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1914

Das Ereignis und sein Nachleben

AutorKurt Pätzold
VerlagVerlag am Park
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783897933132
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
'Meine Herren, es kann ein siebenjähriger, es kann ein dreißigjähriger Krieg werden -, und Wehe dem, der zuerst die Lunte an das Pulverfass schleudert.' So lautete die Warnung, ausgesprochen im Deutschen Reichstag von Helmuth Graf von Moltke (1800-1891), dem einstigen Generalstabschef der preußischen und der deutschen Armee, nahezu ein Vierteljahrhundert vor dem Beginn des (Ersten) Weltkrieges. Ein Jahrhundert später wird die Legende von den Ahnungslosen, die schlitternd oder taumelnd, nun gar schlafwandelnd in den Weltkrieg gerieten, reanimiert. Interessen und Ziele derer, die ihn bei vollem Bewusstsein vorbereiteten und auslösten, gehören zu den gemiedenen oder ins Abseits gestellten Themen. Die Fahndung nach den Kriegsschuldigen gilt als antiquiert. Sie jedoch nimmt der Historiker Kurt Pätzold mit der Frage nach Ursachen und Verursachern des 'Weltfestes des Todes' (Thomas Mann) wieder auf. Ferner befasst er sich in seiner Arbeit mit den verklärenden Dogmen von Vaterlandsverteidigung und Heldentum, vom unbesiegten deutschen Kaiserheer und der den Nachkommenden auferlegten Pflicht, den angeblich für sie Gestorbenen 'nachzueifern'.

Jahrgang 1930, geboren in Breslau, studierte in Jena Geschichte, Philosophie und politische Ökonomie. Ging später nach Berlin und konzentrierte sich dort auf Lehre und Forschung auf seinem Gebiet. Aufsehen erregte er mit verschiedenen Publikationen u.a. 'Geschichte der NSDAP', 'Rudolf Heß. Der Mann an Hitlers Seite'.

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Leseprobe

1. Von Ursachen und Verursachern

In einem der Zitate, die diesem Buch voran stehen, ist eine Äußerung des Generalstabschefs der preußisch-deutschen Armee, des Generalfeldmarschalls Helmuth Karl Bernhard Graf von Moltke (der Ältere) festgehalten, wonach in Europa seit zehn Jahren ein Krieg drohe und zwar zwischen Großmächten. Der galt dem berühmt gewordenen Manne nicht als ein Ereignis, das kommen werde und müsse, aber als eine Möglichkeit, von der er wünschte, dass sie nicht eintrete. Die Warnung, die er 1890 während einer Debatte, in der es um die Bewilligung weiterer Staatsmittel für die Rüstung ging, aussprach, blieb wie viele andere ungehört. Moltke starb im Jahre darauf.

Der Generalstabschef der preußisch-deutschen Armee in den Kriegen 1864, 1866 und 1870/71 war nicht der einzige, der sich in dieser Weise besorgt äußerte. Drei Jahre vor ihm sagte Friedrich Engels in seiner berühmt gewordenen prophetischen Warnung vor einem Weltkrieg Veränderungen voraus, die er, die wirtschaftlichen, politischen und moralischen Zustände revolutionierend, zur Folge haben werde. Auch er sah diese Entwicklung nicht als unabwendbar an, doch als unausbleibliche Folge der Politik gekrönter und ungekrönter Herrscher Europas, namentlich des von ihnen vorangetriebenen Rüstungswettlaufs.

Der Staat, der sich dem Volke immer mehr entfremde, schrieb Engels, die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft skizzierend, sei dabei, sich in ein »Konsortium von Agrariern, Börsenleuten und Großindustriellen« zu verwandeln und die Spießbürger in ihm, an deren Spitze Adel und Fürsten, seien noch aufgeblasener und chauvinistischer geworden als jene zu Zeiten, von denen im Buch Sigismund Borkheims gehandelt werde, für das er dies in der Einleitung schrieb. Damit hatte er Charaktere der Herrschenden beschrieben, die auf dem weiteren Weg des Kaiserreichs eine verhängnisvolle Rolle spielten. Damit waren jedoch noch nicht die Widersprüche bezeichnet, für deren »Lösung« sich Führer der europäischen Großmächte, die Deutschlands voran, mehr als ein Vierteljahrhundert später in den Krieg stürzten. Der war, schon als er näher rückte, von einer zunehmenden, wenngleich kleinen Zahl von Zeitgenossen als Weltkrieg bezeichnet worden. Damit wurde ein Begriff benutzt, der älteren Ursprungs ist und frühere Verwendung schon gefunden hatte.

Wenn aber vor seinem Beginn scharfe und mit geschichtlicher Phantasie begabte Beobachter Zustände, Zeichen und Tendenzen wahrnahmen, die ihnen auf einen Krieg dieses Ausmaßes hindeuteten, drängt sich die Frage auf, warum bis heute Historiker die Vorgeschichte des Krieges als eine nur kurze Zeitspanne sehen, die einer 1911 mit dem italienischen Krieg gegen das Omanische Reich um Libyen, ein anderer mit den Balkankriegen 1912/13 beginnen lässt? Es ließe sich weiter fragen, warum auf diese Weise Ursprünge des großen Krieges aus dem Zentrum des »alten« Kontinents, den Moltke wie Engels im Blick hatten, gleichsam exportiert werden, in dessen südöstlichen Teil oder gar über das Mittelmeer nach Nordafrika, also an dessen Peripherie?

Denkmal von Helmuth Karl Bernhard Graf von Moltke (1880-1891) am Großen Stern in Berlin. Er warnte im Deutschen Reichstag bereits 1890 vor dem Großen Krieg

Das 19. Jahrhundert endete und das 20. begann nicht mit einem Weltkrieg, sondern mit einer Vielzahl begrenzter Kriege in Asien und Afrika, die vorwiegend um koloniale Besitzungen geführt wurden. Sie bezeugten vor allem, dass die Herrschenden in Europa und den USA kriegerische Gewalt als taugliche Mittel ansahen, ihre Interessen durchzusetzen und das nicht nur gegenüber Ländern von vorbürgerlichen Entwicklungsstufen, die erobert wurden oder ihre Besitzer wechselten. Mit den USA und Spanien, mit Japan und Russland bekriegten sich nicht eben gleichstarke Kontrahenten, aber doch Staaten mit einer mehr oder weniger ausgeprägten kapitalistischen Struktur und Industrie. In diesen Kriegen erreichte Erfolge ebenso wie erlittene Niederlagen stachelten weitere Anstrengungen zur Modernisierung von Rüstungen und deren Vermehrung an. Mit den Gewinnen der Sieger senkte sich die Hemmschwelle, sich auch künftig auf kriegerische Abenteuer zu begeben. Wichtiger noch: diese Kriege und Feldzüge, die Kolonialreiche vergrößerten oder schufen, erzeugten oder vererbten Konflikte zwischen europäischen Staaten. Das galt für die Beziehungen Englands und Frankreichs und ebenso für die zwischen England und Russland. Das sich zu einer neuen Großmacht entwickelnde Deutschland, das begonnen hatte, Kolonien zu erwerben, glaubte, von diesen Konflikten profitieren zu können.

Die USA führten 1898 einen Krieg gegen das Königreich Spanien, siegten und verleibten sich Puerto Rico, Guam und die Philippinen ein, während Kuba ein von ihnen abhängiger, aber als selbständig ausgegebener Staat wurde. Der US-amerikanische Außenminister John Hay bezeichnete das Geschehen danach als splendid little war.

Das lässt sich vom (Zweiten) Burenkrieg 1899 bis 1902 nicht sagen, den Großbritannien gegen die Burenstaaten Oranje und Transvaal führte. Der endete mit deren Eingliederung in das britische Empire. 1904 bis 1905 kämpften zwei Mächte im Fernen Osten gegeneinander, die über gleichwertige Waffen zu Lande und zur See verfügten. Die Aggression ging von Japan aus und endete mit dessen Sieg über das Zarenreich, dem Gewinn des Hafens von Port Arthur, der Hälfte der Halbinsel Sachalin und dem Rückzug der Russen aus der Mandschurei. Alle diese Kriege waren von imperialistischer Natur und wurden um machtpolitischer und ökonomischer Vorteile willen geführt. Zudem kündete sich in einem von ihnen, dem russischjapanischen, an, wie künftige militärische Auseinandersetzungen verlaufen und um wie viel mehr Opfer sie fordern würden, als die vorausgegangenen.

Von Gleichwertigkeit der einander Bekriegenden konnte im Krieg Italiens gegen das Osmanische Reich 1911 bis 1912 nicht gesprochen werden, den der italienische Aggressor um den Gewinn Tripolitaniens und der Cyrenaika führte und nachdem er sich auch die Dodekanes einverleibte. In diesem Krieg wurden Zeppeline eingesetzt, die Bomben abwarfen, und zum ersten Mal auch Flugzeuge, sowohl als Träger von Bomben wie als Instrumente der Aufklärung der feindlichen Stellungen.

Der österreichische Imperialismus sah seine Expansionsrichtung nicht in fernen Regionen, sondern vor der eigenen Haustür. Die vormals osmanischen Provinzen Bosnien und Herzegowina, die bereits seit Jahrzehnten sich unter dem Einfluss Wiens befanden, wurden 1908 in einem einseitigen Akt den Territorien der Monarchie zugeschlagen, wobei das Deutsche Kaiserreich Hilfsdienste leistete. Zugleich existierten in Wien ungleich weitere Eroberungsabsichten, Sie sollten auf Kosten des »kranken Mannes am Bosporus«, wie das altersschwache Osmanische Reich genannt wurde, verwirklicht werden, zielten aber auch gegen süd- und westslawische Bestrebungen, eigene unabhängige Staaten zu errichten oder zu vergrößern. Damit wurden Konflikte vor allem mit Serbien, aber auch mit weiteren jungen Balkanstaaten geschaffen, zumal Vorstellungen am Wiener Kaiserhof bis zur Schaffung einer eigenen Bastion in der Ägäis reichten.

Doch kamen die herrschaftsgewohnten Habsburger, die sich in ihrem Vielvölkergefängnis kräftiger werdenden nationalen Bestrebungen konfrontiert sahen, nicht zum Zuge. Das gelang den zu einem von Russland geförderten Balkanbund zusammengeschlossenen Kleinstaaten Serbien, Bulgarien, Griechenland und Montenegro, die im (Ersten) Balkankrieg von 1912 bis 1913 der Herrschaft des Osmanischen Reich in Südosteuropa ein definitives Ende setzten. Doch schloss sich an ihren Sieg über die Pforte unverzüglich eine Auseinandersetzung um den Anteil am Gewonnenen an. Die führte noch 1913 in den (Zweiten) Balkankrieg. In ihm bekriegten Serbien und Griechenland mit Rumänien und dem Osmanischen Reich ihren Nachbarn Bulgarien, das unterlag und sich als großer Verlierer ansehen musste. Es büßte weite Gebiete ein, die es soeben erobert hatte.

Die kriegerischen und unkriegerischen Auseinandersetzungen um die politische Geographie des Balkans in den Jahren von 1908 bis 1913 hinterließen ein vielgestaltiges Erbe. Es hatte Sieger und Verlierer gegeben, mithin waren Rechnungen offen geblieben. Zudem rumorten innerhalb der Staaten ethnische, politische und religiöse Konflikte en masse. Minderheiten wünschten, mit der Mehrheit von Ihresgleichen im benachbarten Staate zu leben und Regierungen hofften, das eigene Terrain mit deren Hilfe vergrößern zu können. Vor allem hatten benachbarte wie entfernte Großmächte in den Kriegen ihre Interessen verfolgt, Partei ergriffen, Verbündete gefunden und, auf sie gestützt, nach Einflussgebieten von Dauer gesucht. Am Ärgsten stießen die Balkanziele des Zarenreiches und der österreichisch-ungarischen Monarchie aufeinander. Zum neuralgischen Punkt ihrer Interessengegensätze wurde Serbien, in dem Petersburg einen Verbündeten fand, während Wien den ungeliebten Nachbarn am liebsten von der Karte des Balkans getilgt haben würde.

War nicht mehr an Bord beim Geschrei nach der Neuaufteilung der Welt: Reichskanzler Otto von Bismarck

Indessen: die Konflikt geladene Situation auf und um den Balkan hätte für sich genommen schwerlich einen Weltkrieg bewirkt. So sah auch Kaiser Wilhelm II. die Sache an, der nach Kriegsbeginn die Schuld am Kriege ungenannten übel wollenden Feinden gab. Zu den Kriegserklärungen der ersten Augusttage 1914 trieben stärker andere Widersprüche und Konfrontationen, die sich seit längerem entwickelt hatten und schwerer wogen. Das viel zitierte Bild vom Pulverfass Balkan, an das der junge serbische Nationalist Gavrilo Princip...

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