirge;

 

acupedius, = oxypous, schnellfüßig; acutiangulum= oxygônion, spitzer Winkel; überhaupt acutus oft für oxys:

 

acyrologia, Fremdwort (akyrologia); aber puristisch durch improprium (dictio impropria) wiedergegeben; die Genauigkeit der Übersetzung ergibt sich aus kyriôs = proprie, onoma kyrion = nomen proprium = Eigenname;

 

addubitatio frei= diaporêsis;

 

adductor = prosagôgeus, Kuppler, Zuführer;

 

adiuventio = pareuresis, die Erfindung einer Notlüge, einer Ausflucht;

 

adunatio = henôsis;

 

adurere, besonders von Frostschaden = apokaiein;

 

...
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