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Die Gesellschaft der Überlebenden

Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrungen im Zweiten Weltkrieg

AutorSvenja Goltermann
VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl592 Seiten
ISBN9783641038076
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Über die Folgen der Gewalterfahrungen deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg
Svenja Goltermann erschließt in einem packenden Buch einen blinden Fleck der deutschen Zeitgeschichte: Sie geht der Frage nach, was die Gewalterfahrungen des Zweiten Weltkriegs für deutsche Soldaten und ihre Familien nach dem Krieg bedeuteten. Ein brisanter Beitrag zur Debatte um das Selbstverständnis der Deutschen und ihre Rolle als Täter und Opfer im Zweiten Weltkrieg.

In den letzten Jahren hat sich die zeitgeschichtliche Forschung verstärkt der Frage zugewandt, welche Opfer die Deutschen im Zweiten Weltkrieg hinnehmen mussten. Svenja Goltermann greift in diesem Zusammenhang ein besonders brisantes und bislang nicht behandeltes Thema auf: die Nachwirkungen der Gewalterfahrungen im Krieg bei den heimkehrenden Soldaten. Durch bislang ungenutztes Quellenmaterial - die Krankenakten psychiatrisch behandelter Soldaten - wird deutlich, wie schwierig es für die Betroffenen und ihre Angehörigen war, wieder in den Alltag zurückzufinden. Einfühlsam und ohne moralische Vorurteile bringt Goltermann diese Zeugnisse von Gewalt, Schuld, Rechtfertigung und einsamer Hilflosigkeit zum Sprechen. Zugleich wird deutlich, warum die damalige Psychiatrie psychisch bedingte Leiden nicht mit dem Krieg in Verbindung brachte und welche Konsequenzen sich daraus für Politik und Gesellschaft ergaben. Spannend beschreibt sie, warum die Rentenansprüche der Kriegsheimkehrer dabei mit den Entschädigungsansprüchen der Holocaust-Opfer in direkte Konkurrenz traten. Svenja Goltermann legt ein wichtiges Buch zur deutschen Zeitgeschichtsschreibung vor, das die Erinnerung an den Krieg und seine Verbrechen in ein neues Licht rückt.

• Erstmalige Thematisierung der Folgen der Gewalterfahrungen von deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg
• Faszinierendes neues Quellenmaterial
Mit dem Historikerpreis 2008 ausgezeichnet.



Svenja Goltermann, Jahrgang 1965, ist Professorin für Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich. Für diese Studie erhielt sie den renommierten Preis des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands.

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Leseprobe
Das Folgende liest sich wie eine vertraute Geschichte: Als sich Hans H. im Frühjahr 1949 anschickte, aus seinem bisherigen Leben zu erzählen, lagen bereits Monate einer aufreibenden inneren Unruhe hinter ihm. Genau genommen dauerte diese sogar schon mehrere Jahre an. In den letzten Tagen aber hatte sich alles zugespitzt. Mehrere Nächte hatte er nicht mehr geschlafen. Achtunddreißig Jahre war er alt, und sein Leben schien zerrüttet.
Dabei war er einst sehr erfolgreich gewesen, ein ehrgeiziger junger Mann - das hatte sich bereits in der Schule abgezeichnet, auch wenn er sie seinerzeit vor der Oberprima verlassen hatte. Der Dienst bei der Polizei war verlockender für ihn gewesen. Tatsächlich entwickelte sich daraus eine Karriere. Hans H. hatte diese in ihren einzelnen Stationen knapp in einem handschriftlichen Lebenslauf skizziert. Sein Rückblick war schnörkellos, fast nüchtern. Die Beförderung zum Polizeiwachtmeister datierte auf das Jahr 1932. Nach Auflösung der Landespolizei und der Wiedereinführung der Allgemeinen Wehrpflicht 1935 sei er dann als Unteroffizier in die Luftwaffe übernommen worden. Von einer weiteren Beförderung zum Feldwebel im darauffolgenden Jahr berichtete er ebenfalls nur kurz. Es handelte sich offenbar eher um einen untergeordneten Punkt in seinem Leben, denn Hans H. hatte neue und andere Herausforderungen gesucht - und ergriffen.
Der Spanische Bürgerkrieg bot ihm eine erste Gelegenheit: Sofort hatte er sich damals freiwillig gemeldet. Er war der Legion Condor beigetreten, mehr als zwei Jahre hatte er dort gekämpft. Auch zehn Jahre später noch zeigte Hans H. sich erkennbar stolz darüber, dass er im Stab des Generals von Richthofen hatte tätig sein können. Doch der eigentliche Karrieresprung erfolgte nach der Rückkehr. Man habe ihm »durch die inzwischen erfolgte Aufstellung neuer Polizeitruppenverbände die Möglichkeit geboten, unter günstigen Beförderungsaussichten Polizeioffizier zu werden«, erläuterte er, und tatsächlich hatte Hans H. die ihm gebotene Gelegenheit ergriffen. (Nur nebenbei erwähnte er, dass er selber bei seiner Rückkehr aus Spanien überzeugt gewesen war, »dass die Polizei wichtiger sei u[nd] die Wehrmacht eine Gefahr für das Volk darstelle«.) Im November 1939 jedenfalls bat er um seine Entlassung aus der Wehrmacht, um von der Schutzpolizei übernommen zu werden. Sein Einsatz sollte nicht umsonst sein: Bereits acht Monate später konnte Hans H. nicht nur seine Beförderung zum Leutnant der Schutzpolizei feiern; auch sein gutes Prüfungsergebnis zahlte sich aus. Mittlerweile im Rang eines SS-Untersturmführers und in das SS-Führerkorps aufgerückt, wurde Hans H. »sofort vom Lehrkörper« übernommen, wo er als Lehr- und Ausbildungsoffizier an verschiedenen Polizeioffiziersschulen seinen Dienst tat. Im Januar 1942 schien ihn dies jedoch nicht länger zufriedenzustellen. Was Hans H. reizte, war der Krieg, genau genommen der direkte Einsatz an der Front, zu dem er sich freiwillig meldete. Als Zugführer in einem Polizei-Reservebataillon ging es nach Südrussland.
Was Hans H. über die nachfolgenden Jahre bis zum Kriegsende berichtete, war immer noch nicht viel. Vor allem rekapitulierte er Ehrungen: seine Ernennung zum Oberleutnant der Schutzpolizei und Kompaniechef in einem Polizeiregiment im Februar 1942 und die fast zeitgleich erfolgte Beförderung zum SS-Obersturmführer; dazu die Vielzahl an Kriegsauszeichnungen. So macht alles einen geordneten Eindruck, nur die Bemerkung, dass er viel Alkohol im Krieg getrunken habe, fügt sich nicht so recht ein. Darüber aber ließ sich Hans H. nicht genauer aus. Wie er überhaupt - jedenfalls den Krieg selbst betreffend - offenbar nur von einem Erlebnis ausführlicher erzählte: von seiner Granatsplitterverletzung. Hans H. erwischte es im Januar 1944. Es war das einzige von ihm erwähnte Ereignis, das die zerstörerische Kraft des Krieges zum Ausdruck brachte. Seinem aktiven Einsatz in diesem Vernichtungskrieg hatte sie damals ein jähes Ende gesetzt. Hans H. war in ein Lazarett gebracht worden, das er erst nach Monaten wieder verlassen konnte. Auch vier Jahre nach Kriegsende waren ihm die eigenen Schmerzen, die kaum zu ertragen gewesen seien, äußerst präsent. In seiner Erzählung nahmen sie vergleichsweise viel Raum ein. Oftmals habe er wegen der Schmerzen sogar »Tobsuchtsanfälle« bekommen, berichtete er; das viele Morphium habe ihm nur vorübergehend Erleichterung verschafft. Mehrmals habe er damals sogar »Selbstmordgedanken« gehabt. In der Tat war die Verletzung am linken Bein erheblich. Nach zwei Monaten sahen die Ärzte keinen anderen Ausweg mehr: Sie mussten das Bein amputieren.
Seitdem trug Hans H. eine Prothese. Doch er klagte nicht darüber; jedenfalls tat er es nicht laut. In seinem Lebenslauf verwies er stattdessen darauf, dass sein beruflicher Status und seine soziale Lage auch nach der Verletzung ungebrochen gewesen seien. Immerhin, seine Frau wurde im Spätsommer 1944 zum ersten Mal schwanger, und beruflich ging es weiter aufwärts: Im Dezember 1944 wurde ihm der Rang eines SS-Hauptsturmführers zugesprochen. »Wegen besonderer Bewährung vorm Feinde«, wie es damals hieß, erfolgte obendrein die Beförderung zum Hauptmann der Schutzpolizei, mit der dann auch seine Versetzung zum Kommando der Schutzpolizei Dresden verbunden war. Es war ein verantwortungsvoller Posten, den man ihm übertragen hatte. Allein: Die Zeit, die Hans H. dort noch tätig sein konnte, war begrenzt. Nur einige Monate später kapitulierte das Deutsche Reich. Schon Wochen zuvor hatte sich Hans H. von neuem in einem Lazarett wiedergefunden, dieses Mal in Bayern. Man hatte ihn rechtzeitig dorthin abgeordnet, wie er erläuterte, »um der Gefangennahme durch sowjetische Truppen und damit dem sicheren Tode zu entgehen«.
Hans H. hatte also Glück gehabt, die amerikanischen Besatzungsbehörden nahmen ihn nicht einmal gefangen; sie genehmigten sogar seine Entlassung in die britische Besatzungszone, in die er sich »ungehindert« begab. Und dennoch: Hans H. machte seither, so verrieten seine Schilderungen, schwierige Zeiten durch. Er war bedrückt, auch unruhig. Gegenüber seinem Arzt, den er vier Jahre nach dem Ende des Krieges aufsuchte, formulierte er es folgendermaßen: Er befinde sich in einer »krankhaften Anspannung«, ja, er fühle sich »für die gesamte deutsche Misere verantwortlich«. Hans H. quälte zudem der Gedanke, dass »man sich wieder durch Passivität schuldig« mache. Er selber habe »als SS-Mann geschwiegen«, nun aber »wolle er nicht mehr schweigen«, ja, er fügte hinzu, keiner solle »mehr weinen«, »alle sollten lachen und glücklich sein«.
Folgt man den Erzählungen von Hans H., war er im Frühjahr 1949 fest davon überzeugt, zu Freude schon lange keinen Anlass mehr gehabt zu haben. Auch er hatte zu leiden, genau genommen seit er in die britische Besatzungszone gereist war.
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