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E-Book

Ziemlich feste Freunde

Warum der Freundeskreis heute die bessere Familie ist

AutorSusanne Lang
VerlagBlanvalet
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783641130640
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Wie viel Freundschaft braucht der Mensch?
»Freunde werden aufgrund der Brüchigkeit von Beziehungen immer wichtiger«, schreibt Soziologin Eva Illouz. »Freunde sind die neue Familie«, titelte der STERN schon in den Neunzigern - und auf den ersten Blick ist es plausibel: Ehen gehen schneller entzwei, Familien zerbrechen, wir gehen zum Studieren in die Ferne, ziehen der Arbeit halber ans andere Ende der Republik. Wir müssen mobil sein, lassen unser Heimatdorf und alte Freunde zurück, finden neue. Suchen sie uns selbst aus, anstatt wie mit der Familie auf immer verbunden zu sein. Sind Freundschaften das Resultat moderner, individueller Selbstbestimmung? Susanne Lang unterzieht verschiedene Arten der Freundschaft einem Reality-Check, entlarvt Freundschaftsmythen - und erklärt, warum der Freundeskreis oft die bessere Familie ist.
77 % der Deutschen haben einen festen Freundeskreis. Im Durchschnitt haben wir 3,3 echte und 130 Facebook-Freunde. Wer umgeben von Freunden alt wird, hat eine um 22 % erhöhte Lebenserwartung.

Susanne Lang hat in Münster Germanistik, Kultur- und Kommunikationswissenschaften studiert. Danach besuchte sie die Deutsche Journalistenschule in München. Ab 2003 arbeitete sie als Redakteurin, später als Ressortleiterin bei der taz. Seit 2010 ist sie verantwortliche Redakteurin beim Freitag. Susanne Lang lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Berlin.

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Leseprobe

Wahre Freunde

Das Ideal

Mitten in der Wüste Sahara. Die Sonne hat sich zurückgezogen, ein Mann legt sich neben seinem Flugzeugwrack im Sand schlafen. Als die Sonne einen neuen Tag anbrechen lässt, erklingt plötzlich eine Stimme …

DIE STIMME: »Zeichne mir ein Schaf …«

Der Mann schreckt hoch und sieht ein kleines Männlein. Er lässt es wissen, dass er nicht zeichnen kann.

DAS MÄNNLEIN: »Das macht nichts. Zeichne mir ein Schaf.«

Der Mann gibt nach und zeichnet die einzige Zeichnung, die er je zu Papier gebracht hat: eine Boa, die einen Elefanten gefressen hat – worin seine Mitmenschen jedoch nur einen Hut sehen.

DAS MÄNNLEIN: »Nein! Nein! Ich will keinen Elefanten in einer Boa. Eine Boa ist sehr gefährlich, und ein Elefant ist sehr sperrig. Bei mir zu Hause ist alles winzig. Ich brauche ein Schaf. Zeichne mir ein Schaf.«

Ich erinnere mich noch gut, wie sich an dieser Stelle die Stimme dieses Männleins in meinem Kassettenrekorder überschlug und noch etwas höher fiepte. Es irritierte mich, nicht nur wegen der seltsamen Tonlage, vor allem auch wegen der Schlange. Ich war zehn Jahre alt und hatte für meine wachsende Sammlung an Hörspielen eine Kassette von Antoine de Saint-Exupérys Der kleine Prinz geschenkt bekommen. Das Buch stand bereits in meinem Regal. Die Zeichnung des Erzählers war dort abgebildet. Immer wenn ich die Seite aufschlug, blickte ich auf einen schwarzen Hut mit einer dicken Delle. Seltsam. Offensichtlich gehörte ich zu all den Mitmenschen, die weit und breit keine Schlange entdecken konnten. Aber dieser seltsame Prinz konnte es.

Der Erzähler und das Männlein wurden beste Freunde.

Als Kind rätselte ich sehr über die Tatsache, dass die beiden sich aufgrund dieser schlichten Zeichnung angefreundet hatten. Bei uns, den Nachbarskindern und Schulkameraden, entschieden ganz andere Dinge über Freundschaften. Wer war für ein Abenteuer zu haben? Von wem gab es eine Einladung zum Übernachten? Wer half schon mal mit ein paar Pfennigen aus, wenn das eigene Taschengeld nicht mehr reichte, um die Kaugummipackung legal zu erwerben? Ich stellte mir vor, wie plötzlich so ein kleiner Prinz mit Fiepstimme in unserer großen Pause vom Himmel auf den Schulhof gefallen wäre. Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre er mitten in unsere Verhandlungen geplatzt – darüber, wer an beiden Enden des Gummibands stehen muss, um es zu spannen, und wer hüpfen darf.

Ohne ein nettes Hallo wäre er nicht sehr weit gekommen. Um annähernd eine freundschaftliche Ebene zu erreichen, hätte er sich freiwillig in das Gummiband stellen müssen, damit einer von uns von der langweiligen Aufgabe erlöst gewesen wäre. Ohne vergleichbare Freundschaftsdienste lief nichts. Mit einer Ansage wie: »Zeichne mir ein Schaf!«, hätte er es wahrscheinlich nur in die Runde derjenigen geschafft, die im Sportunterricht bei der Mannschaftsauswahl übrig blieben.

Am allermeisten aber setzte mir das Ende der Geschichte zu: Auch wenn ich nicht nachvollziehen konnte, weswegen dieser Prinz nun der beste Freund dieses Mannes war, so hatte ich gar kein Verständnis mehr dafür, dass er sich einfach aus dem Staub machte. Zack, zurück auf seinen Planeten. Als wäre nichts gewesen. Und das soll ein bester Freund sein? Ich verstaute die Kassette bis auf Weiteres in meinem Regal, weit hinter den Abenteuergeschichten der »Fünf Freunde« und der »Drei ???« oder auch der TKKG-Combo. Ganz zu schweigen von den »Asterix & Obelix«-Heften und »Tim & Struppi«-Comics.

Sie alle entsprachen meinem kindlichen Ideal von Freundschaft sehr viel mehr als dieses seltsame Männlein in der Wüste. Es handelte sich immer um eingeschworene kleine Gruppen oder Pärchen, egal ob Mädchen oder Jungs, ob Mann und Hund, sie hielten zusammen. Manchmal ging es gegen die Eltern und andere Autoritäten. Meistens jedoch kamen sie auf ihren gemeinsamen Unternehmungen den schlimmsten und fiesesten Verbrechern auf die Schliche. Am Ende siegte die Gerechtigkeit, gewannen die Guten, also die Freunde. Denn sie konnten sich in jeder Notlage aufeinander verlassen. Sie konnten sich immer und absolut vertrauen – gerade weil sie ihre Eigenheiten respektierten. Der eine war dick, der andere besserwisserisch, die dritte störrisch und die vierte ängstlich. Beneidenswert!

Manchmal zogen wir nach der Schule in unserer kleinen Combo los, mit Spielzeug-Walkie-Talkies und Blöcken ausgerüstet, und notierten die Kennzeichen der Autos, die auf der Straße vorbeifuhren. Wenn es langweilig zu werden drohte, weil sich kein Verbrecher darunter fand, musste einer von uns in einen verborgenen Brunnen stürzen – wir buddelten dafür sogar ein Erdloch in den Nachbargarten, um unseren Freund heldenhaft retten zu können.

Fast dreißig Jahre später notiere ich keine Kennzeichen mehr und rette keinen meiner Freunde aus Erdlöchern. Obwohl das sicher zur Abwechslung auch seinen Reiz hätte. In der Zeichnung jenes Erzählers in Antoine de Saint-Exupérys Der kleine Prinz sehe ich allerdings noch immer einen Hut. Wenn ich mich anstrenge, kann auch ich einen Elefanten erkennen, der in einer riesigen Schlange feststeckt. Der größte Unterschied zu damals aber ist: Die Vorstellung, sich über eine Zeichnung anzufreunden, in der man anders als alle anderen etwas Gleiches sieht, irritiert mich nicht mehr. Sie löst eher ein Gefühl von Wehmut aus. Wie so viele andere Erwachsene hätte ich auch gerne so einen exklusiven besten Freund!

Einer, der uns am besten ohne große Worte versteht!

Einer, der die Welt mit genau den gleichen Augen sieht!

Einer, dem wir uns vertraut gemacht haben, wie der Erzähler dem Prinzen.

Einer, der sich daher für uns verantwortlich fühlt und immer für uns da ist.

Ein bester Freund, der uns nie im Stich lässt – egal wie es uns geht.

Wie die meisten Erwachsenen weiß auch ich, dass dieser beste Freund eher in Erzählungen und fantastischen Träumen zu finden ist als im realen Leben. Bevor er sich dort niederlässt, färbt sich die Leinwand schwarz, der Abspann ertönt, oder der nächste Werbeblock trällert seine Botschaften aus den Lautsprechern. Schwupps, ist der beste Freund wieder auf seinem fremden Planeten verschwunden. Und dennoch träumen wir alle von einem Leben an seiner Seite. Mit einem großen Gewinn: Selbst wenn wir das Ideal nie erreichen, alleine die Idee, es jemals vielleicht zu schaffen, macht glücklich. Sie hält sogar ganze Gesellschaften zusammen.

Der Aufklärer Immanuel Kant unternahm als Erster den Versuch, die romantische Vorstellung einer tiefen seelischen Verbundenheit mit dem eher rationalen, moralischen Konzept von Freundschaft zu verknüpfen. Letzteres geht davon aus, dass Freundschaften ein vernünftiges Miteinander und gegenseitigen Respekt bei allen sozialen Unterschieden in einer Gesellschaft garantieren. Kant gesteht den Menschen zu, dass sie keine reinen Vernunftwesen sind, dass sie sich auch affektiv und emotional verhalten. Er unterscheidet daher zwischen der Idee der Freundschaft und ihrer Realisierung. Auch wenn es im echten Leben kaum einen wahren Freund geben dürfte, heißt das noch lange nicht, dass die Idee eines wahren Freundes falsch ist. Kant geht vielmehr davon aus, dass man von einem wahren Freund voraussetzen kann, dass er einem in der Not helfen würde. Dieses Wissen aber müsse sich nicht im Alltag beweisen. Im Gegenteil. Denn zur wahren Freundschaft gehören schließlich zwei, also nach Kant auch die Aufgabe, von jenem Freund nicht zu erwarten, dass er einem bedingungslos zur Verfügung stehe. »Weil ich aber auch ein wahrer Freund von ihm bin, so muss ich ihm solches nicht zumuten und ihn in solche Umstände der Verlegenheit versetzen«, so argumentiert Kant in seiner Vorlesung über Ethik.

Das Ideal der Freundschaft bleibt dabei wahr und richtig, und damit auch die Sehnsucht nach diesem wahren Freund. Sie kultivieren wir mit all den Filmen, Büchern, Serien und Popsongs, die uns von diesem Ideal erzählen.

Äußerst erfolgreich war vor einigen Jahren die deutsche Komödie Friendship! mit Matthias Schweighöfer. Er spielt Tom, der seinen besten Freund Veit, ohne groß zu zögern, sofort begleitet, als der nach dem Fall der Mauer nach San Francisco aufbrechen will. Das Geld reicht eigentlich nur bis nach New York. Beide sprechen kein Wort Englisch außer »Friendship«, das sie in Anlehnung an den sozialistischen Klassengruß »Freundschaft« für relevant halten und gelernt haben. Sie ziehen trotzdem los und schlagen sich durch. Sie halten zusammen, auch in schlechten Zeiten.

Tom schnappt Veit die Freundin weg. Veit lügt Tom an und verschweigt den wahren Grund seiner USA-Reise, auf der er gar nicht den westlichsten Punkt der Welt sehen will, sondern endlich seinen Vater treffen möchte. Der ist aus der DDR geflüchtet und hatte sich nur mit Postkarten zu Weihnachten aus San Francisco bei ihm gemeldet. Der Freundschaft von Tom und Veit kann das alles am Ende nichts anhaben, denn beste Freunde verzeihen sich so einiges. Sie sind und bleiben sich bedingungslos verbunden.

Das Ideal der innigen, seelenverwandten Freundschaft ist älter als das der romantischen Liebe. Unseren Alltag prägt es bis heute stärker, als es zwischen all den Tweets und Facebook-Likes den Anschein hat. Die Sängerin Carol King hat es in einer Ohrwurm-Hymne verewigt:

When you’re down in troubles
And you need some love and care
And nothing, nothing is going right
Close your eyes and think of me
And soon I will be...

Blick ins Buch

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