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Zwölf Wochen in Riad

Saudi-Arabien zwischen Diktatur und Aufbruch - Ein SPIEGEL-Buch - Mit zahlreichen farbigen Abbildungen

AutorSusanne Koelbl
VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783641214463
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Exklusive Einblicke in eines der verschlossensten Länder der Welt
SPIEGEL-Reporterin Susanne Koelbl ist gelungen, was kaum einem Journalisten gestattet wird: Sie durfte durch Saudi-Arabien reisen, ohne Beschränkungen und staatliche Aufsicht. Für mehrere Monate hat sie sich durch ein Land treiben lassen, das gerade den tiefgreifendsten Wandel seiner Geschichte erlebt. Kronprinz Mohammed bin Salman öffnet das Land, zeigt aber zugleich eine dunkle, aggressive Seite. Susanne Koelbl hält diesen historischen Aufbruch aus nächster Nähe fest. Ihr Buch gewährt Einblicke in die Welt der Machthaber und Ultrakonservativen genauso wie in das verborgene Leben der Frauen.

Aktualisierte Ausgabe mit einem neuen Nachwort und zahlreichen Farbabbildungen.

Susanne Koelbl ist Auslands-Reporterin des SPIEGEL. Nach ihrer journalistischen Ausbildung in München arbeitete sie als Autorin des Magazins der Süddeutschen Zeitung. 1991 wechselte sie zum SPIEGEL und berichtet seitdem vom Balkan, aus Zentralasien und aus dem Nahen Osten, darunter Syrien und Iran, Irak und Saudi-Arabien. Für ihre Reportagen wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Reemtsma Liberty Award. Zusammen mit Olaf Ihlau hat sie das vielbeachtete Buch »Geliebtes, dunkles Land. Menschen und Mächte in Afghanistan« veröffentlicht (2007). Für »Zwölf Wochen in Riad« erhielt sie den ITB BuchAward.

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Leseprobe

Kronprinz Mohammed bin Salman: Zeit des Bulldozers

Ein junger Thronfolger ist die große Hoffnung des Königreichs. Er soll das Land modernisieren und so vor dem drohenden Staatsbankrott bewahren. Doch neben seinen Talenten zeigt der Prinz inzwischen auch eine ganz andere, dunkle Seite.

Der junge Prinz Mohammed ist zwölf Jahre alt, als er erstmals an den Besprechungen seines Vaters teilnimmt, der damals Gouverneur von Riad ist. Der Vater ist ein fähiger, knochenharter Manager. In wenigen Jahrzehnten hat er aus dem Wüstenflecken Riad gemacht, was es heute ist: eine pulsierende, moderne Hauptstadt. Schon lange heißt es über Gouverneur Salman, er besitze ein geheimes Dossier über jede wichtige Person im Staat – und damit halte er das ganze Königreich in Schach.

Prinz Salman hat eine besondere Schwäche für diesen erstgeborenen Sohn seiner dritten Ehefrau. Mohammed ist ein Junge mit fleischigen, vollen Lippen und gewinnendem Lachen, langgezogene Brauen ziehen sich über die kastanienbraunen Augen, die besonders dicke, schwarze Wimpern haben. Er ist selbstbewusst und vorlaut. Der kleine Prinz albert gerne mit der Palastwache herum. Den Privatlehrer für Englisch zieht er so auf, dass dieser sich außerstande sieht, den Unterricht in der Klasse fortzusetzen, die ausschließlich aus Mohammeds Geschwistern besteht. Doch der Vater lässt diesem Sohn mehr durchgehen als jedem anderen seiner 13 Kinder.

Mit 19 Jahren ist Prinz Mohammed der ständige Begleiter seines Vaters. Er macht Notizen, wie ein Adjutant. Er flüstert dem Vater Ideen zu. In Gesprächen mit anderen bittet Mohammed, seine Gedanken anmerken zu dürfen. Ganz selbstverständlich lernt er so den Maschinenraum des Königreichs von innen kennen, den Umgang mit ausländischen Politikern, Prinzen, internationalen Geschäftsleuten. Was er nicht lernt, ist Kompromissfähigkeit und jene Diplomatie und Geschmeidigkeit, die Prinzen üblicherweise antrainiert wird, wenn sie Eliteschulen in England besuchen oder die prestigeträchtigen Universitäten der »Ivy League« im Nordosten der USA. Er hat nie in einem anderen Land als dem Königreich gelebt.

Prinz Mohammed hat eine rasche Auffassungsgabe. Es heißt aber auch, der Königssohn sei sehr emotional und neige zum Jähzorn.

MBS zieht es vor, beim Studium in der Nähe des Vaters zu bleiben. Kronprinz Salman soll nach König Abdullah den Thron besteigen. Den Bachelor in Rechtswissenschaft absolviert der Sohn deshalb an der King Saud University in Riad.

Im Januar 2015 übernimmt der Vater, Salman bin Abd al-Asis bin Saud, dann die Macht in Riad, im Alter von 79 Jahren. Seinen Lieblingssohn ernennt er sofort zum Verteidigungsminister, mit gerade mal 29 Jahren. Damit ist Prinz Mohammed der weltweit Jüngste in diesem Amt.

MBS gewährt Freiheiten, duldet aber keinen Widerspruch

Es heißt, die Gesundheit von König Salman sei angeschlagen, von beginnender Demenz ist die Rede. Der königliche Hof dementiert das. Jedenfalls übergibt der König dem Sohn die Verantwortung für die Tagesgeschäfte der neuen Regierung.

Die Fäden der Macht im Königreich laufen jetzt bei Prinz Mohammed zusammen.

Prinz Mohammed ist auch verantwortlich für das Transformationsprogramm »Vision 2030«, das er und sein Vater erarbeitet haben. Es ist das Herzstück einer Reform, die Saudi-Arabiens Wirtschaft weg vom Öl führen soll. Sie befördert druckvoll den Aufbau des privaten Sektors. Die »Vision 2030« stellt das Königreich, wie man es bisher kannte, auf den Kopf.

Manche sprechen bereits vom vierten saudischen Königreich, das unter der Hand von Prinz Mohammed entstehen wird. Gemeint ist, dass, nachdem zwei frühere Königreiche der Sauds untergingen, im 18. und 19. Jahrhundert, sich dieses dritte jetzt in ein viertes, ein ganz anderes Land verwandeln wird. Sie nennen Mohammed deshalb hier »Mr. Everything«, halb spöttisch, halb ehrfürchtig. Denn es gibt kaum einen Bereich in Saudi-Arabien, den der Prinz nicht wenigstens am Rande selbst mitmanagt.

Eines Tages, im Jahr 2016, zieht der Prinz die einflussreichsten Medienmacher und Fernsehchefs des Landes zusammen, sie treffen sich in Riad. Er weiht sie ein in seine Pläne, in die »Vision 2030«. Der junge Herrscher will, um die Wirtschaft anzukurbeln, andere gesellschaftliche Verhältnisse schaffen. Die religiöse Doktrin der Wahhabiya, eine puristische, ultrakonservative Auslegung des Islam, soll im Alltag zurückdrängt werden und Frauen sollen künftig eine sichtbare Rolle spielen. Den Journalisten droht der Prinz: »Ich bin ein Bulldozer, und ich werde jeden aus dem Weg räumen, der hier nicht mitmacht.« So berichtet es einer, der dabei war.

Unruhe in der Herrscherfamilie

Nur, wo genau will der neue starke Mann hin, der die alte Ordnung im Königreich gerade aus den Angeln hebt? Der neue Freiheiten gewährt, aber selbst keinen Widerspruch duldet? Und warum geschieht dieses Erdbeben ausgerechnet jetzt?

Auf einer Reise, die Prinz Mohammed bin Salman kurz nach seinem Eintritt in die Regierung durch die ganze Welt führt, nach China, Russland, in die USA, trägt er dem staunenden Publikum weithin schonungslos die Lage seines Landes vor. Im Fairmont Hotel in San Francisco erklärt er vor einflussreichen Investoren: »In zwanzig Jahren wird die Bedeutung des Öls gleich Null sein, dann übernehmen die erneuerbaren Energien. Ich habe zwanzig Jahre, um in meinem Land das Ruder herumzureißen und es in die Zukunft zu führen.« Die Zuhörer sind erst baff, dann begeistert von diesem jungen Saudi, der sein Land trotzdem als einmalige Gelegenheit zu verkaufen versteht. MBS, wie viele den Prinzen auch nennen, verspricht jenen Milliardengewinne, die jetzt in den Umbau des Königreichs investieren: in eine Zukunftsstadt, die er am Roten Meer für 500 Milliarden Dollar plant, in Solarparks, Infrastruktur, Bildungsinstitute, Freizeitlandschaften, eine Unterhaltungsbranche und exklusive Ferienressorts.

Im Klartext heißt dies, Saudi-Arabien hat den richtigen Zeitpunkt zwar eigentlich verpasst, sich für die kommenden Herausforderungen aufzustellen. Aber jetzt wird das Königreich in einer einmaligen Anstrengung von oben revolutioniert. Der Prinz will neue Industrien entwickeln, Jobs schaffen. Und das so rasch wie möglich.

Drei Monate nach König Salmans Amtsantritt geschieht etwas Ungewöhnliches. Der Herrscher wechselt im April 2015 den designierten Kronprinzen aus – das ist derjenige, der ihm im Falle seines Todes auf den Thron folgen soll. Danach würde nun sein Neffe, der sehr erfolgreiche Innenminister Mohammed bin Naif, König. An die Position von dessen Stellvertreter setzt er allerdings seinen Sohn Mohammed. Damit macht König Salman erstmals deutlich, dass er dem eigenem Spross den Weg zum Thron ebnen will.

In der Herrscherfamilie löst dieser Schachzug Unruhe aus. Bei aller internen Konkurrenz gibt es bisher ein Konsensprinzip. Danach ist darauf zu achten, dass die verschiedenen Zweige der Familie einigermaßen ausgewogen in den einflussreichen Positionen repräsentiert sind. Nun scheint es, als solle die Macht erstmals auf einen Familienzweig konzentriert und die übrigen Linien marginalisiert, wenn nicht abgeschnitten werden.

Tatsächlich dauert es nur gut zwei Jahre, bis der König auch den neuen Kronprinzen Mohammed bin Naif in einer überaus trickreichen Rochade aus dem Spiel nimmt, über Nacht, im Juni 2017. Er hievt jetzt seinen Sohn Mohammed auf den Platz des Thronfolgers. Intime Kenner des Hofes sagen, Prinz Mohammed und der König hätten monatelang an dem Plan gefeilt.

In kürzester Zeit häuft der neue designierte Thronfolger eine Machtfülle an, die viele beängstigend finden. Mohammed ist jetzt Kronprinz, Verteidigungsminister, stellvertretender Premierminister, führt den königlichen Hof – die eigentliche Zentrale des Landes, die auch den Zugang zum König regelt – , er überwacht das Wirtschaftsprogramm »Vision 2030«, den Staatsfonds des Königreichs und die staatliche Ölfirma Aramco.

Mutiger Modernisierer

Für viele ist Prinz Mohammed bin Salman schon jetzt ein Held. Die meisten Saudis sind jung, fast die Hälfte ist unter 25 Jahre alt. Sie sagen, das Land sei jahrzehntelang von greisen Herrschern regiert worden, endlich habe einer das Sagen, der ihre Generation vertrete. »Bis zum Ende«, schwört ein junger Musiker in Riad MBS die Treue. Dabei legt er selig die Hand aufs Herz. Der 23-Jährige ist glücklich, endlich offen seiner Leidenschaft nachgehen zu dürfen, dem Trompetespielen, vor Publikum. Den religiösen Fundamentalisten im Königreich gilt Musik als Teufelszeug. Aber jetzt tritt der Musiker mit seiner Band auf einem Jazzfest auf. Es ist Teil des neuen Kulturprogramms im Königreich, ein Geschäftsfeld, das Prinz Mohammed erst kürzlich eröffnet hat.

Die religiöse Doktrin des Landes droht bei der Verwirklichung der »Vision 2030« eines der größten Hindernisse zu sein. König Salman entreißt der Religionspolizei deshalb gleich zu Anfang seiner Amtszeit die Macht, und Mohammed bin Salman verblüfft viele, als er in einem Interview überraschend sagt: »Wir werden zu dem zurückzukehren, was wir waren – zu einem gemäßigten Islam, der für alle Religionen und für die Welt offen ist.«

Ein anderes Mal hebt MBS plötzlich die gesetzliche Pflicht zur Ganzkörperverschleierung für Frauen auf, die all die Jahre gegolten hat. Wie nebenbei. Frauen müssten lediglich anständig und angemessen gekleidet sein, erklärt der Königssohn, keineswegs aber die schwarze, bodenlange Abaja tragen.

MBS genehmigt Marathonläufe für Frauen, Kinos, öffentliche Monster-Truck-Shows, Street-Festivals. Die...

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