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Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen

AutorLamya Kaddor
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783492970556
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
»Wir sehen uns im Paradies«, schrieben die fünfzehnjährige Sabina und ihre Freundin Samra an ihre Eltern, bevor sie spurlos nach Syrien verschwanden. Ahmed C. ist in Ennepetal geboren und liebte Fußball - bevor er sich als Selbstmordattentäter in Bagdad in die Luft sprengte. Über fünfhundertfünfzig deutsche Dschihadisten, der jüngste von ihnen dreizehn Jahre alt, befinden sich zurzeit unter den IS-Kämpfern und dienen als »Gotteskrieger«, während ihre Freunde zu Hause in Deutschland Abitur machen. Die islamische Religionslehrerin und Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor kennt selbst zahlreiche junge Menschen, die auf der Suche nach Anerkennung und Akzeptanz der Dschihad-Romantik verfallen sind. Sie berichtet von einer orientierungslosen Generation und erklärt, was wir tun können und müssen, um die Radikalisierung unserer Kinder zu stoppen.

Die Religionslehrerin, Islamwissenschaftlerin und Autorin Lamya Kaddor wurde 1978 als Tochter syrischer Einwanderer in Ahlen/NRW geboren. Sie gründete 2010 den Liberal-Islamischen Bund e.V., der sich für ein progressives Islamverständnis einsetzt, und wurde zu einer der zehn einflussreichsten muslimischen Frauen Europas gewählt. Kaddor unterrichtete 13 Jahre selbst Islamischen Religionsunterricht in Dinslaken, bis sie sich im September 2016 wegen Morddrohungen nach dem Erscheinen ihres Buchs »Die Zerreißprobe« vom Schuldienst beurlauben ließ. Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt 'Islamfeindlichkeit im Jugendalter' an der Universität Duisburg-Essen. Zudem ist sie Kolumnistin u.a. bei t-online.de, dem Kölner Stadtanzeiger und dem Norddeutschen Rundfunk. Für ihre Arbeiten wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt in Duisburg.

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Leseprobe

1


Ist Salafismus in Deutschland gefährlich?


Es gibt wenige Begriffe, die in unserer Gesellschaft so schnell Karriere gemacht haben, wie der des »Salafismus«. Das Wort war vor weniger als zehn Jahren gerade mal einer Handvoll Experten bekannt. In seiner heutigen Bedeutung bezeichnet es ein relativ neues Phänomen des Extremismus, das neben die schon länger bekannten Formen des Rechts- und des Linksextremismus getreten ist. Der Verfassungsschutz befasst sich seit 2006 mit dem Salafismus. Nur kurz davor hatte einer der bis heute prägenden Köpfe der Bewegung, Pierre Vogel, die Öffentlichkeit gesucht. Bereits damals sorgte er unter Jugendlichen mit öffentlichen Auftritten und Darstellungen im Internet für Aufsehen. Auch ich nehme das Phänomen seit etwa dieser Zeit bei meiner Arbeit verstärkt wahr.

Zunächst müssen wir kurz klären, was Salafismus überhaupt ist. Der religiöse Salafismus ist eine Strömung innerhalb des Islam. Im Islam gibt es verschiedene Glaubensrichtungen wie die der Sunniten und der Schiiten sowie liberale, konservative und fundamentalistische Hauptströmungen, die sich wiederum unterteilen lassen. Der Salafismus gehört zum sunnitischen Islam und ist ein Teil des fundamentalistischen Spektrums. Fundamentalisten geben vor, sich auf die Ursprünge der Religion zu konzentrieren. Sie wollen den Koran wortwörtlich verstehen. Damit ignorieren sie, dass die Zeit stetig fortschreitet und neue Erkenntnisse bringt. Fundamentalisten sind rigide, verweigern Kompromisse und wehren jegliche Kritik an ihren Auffassungen ab.

Der Salafismus selbst lässt sich ebenfalls unterteilen: in eine unpolitische Strömung, in der es den Anhängern nur darum geht, ihre religiösen Vorstellungen privat zu leben. Hier sprechen wir von puristischem Salafismus. Dann gibt es politische Salafisten, die gezielt die Gesellschaft und den Staat, in dem sie leben, durch Missionierung nach ihren Vorstellungen verändern wollen. Die dritte Gruppe schließlich setzt sich aus dschihadistischen Salafisten zusammen. Sie wollen auch die Gesellschaft verändern, das aber unter ausdrücklicher Einbeziehung von Gewaltanwendung. Die Bezeichnung »dschihadistisch« kommt vom arabischen Wort dschihad. Im Deutschen wird das zumeist mit »Heiliger Krieg« übersetzt, womit der bewaffnete Kampf für die Religion des Islam gemeint ist. Die Übersetzung ist unglücklich, weil sich die Vorstellung von »heilig«, wie man sie im Christentum kennt, so nicht einfach auf den Islam übertragen lässt.

Der Begründer der sunnitisch-hanafitischen Rechtsschule, Abu Hanifa (699 – 767), soll die Welt schon in der Frühzeit des Islam in dār al-harb (wörtl. »Haus des Kriegs«) und dār al-islām (»Haus des Islam«) eingeteilt haben. So werden Gebiete, in denen der Islam und damit die Scharia nicht als Gesetzesgrundlage praktiziert werden, als dār al-harb bezeichnet. Alle anderen Gebiete, in denen der Islam das Staatsgefüge bestimmt, nennt man dār al-islām. Etwas später wurde dann zur Aufweichung dieser Polarisierung auch noch die Kategorie des dār al-’ahd (»Haus des Vertrags«) eingeführt. Das sind Gebiete, in denen rechtliche Absprachen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen getroffen wurden und somit ein befristeter Frieden gesichert wurde. Nach klassischer theologischer Vorstellung heißen die Kriege gegen die Menschen im Kriegsgebiet dschihād. Der Märtyrertod wird als schahīd bezeichnet.

Dschihad bedeutet aber zunächst schlicht »Anstrengung« oder »Bemühung«. Es gibt zwei Formen dieser Bemühung: Die wichtigere Bemühung liegt darin, täglich eine Art Selbstüberwindung und -läuterung durchzuführen. Das ist der dschihād al-akbar, der »größere Dschihad«. Der »kleinere Dschihad« (dschihād al-asghar) bezieht sich vor allem auf kriegerische Verteidigungskämpfe, aber auch auf Eroberungskämpfe. Diese theologischen Konzeptionen müssen im historischen Kontext betrachtet werden. Um beispielsweise einen kriegerischen Dschihad auszurufen, bedarf es eines religiösen Oberhaupts, dem alle Muslime auf der ganzen Welt loyal ergeben sind. Da dies seit dem Tod des Propheten Muhammad de facto nicht mehr der Fall ist, wird es nie einen Dschihad geben können, an dem sich alle Muslime geschlossen beteiligen würden. Auch das völkerrechtliche Verständnis von Kriegs- und Friedensgebiet ist damit im Grunde hinfällig, da es keinen von allen Muslimen anerkannten Kalifen mehr gibt.

Fakt aber ist heute: Die Idee des Dschihad wird ungeachtet dessen, in allen Nuancen seiner Bedeutung gelebt. Der kriegerische Dschihad ist de facto Realität, auch wenn er kaum noch etwas mit den klassischen religiösen Überlegungen zu tun hat, sondern vorwiegend auf dem brutalen weltlichen Machtstreben einiger selbsternannter Anführer beruht. Vor allem aus einer politischen Motivation heraus entsteht also der Wille, die ganze Welt den religiösen Überzeugungen der jeweils treibenden Kraft zu unterwerfen. Wie das zu geschehen hat – ob mit Gewalt oder ohne –, wird allerdings sehr unterschiedlich verstanden – auch bei den Salafisten. Ihnen gilt der Islam als die beste Religion, und sie sind davon überzeugt, dass ihre Religion für alle gelten muss. Allerdings gehen die Puristen unter ihnen nicht kämpferisch vor, sondern missionieren mit gewaltfreien Mitteln. Und selbst wenn auch das nicht unserer Toleranzvorstellung entsprechen mag, so stellen diejenigen keine direkte Bedrohung für uns dar.

Anders ist es mit jenen Salafisten in Deutschland, die als Prediger agieren und die politischen und gesellschaftlichen Strukturen verändern wollen, auch wenn sie nicht direkt zu Gewalt aufrufen, und natürlich mit solchen, die aktiv Werbung für den dschihadistischen Salafismus machen. Letztere werden von Staat und Polizei verfolgt, inhaftiert oder gegebenenfalls abgeschoben. Was jemand in seinen eigenen vier Wänden glaubt, geht dagegen erst einmal niemanden etwas an. Und gegen öffentliche Prediger, die nicht zu Gewalt aufrufen, können die Sicherheitsbehörden eines demokratischen Rechtsstaats kaum vorgehen. Sie müssen von uns, der Zivilgesellschaft, mit den Mitteln der Aufklärung bekämpft werden. Denn brandgefährlich sind auch die politischen Salafisten, die sich friedlich geben. Es sind vor allem sie, die Jugendliche anlocken, mit der salafistischen Szene in Kontakt bringen und in das Gedankengut einführen. Wer dann erst einmal in der Szene ist, kommt auch leicht in Berührung mit dschihadistischen Salafisten.

Salafismus in Deutschland können wir auch nicht mit der Terrorgruppe »Islamischer Staat« gleichsetzen. Diese nutzt zwar den dschihadistischen Salafismus als ideologischen Rahmen für ihren Terror, aber nicht jeder Salafist schließt sich dieser Gruppe an, die im Irak und in Syrien mit schockierender bestialischer Gewalt eine Region besetzt und den Menschen dort ihre Schreckensherrschaft aufgezwungen hat. Früher schlossen sich kampfbereite deutsche Salafisten noch unterschiedlichen islamistischen Terrorgruppen in Syrien an, seit dem Aufstieg im Sommer 2014 und den militärischen Erfolgen üben die IS-Dschihadisten nun die größte Anziehungskraft auf gewaltbereite Salafisten in Deutschland aus. Sie haben das zuvor dominierende Terrornetzwerk al-Qaida in den Schatten gestellt.

Bis Ende 2014 waren nach Angaben der deutschen Behörden etwa 550 Menschen aus Deutschland ausgereist, um im Irak und in Syrien zu kämpfen. Etwa 60 starben dort. Knapp ein Drittel kam zurück und lebt nun wieder in Deutschland. Die Zahl der Salafisten bewegte sich nach Darstellung des Verfassungsschutzes zu diesem Zeitpunkt auf knapp 7000 Mitglieder zu. Die Zahl bezieht sich allerdings nur auf den harten Kern, Sympathisanten im Umfeld sind dabei nicht eingeschlossen. Es ist jedoch weniger die reine Zahl der Mitglieder, die die Szene so gefährlich macht. Das quantitative Bedrohungspotenzial im rechtsextremistischen Bereich ist deutlich größer. Auch die Linksextremisten können noch wesentlich mehr Menschen mobilisieren. Unter 4,5 Millionen Muslimen machen Salafisten in Deutschland nur einen verschwindend geringen Anteil aus, erst recht in Relation zu mehr als ca. 80 Millionen Deutschen. Das besonders Besorgniserregende am Salafismus ist seine Dynamik. Die Zahl der Mitglieder wächst rasant. Immer mehr Jugendliche schließen sich an. Die Zahlen haben sich in wenigen Jahren vervielfacht. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Angaben über die Größe der Szene allein auf Erhebungen des Verfassungsschutzes und der deutschen Sicherheitsbehörden basieren, deren Finanzierung auch von der Einschätzung abhängt, wie brisant eine Szene gerade eingestuft wird. Unabhängige Zahlen gibt es bislang so gut wie keine. Die meisten Experten gehen jedoch davon aus, dass die gezeigten Tendenzen zutreffend sind.

Die meisten deutschen Muslime kritisieren den sogenannten »Islamischen Staat« vehement. Sie sind genauso entsetzt und verängstigt angesichts der Geschehnisse wie die meisten anderen Bürger auch. Die ganze islamische Welt leidet unter den aktuellen Entwicklungen. Sie leidet darunter, dass ihre Hoffnungen in die Revolutionen des Arabischen Frühlings enttäuscht wurden und diese teilweise in einer neuen Form von Extremismus gipfelten. Das betrifft in erster Linie die Menschen, die vor Ort der unmittelbaren Gefahr durch den IS ausgesetzt sind. Aber es betrifft auch diejenigen, die sich fernab der Krisenregion bedroht fühlen durch pauschale Anschuldigungen – als ob ihre Religion sie...

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