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Wütendes Wetter

Auf der Suche nach den Schuldigen für Hitzewellen, Hochwasser und Stürme | Gewinnerin des deutschen Umweltpreises 2023

AutorBenjamin von Brackel, Friederike Otto
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783843720908
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Hitze, wie wir sie aus fernen Urlaubsregionen kannten, sintflutartiger Starkregen, verheerende Stürme: Ist das schon Klimawandel - oder immer noch 'nur' Wetter? Die Physikerin Friederike Otto hat die Attribution Science mitentwickelt. Mittels dieser revolutionären Methode kann sie genau berechnen, wann der Klimawandel im Spiel ist. War eine Katastrophe wie Harvey menschengemacht? Ist eine Dürreperiode Folge der globalen Erwärmung oder nur ein heißer Sommer, wie es ihn schon immer gab? Die Zahlen belegen: Eine Hitzewelle wie in Deutschland 2018 ist durch den Klimawandel mindestens doppelt so wahrscheinlich geworden wie früher. Man kann konkrete Verursacher für Wetterphänomene haftbar machen - Unternehmen, ja ganze Länder können jetzt vor Gericht gebracht werden. Und es wird verhindert, dass der Klimawandel weiter als Argument missbraucht wird: Politiker können sich nicht mehr auf ihn berufen, um Missmanagement und eigenes Versagen zu vertuschen. Dieses Buch bringt Klarheit in eine erhitzte Debatte.

Friederike Otto, geb. 1982 in Kiel, ist Klimaforscherin, Physikerin und promovierte Philosophin. Am Grantham Institute for Climate Change des renomierten Imperial College London forscht sie zu Extremwetter und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft und hat das neue Feld der Zuordnungswissenschaft (Attribution Science) mitentwickelt. Sie zählt zu einer Handvoll Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weltweit, die in Echtzeit berechnen können, wie viel Klimawandel in unserem Wetter steckt. 2021 gehörte sie laut TIME Magazine zu den 100 einflussreichsten Menschen weltweit. 2023 erhält sie den Deutschen Umweltpreis.

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Leseprobe

Prolog: Das neue Wetter


Wir sind die erste Generation, die ein anderes Wetter erlebt. Wetter, das sich spürbar von dem unterscheidet, was noch unsere Großeltern und deren Großeltern kannten sowie deren Großeltern und so fort.

Während meiner Lebenszeit hat sich die Temperatur auf der Erde um etwa 0,6 Grad erhöht. Und damit hat sich auch in unserem Wetter etwas Grundlegendes verändert. Dieses Etwas ist nicht mit einem großen Knall in unser Leben getreten, sondern hat sich ähnlich wie eine schlechte Angewohnheit oder ein Körperleiden langsam eingeschlichen. Daher stellte sich – zumindest hier in Europa – bislang nicht viel mehr als ein vages Unbehagen ein.

Unbehagen angesichts von Hitze, wie wir sie nur aus fernen Regionen kannten, von sintflutartigem Regen, der unsere Straßen und unsere Keller überflutet, und von Stürmen, die mächtige Bäume entwurzeln und den Zugverkehr lahmlegen. Etwas hatte sich verschoben im Wettergefüge. Im Sommer 2018 verstärkte sich das Unbehagen: die beständige Hitze, die gnadenlose Dürre und die Klagen der Bäuer*innen über Ernteausfälle, dazu die vergebliche Hoffnung auf eine Abkühlung, die einfach nicht kommen wollte … Vielen, die unter der Hitze litten, kam da der Gedanke, dass der Klimawandel womöglich nicht erst in ferner Zukunft drohte, sondern bereits hier und jetzt seine Auswirkungen zeigte.

Diese Erfahrung machten die Deutschen nicht alleine. Schlimmer noch erging es Hunderten von Japaner*innen, die Anfang Juli 2018 nach schweren Regenfällen und Überflutungen auf ihren Dächern festsaßen. Oder den Griech*innen: Die berühmte Marathon-Avenue im Osten Athens war nach den Waldbränden Ende Juli gesäumt von ausgebrannten Autowracks, verkohlten Bäumen und fensterlosen Ruinen. Später fand man eng umschlungene Menschen, die sich nicht mehr retten konnten, während andere vor der Feuerwalze ins Meer geflohen waren, wobei sechs von ihnen ertranken. Extremes Wetter verheerte schon ein Jahr zuvor Barbuda: Die Karibikinsel wurde im September 2017 vom Wirbelsturm Irma komplett zerstört, die gesamte Bevölkerung musste auf die Nachbarinsel evakuiert werden.

»Ich glaube, es ist kein Zufall, dass wir in dieser Zeit die stärksten Wirbelstürme in der Welt erlebt haben«, erklärte der Klimawissenschaftler Michael Mann von der Pennsylvania State University im September 2017.[1] Er bezog sich dabei auf Patricia über dem Pazifik (2015), Winston in der südlichen Hemisphäre (2016) und Irma über dem Atlantik (2017).

Dennoch fragten wiederum nicht wenige: Hat es extremes Wetter nicht immer schon gegeben? Unsere Wahrnehmung und Erinnerung verzerren sich bekanntlich im Lauf des Lebens. Auch schaffte es vor 30 Jahren eher der Orkan über der norddeutschen Tiefebene oder die Überflutung der Elbe ins Fernsehen, nur selten aber die Überschwemmung in Bang­ladesch oder die Hitzewelle in Kenia. In unserer vernetzten Welt von heute hingegen dringen die Katastrophenmeldungen noch aus dem letzten Winkel der Erde zu uns. Trügt also unser Gefühl, dass das Wetter extremer geworden ist?

Die Antwort lautet in vielen Fällen: Nein, es trügt uns nicht. Denn wir Menschen haben die Rahmenbedingungen für unser Wetter verändert. Jedes Wettergeschehen – ein Hurrikan genauso wie ein leichter Sommerregen – findet heute unter anderen Umweltbedingungen statt als noch vor 250 Jahren. Das bedeutet: Der Klimawandel ist kein Phänomen, das nur die Bevölkerung in den sogenannten Entwicklungsländern betrifft oder mit dem sich irgendwann unsere Töchter und Söhne und deren Töchter und Söhne herumschlagen müssen, sondern er zeigt uns allen bereits sein Gesicht, und zwar durch das Wetter.

Das Trügerische ist, dass sich gar nicht so einfach unterscheiden lässt, ob ein Sturm über Deutschland nur ein »normaler« Wintersturm ist und wir einfach Pech hatten – oder ob wir einen Sturm, wie wir ihn bislang nur alle 100 oder 1000 Jahre erlebt haben, auf einmal viel häufiger zu spüren bekommen. Denn der Klimawandel, den wir in Gang gesetzt haben, kann nicht für jedes einzelne Wetterereignis verantwortlich gemacht werden, auch wenn das die Schlagzeilen in den Zeitungen oft nahelegen. Die korrekte Antwort auf die Frage, ob das Wetter extremer geworden ist, lautet also: in vielen Fällen ja – aber eben nicht immer und unter allen Umständen.

Um herauszufinden, ob der Mensch seine Finger mit im Spiel hatte, braucht es wissenschaftliche Arbeit, und zwar die unseres »World Weather Attribution«-Teams. Als wir, eine Handvoll Wissenschaftler*innen, das Projekt im Jahr 2014 gründeten, kam das einer Revolution in der Klimawissenschaft gleich. Was wir machen: Wir rekonstruieren den Hergang eines Extremereignisses, indem wir Wetterdaten auswerten und mit Wettersimulationen unserer Computermodelle vergleichen. Damit schaffen wir innerhalb weniger Tage oder Wochen, was viele Jahre unmöglich schien: einzelne Wetterereignisse dem Klimawandel zuzuordnen – oder auch das Gegenteil zu belegen, nämlich dass der Klimawandel an einem konkreten Ereignis gar nicht beteiligt ist. Deshalb nennt sich unser neues Forschungsfeld Zuordnungswissenschaft (Event Attribution Science). Wir reden also nicht mehr nur über allgemeine Klimaprozesse in Zeiträumen von 30 Jahren, wie es Klimaforscher*innen bisher üblicherweise getan haben, sondern über das, was uns hier und jetzt betrifft.

Über das aktuelle Wetter zu reden – das war unter Wissenschaftler*innen tatsächlich lange verpönt. Mit unserem Projekt können wir diese Leerstelle füllen, denn zum ersten Mal in der Geschichte verfügen wir über die Mittel, um belastbare Aussagen über einzelne Wetterereignisse zu treffen. Damit stellen wir die Klimawissenschaft gewissermaßen vom Kopf auf die Füße – auch wenn wir wissen, dass wir damit bei manchen Kolleg*innen anecken. Was uns antreibt? Wir wollen das Unbehagen und das diffuse Bauchgefühl über die Ursachen des Wetters durch konkrete Fakten ersetzen. Das hat vor uns – in dieser Schnelligkeit – noch keiner gemacht.

Zwar haben die Medien angesichts der Aussicht auf gute Quoten schon immer unmittelbar und ausführlich über Stürme, Überschwemmungen und Hitzewellen berichtet – allerdings fast nur über das Ereignis selbst sowie dessen Folgen. Selten fanden sich in der Berichterstattung Hinweise darauf, dass das Wetterereignis für die Jahreszeit oder Region ungewöhnlich war. Und die Zeitungen erwähnten meist nicht, in welchem Gebiet genau der Regen fiel, der die Überschwemmungen auslöste, oder ob es sich um ein meteorologisch extremes und damit seltenes Ereignis handelte. Vielleicht war gar nicht der Regen selbst, sondern waren nur seine Auswirkungen ungewöhnlich dramatisch?

Das Wetter – es wurde (und wird) hingenommen, als wäre es von Gött*innen gegeben. Längst schon wissen wir, dass das nicht der Fall ist. Das Wetter ist heute ein anderes, weil wir Menschen das Klima verändert haben. Im Meinungswirrwarr der Interessen und Ideologien geht diese Tatsache allerdings oft unter. Im Prinzip kann jeder behaupten, was er will: Klimaskeptiker*innen, Vertreter*innen der Energiewirtschaft und ihre Unterstützer*innen in der Politik tun Stürme als Launen der Natur ab. Nach dem Motto: Mistwetter hat es schon immer gegeben. Solange Unklarheit herrscht, lassen sich die Förderung und Verbrennung von Kohle, Öl und Gas kaum eindeutig mit dem Wetter in Verbindung bringen. Andere – darunter viele Evangelikale in den USA – betrachten die Wirbelstürme als Akte Gottes: als Strafen für weltliche Verfehlungen, die wir erdulden müssen. Wieder andere sehen im Klimawandel den Alleinschuldigen. Dazu zählen nicht selten Umweltaktivist*innen und Wissenschaftler*innen, die zunächst einmal Gutes wollen, nämlich einen Weckruf aussenden, um der schläfrigen Menschheit die Gefahren des Klimawandels drastisch vor Augen zu führen. Doch vom Weckruf zum Alarmismus ist es bekanntlich nicht weit. In das gleiche Horn wie die engagierten Überzeugungstäter*innen blasen auch Politiker*innen, die sich hinter dem Klimawandel verstecken, wenn mangelnde und falsche Planung aus einem Wetterereignis erst eine Katastrophe gemacht hat. Ihr Motto wiederum lautet: Seht her, wir können leider gar nichts tun, es liegt alles am Klimawandel.

Keine dieser Aussagen beruht auf Fakten. Letztere herauszufinden ist der Job unserer neuen Wissenschaft. Viele Male haben wir in den vergangenen vier Jahren mithilfe einer neuen Methode aufgedeckt, ob und wie stark sich der Klimawandel in unserem Wetter offenbart – in Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen. Unser Ziel: die Klimawissenschaft aus der Zukunft in die Gegenwart zu holen.

Geht alles glatt, können wir innerhalb einer Woche den Anteil des Klimawandels an einem Wetterereignis berechnen, und zwar noch während die Medien darüber berichten. Wir agieren also in Echtzeit, und das ist wichtig. Denn nur so können wir die Debatte beeinflussen und den Menschen ein Gefühl dafür geben, dass der Klimawandel kein Phänomen der Zukunft ist, sondern sich schon heute abspielt – vor unseren Augen und in unseren...

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