PERSÖNLICHES
Auf Fragen nach seinem Privatleben entgegnet Castro einmal: »Mein Leben gehört mir. Alles andere sind unwichtige Details. Sie haben weder etwas mit der Revolution noch mit Politik zu tun.«[2]
Paparazzi haben in Kuba schlechte Karten. Als der Kuba-Korrespondent der Prawda 1990 einen Artikel veröffentlicht, in dem private Details aus Castros Leben preisgegeben werden, fühlt sich der Journalist in Kuba seines Lebens nicht mehr sicher. Nach einem mysteriösen Unfall, der für ihn in Zusammenhang mit dem Artikel steht, verlässt er die Insel freiwillig.[3] Dabei erfährt der Leser in seinem Artikel nichts wirklich Brisantes. Zwar tauchen zum ersten Mal der Name von Castros Ehefrau Dalia Soto del Valle auf und die der gemeinsamen fünf Söhne Angel, Antonio, Alejandro, Alexis und Alex, von den Häusern des Comandante auf der Insel ist die Rede und von der allgegenwärtigen Präsenz seines persönlichen Sicherheitsapparates. Aber das ist nichts wirklich Neues, nur durch die Agenturmeldung über den angeblichen Attentatsversuch auf den Verfasser erhalten die Veröffentlichungen politischen Zündstoff.
Sein Privatleben solle nicht, wie in der kapitalistischen Welt üblich, für Publicityzwecke oder Politik missbraucht werden, verteidigt Castro die Nachrichtensperre.[4] Dieser Sinneswandel vollzieht sich allerdings erst Mitte der Sechzigerjahre. In den ersten Jahren an der Macht hat er keine Bedenken, sich der Öffentlichkeit auch privat zu präsentieren. Bei der ersten Live-Schaltung für NBC lässt sich der Staatschef davon überzeugen, im Schlafanzug aufzutreten. Dem Zuschauer in den USA vermitteln die Bilder aus der privaten Suite des Comandante im Hotel Habana Libre einen sehr »amerikanischen« Politiker im Morgenmantel; charmant, leger und mit dem zehnjährigen Sohn Fidelito an seiner Seite.
Die Nachricht über den Tod seiner Mutter ist 1963 allerdings für sehr lange Zeit die letzte öffentliche Notiz aus Castros familiärem Leben. Die nächsten Jahrzehnte legt sich ein Mantel des Schweigens um alles, was den Eindruck erwecken könnte, dass der Premier überhaupt so etwas wie ein Privatleben besitzt. Mit der Entscheidung, biographische Details geheim zu halten, wächst Castros Charisma als außergewöhnliche und außeralltägliche Erscheinung, die pausenlos seinem Volk und der Revolution zur Verfügung steht. Tatsächlich sagt Castro einmal: »Meine Familie ist sehr groß. Ich habe neuneinhalb Millionen Brüder. Meine Familie ist nicht nur Kuba. Meine Familie ist Angola. Meine Familie ist die Befreiungsbewegung in Südafrika. Meine Familie setzt sich aus allen progressiven, revolutionären Völkern dieser Welt zusammen.«[5]
Obwohl Castros Privatleben tabu ist, wird die Berichterstattung seit Jahrzehnten mit außergewöhnlich unterhaltsamen Geschichten über die persönlichen Abneigungen und Vorlieben des unermüdlichen Revolutionärs versorgt. Er gehöre zu den wenigen Kubanern, die weder singen noch tanzen können. Auf die Frage, welche Musik er am liebsten höre, bekennt er sich zu »Klassik und Marschmusik«[6]. Angeblich habe er, der in seiner Karriere unzählige Reden vor riesigen Menschenmassen gehalten hat, vor jedem Auftritt Lampenfieber.[7] Außerdem sei er ein ebenso leidenschaftlicher Koch wie Literaturliebhaber und Sportler und sein Biorhythmus unterliege anderen als den Naturgesetzen.
Was an die Öffentlichkeit dringt, verstärkt das Bild des unkonventionellen Politikers und zeugt vom Lebensstil eines ausgeprägten Individualisten. Aber der kubanische Präsident bemüht sich, seine Freiheit von Konventionen und Zwängen in den Dienst der Revolution zu stellen. So wichtig wie die »Kunst des Arbeitens« sei die »Kunst, sich auszuruhen«, verrät er seinem alten Freund, dem kolumbianischen Schriftsteller Gabriel García Márquez.[8] Selbst banale Zerstreuung lässt sich so als eine Übung in revolutionärer Disziplin präsentieren. Wenn der Comandante en Jefe schnorchelt, Domino spielt oder über Langustenrezepte sinniert – ist das ebenso bedeutsam wie ein Arbeitsgespräch mit dem Zuckerindustrieminister oder eine Rede über den dreißigsten Jahrestag der Raketenkrise.
Persönliches über Fidel Castro verrät mehr über die Psychologie der kubanischen Revolution als über den Menschen Fidel. Es lohnt der Blick gen Norden. Mit der ritualisierten Geheimhaltung seines Privatlebens signalisiert der kubanische Präsident machtchoreographisch die Distanz zu US-amerikanischen Präsidenten, die sich, gerade in Krisenmomenten, bevorzugt privat inszenieren. Für die Fernsehkameras wird in den Staaten in der Privatfarm des Amtsinhabers in lässiger Freizeitkleidung bei Kamingesprächen scheinbar eher nebensächlich über das Weltgeschehen geredet. Und bei Fernsehansprachen ist der Staatsvertreter von Familienfotos eingerahmt, auf denen die Nation neben Gattin und Kindern auch den Lieblingshund der Präsidentenfamilie zu sehen bekommt.
Fidel Castro hingegen scheint gerade in politischen Krisensituationen überhaupt nicht mehr aus der Uniform herauszuschlüpfen. Er ist dann vierundzwanzig Stunden für die Revolution und die Nation auf den Beinen. Aber nie wirkt »Fidel« authentischer als in den Momenten des inszenierten Verzichts auf Privates.
Erst 2006, nach seinem Rücktritt von allen politischen Ämtern wird der Schleier, der sich bis dahin um das Leben der Familienmitglieder des Comandante legte, löchrig. Bilder der Ehefrau und der gemeinsamen erwachsenen Kinder kursieren plötzlich im Netz. Zum ersten Mal seit den Schlafanzug-Aufnahmen mit Sohn Fidelito für NBC genehmigt Fidel Castro 2010 die Veröffentlichung eines Fotos von sich im familiären Kreis. An der Seite seiner Frau Dalia Soto del Valle bei einem Treffen mit dem nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega und dessen Frau.
Familie
Fidel Alejandro Castro Ruz wird am 13. August 1926 – manche Biografen geben das Jahr 1927 an – in Birán, einem Ort in der Provinz Oriente geboren. Sein Vater Angel Castro stammt aus dem spanischen Galizien. Er kämpft im zweiten Unabhängigkeitskrieg Kubas auf spanischer Seite, kehrt 1898 nach dem Krieg für kurze Zeit in die Heimat zurück und wandert Anfang des 20. Jahrhunderts endgültig in die junge kubanische Republik aus. Er arbeitet zunächst für die United Fruit Company und beginnt Land aufzukaufen, bis er schließlich 800 Hektar eigenes Land besitzt, zu dem noch weitere 10.000 Hektar Pachtland hinzukommen. Angel Castro heiratet die Lehrerin María Argota und hat mit ihr zwei Kinder: Pedro Emilio und Lidia. Fidels Mutter, Lina Ruz González, die Tochter eines Fuhrmanns, arbeitet zunächst bei den Castros in der Küche und wird bald die Geliebte des Hausherrn, von dem sie insgesamt sieben Kinder bekommen wird. Die Erstgeborenen Angela, Ramón und Fidel kommen zur Welt, während Angel noch mit María Argota verheiratet ist. Kurz nach Fidels Geburt lässt sich das Ehepaar scheiden. Angel heiratet nun die Mutter seiner jüngeren Kinder. Die Nächstgeborenen Juana, Emma, Raúl und Augustina erblicken als eheliche Kinder das Licht der Welt.
Ein engeres Verhältnis als zu den Eltern hat der junge Fidel zu einem Teil seiner Geschwister. Besonders gut versteht er sich mit seiner Halbschwester Lidia, die sich während seiner Studienjahre in Havanna fürsorglich um ihn kümmert. Der jüngere Bruder Raúl wird Castros Kampfgefährte, politischer Weggenosse, Stellvertreter und 2006 schließlich auch sein Nachfolger. Seine Schwester Juana wandert in den Sechzigerjahren nach Miami aus und wird zu einer leidenschaftlichen Gegnerin der Politik ihres Bruders. Wann immer sich Gelegenheit bietet, bezeichnet sie ihn als »Tyrannen«.
Fidel Castro hat vermutlich neun Kinder von fünf verschiedenen Frauen. Der älteste, 1949 geborene Sohn Felix Fidel, stammt aus der Ehe mit Mirta Díaz-Balart, die der junge Jurastudent 1948 heiratet. Sieben Jahre später wird die Ehe wieder geschieden. Nach dem Sieg der Revolution zieht Mirta Díaz-Balart mit ihrem zweiten Mann nach Spanien. Über die gemeinsamen Jahre mit dem neuen Machthaber Kubas ist beiderseitiges Stillschweigen vereinbart. Fidelito wächst bei seinem Vater auf. Er studiert Physik in der UdSSR und ist von 1980 bis 1992 Chef des kubanischen Atomprogramms. Mittlerweile hat er sich aus der Politik und der kubanischen Öffentlichkeit zurückgezogen.
Weniger öffentlichkeitsscheu zeigt sich Alina Fernández, Castros uneheliche Tochter aus der Affäre mit Naty Revuelta. 1993 gelingt ihr die Flucht aus Kuba. Sie schreibt unter dem Titel Ich, Alina ein Buch über ihr Leben in Kuba als Fidel Castros Tochter und beteiligt sich auf der Seite von Tante Juana und den Castro-Gegnern am kubanischen Familienzwist, dessen Fronten quer durch ihre eigene Familie verlaufen. Fidel Castro ist während seiner Studienzeit mit Rafael Díaz-Balart, dem Bruder seiner späteren Frau Mirta befreundet. Doch mit der Zeit entfremden sich die beiden politisch so sehr, dass ihre Freundschaft in Feindschaft umkippt. Der republikanische Kongressabgeordnete Lincoln Díaz-Balart, einer der heftigsten Castro-Gegner und Mitverfasser des Helms-Burton-Gesetzes, ist Rafaels Sohn und damit Fidel Castros Neffe.
Aus Castros Romanze mit der Revolutionsgefährtin María Laborde stammt der uneheliche Sohn Jorge Angel.[9] Und schließlich wohnt in Miami, fernab der Öffentlichkeit, eine weitere uneheliche Tochter, wie Castros Schwester Juana Reportern verrät.
Mit seiner zweiten Frau Dalia Soto del Valle hat Fidel Castro fünf Söhne, die alle in Kuba leben und bürgerlichen Berufen nachgehen.
Kindheit
Fidel Castro gibt bereitwillig Auskunft über seine Kindheit und Jugend auf der väterlichen...