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Zu intelligent, um glücklich zu sein?

Was es heißt, hochbegabt zu sein

AutorJeanne Siaud-Facchin
VerlagGoldmann
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783641187354
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Viele Menschen haben besondere Begabungen und Fähigkeiten - aber wird das immer als Bereicherung erlebt? Nicht selten überfordern sie sich selbst und geraten in soziale Außenseiterrollen. Die französische Psychologin Jeanne Siaud-Facchin erklärt, wie sie selbstbewusst und glücklich mit ihrem Talent umgehen.

Jeanne Siaud-Facchin, geboren 1957, ist Psychologin und Expertin auf dem Gebiet der Hochbegabtenforschung. Sie ist Autorin mehrerer Bücher zu dem Thema und Gründerin des unabhängigen Cogito'Z-Instituts, das sich mit Lernforschung bei Kindern und Jugendlichen beschäftigt.

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Leseprobe

Zweites Kapitel

Warum es wichtig ist, sich für hochbegabte Erwachsene zu interessieren

»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie erleichtert ich war, als ich herausfand, dass ich ganz normal bin, ich, die ich mir immer schräg, unangepasst und unfähig vorgekommen bin! Endlich hatte ich die richtigen Worte für meine Probleme, und wenn ich auch nicht frei bin, so fühle ich mich doch befreit.«

Diese Aussage einer 43-Jährigen fasst goldrichtig zusammen, was für einen Aufwind man erfahren kann, wenn man endlich feststellt, zu einer Gruppe zu gehören, die ganz ähnlich tickt wie man selbst. Das Thema der hochbegabten Erwachsenen ist daher noch sensibler zu behandeln als das der hochbegabten Kinder. Wenn sich manche schon dagegen sträuben, dass es Kinder mit besonderen Fähigkeiten gibt, fällt es natürlich erst recht schwer zu akzeptieren, dass diese Fähigkeiten, die Hochbegabte auszeichnen, bis ins Erwachsenenalter fortdauern. Sie selbst merken es, ohne es in Worte fassen zu können, die anderen spüren es auch, schieben Unterschiede jedoch spontan auf den Charakter, auf eine gewisse Originalität, ein »Eigenbrötlertum«, eine »rebellische«, zu sensible »Außenseiternatur« ihrer Freundin oder ihres Freundes … Und so sieht sich der hochbegabte Erwachsene gefangen – und das buchstäblich, seit er denken kann – in einer Welt voller Spiegel, die vielfältige, allzu häufig verzerrte Bilder von ihm wiedergeben.

Auf der Suche nach sich selbst

Der Hochbegabte sucht selbst nach seinem Spiegelbild, seiner Identität, er hat wie jeder andere Mensch auch das Bedürfnis zu verstehen, wer er ist, wie er tickt, warum er geliebt oder abgewiesen wird, was seine Stärken und seine tatsächlichen Talente sind, seine tatsächlichen Grenzen. Er oder sie möchte in sich den Kern der Identität spüren, um den herum man sich konstruiert und von dem aus man im Spiel des Lebens mitmischt, Beziehungen mit anderen Menschen eingeht. Von Kindesbeinen an versuchen wir ohne Unterlass, uns selbst zu verstehen, um die Welt besser verstehen zu können, auch die anderen Menschen, und vor allem, um ein besseres Leben zu führen. Dieses ganz natürliche Bestreben wird je nach Persönlichkeit mehr oder weniger bewusst erlebt. Manche Menschen tragen ihr Leben lang Glaubenssätze mit sich herum, derer sie sich sicher sind, von denen sie überzeugt sind, die sie schützen und die ihnen Halt geben: Bestimmte Dinge muss man so oder so machen, je nach Situation muss man so oder so reagieren. Andere tasten sich behutsam vor, stellen sich permanent Fragen, stellen die Welt und den Sinn des Lebens infrage, haben vor den kleinsten Dingen Angst, die erschüttern könnten, was sie zu wissen glauben; sie reagieren auf die kleinsten Veränderungen in ihrer Umwelt, fangen bei allem immer ganz von vorn an, um auch ganz sicher den tieferen Sinn dahinter zu verstehen, und leben immer mit dem latenten Gefühl, zugleich mit und neben den anderen zu leben. Dies sind Erwachsene mit Anpassungsschwierigkeiten, die manchmal ein Leben leben, das gar nicht zu ihnen passt, an das sie aber offenbar selbst glauben … Schließlich scheint es für alle anderen ja auch ganz normal zu sein!

Dem geschulten Auge eines Fachmediziners kann ihr außergewöhnlicher Leidensdruck nicht entgehen. Die Zahl der hochbegabten Erwachsenen, deren Leben zerrüttet ist und die teils unter schweren psychischen Problemen leiden, ist hoch, und es ist notwendig, dies ernsthaft zu erforschen. Geraten sie an Ärzte, die sich auf diesem Gebiet nicht auskennen oder, schlimmer noch, die Diagnose Hochbegabung nicht anerkennen, geraten sie schnell auf diagnostische und therapeutische Odysseen, die ihren Leidensdruck nur erhöhen, ihr starkes Gefühl der Einsamkeit, des mangelnden Verständnisses.

»Danke. Sie wissen gar nicht, wie merkwürdig es sich anfühlt, plötzlich normal zu sein. Wie paradox! Ich, die ich seit meiner Kindheit immer anders hatte sein wollen, habe mich seit jenem Tag normal gefühlt, an dem ich erfuhr: ›Du bist anders.‹ Irgendwie dumm, aber beruhigend. (…) Was für ein Schock, was für eine Erleichterung! Ich habe nie einen IQ-Test gemacht, aber immer etwas in der Art geahnt. Da war immer irgendetwas, das mir im Umgang mit anderen Leuten gesagt hat: Warte, irgendwie gibt es hier ein Problem, die reagieren nicht so, wie sie sollten. Nun, wenn der Verrückte sagt, die ganze Welt sei verrückt, ist letztlich doch er der Verrückte. Bin ich also verrückt?«

Die wichtigsten Schlüssel

Man fühlt sich einerseits wie die anderen, aber doch auch irgendwie anders. Anders inwiefern?

Man will diese Andersartigkeit zwar behalten, gleichzeitig aber um jeden Preis »normal sein«, also innerhalb der Norm.

Man hat das Gefühl, wenn man nicht wie die anderen reagiert, werden nicht die anderen infrage gestellt, sondern man selbst. Wenn ich nicht »wie die anderen« bin, wenn ich nicht »wie die anderen« reagiere, wenn ich nicht »wie die anderen« verstehe, dann muss ich wohl verrückt sein.

Man möchte so verstanden werden, wie man wirklich ist. Und nicht so, wie jede Abweichung von der Norm für gewöhnlich gedeutet wird: psychologisierend. Hochbegabte haben mit psychisch Kranken eine zentrale Gemeinsamkeit: ihren anderen Umgang mit der Welt. Eine Art, »auf der Welt zu sein«, die sie von ihren Mitmenschen unterscheidet. Und so kommt es manchmal zu Verwechslungen, es werden psychische Probleme diagnostiziert, obwohl der Betroffene in keiner Weise an einer gewöhnlichen »Geisteskrankheit« leidet, sondern eine ganz außergewöhnliche Persönlichkeit ist, im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich außerhalb des Gewöhnlichen – und das ist ein enormer Unterschied!

Ich möchte allen hochbegabten Erwachsenen, jenen, die es wissen, jenen, die es noch nicht wissen, aber spüren, sagen: ihr seid außergewöhnliche Persönlichkeiten – mit

  • einer Art zu denken,
  • einem Modus zu argumentieren,
  • einer Art wahrzunehmen, die Welt zu verstehen und zu analysieren,
  • einer gesteigerten Sensibilität,
  • einer überbordenden Gefühlswelt,
  • einem unermüdlichen Bedürfnis nach Wissen und dem Ausbau der eigenen Fähigkeiten,
  • einer intensiven emotionalen Empfänglichkeit der Umwelt, der anderen Menschen,
  • dem Bedürfnis, ständig zu fragen und wieder infrage zu stellen,
  • einer Sinnesschärfe, die euch selten zur Ruhe kommen lässt,
  • der innersten Überzeugung, Versager zu sein, selbst wenn die anderen euch für intelligent halten,

die euch zu »Fremden« unter den anderen machen, obwohl es doch euer sehnlichster Wunsch wäre, von dieser Welt akzeptiert zu werden, die ihr nur zu gut durchschaut und die ihr doch nicht verstehen könnt die ihr zu genießen versucht und die euch doch immer zu entrinnen scheint, von der ihr euch wünscht, aufgenommen zu werden, und die euch doch zurückstößt, sobald ihr euch auszudrücken versucht.

Einfach verstanden werden. Verstanden in eurer Außergewöhnlichkeit. Ihr verlangt ja gar nicht, dass man euer tiefstes Inneres versteht: Ihr begreift, dass die anderen euch in euren Gedankengängen nicht immer folgen können, in eurem beständigen Infragestellen, in eurer Sensibilität, doch ihr wünscht euch ganz einfach, ehrlich verstanden zu werden, im gegenseitigen Respekt der jeweiligen Identität. Egal, wie unterschiedlich man ist.

Was für eine seltsame Welt!

In der westlichen Welt und Politik ist die Andersartigkeit zu einem Leitmotiv geworden: Andere zu integrieren, bei allen Unterschieden, ist heute aktives, mobilisierendes Ziel der Politik. Es gibt ganze Ministerien dafür, überall werden Einrichtungen geschaffen, um all jene aufzunehmen, die anders sind, all jene, denen die Integration nicht leicht gemacht wird: Menschen mit Behinderung, Immigranten, Obdachlose … Und das ist natürlich gut so! Ich bin dankbar für diese moderne Gesellschaft, die verstanden hat, dass es absolut notwendig ist, jedem Platz zu bieten. Und doch komme ich nicht umhin, oftmals traurig festzustellen, wie sehr (und wie häufig) in unserer Gesellschaft des 21. Jahrhunderts diejenigen vergessen werden, deren Andersartigkeit man mit bloßem Auge nicht sieht, deren Andersartigkeit nicht ohne Weiteres mit einer Behinderung vergleichbar scheint, deren Andersartigkeit kein Mitleid hervorruft, kurz gesagt: die Andersartigkeit all der Hochbegabten, die ihr Leid stumm erdulden und ganz allein nach Lösungen für ihre Andersartigkeit suchen. Und auch wenn mich manch einer vermutlich als elitär bezeichnen wird, möchte ich dennoch betonen, wie sinnvoll es wäre, nicht erst das Leid, die Ausgrenzung, die Marginalisierung abzuwarten, sondern, als Gesellschaft, den geistigen Reichtum der Hochbegabten zu erkennen. Wie sehr wir von ihrer Sensibilität der Welt gegenüber profitieren könnten, von ihrer atypischen Intelligenz! Was für eine Verschwendung! Ganz zu schweigen davon, dass manche immer noch behaupten, es seien die Hochbegabten, die mehr als alle anderen brillieren, die in unseren Schulen die begehrtesten Preise abräumen, denen in unserer Gesellschaft die besten Plätze vorbehalten sind! Wie kann man nur an diesem Gedanken festhalten?

Ein Überschuss an Intelligenz ist ein doppeltes Übel: Er erzeugt Leid, aber kein Mitleid mit den Betroffenen. Im Gegenteil, hohe Intelligenz kann Neid und...

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