Störfaktor Partner – Theorie und Praxis
Die Belastungsproben Kinder und Haushalt sind immer ein Testfall für die Partnerschaft. Wir sehen dann, ob ein Paar das »Große 1 x 1 der Liebe« beherzigt. Und die wichtigste Grundregel dabei heißt: Liebe ist eine Teamaufgabe. Der größte Störfaktor der Liebe ist daher immer der Partner – oder sind wir es selbst? Denn es kommt stets auf die Verständigung, auf die Zusammenarbeit zwischen zwei Menschen an. Diese Teamfähigkeit spüren wir fast intuitiv, wenn wir ein Paar kennenlernen. Wir spüren, ob das Paar harmoniert und können sogar einschätzen, ob es noch in einem Jahr zusammen ist. Wir registrieren beispielsweise, ob es miteinander lacht, ob es Konflikte klären kann. Und vor allem merken wir, ob ein Paar respektvoll miteinander umgeht. Meine Praxis liegt im dritten Stock eines alten Mietshauses. Wenn ein Paar zu mir die Treppe hochsteigt, ahne ich schon, ob die Behandlung leicht oder schwierig sein wird. Ich registriere, ob beide noch miteinander reden. Ich achte also auf Kleinigkeiten: Lässt er sie ausreden? Reicht er ihr ein Taschentuch, wenn sie anfängt zu weinen? Merkt sie, dass er allmählich verstummt und einen roten Kopf bekommt? Das ist die stille Kommunikation eines Paares. Von ihr hängt das Gelingen einer Partnerschaft ab.
Wir wissen also recht gut, wie eine Partnerschaft gelingen kann. Aber das ist wie mit der Gesundheit: Wir wissen alle, wie wir leben müssten. Dass wir viel Gemüse essen, dass wir nicht rauchen, genügend Pausen machen, dass wir nicht zu viel Alkohol trinken und regelmäßig Sport treiben sollen. Doch eine Umfrage des Marktforschungsinstituts GfK Nürnberg zeigt, dass nur jeder Siebte wirklich gesund lebt. Und so ist das auch mit Liebesbeziehungen. Meist sind sie ziemlich durchschnittlich. Das liegt daran, dass der Teamgeist in fast allen Partnerschaften nach einigen Jahren grundlegend beschädigt ist. Und hier gibt es zwei Beziehungsmuster:
- Rückzug aus dem Team: Wer zu anpassungsbereit ist, muss sich gelegentlich zurückziehen, weil seine Bedürfnisse nicht in Erfüllung gehen. Dieser Partner fühlt sich eher als ein Opfer, das reagiert.
- Das Streben nach Stärke: Wer im Wesentlichen über Gestaltungskraft verfügt – und zu wenig Sozialkompetenz hat – strebt eher nach Macht und Überlegenheit. Dieser Partner handelt in seinem Streben nach Stärke mehr wie ein Täter. Aber auch er fühlt sich als Opfer, weil er zu wenig Anerkennung bekommt und Nähe spürt.
So gut wie immer stecken wir dann in einer Opferfalle. Sie besteht aus einer emotionalen Sackgasse, weil jeder dem Partner die Schuld an der Krise gibt. Jeder erklärt dann sein eigenes Verhalten mit dem Verhalten des anderen. Der Anpassungsbereite fühlt sich schlecht behandelt, der eher dominante Partner beklagt die Distanz. Und so entsteht zunehmend bei beiden eine Unzufriedenheit, weil keiner die Entfremdung in der Partnerschaft auflösen kann. Sie investieren nicht mehr so viel in die Beziehung und erwarten immer weniger von der Liebe. Schließlich werden sie gleichgültig. Auf diese Weise kommen sie halbwegs miteinander klar. Ich nenne dies das resignative Gleichgewicht. Es kann ziemlich stabil sein, oft bleiben Paare über Jahrzehnte zusammen, obgleich die Beziehung von diesem Prozess der Resignation geprägt ist. Häufig geht allerdings ein Partner in dieser Phase fremd. Der aktive Teil kann sich mit der Resignation der Liebe nicht abfinden und bricht aus der Beziehung aus. Insofern ist das resignative Gleichgewicht immer gefährdet. Auf Dauer ist mit diesem Zustand keiner in der Partnerschaft wirklich zufrieden. Letztlich wissen wir, dass wir unsere Beziehung verbessern sollten und die Liebe genauso pflegen müssen wie unseren Körper. Aber wir können unsere Resignation oft nicht überwinden.
Die halbe Beziehung
Vor allem Frauen sind häufig mit ihrer Partnerschaft unzufrieden. Männer sind manchmal bereits zufrieden, wenn sie nicht ständig kritisiert werden, wenn die Frauen halbwegs freundlich sind, wenn es Sex gibt und das Essen auf dem Tisch steht. Kurz gesagt: Männer haben tendenziell eine Minimalorientierung mit einer defensiven Haltung. Aber Frauen wollen oft viel mehr. Sie wollen verstanden werden. Sie erwarten, dass sich ihr Partner um sie bemüht. Sie wollen eine Beziehung, in der das »Große 1x1 der Liebe« wirklich gelebt wird. Sie wollen Nähe und sehnen sich nach Zärtlichkeit. Sie sind überzeugt: Der größte Belastungsfaktor für eine gute Liebesbeziehung ist der Partner. Denn was Männer anbieten, ist meist eine halbe Beziehung.
Typisch ist die Aussage einer Patientin, die mir einmal sagte: »Ich bin seit 20 Jahren verheiratet. Mein Mann bringt mir immer am Valentinstag Blumen mit und wundert sich, dass ich mich darüber nicht freue. Anerkennung bekomme ich kaum. Früher hat er mir kleine Zettel geschrieben, aber solche Aufmerksamkeiten gibt es schon lange nicht mehr. Er nimmt zu, regt sich sehr oft auf, sitzt vor dem Fernseher und spricht kaum noch mit mir. Die Sexualität wird immer langweiliger. Früher haben wir gelegentlich im Wald miteinander geschlafen, haben vieles ausprobiert. Jetzt spielt sich die Erotik nur noch im Doppelbett ab, fast immer am Samstagabend. Er gibt sich keine Mühe mehr. Zwar habe ich ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass ich unzufrieden bin, aber geholfen hat dies nichts.«
Wenn der Partner nicht so schwierig wäre
Sicher sind auch Sie manchmal massiv unzufrieden mit Ihrem Partner und wollen sich nicht damit abfinden. Und wahrscheinlich haben Sie den Eindruck: »Ich bin ganz in Ordnung, meine Beziehung könnte klappen, wenn mein Partner nicht so schwierig wäre. Doch wenn ich mit ihm rede, macht er die Klappen zu.« Trotzdem bleiben Sie in der Beziehung, obwohl Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Situation befinden. Langsam und allmählich hat sich die Partnerschaft verschlechtert. Sie haben manches moniert, vieles ausprobiert, es gab verführerische Situationen, Sie haben wieder kleine Liebeszettel geschrieben und sich ein schönes Kleid gekauft – aber wirklich geholfen hat nichts. Auch das Lesen der vielen Ratgeberbücher hat nicht gefruchtet. Natürlich hat er sie nicht gelesen, wenn Sie ihm diese auf den Nachttisch gelegt haben und schließlich haben Sie resigniert.
Diese Resignation ist fast zwangsläufig, da alle Menschen nicht so handeln, wie wir uns das wünschen – meinte sinngemäß der Dalai Lama. Wir müssen einsehen, dass alle Menschen irgendwie schwierig sind und vor allem an sich denken. Erst in zweiter Linie sind daher die meisten Menschen am Gelingen der Liebe interessiert. Das können wir beklagen, aber ist es nicht normal, wenn wir zunächst an uns selbst denken, wenn wir verunsichert sind? Wenn unsere Liebesbeziehung schwierig wird, müssen wir vor allem darauf achten, dass wir nicht zu sehr verletzt werden und dürfen keine zu großen Risiken eingehen. Und notfalls müssen wir kämpfen, selbst wenn dadurch unsere Partnerschaft beschädigt wird. Das ist die Realität des Lebens, die wir kennen müssen. Zumindest ahnen wir dies und versuchen deshalb, uns zu arrangieren, sobald die Beziehung schwierig wird. Das ist ein wichtiges Schutz-Programm. Wir können nicht auf Dauer damit leben, dass wir uns ohnmächtig und unglücklich fühlen. Also sagen wir uns:
- Liebe ist doch nicht so wichtig.
- Andere Paare sind auch nicht glücklich.
- Alle Männer haben ihre Fehler.
- Es liegt an seiner Kindheit.
Vor allem das Kindheitsargument ist verhängnisvoll, weil es immer stimmt. Immer werden Sie irgendetwas finden: Die schwierige Mutterbeziehung, die ihn erdrückt hat, der distanzierte Vater, der ihn nicht genügend wahrnahm. Natürlich sollten wir unseren Partner verstehen. Sonst können wir den Partner nicht begreifen. Und manchmal ist es wichtig, dass Sie den Partner bitten: »Erkläre mir doch einmal, warum du so oder so bist … Warum ziehst du dich so oft zurück?« Eine solche Frage kann viel in Bewegung bringen. Sie drückt aus, dass wir mit gewissen Eigenschaften Schwierigkeiten haben und uns eine Veränderung wünschen.
Auch wenn Sie schon 20 Jahre zusammen sind: Lassen Sie sich vom Partner noch einmal das Fotoalbum seiner Kindheit zeigen. Bitten Sie Ihren Partner, dass er Ihnen dazu Geschichten erzählt. Und vielleicht besuchen Sie sogar zusammen die Orte seiner Kindheit. Wenn Sie mit ihm gemeinsam seine Schule kennenlernen, den Geruch von Schweiß und Leder in der Turnhalle einatmen und zusammen mit ihm den Schulweg gehen, wird er Ihnen viele Dinge aus seinem Leben berichten, die Sie noch nicht kannten.
Doch auch wenn Sie vieles verstehen, bedeutet dies nicht, dass Sie alles akzeptieren sollten. Wir wissen zwar alle, dass nicht jeder Wunsch in Erfüllung geht. Wir wissen, dass wir realistisch sein müssen. Selbst Fachleute führt dies gelegentlich zu der Überzeugung, man dürfe nicht romantisch sein und an die Liebe glauben. Und dennoch: Was wäre es für ein Leben, wenn wir unsere Hoffnungen aufgeben, wenn wir aufhören zu träumen? Geben Sie sich also nicht mit der durchschnittlichen Liebe...