Konsum und Konsumgesellschaft sind Begriffe, die in den Lexika entweder gar nicht – wie dies in den politisch-sozialen der Fall ist – oder aber in nur sehr karg gehaltener Definition vorzufinden sind. Denn je nach Fachrichtung und zeitlicher Einordnung werden sehr unter-schiedliche Aspekte von Konsum in den Vordergrund gestellt, die entweder ökonomischer, anthropologischer oder aber auch technischer Art sein können. Dieser Befund, zusammen-getragen von Christian Kleinschmidt, verdeutlicht die Vielschichtigkeit der Bedeutungen beider Termini, die sich schon deshalb „nicht auf überzeitliche Probleme und Ideen festlegen lassen“, weil sie je nach epochalem Hintergrund nicht nur unterschiedliche Konnotationen und Wertungen beinhalten, sondern darüber hinaus auch sehr differente „Zugänge und Parti-zipationsmöglichkeiten von Ständen, Klassen und Schichten sowie der Geschlechter und Generationen am Konsum“ widerspiegeln.[43] Zur Klärung der Frage, ob der Nationalsozialis-mus eine eigens zu klassifizierende Konsumgesellschaft hervorbrachte, erscheint die Vornah-me einer begrifflichen Bestimmung der Bedeutung von Konsum bzw. Konsumgesellschaft daher mehr als angebracht.
Es ist für diese Festlegung daher ein Ansatz zu wählen, der sowohl den wirtschaftspoli-tischen Theorien, den technischen Möglichkeiten, den kulturellen Vorstellungen als auch den gesellschaftlichen Wünschen der zu betrachtenden Zeit am ehesten gerecht wird. Da sich in Deutschland aufgrund des amerikanischen Vorbilds schon in den 1920er Jahren ein Werte-wandel in Richtung moderner Konsumpräferenz vollzogen,[44] die Regierung Hitler also nicht zuletzt auch deshalb eine „klassenlose“ Konsumgesellschaft propagiert hatte, ist dies also ein sehr zeitgemäßer, den Kleinschmidt wie folgt auf eine Formel bringt:
„Konsum meint den Verzehr und Verbrauch materieller und immaterieller Güter und Dienstleistungen durch den Endverbraucher. In einer Konsumgesellschaft erfolgt der Ver-brauch und Verzehr von Gütern und Dienstleistungen über die Bedürfnisbefriedigung hinaus. Dies setzt Wahlmöglichkeiten und eine ausreichende Produktion der Angebotsseite voraus. Die Konsumgüter und Dienstleistungen sind einem Großteil der Bevölkerung durch zunehmende Marktintegration zugänglich.“[45]
Der Begriff Konsum bzw. Konsumgesellschaft geht hiernach also deutlich über die Bedeu-tung einer Grundversorgung mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Wohnung zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung hinaus, schließt dabei aber die Aspekte Freizeit, Kultur und Indivi-dualität ebenso ein, wie die Aspekte Produktion und Verteilung. Als Endverbraucher schließ-lich gelten hier private Haushalte, aber auch der Staat. Letzterer, der allein aus fiskalischen Gründen ein besonderes Interesse daran hat, dass „immer größere Mengen an Konsumgü-tern einem zunehmend größeren Bevölkerungsteil zugänglich gemacht“ werden, greift durch Vorgaben und Verbote dabei lenkend in den Produktions- und Konsumtionsprozess ein, sei dies nun ordnungspolitisch, gesellschaftlich, ideologisch oder sonst wie begründet.[46]
Auch Hitler machte regen Gebrauch von den Mitteln der Konsumlenkung, betrachtete er die Wirtschaft im Ganzen doch als ein zweckdienliches Instrument zur Erreichung seiner Ziele. Während diese nämlich auf dem Gebiet der Außenpolitik sowohl der Lebensraum- als auch der Rassenpolitik zu dienen hatte, kam ihr auf dem Gebiet der Innenpolitik eine systemstabilisie-rende Funktion zu. Auch deshalb geriet der private Verbrauch schon frühzeitig in den Blick der Regierung Hitler, die es wohl verstand, sich nicht nur als Überwinder der Arbeitslosigkeit, son-dern auch als Befürworter einer auf Massenkonsum ausgerichteten, klassenlosen Gesellschaft zu präsentieren. Wie ließ sich das propagierte Ziel der Konsumausweitung mit den Aufrüstungs- und Autarkieplänen Hitlers aber nun im Konkreten in Einklang bringen? Konnte ein solches Vorha-ben überhaupt gelingen? Und: Welche Rolle haben die Kommunen dabei übernommen?
Zunächst kann kein Zweifel daran bestehen, dass die rüstungswirtschaftlichen Ziele in den Augen Hitlers eine absolute Vorrangstellung einnahmen, zielte ein Großteil der Arbeitsbe-schaffungsmaßnahmen doch von Anfang an auch auf die Aufrüstung ab. Hieraus aber den voreiligen Schluss ziehen zu wollen, dass der Konsumausweitung nur ein untergeordnetes Interesse galt, wäre schon deshalb verfehlt, weil dem Konsum der keynesianischen Theorie nach eine außerordentliche volkswirtschaftliche Bedeutung zukommt. Unter rein fiskalischen Gesichtspunkten aus betrachtet, scheint es jedenfalls mehr als denkbar, dass die propagierte Konsumausweitung von den Nationalsozialisten zunächst v. a. auch deshalb tatsächlich be-absichtigt worden war, weil die über den Weg der vermehrten Konsumtion langfristig mög-lich werdenden Staatsüberschüsse auch der geplanten Militarisierung hätten zugeführt wer-den können. Zur Klärung der Frage, ob der Konsum im nationalsozialistischen Deutschland eine „überragende volkswirtschaftliche Bedeutung“[47] besaß oder ob ihm ggf. gar eine ganz andere Rolle zugedacht wurde, bedarf es allerdings einer Gegenüberstellung der von der Re-gierung Hitler angewandten konsumlenkenden und -beschränkenden Maßnahmen. Da im Rahmen dieser Arbeit freilich nicht alle konsumpolitischen Maßnahmen einer genaueren Betrachtung unterzogen werden können, zumal eine jede wirtschaftspolitische Maßnahme immer auch konsumpolitische Implikationen in sich bergen mag, werden sich die folgenden Ausführungen zunächst auf diejenigen staatlichen aber auch städtischen Instrumentarien der Konsumlenkung und den hieraus resultierenden Folgen beschränken, welche direkten Ein-fluss auf die Angebots-, darüber hinaus aber auch auf die Nachfrageseite ausübten. Es han-delt sich hierbei in erster Linie um An- und Verordnungen, welche sowohl Produzenten als auch Verbraucher hinzunehmen hatten.
2.2.1.1 Eingriffe in die unternehmerische Freiheit
Zu Beginn der NS-Herrschaft konzentrierte sich die Wirtschaftsstruktur der Stadt Augsburg vornehmlich auf die Textil- und Metallindustrie.[48] Mit 16.580 Beschäftigten (ca. 25 Prozent) war die Textilindustrie gegenüber der Metallindustrie, die lediglich rund 7.466 Arbeitskräfte (ca. 13 Prozent) zählte, zu diesem Zeitpunkt noch der größte Arbeitgeber in Augsburg.[49] Während die Metallindustrie zwar in hohem Maße exportabhängig war, angesichts der Autarkiepläne der Regierung Hitler aber neben staatlichen Subventionen zunehmend auch durch profitable Heeresaufträge gefördert, d. h. deren Produktion in der Folge weitestge-hend auf den Binnenmarkt gelenkt wurde,[50] bekam die Textilindustrie, welche als Konsum-güterindustrie ihre Rohstoffe vornehmlich aus Importen bezog,[51] infolge der zur Devisenein-sparung vorgenommenen Ein- und Ausfuhrbeschränkungen von Rohstoffen bzw. Fertigwa-ren – wie an anderer Stelle bereits deutlich wurde – sehr bald schon die negativen Auswir-kungen der nationalsozialistischen Lenkungseingriffe zu spüren. So setzte die Faserstoffver-ordnung vom 19. Juli 1934 aufgrund der verminderten textilen Rohstoffimporte nicht nur eine 30prozentige Herabsetzung der Arbeitszeit in all jenen Textilbetrieben fest, „in denen ausschließlich oder teilweise Wolle, Baumwolle, Hanf oder Jute“ verarbeitet wurde, zur Ver-meidung von Entlassungen bzw. zur Reduzierung des Rohstoffbedarfs verfügte sie darüber hinaus auch, dass bereits stillgelegte Maschinen nur dann wieder in Betrieb genommen wer-den durften, „wenn in entsprechendem Leistungsumfange andere Maschinen außer Betrieb gesetzt“ würden. Ferner wurde den hiervon betroffenen Betrieben auch die Erweiterung ihrer Produktion, sofern sich diese auf importierte Rohstoffe stützte, untersagt.[52] Der durch die Faserstoffverordnung intendierte Zwang zu unrentabler Produktion, verschärft noch durch das Spinnstoffgesetz vom 6. Dezember 1935, dass zur besseren Kontrolle der Textilwirt-schaft neben der Führung von Lagerbüchern auch die staatlich festgesetzte Kontingentierung der zu verarbeitenden Mengen von Wolle, Baumwolle, Hanf, Hartfaser und Jute vorsah,[53] sollte die Unternehmer der Textilbranche, auch wenn der Textlaut beider Verordnungen von einem expliziten Beimischungszwang absah, zweifelsohne zu einer stärkeren Inanspruchnah-me »heimischer« Rohstoffe wie Zellwolle oder Viskose veranlassen. Dass die Wirkung die-ser Bestimmungen mit zunehmender Textilregulierung und zur Neige gehender Lagerbe-stände nicht lange – wenn zunächst auch nicht im gewünschten Umfang –[54] auf sich warten ließ, zeigt sich schon daran, dass textile Mischprodukte bereits Ende 1934 vermehrt auf den Markt gelangten. So haben etwa die Augsburger Baumwollspinnereien bzw. Spinnwebereien, die sich infolge des Rohstoffmangels zunächst noch...