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Zeit

Eine Kulturgeschichte

AutorAlexander Demandt
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl400 Seiten
ISBN9783843709460
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Die Zeit vergeht im Fluge, doch tat sie das immer schon? Welche Zeitvorstellungen begleiteten die alten Griechen und Römer durch den Tag? Welchen Begriff hatten sie von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft? Und wie beeinflusst ihr Zeitmaß noch heute unseren Alltag? Der Althistoriker Alexander Demandt zählt zu den wenigen seines Faches, die zugleich unterhaltsam und lehrreich zu schreiben wissen. In der ihm eigenen kurzweiligen Art bringt er uns eine Zeit nahe, die im wahrsten Sinne des Wortes ganz anders tickte als unsere. Was wir schon immer über die Zeit wissen wollten: Demandt gibt beredte Auskunft. Warum beginnt das Jahr am 1. Januar? Weshalb ist der September nicht der siebte (septem), sondern der neunte Monat? Warum fällt der Schalttag auf den 29. Februar und nicht auf den 32. Dezember? Wann wurde der Sonntag zum Ruhetag? Woher stammen die Namen unserer Wochentage? Seit wann gibt es unsere Zeitrechnung? Anhand vielfältiger Beispiele aus der antiken Überlieferung entwirft Demandt eine Kulturgeschichte der Zeit und schlägt den Bogen bis zur Gegenwart, die mehr denn je vom Takt der Zeit geprägt ist. Eine ebenso unterhaltsame wie anregende Zeitreise.

Alexander Demandt, geboren 1937 in Marburg, von 1974 bis 2005 Althistoriker und Kulturwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Zu seinem umfangreichen Werk gehören Bücher über das Römische Reich, über Wissenschafts- und Kulturgeschichte. Zuletzt erschienen bei Propyläen »Zeit«, »Über die Deutschen. Eine kleine Kulturgeschichte« und »Es hätte auch anders kommen können. Wendepunkte deutscher Geschichte«.

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Leseprobe

II. Zeitsymbole und Zeitgötter

Alles Vergängliche
Ist nur ein Gleichnis.

Goethe

a. Antike Personifikationen b. Chronos und Kronos c. Aion und andere Zeitgötter d. Der Kairos e. Tag und Nacht f. Die Horen g. Janus und Terminus h. Klio die Muse i. Sonne, Mond und Tierkreiszeichen j. Zervan und Mithras k. Phönix aus der Asche l. Schlange, die sich selbst verschlingt m. Baum aus Holz oder Metall n. Spiel am Schachbrett o. Spindel und Faden p. Bausymbole für Zeit q. Stundenglas und Knochenmann r. Gottes Mühlen s. Das Rad der Wiedergeburten t. Das Glücksrad der Fortuna u. Die Töpferscheibe v. Das Wagenrad mit Speichen w. Die Sonnenpferde der Zeit x. Zeit als Person y. Zeit als Sache z. Der faule Fischer

a. Um die Zeit nicht bloß hinnehmen zu müssen, sondern sie auch handhaben zu können, verwenden wir für sie als ganze, für ihre Teile und Aspekte: Begriffe und Zahlen. Da diese aber abstrakt bleiben, hat man schon früh für sie konkrete Symbole gebraucht, Zeit zum Anfassen geschaffen. Es gibt Gegenstände oder Lebewesen, die bestimmte Wesenszüge der Zeit veranschaulichen. Hier handelt es sich nicht um Sprachbilder in der Art von Metaphern, sondern um dinglich dargestellte, sichtbar darstellbare Figuren, auch wenn uns diese meist nur literarisch vor Augen geführt werden. Sie erscheinen auf Kunstwerken aller Art, vielfach auf älteren Grabsteinen, und verbildlichen mit der Zeit die Vergänglichkeit und die Ewigkeit.

Griechen und Römer liebten es, komplexe und abstrakte Begriffe als Personen, meist als Frauen darzustellen. Wir finden bei ihnen Personifizierungen von Tugenden und Lastern, Künsten und Wissenschaften, von Ortsbegriffen wie Städten und Ländern, weiterhin von allen Zeiteinheiten und von der Zeit als solcher. Man vermenschlichte das Jahr und die Jahreszeiten, die fünfjährige Penteteris und die Monate, den Tag und die Nacht, den Morgen und den Abend. Ptolemaios II Philadelphos hat sie alle im Winter 271 v. Chr. auftreten lassen, als er am Dionysosfest zu Ehren seiner Eltern in Alexandria den größten Festzug aller Zeiten veranstaltete.16 Das Jahr erschien als ein über sechs Ellen großer Mann in tragischer Maske mit dem goldenen Füllhorn der Amalthea-Ziege, die einst Zeus ernährte. Es folgten die goldgeschmückte Jungfrau Penteteris mit den Horen und die übrigen Zeitbegriffe in persona. Antiochos IV hat dies 166 v. Chr. bei seinem Festzug in Antiochia nachgemacht.17 Ein Rätsel, das dem Kleobul aus Lindos, einem der Sieben Weisen, zugeschrieben wurde, lautet in Prosa: »Ein Vater hatte zwölf Kinder und zweimal dreißig Enkelinnen, jeweils eine weiß- und eine schwarzhaarige. Sie sind unsterblich, aber sterben täglich.«18 Der Vater ist das Jahr.

b. Für die Zeit als solche gibt es Symbole aus der Götterwelt, aus dem Tier- und Pflanzenreich und in der Form von Geräten. Die Zeit in Menschengestalt, der personifizierte Chronos, findet als der Weiseste bei Thales19 alles heraus und ist bei Pindar (Ol. II 17) der Vater aller Dinge, der alle glückseligen Götter übertrifft.20 Er bringt »vorausschreitend« alles ans Licht (Ol. X 55). Bei Sophokles sieht und hört er auch alles, die Wahrheit ist seine Tochter. Die Übersetzung bei Gellius (XII 11,7) veritas temporis filia wird nicht erst von Arno Borst (1969, 34) im Sinne des historischen Relativismus mißverstanden. Schon Leonardo deutete das um.21 Gemeint ist nicht: Die Wahrheit ändert sich mit der Zeit, sondern: Die Wahrheit tritt mit der Zeit zutage. Plutarch (Moralia 266 E) bestätigt das, indem er Chronos volksetymologisch mit dem Gott Kronos, dem römischen Saturn, gleichsetzt und ihn zum »Vater der Wahrheit« erhebt. Die Verknüpfung von Chronos mit Kronos ist alt, sie finden wir schon bei dem Vorsokratiker Pherekydes von Syros im 6. Jahrhundert v. Chr. (VS. 7, B 1).

Untermauert wurde diese Gleichsetzung durch die Erzählung in der Theogonie Hesiods (453 ff), daß Kronos seine eigenen Kinder verschlungen habe, mit Ausnahme des Zeus, weil die Mutter statt seiner dem Kronos einen in Windeln gewickelten Stein gegeben habe. Den habe Kronos später wieder ausgespien. Pausanias (X 24,6) sah ihn in Delphi. Lydos (De mensibus I 1) erklärt: Kronos symbolisiert zu Recht die Zeit, die alles hervorbringt und alles wieder vernichtet. Bei Isidor (VIII 11,31) sind das die Jahre. Varro bezog den Wechsel auf den Jahreslauf der Feldfrucht, die im nächsten Frühjahr wieder aufkeimt, so wie Kronos seine Kinder wieder ausgespuckt haben soll. Bei Augustinus (CD. VII 19) gibt und nimmt die Erde ihre Güter. Saturn erscheint als geflügelter Sensenmann, ein Kind verschlingend, auf einer Barockmedaille mit der Umschrift edo ut edam, »Ich bringe hervor, um aufzufressen«. Diese paradoxe Doppelfunktion beschreibt ein Epigramm der Anthologia Graeca (IX 499): Chronos ist unsichtbar, doch macht er Unsichtbares sichtbar und wiederum Sichtbares unsichtbar.

c. Ein Sohn des Chronos ist Aion, so bei Euripides in den ›Herakliden‹ (900). Das Wort bedeutet ursprünglich Lebenskraft, Lebenszeit (s. XII z) und wurde früh personifiziert. Heraklit (VS. 22 B 52) sah in Aion ein Kind. Er bezeichnet die Welt als Königsherrschaft des Knaben Aion, der das Weltgeschehen zu seiner Unterhaltung wie ein Brettspiel betreibt. Heraklit selbst würfelte mit den Kindern im Hof des Artemis-Tempels von Ephesus und erklärte seinen Landsleuten, das sei sinnvoller, als mit ihnen Politik zu machen.22 Bei Pindar (Isthmien 8,14) hängt Aion die Zeit den Männern auf dem Rücken und krümmt ihre Lebensbahn. Im Hellenismus begegnet uns Aion als Verwandter des persischen Zeitgottes Zervan und als Schutzgott von Alexandria, dessen Geburt durch eine Jungfrau am Jahresanfang, in der Nacht zum 6. Januar in die Vorgeschichte des Weihnachtsfestes gehört (s. XI t). Der Neuplatoniker Heraiskos aus dem späten 5. Jahrhundert n. Chr. bezeugt, daß die Alexandriner Aion mit Osiris und Adonis gleichsetzten und in Mysterien verehrten.23 Noch lebten die alten Kulte. Der spätantike Dichter Nonnos, später Bischof in Panopolis in Ägypten, läßt im 7. Gesang seines Epos ›Dionysiaka‹ aus dem frühen 5. Jahrhundert n. Chr. den alten, grauhaarigen Aion den Zeus bitten, etwas für die leidende Menschheit zu tun. Und der Göttervater gibt nach. Er zeugt mit Semele den Dionysos, der den Menschen den Wein bringt, zum Beispiel meinen Weißherbst Saulheimer Domherr von 2013.

1   Aion-Chronos, Zeitgott des Mithras-Kultes auf der Himmelskugel mit dem Zodiakus, 1,20 m hoch, römisch, 3. Jh. n. Chr., Florenz (zu II c).

Statuen und Reliefs zeigen Aion als nackten Jüngling, von einer Schlange umwunden und mit verschiedenen Symbolen variabel angereichert (s. Bild 1): mit einem Strahlenkranz oder einem Löwenhaupt, mit Flügeln und Fackeln, mit Sonne und Mond im Hintergrund, umrahmt von den Tierkreiszeichen und den Winden in den Ecken.24 In Alexandria verschmolz Aion mit Sol und dem Allgott Sarapis, dessen Statue Macrobius (I 20,13 ff) beschreibt. Sie trägt, von einer Schlange umwunden, als Zeitsymbole drei Köpfe: den eines Löwen für die Gegenwart, den eines Wolfes für die Vergangenheit und den eines Hundes für die Zukunft. Monströse Mischwesen dieser Art haben im Orient eine lange Tradition.

Löwe und Schlange erscheinen ebenfalls in der Ikonographie von Phanes, dem kosmischen Urgott der Orphiker. Goldene Flügel verbildlichen seine Allgegenwart.25 Er entstand als der Erstgeborene, prōtogonos, aus dem Welt-Ei, das Chronos, der Urheber alles Daseins, geschaffen hatte. Phanes ist zweigeschlechtlich und bringt alles ans Licht.26 Er wird in dem spätantiken Götterwirrwarr mal mit Helios oder Eros gleichgesetzt, aber auch mit Pan, Herakles, Mithras und Dionysos. In den ›Dionysiaka‹ des Nonnos (XII 31 ff), dem längsten antiken Epos, hat Phanes die Geschichte der Welt auf Tafeln mit roter Tinte im Voraus verzeichnet. Nachträglich registriert Zeus Chronios als Zeitgott die Taten der Menschen im Tagebuch der Vergeltung.27

d. Ist Aion die längste Zeit, so ist Kairos die kürzeste. Er ist die einmalige Gelegenheit, die wir erkennen und nutzen müssen. Kairos galt als jüngster Sohn des Zeus; in Olympia hatte er einen Kult, Pausanias (V 14,9) nennt...

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