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Männer, Mythen und Mensuren

Geschichte der Corps und Burschenschaften

AutorWolfgang Wippermann
VerlagOsburg Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl250 Seiten
ISBN9783955101923
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Die Geschichte der Corps und Burschenschaften wies wie der römische Gott Janus zwei Gesichter auf - ein progressives und ein reaktionäres. Aus den Rebellen des Vormärz Mitte des 19. Jahrhunderts sind die Untertanen des Kaiserreiches geworden. Viele Corpsstudenten und Burschenschafter haben die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur begünstigt, einige wenige haben sie aber auch bekämpft. Der heutigen Marginalisierung aller Verbindungen steht die Radikalisierung einiger rechter Burschenschaften gegenüber. Sehr unterschiedlich bewertet werden Habitus und Kultur der Corpsstudenten und Burschenschafter. Früher bewundert, heute aber scharf kritisiert wird, dass sie ihre Männlichkeit durch die Austragung von Duellen und Mensuren, das exzessive Saufen und eine besondere Kleidung und Sprache unter Beweis stellen. Tatsächlich gehörten den Corps und Burschenschaften ausschließlich Männer an. Sie kamen aus völlig unterschiedlichen politischen Lagern. In alldem repräsentierten die Corps und Burschenschaften die positiven und negativen Aspekte der neueren deutschen Geschichte. Wir Deutsche haben eben, um ein Wort des früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann zu zitieren, 'ein schwieriges Vaterland'. Geschrieben ist das vorliegende Buch von einem nach seinem Selbstverständnis kritischen Fachhistoriker und überzeugten Corpsstudenten. 'Männer, Mythen und Mensuren' ist weder als eine Anklagenoch als eine Verteidigungsschrift konzipiert. Das gründlich recherchierte und gleichzeitig gut lesbare Buch wendet sich an alle historisch Interessierten, die mehr über die Geschichte der Corps und Burschenschaften in Deutschland und seinen Nachbarländern erfahren möchten.

geboren 1945, ist Professor für Neuere Geschichte an der FU Berlin.Er nahm Gastprofessuren in Innsbruck, Peking, Bloomington, Minneapolis und Durham wahr.2010 sorgte der Autor zahlreicher Bücher mit Skandal im Jagdschloss Grunewald für Aufse­hen. Der ebenso streitbare wie gefragte Historiker,der in Berlin lebt, schreibt nicht nur über Geschichte, er beteiligt sich auch an ihrer kontroversen Darstellung und Bewertung.

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Leseprobe

1. »Burschen heraus«
Entstehung und Aufstieg


»Burschen heraus, lasset es schallen von Haus zu Haus …« heißt es in einem auch heute noch gern und oft gesungenen Lied. Wer war mit diesen »Burschen« gemeint? Zu was wurden sie herausgerufen? Was haben sie getan? Sind sie ob ihres Tuns und Handelns zu loben oder zu tadeln? Diese und einige andere Fragen sollen in diesem Kapitel beantwortet werden. Wir beginnen mit der ersten Frage: Wer waren die im Lied erwähnten »Burschen«?

Bursen und Nationen


Mit dem im Lied erwähnten »Burschen« waren weder die Handwerksburschen noch die ebenfalls Burschen genannten Diener der Offiziere, sondern deutsche Studenten gemeint, die sich seit dem ausgehenden Mittelalter nach dem Vorbild der italienischen »bursarii« Burschen nannten. Die ersten »bursarii« hat es an der Universität Bologna gegeben. Warum hier?

Weil die 1088 gegründete Universität Bologna nicht nur die älteste europäische Universität ist, sie kann auch als erste freie Universität bezeichnet werden.6 Ihre besondere Rechtsstellung verdankt sie Kaiser Friedrich Barbarossa. Denn der hat die Universität Bologna im Jahr 1155 mit sehr weitreichenden Privilegien ausgestattet. Sie unterstand weder dem Papst noch anderen geistlichen und weltlichen Gewalten. Die Universität wurde nicht von staatlichen oder kommunalen Beamten, sondern in erster Linie von den Studenten finanziert und verwaltet. Sie waren es, die in Zusammenarbeit mit den Professoren den Rektor der Universität wählten. Die Professoren wurden nicht vom Staat, sondern von ihren Studenten bezahlt.

Die Studenten waren nach ihrer regionalen Herkunft (und nicht nach ihrem sozialen Stand) in verschiedene »nationes« eingeteilt. Sie lebten und arbeiteten in Wohnheimen. Für dieses Recht mussten sie zahlen. Das dazu notwendige Geld mussten sie ihrem »bursa« entnehmen. Daher wurden diese studentischen Wohnheime »bursae« und die zahlungskräftigen Studenten selber »bursarii« genannt.

Die meisten anderen im Mittelalter auf dem Territorium des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gegründeten Universitäten waren nach dem, wie die Universitätshistoriker sagen, »Modell Bologna« errichtet.7 Insgesamt waren es 16 Universitäten. Sie unterschieden sich von den anderen (insgesamt 40) europäischen Universitäten, die nach dem »Modell Paris« konstruiert waren. Diese unterstanden dem Papst, waren der kirchlichen Gerichtsbarkeit unterworfen und verfügten über keine rechtliche Autonomie. Es handelte sich eher um kirchliche Hochschulen als um freie weltliche Universitäten.

Nach und wegen der Reformation ist es zu einer grundlegenden Veränderung der europäischen Hochschullandschaft gekommen.8 Dies gilt vor allem in quantitativer Hinsicht. Die Zahl der europäischen Universitäten wuchs von 66 im Jahr 1500 auf 142 im Jahr 1789. Die Universitäten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, deren Zahl von 16 auf 34 gestiegen war, unterschieden sich jetzt im Hinblick auf die Konfession ihrer Gründer und Angehörigen. Zu den protestantischen Universitäten gehörten: Marburg 1527, Königsberg 1544, Jena 1558, Gießen 1607, Rinteln 1621, Kiel 1665, Halle 1694. Zu den katholischen Universitäten gehörten: Würzburg 1582, Graz 1582, Paderborn 1614.

Bei den protestantischen Universitäten handelte es sich um Staatsanstalten mit einer gewissen korporativen Selbständigkeit. Gegründet (und benannt) waren sie von den Landesfürsten, weil sie mehr und besser ausgebildete Juristen, Lehrer, Mediziner und Pastoren benötigten. Die Landesfürsten übten zugleich das Amt eines Obersten Bischofs aus. Für den Aufbau der Universitäten stellten sie die Gelder und Immobilien zur Verfügung, die sie durch die Säkularisierung des Kirchenbesitzes gewonnen hatten.

Außerdem erhielten die zu Staatsbeamten gewordenen Professoren eine staatliche Besoldung. Sie war aber in der Regel äußerst gering. Daher waren die meisten Professoren auf die finanzielle Beihilfe ihrer Studenten angewiesen. Dies in Gestalt der sogenannten Hörergelder, die die Studenten an die Professoren entrichten mussten. Einige Professoren haben ihre Gehälter noch dadurch aufgebessert, indem sie Dissertationen verfassten, mit denen die zahlungskräftigen Studenten dann von ebendiesen Professoren promoviert wurden. Diese Praxis kann man schon als kriminell bezeichnen. Rechtlich legal, aber moralisch anrüchig war, dass sich die Rechtsprofessoren durch die Anfertigung von Rechtsgutachten ein nicht unbeträchtliches finanzielles Zubrot verdienten. Besonders gut bezahlt wurden übrigens die Gutachten, die deutsche Professoren in der frühen Neuzeit für die zahlreichen Hexenprozesse angefertigt haben. Mit diesen professoralen Gutachten haben dann die zuständigen Richter die der Hexerei angeklagten Frauen zum Tode verurteilt. Das war Mord. Die professoralen Gutachter haben Beihilfe zum Mord geleistet.

Fragwürdig war die an einigen Universitäten noch im 19. Jahrhundert ausgeübte Sitte, Doktoranden »in absentia« zu promovieren. Der zukünftige Doktor musste zu diesem Zweck nicht an der entsprechenden Universität erscheinen und sich einer wie immer gearteten Prüfung unterziehen. Es reichte, die Dissertation mit der Post an die betreffende Universität zu senden, um gegen die Zahlung eines nicht unerheblichen Prüfungshonorars das begehrte Doktor-Diplom zu erhalten. Zu diesen in-absentia-Doktoren gehörte auch Karl Marx – Dr. Karl Marx.

Nein! Mit diesen Doktoren und Professoren war wirklich kein Staat zu machen. Das ist bei ihrer Kritik an dem Verhalten ihrer Studenten zu bedenken. Diese Professoren haben meist nur die »Splitter« in den Augen ihrer Studenten gesehen und die »Balken« in ihren eigenen Augen übersehen. Darauf wird noch einzugehen sein. Hier ist noch ein Blick auf die Rechtsstellung der deutschen Studenten zu werfen, die sich, wie schon gesagt, nach dem Vorbild der bolognesischen »bursarii« »Burschen« nannten. Sie verfügten über eine bemerkenswerte und im damaligen Europa geradezu beispiellose privilegierte Rechtsstellung. Das vielleicht wichtigste Privileg war das Recht, Waffen zu tragen. Damit unterschieden sich die »Burschen« von Frauen, Juden und Klerikern, denen das Tragen und der Gebrauch von Waffen zumindest im Mittelalter strikt verboten waren. Andererseits waren die für wehrhaft erklärten Studenten den äußerst wehrwilligen Adligen gleichgestellt. Wie die Adligen unterstanden sie einer eigenen – akademischen – Gerichtsbarkeit, von der sie wenig und auf jeden Fall weniger als ihre sonstigen Mitbürger zu fürchten hatten.

Die deutschen Studenten waren und fühlten sich als »freie Burschen« und gehörten einem Stand außerhalb der feudalen Ständeordnung an. Dafür sind sie von ihren europäischen Kommilitonen beneidet und bewundert worden. Ihre freiheitliche Lebensweise haben sich die deutschen Studenten aber erkämpfen müssen, möglich durch ihre Mitgliedschaft in den Landsmannschaften und Orden.

Landsmannschaften und Orden


Die Studenten der seit 1348 (Gründungsjahr der Universität Prag) auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gegründeten Universitäten (u. a. jene in Bologna) gehörten unterschiedlichen »nationes« an.9 In Prag waren das die böhmische, bayerische, sächsische und polnische; in Leipzig waren es die meißnische, sächsische, bayerische und polnische. Wie schon diese Beispiele zeigen, hatten die »universitären nationes« so gut wie nichts mit den modernen Nationen zu tun. Möglicherweise um dies zu verdeutlichen wurden die universitären nationes im Reich »Landsmannschaften« genannt. Sie wurden sowohl nach Ländern, Staaten und Städten wie nach deutschen und germanischen Stämmen benannt. Dies war schon ziemlich verwirrend.

Zu dieser allgemeinen Verwirrung trug auch die lateinische Namensgebung der unterschiedlichen deutschen Landsmannschaften bei. So war die an verschiedenen Universitäten im deutschsprachigen Raum anzutreffende Landsmannschaft »Vandalia« nicht, wie man annehmen könnte, nach dem übel beleumdeten germanischen Stamm der Vandalen, sondern nach den slawischen Ureinwohnern Mittel- und Ostdeutschlands benannt, die von den deutschen Einwanderern als »Wenden« bezeichnet wurden. Auf diese wendischen Vorfahren waren zumindest die Angehörigen des mecklenburgischen Neustamms stolz. Daher haben sich die Mecklenburger auch als »Vandalen« bezeichnet und bezeichnen lassen. Der an verschiedenen Universitäten anzutreffenden Landsmannschaft »Guestphalia« gehörten dagegen keine Angehörigen eines Stammes oder Staates an. Einen westfälischen Stamm oder Staat hat es nämlich niemals gegeben. Westfalen waren (und sind) die Bewohner einer westdeutschen Region.

Abgesehen von ihrer regionalen Herkunft hatten die Angehörigen der verschiedenen...

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