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Zur psychoanalytischen Theorie des Neides

Destruktive Neiddynamik und konstruktive Bewältigung

AutorHelga Hollmann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl115 Seiten
ISBN9783638057677
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Psychologie - Klinische u. Gesundheitspsychologie, Psychopathologie, Note: 1,0, Universität Bremen (Institut für Psychologie und Sozialforschung), 125 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Neiddynamik, die zunächst aus historischer Sicht (Philosophie, Religion, Kunst) in horizontaler und vertikaler Weise betrachtet wird. Es folgen die psychoanalytischen Theorien zum Neid von Sigmund Freud und Melanie Klein sowie eine Betrachtung der inhärenten destruktiven Abwehrformationen. Neben psychonanalytischen Grundannahmen werden die Bestimmungsmerkmale des Neides definiert und beschrieben (Subjekt, Objekt, Gegenstand und Ziel des Neides; Triebe; Emotionen und Affekte; Topik; Struktur und Entwicklung). Darauf aufbauend erfolgt eine detaillierte Darstellung der destruktiven selbst- und fremdschädigenden Auswirkungen der Neidabwehr sowie der Möglichkeiten einer konstruktiven Neidbewältigung. Die theoretische Abhandlung zum Neid entwickelt sich in die Richtung einer anwendungsbezogenen therapeutischen und pädagogischen Arbeit.

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Leseprobe

2. Zur Phänomenologie des Neides

 

Die Betrachtung des Neidphänomens in all seinen Dimensionen führt zu einem sehr komplexen Thema, welches den Menschen schon seit Anbeginn aller geschichtlicher Epochen und in allen Kulturen beschäftigt hat, wie es Schoeck (1966) und de la Mora (1987) in ihren großen Monographien zum Neid nachweisen. Diese beiden häufig rezipierten Werke bieten innerhalb des psychologisch-psychoanalytisch abgesteckten Rahmens dieser Arbeit jedoch keinen ausreichenden Erkenntnisgehalt, da sie das psychische Phänomen des Neides nicht ausreichend erhellen. Während Schoeck den Neid vorwiegend aus soziologischer, ethnologischer und mytho-logischer Sicht behandelt, bewegt sich de la Mora zwischen Soziologie und philosophischer Staatstheorie. Als besonders kritisch anzusehen ist deren gesell-schaftstheoretischer und politischer Ansatz, in dessen Rahmen sie die Unmöglichkeit einer egalitären Gesellschaft aufzuzeigen versuchen. Gegenüber ihren Gegnern, den Sozialisten, nehmen beide eine polemisierende Haltung ein, indem sie deren Position durch Zuschreibung von Neid als unberechtigt ausweisen und diskreditieren (vgl. Vogel, 1992). Ungeachtet dieser Kritik besticht jedoch Schoecks (1966) Werk durch eine Fülle historischen Materials, welches die Wirksamkeit und Missbilligung des Neides in allen Kulturen und Epochen aufzeigen soll; de la Mora (1987) gibt einen umfassenden Überblick über das Spektrum der Philosophen, die sich, beginnend mit den Vorsokratikern bis hin zu den Zeitgenossen, mit dem Thema Neid beschäftigt haben. Einige ausgewählte phänomenologische Aspekte sollen nun in aller Kürze betrachtet werden.

 

Bevor in unserem Kulturkreis mit Beginn des Christentums der Neid geächtet wurde, wachte in der griechischen Religion der Neid der Götter „darüber, daß der Mensch sich nichts Göttliches anmaße“ (Brockhaus, 1955, S. 316). Der griechische Histo-riker und „Vater der Geschichtswissenschaft“ Herodot (484-425 v. Chr.) geht davon aus, dass der Neid sich im Menschen von Anbeginn an offenbart. Mit dem Neid der Götter sowie der Hybris des menschlichen Handelns, aus Übermut, Stolz oder Selbstüberhebung, begründet er sogar eine geschichtliche Kausalität, indem er annimmt, dass der göttliche Neid der Wiederherstellung gebotener Rangunterschiede diene. De la Mora (1987) schreibt dazu, „der Mensch muß seine eigene Gering-fügigkeit anerkennen, so wie die Götter ihren Vorrang durchsetzen müssen“ (S. 17). Die Griechen, je archaischer und gläubiger sie waren, fürchteten deshalb weniger den Neid unter ihresgleichen, auch nicht den Neid unter den Gottheiten selbst, sondern vor allem die auf sie gerichtete göttliche Missgunst und Rache, die ein sofortiges Unglück mit sich brachte; bei Herodot heißt es z.B.: „Die Rache des Himmels fiel auf Krösus als Strafe für seine Hybris, sich für den glücklichsten der Sterblichen zu halten“ (zitiert nach de la Mora, 1987, S. 17). Nicht nur die Griechen, sondern auch die Römer, waren im Falle ihres Emporkommens darauf bedacht, den Neid der Götter nicht zu reizen und versuchten, deren Zorn durch Sühnewerke, wie z.B. Opfergaben, Gebete, Askese, Wallfahrten oder Akte der Selbsterniedrigung, zu beschwichtigen. De la Mora (1987) folgert trefflich: „Der Neid ist demnach keine Schwäche der Unsterblichen. Er ist ihre Kraft und Überlegenheit in Aktion“ (S. 17).

 

Sokrates (469-399 v. Chr.) beschreibt den Neid als „ein schmerzhaftes Gefühl (lype), das weder durch das Unglück der Freunde, noch durch das Wohl der Feinde her-vorgerufen wird, sondern durch das Glück der Freunde….[und erklärt,] der Neid ist kein Laster des weisen Mannes (phrónimos), sondern des dummen“ (Xenophon, zit. nach de la Mora, 1987, S. 18). Dass diesen Aussagen eine heftige Kritik folgte, ist verständlich, denn zum ersten Mal hieß es, dass nicht die Feinde, sondern Freunde beneidet werden, und keinesfalls durften die neidenden Tugendwächter und Götter der Dummheit bezichtigt werden.

 

Platon (427-347 v. Chr.) ordnet die Leidenschaften und deshalb auch den Neid nicht mehr den Göttern, sondern ausschließlich den Menschen zu, welches mit einem theoretischen Ende der neidischen und rachsüchtigen Verfolgung durch die Nemesis verknüpft ist. Er betrachtet den allgemein verbreiteten und nicht absonderlichen Neid als eine Mischform aus Freude und Schmerz, betont jedoch – im Gegensatz zu Sokrates –, dass der „Neid (phthónos) das Vergnügen (hedóne) an fremdem Unglück [ist]“ (zit. nach de la Mora, 1987, S. 19). Diese Auslegung entspricht eher der heutigen Schadenfreude, weil Rache- und Vergeltungswünsche gegenüber einer beneideten Person manchmal sogar ohne eigene Aktivität befriedigt werden und diese dann nicht weiter beneidet werden muss. Aufgrund einer neuen Definition von Freundschaft, die später ebenfalls Aristoteles übernimmt, liegt die Gewichtung des Neides nun auch nicht mehr auf den Freunden, denn gemäß Platon „entsteht zwischen Ähnlichem (homoiótes) notwendigerweise Neid, Zwietracht und Feind-seligkeit, während Freundschaft unter eher Verschiedenen aufkommt“ (zit. nach de la Mora, 1987, S. 20). Dieser Auffassung widerspricht nicht nur de la Mora, sondern auch Platon selbst, wenn er andererseits behauptet, dass üblicherweise der Durch-schnittsmensch bzw. das gemeine Volk eine Minderheit der Weisen und Besten beneide; Weise dagegen seien mit Wesentlicherem als dem Neid beschäftigt, der nicht nur antisozial, sondern auch erkenntnishemmend sei (S. 20f). Wie bereits seine Vorgänger, so rät auch Platon aus einer eher elitär geprägten Perspektive und seinem Wissen, dass „etwas erfolgreich Vollbrachtes (eupratto) erst Rivalität, dann Neid zu erregen pflegt“ (zit. nach de la Mora, 1987, S. 20), den destruktiven Attacken nei-discher Personen, die allgegenwärtig aber oft unsichtbar sind, auszuweichen (S.22). De la Mora (1987) zufolge, ist Platon jedoch der erste, „der den Bereich der Ethik verlässt und den Neid aus epistomologischer [sic] Sicht betrachtet. Wenn die Betrachtung auch nur oberflächlich ist, macht sie doch das verdüsternde und schädliche Wesen des Neidgefühls deutlich“ (S.21).

 

Aristoteles (384-322), der drei mögliche Eigenheiten der Seele unterscheidet, Fähig-keiten, Gewohnheiten und Leidenschaften, betrachtet den Neid „als eine Krankheit der Seele (pathos), die deswegen nur im Körper verspürt wird und zum Ausdruck kommt“ (zit. nach de la Mora, 1987, S. 22). Auch für ihn ist „der Neid der Kummer über fremdes Wohl“ und „die Freude an fremdem Missgeschick“, denn beide Empfindungen stehen in Beziehung zueinander und entspringen derselben geistigen Haltung (S. 22). Platon unterscheidet jedoch erstmalig zwischen dem Neid und dem Unwillen, womit ein neidisches Begehren gegenüber jenen gemeint ist, die ein verdientes Gut besitzen und jenen, die dieses nicht verdient haben (S. 23). Dieses Unterscheidungsmerkmal – im Sinne eines gerechtfertigten und ungerechtfertigten Neides – wird von vielen Autoren auch heute noch häufig hervorgehoben. So gut wie alles, was Glück verspricht, kann Aristoteles zufolge den Neid auf den Plan rufen, unabhängig davon, ob sich jemand rechtmäßig etwas erworben oder nur durch Zufall Glück gehabt hat. Anfällig für diese Empfindung sind seiner Ansicht nach vor allem aber diejenigen, die den Ruhm lieben, welches nach de la Mora „tatsächlich fast die ganze Menschheit einschließt“ (S. 23). Obwohl auch Schoeck (1966) von einer Universalität des Neidphänomens ausgeht, sehe ich entsprechende Hypothesen noch nicht als ausreichend bewiesen an,  denn es scheint in mehreren Ländern – unab-hängig von Reichtum oder Armut – erhebliche Unterschiede des Neidaufkommens zu geben. Die Philosophin und Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp (2006) behauptet z.B., dass die Menschen in Russland noch viel neidischer seien als in Deutschland, dagegen existiere jedoch kaum Neid  in Brasilien, dort gebe es nicht einmal ein Wort dafür, so wie es auch in der portugiesischen Sprache kein Wort für den Neid gebe (S. 3). Die maßgeblichen griechischen Denker sahen sich vermutlich jedoch sehr häufig neidischen Angriffen ausgesetzt, und übereinstimmend hielten sie es für angeraten, den Neid aus moralischen Gründen zu bekämpfen.

 

Auch in der Genesis der christlichen Religion offenbart sich der Neid von Anbeginn an, er wird dem Menschen durch den Teufel, symbolisiert durch die Schlange, ein-gegeben. Im Paradies verführt die Schlange Eva, von der Frucht des Baumes der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen, die sie ebenfalls ihrem Gefährten Adam reicht (Genesis 3, 1-6). Trotz Gottes ausdrücklichem Verbot und seiner Warnung, dass sie in diesem Falle sterben würden (Genesis 2, 17), bezweifelten sie letzteres aufgrund der Einflüsterung der Schlange, sondern glaubten eher, dass Gott ihnen das Beste vorenthalten wollte. Im alttestamentarischen Buch der Weisheit Salomons (1999, Vers 2,24f) heißt es: „Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt, Und den erleiden die, welche zu ihm gehören“ (S. 45) sowie „Der ‚Neid des Teufels’ dürfte der Neid auf den mit ewigem Leben bedachten Menschen sein….und der Mensch in seiner Dummheit macht sich sogar zum Agenten seines eigenen Todes…ein Akt nicht zu überbietender Blindheit und Torheit“ (S. 48). Diese Sünde, auch als Erbsünde bezeichnet (in Genesis 3 kommt das Wort „Sünde“ allerdings nicht vor), führt zur Vertreibung aus dem Paradies (Genesis 3, 22-24). Ihr neidisches Begehren, neue Erkenntnisse erlangen und sein zu wollen wie Gott, führte zu härtesten Bestrafungen...

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