2. Die Konfliktbearbeitung der EU – Entwicklung, Akteure, Instrumente
Erst in den 1990er Jahren fand eine europäische Sicherheitspolitik in Form der GASP Einzug in die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls neu gegründete EU. Betrachtet man den heutigen, durchaus hochentwickelten Stand der verfügbaren zivilen und militärischen Instrumente und die steigende Anzahl der EU-Einsätze in Krisenregionen, so ist die Entwicklung umso erstaunlicher. Auch wenn die Mitgliedsstaaten auch noch die jeweils eigene, nationale Sicherheits- und Verteidigungspolitik ausüben, ist die EU, was Konfliktprävention und –bearbeitung angeht, ein selbstständig agierender und ernstzunehmender Akteur auf der Weltbühne geworden.
Der Grund für diese Entwicklung liegt vor allem an den Veränderungen die mit dem Ende des Kalten Krieges und dem durch den Zerfall der Sowjetunion bedingten Transformationsprozess einhergingen (Fröhlich 2008: 85). Vor allem der Umbruch in der Balkanregion, also in unmittelbarer Nähe einiger Mitgliedsstaaten, die deutsche Wiedervereinigung und der zweite Golfkrieg machten deutlich, dass die EU nicht in Lage war, entsprechend schnell und einstimmig zu reagieren. Es entstanden also neue sicherheitspolitische Arbeitsfelder innerhalb und außerhalb der GASP, wie zum Beispiel die ESVP, und mit ihnen stieg auch die Anzahl der Instrumente der Krisenbearbeitung sowie die der beteiligten Akteure. Die Bearbeitung von Krisen und Konflikten durch die zivilen und militärischen Instrumente, über die die EU verfügt, wird gemeinhin als EU-Krisenmanagement bezeichnet (Rinke 2010: 95).
Dieses Kapitel verschafft nun eine Übersicht über die Entwicklungen, die zum heutigen Stand des Krisenmanagements geführt haben, die wichtigsten Instrumente der EU auf diesem Feld und die maßgeblichen Akteure.
2.1 Entwicklungen des Konfliktmanagements in der EU
Zwar gab es mit dem Projekt der „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ (EVG) schon bereits in den 1950er Jahren den Versuch, die militärischen Ressourcen der Mitgliedsstaaten zu einer europäischen Armee zusammenzuschließen, dieser scheiterte aber an dem Widerstand der Nationalstaaten gegen die Abgabe der Kontrolle über die eigene Armee.
So blieb die europäische Integration vorerst weitestgehend auf wirtschaftliche Aspekte beschränkt und erst als durch das Ende des Kalten Kriegs neue außen- und sicherheitspolitische Herausforderungen entstanden, nahm man sich dieser auf einer europäischen Ebene an. Mit dem Wegfall der bipolaren und vor allem zwischenstaatlichen Konflikte ging eine Verschiebung zu vermehrten nationalen Konflikten einher (Berg 2009: 112). Die Vereinten Nationen erkannten diesen Wandel früh und nutzen die neue Bereitschaft zur Intervention um die Anzahl der Friedensmissionen in den folgenden Jahren drastisch zu erhöhen. Auch für Europa im speziellen änderte sich in den 1990er Jahren einiges. Nicht nur befürchtete man, dass durch die Auflösung der Sowjetunion die USA sich als Schutzmacht Europas zurückziehen könnte (Fröhlich 2008: 85), auch entstand etwa durch die Wiedervereinigung Deutschlands und die Veränderungen in der Balkanregion ein Handlungszwang für die EU.
Die logische Schlussfolgerung davon war die Schaffung eines entsprechenden Politikbereichs innerhalb der EU, der im Maastrichter Vertrag von 1992 eingeführten Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Hierbei handelt es sich jedoch um eine rein intergouvernementale Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten, weshalb die Kohärenz in diesem Politikbereich nur dann gewährleistet ist, wenn der Rat einen einstimmigen Beschluss fasst. Diese gemeinsamen Beschlüsse, Standpunkte oder Aktionen des Rates sind dann, auch wenn dieser im Rahmen der GASP keine Gesetzgebungsakte erlassen kann, für alle Mitgliedsstaaten verbindlich.
Ein weiterer wichtiger Schritt hin zu einem effektivem internationalen Krisenmanagement war die in den 1990er Jahren entwickelte Sicherheitssektorreform (SSR) (Overhaus 2010: 7). Ihr Ziel war es, in den betroffenen Ländern zum Schutz der Zivilbevölkerung die polizeilichen und militärischen Strukturen zu fördern. Somit wurden in internationalen Friedensoperationen auch vermehrt Polizei- und Gendarmeriekräfte eingesetzt (Overhaus 2010: 7). Die Überlegung, die der SSR zugrunde liegt, war, dass instabile und konfliktbeladene Staaten und deren Sicherheitseinrichtungen selbst zur Bedrohung für die Sicherheit der Bevölkerung werden können.
Derlei Herausforderungen für internationale Organisationen bedingten auch eine stetige Entwicklung innerhalb der EU zur Errichtung einer kohärenten Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die es der EU ermöglicht, als globale Ordnungsmacht in Erscheinung zu treten (Fröhlich 2008: 100) und ihre politischen Interessen auch unabhängig von UN und NATO durchsetzen zu können.
Ein Meilenstein dieser Entwicklung war das französisch-britische Treffen in St. Malo 1998. Die daraus resultierende Erklärung enthielt unter anderem „[…] Forderungen nach der Fähigkeit der EU zu selbstständigem, auf glaubwürdige militärische Kräfte gestütztem Handeln, den Mitteln zur Entscheidung über den Einsatz dieser Kräfte und der Bereitschaft dazu, um auf internationale Krisen reagieren zu können.“ (Fröhlich 2008: 101). Zusätzlich zu diesem Anstoß von Seiten der beiden Mitgliedsstaaten kam im folgenden Jahr noch weiterer sicherheits- und vor allem auch verteidigungspolitischer Druck durch den im Kosovo ausgebrochenen bewaffneten Konflikt. Auf einer Konferenz in Köln 1999 wurde folglich der Grundstein für die 2001 durch den Vertrag von Nizza eingeführte Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) im Rahmen der GASP gelegt. Außerdem formulierten die 15 Mitgliedsstaaten dort das Ziel, im Sinne der Petersberg- Aufgaben[1] Krisenmanagement zu betreiben, ob mit oder ohne Unterstützung der NATO (Fröhlich 2008: 101).
Die Entwicklung der EU und auch anderer regionaler Staatengemeinschaften[2] zu einem stetig an Bedeutung zunehmenden Akteur im Bereich der Konfliktbearbeitung ist unter anderem auch Ausdruck des „[…]erheblichen Bedeutungsverlusts der UNO[…]“ (Berg 2009: 115) um die Jahrtausendwende, nachdem diese mit der immensen Anzahl laufender Missionen schlichtweg überfordert war.
Während die UNO also ihre Probleme im Konfliktmanagement analysierte und behob, nahm sie auch vermehrt die Unterstützung anderer Organisationen an, auch und insbesondere der EU. Im Falle des Kongos geschah dies 2003 sogar auf ausdrückliche Bitte der UNO. Mit der Operation ARTEMIS entsendete die EU ihre erste von der NATO unabhängige militärische Mission in die Demokratische Republik Kongo (Helly 2009: 183).
Etwa zur gleichen Zeit wurde unter dem damaligen Hohen Vertreter der GASP Javier Solana die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) entwickelt, die als Ziele der europäischen Sicherheitspolitik effektiven Multilateralismus, die Errichtung einer sicheren Nachbarschaft und die Abwehr von Bedrohungen[3] benennt (Grimm 2008: 91f.). Sie schließt damit auch erstmals Aspekte wie die „menschliche Sicherheit“ ein und bietet der EU eine Grundlage für den Ausbau und Einsatz der Instrumente zur Krisenbearbeitung, trotzdem ist sie weniger eine Anleitung für das sicherheitspolitische Handeln der EU als vielmehr eine Problemanalyse (Grimm 2008: 91f.).
In den darauffolgenden Jahren stieg die Anzahl der autonomen EU-Missionen, meist in enger Zusammenarbeit mit der UN, was dazu führte, dass sowohl militärische als auch zivile Friedensmissionen der EU immer gefragter wurden und sich die EU als internationaler Akteur im Bereich der Konfliktbearbeitung etabliert hat. Auch wenn die EU im Gegensatz zur UNO nicht über eigene Truppen verfügt, sondern diese von den Mitgliedsstaaten auf freiwilliger Basis gestellt werden, besitzt sie dennoch ein großes und vor allem wachsendes Repertoire an Instrumenten zur Konfliktprävention und -bearbeitung.
2.2 Instrumente und beteiligte Akteure
Im Rahmen der ESVP werden die maßgeblichen Entscheidungen durch den Rat der Europäischen Union und den Europäischen Rat getroffen, Kommission und Parlament haben hierbei nur das Recht auf Anhörung und Information. Um allerdings das intergouvernementale Prinzip der GASP auch in militärischen und verteidigungspolitischen Angelegenheiten zu wahren gilt bei jeglichen Beschlüssen die notwendige Einstimmigkeit (Fröhlich 2008: 132).
Wie in der GASP hat der Rat auch in der ESVP die Möglichkeit, gemeinsame Standpunkte, Aktionen und Beschlüsse erlassen. Zu den Aktionen zählen unter anderem auch militärische Missionen, deren Kontrolle und strategische Leitung ebenfalls Aufgabe des Rates sind. Wichtige Gremien hierbei sind außerdem der EU-Militärausschuss und der EU-Militärstab, denn ihnen kommt die Aufgabe der Planung und Führung der beschlossenen Missionen zu (Overhaus 2010: 9). Letzterer gehört zum Generalsekretariat des Rates, in dem die zivilen und militärischen Aspekte der Krisenbearbeitung zusammenlaufen und koordiniert werden sollen (Overhaus 2010: 9) und untersteht direkt dem Hohen Vertreter für die...