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Zum Westkaffee bei Margot Honecker

Letzte Begegnungen mit einer Unbeirrten

AutorNils Ole Oermann
VerlagHoffmann und Campe Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783455851809
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Als Margot Honecker im Mai 2016 starb, hatte sie fast ein Vierteljahrhundert im chilenischen Exil verbracht. Nils Ole Oermann ist vermutlich der letzte Besucher aus der Bundesrepublik, den sie dort kurz vor ihrem Tod empfangen hat. Über drei Jahre stand Oermann mit ihr, die sonst jedes Interview strikt ablehnte, in Kontakt und traf sie mehrfach. In 'Zum Westkaffee bei Margot Honecker' lässt der Autor diese Begegnungen in Chile Revue passieren - die einstige Ministerin für Volksbildung der DDR sprach verblüffend offen über Sozialismus und Kapitalismus, über die Bundesrepublik und die DDR, über Gregor Gysi, Wladimir Putin und Wolf Biermann. Zugleich zeigte die bekennende Stalinistin keinerlei Reue, wenn es etwa um ihren Beitrag zu einem System ging, das kritische junge Menschen kategorisch von Ausbildung- und Karrierechancen ausschloss. Mehr noch: Im Denken und Fühlen von Margot Honecker war bis zu ihrem Tod die DDR ein intakter Staat. Oermanns Buch lässt den Leser unmittelbar erfahren, mit welchen Hoffnungen und Zielen Menschen wie Margot Honecker die DDR aufbauten. Und warum sich durch Menschen wie sie daraus ein totalitäres Regime entwickelte, das sich vierzig Jahre halten konnte.

Der in Oxford und Harvard ausgebildete Historiker, Theologe und Jurist Nils Ole Oermann, Jahrgang 1973, ist Professor für Ethik an der Leuphana Universität Lüneburg und Gastprofessor in St. Gallen. Oermann veröffentlichte u.a. eine Biographie über Albert Schweitzer und den Bestseller Tod eines Investmentbankers. Er lebt mit seiner Familie in der Altmark.

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Es gibt, soweit ich sehe, noch keine vergleichende wissenschaftliche Studie zum Thema »Sozialistische Potentaten und ihre Frauen«. Wer dazu recherchiert, stößt gewiss auf so manchen Politiker aus dem Bekanntenkreis von Margot Honecker. Ein spezielles Kapitel der Studie sollte den Residenzen gewidmet sein, die sich diese Brüder errichten ließen, als Paläste der brüderlichen Gleichheit gewissermaßen. Und nach 25 Jahren als Ministerin eines sozialistischen Arbeiter-und-Bauern-Staates hat sie viele solcher Herren – und meistens sind es Herren – kommen und gehen sehen. Der ehemalige namibische Präsident Sam Nujoma beispielsweise hat Margot Honecker 2005 zum 15. Jahrestag der namibischen Unabhängigkeit zu sich in die erste Reihe eingeladen. Hochgezogen haben das 2002 von ihm veranlasste State House in Windhoek nordkoreanische Arbeiter – so blieb das viele Baugeld in der Familie, bei einem sozialistischen Brudervolk oder doch zumindest bei dessen politischer Führung.

Auch die Eheleute Ceauşescu haben sich in den achtziger Jahren einen Parlamentspalast errichten lassen. Er fiel umgekehrt proportional zum Grad an Demokratie und zur wirtschaftlichen Leistungskraft Rumäniens aus und wurde der Fläche nach eines der größten Gebäude der Welt. Und selbst eine Witwe wie Suha at-Tawil, ehedem Gattin von Jassir Arafat, residierte immer in der 5-Sterne-Zone.

Wer einmal die »Waldsiedlung« in Wandlitz besucht hat, in der die Führungsriege der DDR untergebracht war, dem ist eine sehr viel weniger mondäne Lebensweise begegnet: bürgerlich, ja fast kleinbürgerlich ging es in den Häuschen dort zu. Geländewagen aus dem Westen für die Jagd, Westkaffee und ein paar weitere Annehmlichkeiten vom Klassenfeind, die gab es immerhin für die Wandlitzer Elite. Aber das war es auch schon, was die Wohn- und Lebensverhältnisse anbelangte. Umso mehr hoben sich davon die wenigen Ausnahmen ab, etwa Alexander Schalck-Golodkowskis Villa in Rottach-Egern am Tegernsee. Oder der große Fuß, auf dem der im April 1990 verstorbene ehemalige SED-Chefagitator und Volkskammerpräsident Horst Sindermann (im Übrigen der Erfinder des Begriffs »antifaschistischer Schutzwall«) oder der legendäre SED-Bezirkschef Hans Albrecht im »roten Suhl« wie Fürsten lebten, die beide wegen ihrer massiven Korruption schon zu DDR-Zeiten und noch von den eigenen Weggefährten juristisch verfolgt wurden, und nicht etwa von einer westlichen »Siegerjustiz«.[8]

Obwohl es also für die DDR-Elite bis 1989 vergleichsweise wenig Luxus, geschweige denn ein Leben in Saus und Braus gegeben hat, ist später eifrig spekuliert worden, ob da nicht doch die eine oder andere Million beiseitegeschafft worden war. Hatte nicht laut Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben »die rote Fini«, Rudolfine Steindling, von Wien aus mit der Ost-Berliner Firma Novum SED-Millionen ins »nichtsozialistische Ausland« geschafft?[9] Und musste in diesem Fall nicht wenigstens bei Leuten wie den Honeckers etwas hängengeblieben sein? Oder aus Schalck-Golodkowskis »KoKo«-Imperium (das unter dem Namen Kommerzielle Koordinierung den Ausverkauf der DDR betrieb, um sie zahlungsfähig zu erhalten) ein paar wertvolle Kunstgegenstände und Antiquitäten?

Diesen Eindruck hatte ich bei meinen Besuchen bei Margot Honecker nicht, eher im Gegenteil. Erich Honeckers Leibwächter Bernd Brückner schreibt in seinen Erinnerungen an einer Stelle den bemerkenswerten Satz: »Honecker war ein ganz normaler Mensch, wie eben die DDR ein ganz normaler Staat war.«[10]

Natürlich, so mag man einwenden, ist ein Staat, der seine Bürger aus politischen Gründen einsperrt oder gar auf sie schießt, kein »normaler Staat«. Aber das ist es ja nicht, was der Leibwächter mit diesem Satz zum Ausdruck bringen will. Er will sagen, dass die DDR letztlich das war, was auch manche Amerikaner über die gesichtslosen Vororte ihrer Großstädte sagen: »Painfully, painfully normal

Das deckt sich mit einer der ganz wenigen Erwähnungen von Margot Honecker in den Memoiren von Alexander Schalck-Golodkowski. Er weiß lediglich zu berichten, dass Margot Honecker ihre Garderobe im Exquisit nähen ließ. Sie griff zwar auch auf Westprodukte zurück, vermied aber bewusst Marken aus der Bundesrepublik: »Deshalb wurde von einem Bleyle-Pullover schon mal das Schildchen entfernt und ein unauffälliges österreichisches Etikett eingenäht.«[11] Klingt vielleicht lächerlich, aber in jedem Fall nicht nach exzessivem Konsum im Stile einer Diktatorengattin mit Schweizer Nummernkonto.

In Margot Honeckers Fall trifft nach meinem Eindruck eher das Gegenteil zu: Statt des ihr von Erich Mielke angedienten Volvos fuhr sie einen kleinen Citroën.[12] Sie setzte auch durch, dass vor ihrem Haus Nr. 11 in Wandlitz gegen die Regel der Sicherheitsleute ihr Privat-Wartburg vor der Tür stand, da doch alle DDR-Bürger, so sie nicht das Extra-Glück hatten, zum Auto auch noch eine der begehrten Garagen zu ergattern, ihr Gefährt eben vors Haus stellten. »Alles in allem also eine ganz normale Familie«, wie Bernd Brückner resümiert.

Zwar nicht politisch, aber doch hinsichtlich des Lebensstandards deckt sich dies auch mit meinen Beobachtungen in Chile. Beginnen wir mit ihrer Rentenhöhe. Ich fragte danach, weil sie sich in ihrem ARD-Interview (2012) sichtlich erbost über die Höhe ihrer Rente beschwert hatte, die über 1500 Euro betrug und sich aus ihrer Witwen- und ihrer Ministerinnenrente zusammensetzte. Die Renten »systemnaher« DDR-Funktionäre wurden von Gesetzes wegen gekürzt, um DDR-Selbstbedienungseffekte abzumildern. Sie sagte mir mit Verweis darauf, dass sie damit als Auslandsdeutsche besteuert würde, dies sei doch »auf Deutsch gesagt ein Beschiss. (…) Ich muss jedes Jahr meine Steuern bezahlen. (…) Aber ich komm so hin.«

Man könnte nun meinen, besteuert werden auch andere Rentner, und 1500 Euro seien doch ein recht hübsches Sümmchen, noch dazu mit ihrer Kaufkraft in Chile und Monat für Monat pflichtschuldig überwiesen von der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland.

Margot Honecker sah das völlig anders: »Beschämend« sei das, vor allem angesichts der Tatsache, dass sie seit 1963 ohne Unterbrechung 25 Jahre Ministerin für Volksbildung gewesen sei und eben nicht nur die Frau Erich Honeckers oder eine First Lady wie etwa Raissa Gorbatschowa, die sich übrigens schamlos vom Staat und von ihrem Mann habe aushalten lassen und bei jedem Berlinbesuch als Erstes die Boutiquen und Luxusläden im Westen der Stadt leer gekauft habe.

Sie hingegen sei eine gestandene Berufspolitikerin mit eigener Lebensleistung, die darum neumodische Ideen von Emanzipation und Feminismus gar nicht brauche, weil sie wie alle berufstätigen Frauen in der DDR spätestens seit den 1950ern emanzipiert gewesen sei. So sah sie sich, und dieses Bild der professional woman in her own right hat sie in unseren Gesprächen durchaus glaubwürdig verkörpert.

Wirklich kontrovers wurde es einmal zwischen uns bei der von ihr monierten Rentenhöhe: Ich sagte ihr, dass es aus Sicht eines Demokraten schon erstaunlich sei, dass ein und dieselbe Person zweieinhalb Jahrzehnte dasselbe Ministeramt bekleide, aber wenn man das einmal beiseitelasse, dann gelte es hier noch zweierlei zu bedenken: Zum einen seien 1500 Euro Rente deutlich mehr als die derzeitige Durchschnittsrente in Deutschland. Und eingedenk der Tatsache, dass ein Minister in der DDR im Jahr 1989 um die 60000 Mark der DDR brutto pro Jahr verdiente, also rund 5000 Mark der DDR pro Monat, seien 1500 Euro bei einer aktuellen Pensionshöhe von ca. 70 % des letzten Nettogehaltes und der Währungsumrechung sogar überdurchschnittlich. Dabei war die Rentenempfängerin nicht einmal Beamtin, die es in der DDR nicht gab, sondern Angestellte, was einen Rentensatz von nur 50 % des letzten Nettogehalts ergeben hätte. Selbst bei jetziger Umrechnung in Euro seien 1500 Euro Rente, gemessen an DDR-Standards, also mit Fug und Recht als »großzügig« zu bezeichnen.

Ihre Antwort: Unsinn, als langjährige Ministerin habe sie Anspruch auf einen ihren westlichen Ministerkollegen vergleichbaren Satz, und eine solche »Strafrente« sei im Vergleich zu den bundesrepublikanischen Ministerpensionen von 5000 Euro und mehr »unverschämt niedrig«. Selbst in arithmetischer Hinsicht blieb sie unbeirrbar. Rechnen war im Übrigen das Fach, das ihr als Schülerin gar nicht gelegen hat.

Nun gut, antwortete ich, ich sähe das mit Blick auf die durchschnittliche Rentenhöhe in Deutschland ganz anders, aber ich könne mir natürlich erklären, warum sich der Sachverhalt aus ihrer Sicht so darstelle, wie sie ihn beschrieb.

Doch dann gab ich ihr zum Schluss noch Folgendes zu bedenken: Stellen wir uns einmal vor, die Geschichte wäre anders verlaufen, und ein westdeutscher Spitzenpolitiker wäre mit einer der ihren vergleichbaren Karriere 1989 unfreiwillig in die DDR überführt worden. Welches wäre aus...

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