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E-Book

Zornpolitik

AutorUffa Jensen
VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783518754825
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Gäbe es ein Messgerät für die Intensität kollektiver Gefühle, es würde derzeit Spitzenwerte anzeigen: In den politischen Debatten sind vielerorts Wut, Hass und Angst an die Stelle rationaler Argumente und gegenseitiger Rücksichtnahme getreten. Uffa Jensen verfolgt die Ursprünge der Zornpolitik bis ins 19. Jahrhundert zurück und erläutert, wie solche Gefühle der Ablehnung funktionieren. Dabei wird deutlich, dass Emotionen gerade in Auseinandersetzungen über gesellschaftliche Andere wie Flüchtlinge, Muslime oder Juden hochkochen und bewusst instrumentalisiert werden. Aus den historischen Zusammenhängen zwischen Vorurteilen und Gefühlen leitet Jensen Strategien ab, mit denen wir der aktuellen Welle des politischen Furors begegnen können.

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<p>Uffa Jensen, geboren 1969, lehrt Geschichte an der Technischen Universität Berlin und forscht am dortigen Zentrum für Antisemitismusforschung.</p>

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Leseprobe

2. Ressentiment


Die Stimme der Demonstrantin bebt: »Wir sind Nazis, wir sind alles … Ich zitter’… Ich … Ich will mich heute abreagieren.«24 Vor der Dresdner Frauenkirche hat sich am Morgen des 7. Februar 2017 eine kleine Traube von Menschen gebildet. In deren Zentrum versucht der sächsische SPD-Vorsitzende, Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident des Landes, Martin Dulig (geb. 1974), mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Neben der Frauenkirche wird wenig später der Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert (geb. 1971) ein Denkmal einweihen: Auf dem Dresdner Neumarkt ragen drei Nahverkehrsbusse senkrecht in die Luft (Abbildung 1).

Abb. 1: Bus-Monument vor der Dresdner Frauenkirche

(Foto: Steffen Kahl)

Der deutsch-syrische Künstler Manaf Halbouni (geb. 1984) hatte diese Installation mit dem Titel »Monument« aufgestellt. Der Absolvent der Dresdner Hochschule für Bildende Künste, dessen Mutter aus Dresden stammt, wollte damit an eine Barrikade aus drei Bussen erinnern, die während des syrischen Bürgerkriegs in Aleppo errichtet worden war.25 Unmittelbar vor dem 13. Februar, dem Jahrestag der verheerenden Bombenangriffe auf Dresden während des Zweiten Weltkriegs, stellte Halbouni so einen Zusammenhang zur Vergangenheit der Stadt her. Bis zu ihrem Wiederaufbau 1994-2005 hatte die Ruine der Frauenkirche an die Zerstörung der Stadt erinnert. Vor ihr stehen nun die drei Busse.

Wie das entsprechende Video zeigt, begegnet Dulig an genau dieser Stelle der Demonstrantin. Sie ist außer sich. Das Bus-Denkmal nennt sie »schlecht«, »abartig« und schlicht »Kack«: »Ich finde es unmöglich«, bekennt sie. »Ich könnte heulen.« Sie unterscheidet strikt nach »wir« und »ihr«, als sie Dulig entgegenhält: »Euch mein ich, euch Obersten, alle.« Besonders verletzt zeigt sie sich durch den Nazi-Vorwurf, der gegen die Dresdner Bürger erhoben wird, seit sich dort die rechtsextreme Pegida-Bewegung gebildet hat. Direkt erwähnt sie den ehemaligen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel (geb. 1959), der Demonstranten, die gegen ein sächsisches Flüchtlingsheim protestiert hatten, als »rechtes Pack« bezeichnet hatte.26 An einer Stelle identifiziert sie sich selbst mit den so Angegriffenen:

Ich bin Nazi, übrigens [zeigt auf sich]. Ich geh auch zur Pegida.

Dulig: Ich …

Frau: Da steh ich dazu.

Dulig: … möchte mich ja gerne mit Ihnen unterhalten.

Frau: Ja, falls Ihnen jetzt schlecht wird …

Der Kontrast zwischen der ehrwürdigen Frauenkirche und dem Bus-Denkmal beschäftigt die Demonstrantin sehr. Ihr Blick und ihre Gesten wechseln ständig zwischen beidem hin und her. Sie eröffnet das Gespräch mit dem Hinweis auf ein »anständiges Denkmal«, das an die Bombennächte erinnert, und hebt den Unterschied zu dem neuen Denkmal hervor, das Parallelen zu Opfern anderer Kriege herstellt. Dass richtig erinnert werden soll und wie ein angemessenes Erinnern auszusehen hat, ist ihr offenkundig ein besonderes Anliegen.

Ihr Gespräch mit dem Minister ist eigentlich keines, obwohl sich die beiden in Worten und Gesten aufeinander beziehen, sich gegenseitig adressieren und sogar die Gesprächsführung selbst thematisieren. Das liegt vor allem an der Verweigerung der Frau.

Dulig [geht einen Schritt hinter ihr her]: Warum wollen Sie denn jetzt mit mir nicht reden?

Demonstrantin [zuckt mit den Achseln]: Ja, weil es keinen Sinn hat.

Dulig: Ach so.

Frau: Sie verstehen mich nicht, ich verstehe Sie nicht – und darum ist es sinnlos.

Dulig: Ja, warum? Ich versuche es die ganze Zeit, und Sie bauen sich da eine Schutzmauer auf. Des…

Frau: [Unverständliches Wort] Das klappt nicht [sie winkt ab und schüttelt den Kopf].

Anhand dieses Videos lassen sich viele Probleme der politischen Kommunikation im gegenwärtigen Deutschland studieren. In den knapp vier Minuten misslingt nicht nur die Verständigung über Inhalte; beide Seiten können sich noch nicht mal über die Bedingungen eines gemeinsamen Gesprächs einigen. »Sehen Sie«, ruft die Demonstrantin, »und das können Sie schön im Fernsehen wieder sagen […]. Die reden ja nicht mit mir.« Durchgängig monologisiert sie, reiht Satz an Satz, schimpft, gestikuliert und hört nur gelegentlich Herrn Dulig zu, vor allem um Stichworte für weitere Vorwürfe zu erhalten. Seinen fast flehentlichen Wunsch nach einem Gespräch lehnt sie durchgehend und konsequent ab. Sie ist zum Demonstrieren gekommen, nicht, um zu reden.

Aber kann man sagen, dass die Kommunikation zwischen den beiden scheitert? Wir können annehmen, dass die Frau in anderen Situationen durchaus in der Lage ist, ein wechselseitiges und gleichberechtigtes Gespräch zu führen. Die Schwierigkeiten haben offenkundig nichts mit den Inhalten des Gespräches zu tun, da solche kaum ausgetauscht werden, obwohl Dulig versucht, inhaltlich auf die Frau einzugehen. Wichtig scheint dabei die Tatsache, dass allen Beteiligten bewusst ist, dass die Szene gefilmt wird. Hier wird ein Nicht-Gespräch aufgeführt. Auch in diesem Fall gilt der berühmte Satz Paul Watzlawicks, dass man nicht nicht kommunizieren kann. Während der Politiker Gesprächsbereitschaft signalisieren will, will die Demonstrantin etwas anderes kommunizieren: ihre Gefühle.

Die Frau zeigt sich als von einem Ressentiment beherrscht. Ob sie das auch in ihrem Alltag ist, kann und will ich nicht klären. Es geht hier lediglich darum, die Emotionslogik zu beschreiben, die dieser Situation vor der Frauenkirche zugrunde liegt. Zweifellos ist es immer ein Risiko, anderen Menschen zu unterstellen, bestimmte Emotionen zu haben. Wir können nicht in andere hineinschauen. Gleichwohl liefern uns Menschen im Alltag viele Zeichen für ihre Gefühlslage, die wir dann zu verstehen versuchen, was uns natürlich nicht immer gelingt. Menschen können zum Beispiel Worte oder Sätze benutzen, die wir im Zusammenhang mit bestimmten Gefühlen verwenden. Sie können körperliche Anzeichen für Gefühlszustände offenbaren: ein Zittern der Stimme, ihre Mimik, Gesten etc. Derartige Hinweise können von anderen anwesenden Personen gedeutet werden, wie es ebenfalls prinzipiell möglich ist, dass ein nachträglicher Beobachter – ein Historiker, eine Historikerin – eine solche Interpretation vornimmt. Zweifelsohne können sowohl An- als auch Abwesende bei der Erfassung der Gefühlslage eines anderen irren. Das bedeutet aber nicht, dass uns solche Deutungen prinzipiell nicht möglich wären. Wir nehmen sie ständig vor.

Man kann die Kommunikation der Frau so verstehen, dass ihre Welt in diesem Moment von einem Ressentiment geordnet wird: Die anderen, die Mächtigen haben die moralische Ordnung auf den Kopf gestellt. Dagegen versucht sie die Welt wieder in die Angeln zu heben und zugleich ihre eigene Verletzung zu heilen. Denn dass sie sich persönlich durch die Umwertung der Moral verletzt fühlt, artikuliert sie mit ihrem ganzen Körper: Sie zittert, bebt, gestikuliert etc. Ihr Gefühl speist sich aus einer persönlich empfundenen Wunde. Ihr Ressentiment geht dabei beständig in Zorn über; ich werde darauf zurückkommen.

Diese Verletzung der moralischen Ordnung manifestiert sich für sie auch räumlich: die senkrechten Busse neben der wiederaufgebauten Frauenkirche. Der Platz und das barocke Gotteshaus wirken als protestantischer Ort und als historisches Ensemble ebenso sakral wie unantastbar. Das Bus-Monument hingegen wird als Schande wahrgenommen, wie es die Gegendemonstranten während der Einweihungsfeier skandieren.27 Das schlägt eine Wunde am Körper der Frau: Der Dresdner Neumarkt ist zum Teil ihres eigenen Inneren geworden, das die »Obersten« mit ihren profanen Bussen verletzen.

Das gilt umso mehr aufgrund der räumlichen und zeitlichen Nähe zur Erinnerung an die verheerenden Bombennächte. An diesem Ort manifestieren sich unterschiedliche Erinnerungskulturen: eine nationale, offizielle, in Westdeutschland geprägte, welche die NS-Verbrechen in ihrer singulären Grausamkeit in den Mittelpunkt stellt, und eine lokale Dresdner bzw. ostdeutsche Erinnerungskultur, welche am Opferstatus der Stadt festhalten will. Waren die Westmächte für die einen Befreier, werden sie für die...

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