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E-Book

Mir auf der Spur

AutorGregor von Rezzori
Verlaghey! publishing
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl374 Seiten
ISBN9783942822268
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Der Grandseigneur der europäischen Literatur flaniert durch sein Jahrhundert: nachdenklich, respektlos, geistreich und sehr amüsant. Wer den grandiosen Sprachkünstler Rezzori, den sanften Spötter, indiskreten Weltbürger kennt, weiß dass hier kein Geschichtsbuch anzukündigen ist. Es ist ein Buch der Geschichten und der Gesichter. Vor den Augen des Lesers erwacht ein knappes Jahrhundert zum Leben, voller Klugheit, Lachen, Leidenschaft, Hass, Massenwahn und Tod. Der Kosmopolit Rezzori, dessen Wurzeln in der alten Bukowina liegen, wo sich ein rundes Dutzend Völker, Glaubensbekenntnisse, Sprachen und historische Überlieferungen zu einer wahrlich multikulturellen Gesellschaft verbanden, erinnert sich für die kommenden Generationen.

Gregor von Rezzori, 1914 in Czernowitz in der Bukowina geboren, wuchs in Rumänien und Österreich auf und lebte bis zu seinem Tod 1998 in der Toskana. Seine 'Maghrebinischen Geschichten' oder die 'Denkwürdigkeiten eines Antisemiten' gehören zu den bedeutenden Werken der europäischen Literatur. (Foto (C) by GettyImages)

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Leseprobe

Es war einmal ein Tag, da wollte ich einen Blick in die Zukunft tun. Einen winzigen nur, allerdings. Nach einigen vorangegangenen Einblicken in das, was doch demnächst Vergangenheit sein sollte, bin ich nicht mehr neugierig auf morgen. Das Kommende kommt, habe ich gelernt. Das Geschehende geschieht. Es geschieht mit mir über mich hinweg. Es läßt mir kaum Entscheidung über den nächsten Augenblick. Ich weiß: Dieser nächste Augenblick – jedernächste Augenblick - birst vor Fatalität. Was immer ich nach Gutdünken wähle, wird Folgen haben, deren Wendungen ich nicht voraussehe. Sie werden mitbestimmt von der Zeit. Sie verlaufen darin, wie alles sich in der Zeit verläuft. Daß es gewesen ist, davon zeugt allein, was sich davon erzählen läßt. Die Welt ist ein ungeheuerlicher Speicher von erzähltem Wiedererzählbarem. Alles Gewesene ist gewesen wie die Saurier. Es war einmal.

An jenem fernen Tag war ich bedrängt von einem Wunsch und mußte wissen, ob er in Erfüllung gehen würde. Es war der Wunsch, einen Schritt aus Deutschland hinauszutun. Nach Deutschland war ich geraten wie in eine Falle. Das Zeitgeschehen hatte mich hingeschwemmt. Gestrandet war ich in Hamburg an der Elbe. Dort gehörte ich nicht hin. Ich war's nicht, der dort unter meinem Namen, mit meiner Nase, meinem blauen Blick, meinen besonderen unvermerkten Merkmalen und in meinen Kleidern herumlief; und war doch erst recht auf mich festgelegt. Mir war nicht wohl in meiner Haut. Ich verspürte das Bedürfnis, aus mir heraus zu mir zurückzufinden. Es lag aber nicht in meiner Macht, anderswohin zu gehen und wieder in meine alte Haut zu schlüpfen. Sie war mir abhanden gekommen. Später habe ich versucht, mir einige ihr ähnliche umzulegen. Es waren Verkleidungen. Das Kostüm paßte nicht zur Epoche. Damals erst recht nicht.

Ich trat in der Verkleidung eines Familienvaters auf. Ich hatte Weib und Kind. Dabei konnte ich nichts und hatte keinen Pfennig in der Tasche. Es herrschte noch, was ich »die Eiszeit der Eisenmänner« nannte. Zwar klirrte es nicht mehr von Eis und Eisen. Selbst der Frost war ausgezehrt. Die Helden seien müde, hieß es damals. Die Eisenmänner spien kein Feuer mehr aus ihren vielerlei Rohren. Sie warfen keine Bomben mehr auf die Schutthalden, die von den Städten übriggeblieben waren. Es hieß, das Gute habe übers Böse gesiegt. Die Sieger mußten die Besiegten bewachen. Die Eisenmänner waren noch überall im Land und hielten alle Grenzen zu.

Deutschland war mein Gefängnis. Ich war ein Staatenloser ohne Papiere. Nicht einmal solche, die zu erkennen gaben, wo ich beim Kampf des Bösen gegens Gute gestanden war. Ich war ein verdächtig Gesinnungsloser. Bestenfalls gehörte ich zu den Lauen, die Gott und andere Generalpächter des Guten ausspien aus ihrem Mund. Trotzdem hatten Wohlmeinende mir die Möglichkeit zugesagt, daß ich für eine Weile nach England könnte. Es war Frühjahr 1947. Ich sollte zeitweilig Ausgang aus dem Gefängnis ins Armenhaus haben.

Meine Ungeduld zu wissen, ob das wahr werden würde, war so groß, daß ich einen Mann aufsuchte, von dem es hieß, er könne die Zukunft voraussagen. Er war ein Astrologe und hieß Wolf. Seine Geschichte ist abenteuerlich. Mit einer Gruppe seinesgleichen – Magier, Astrologen, Pendler, Chiromanten, Kartenaufschläger – war er auf Sonderbefehl des Oberbösen Heinrich Himmler in das Gefängnis im Bendlerblock gesperrt gewesen. Das war ein ungewöhnlicher Aufenthaltsort. Der Krieg ging seinem Ende zu. Man war nicht langmütig mit Nutzlosen. Es sei denn, man konnte die Nutzlosen nutzen. Die Eingekerkerten verständigten sich untereinander durch Kassiber. Es stellte sich heraus, daß unter ihnen auch Historiker und Altphilologen waren. Ihnen hatte man ein riesiges Material zur Ausschlachtung gegeben: Aus dem gesamten deutschen und von Deutschland besetzten Raum die Akte inquisitorischer Untersuchungen von ketzerischen Alchimisten, Zauberern, von Hexenprozessen und Hexenverbrennungen. Es war nicht ersichtlich, zu was das führen sollte. Man vermutete, zu einem Angriff auf die katholische Kirche. Aber die Protestanten hatten mehr Hexen verbrannt. Die Magier und Wahrsager standen unter beständigem Verhör. Was man von ihnen erfragte, lief darauf hinaus, daß die Mannen Himmlers sich im Reich des Übernatürlichen umschauen wollten. Sie wollten zaubern lernen.

Sie wollten es zunächst für einen aktuellen Zweck: Ein-Mann-Unterseeboote sollten mit Helden besetzt werden, die nach dem Vorbild japanischer Kamikaze-Piloten zur Selbstaufopferung bereit waren. Wie waren die heranzubilden? Die Leier der nationalistischen Schlagworte war abgespielt. Mit Führer und Vaterland war kein Hund mehr hinterm ausgebombten Ofen vorzulocken. Der Geist mußte mit Geistigem mobilisiert Werden. Man sah sich bedenklich ins Mystische gedrängt. Nicht, daß das der nationalsozialistischen Weltanschauung widersprochen hätte. Aber die Durchführung gab Probleme auf. Selbst Yoga-Übungen der untersten Stufe ließen sich schwerlich ins preußische Exerzier-Reglement übertragen: »Auf den Nabel starrt!« Diejenigen von den unfreiwilligen Insassen im Bendlerblock, mit deren Angaben aus dem Reich des Übersinnlichen etwas anzufangen war, wurden weiter ausgebeutet. Der Rest war bald in weniger elitäre Endlösungs-Anstalten abgeschoben.

Herr Wolf machte auf sich aufmerksam, indem er eine gestellte Aufgabe geschickt löste. Man suchte den entschwundenen Mussolini. Die Italiener – Dolchstoß-Verbündete – hatten ihn als Duce und bündnistreuen Kriegsherrn abgesetzt und gefangen zu einem geheimen Ort entführt. Wo befand sich der? »So dürfen Sie nicht fragen«, sagte Herr Wolf. »Erst müssen Sie fragen: Werden wir ihn finden? Dann dürfen wir wissen, wo.«

Die Sterne beantworteten die erste Frage positiv. Herr Wolf stellte die zweite und nannte alsbald das Versteck. Allerdings zu spät, um Mussolinis Befreier, Oberscharmützelführer Skorzeny, bei der Aktion zu helfen. Der hatte das Versteck auf eigene Faust gefunden. Die Faust dürfte dabei geholfen haben. Indes war der Ort von Herrn Wolf so genau beschrieben worden, daß seine hellseherischen Fähigkeiten glänzend unter Beweis gestellt waren. Er rückte zum persönlichen Astrologen Heinrich Himmlers auf. Was er ihm als nächste Zukunft voraussagte, hat er nicht verraten. Erbaulich konnte es nicht gewesen sein. Keinesfalls hatte er damit dem Bösen gedient. Die siegreichen Guten erkannten das an und erteilten ihm Erlaubnis, weiterhin in die Zukunft zu schauen, was immer er dort erblicken sollte.

Auch ich durfte ihn nicht mit einer blanken Frage überfallen. Erst mußte er prüfen, ob der Augenblick einer Antwort günstig sei. Sein Schreibtisch stand voll von Sextanten, Astrolabien und anderem astronomischen Gerät. Er drehte und schraubte daran wie am Kommando eines Jules Verneschen Tiefseeboots. Hinter ihm an der Wand hing ein vielverschlungenes indisches Mantra. Zu seiner Rechten stach ein beturbanter Guru, in nebelig ineinanderfließenden Pastelltönen wie von Odilon Redon spiritualisiert, seinen Tollkirschenblick in die Augen des Besuchers, wo immer der auch stand oder saß. Durchs Fenster sickerte das anämische Licht eines Hamburger Spätwinternachmittags.

Herr Wolf hatte seine Instrumente eingestellt. Die Frage nach der Gunst der Stunde war beantwortet. Jawohl, ich durfte weiterfragen. Erst aber mußte mein Standort in den Sternen festgestellt werden. Noch war ich kosmisch nicht erfaßt. Auch dieser Behörde meldete ich die Daten meiner Geburt: 13. Mai 1914 zu Czernowitz, der ehemaligen Hauptstadt des ehemaligen habsburgischen Kronlandes Bukowina. In den frühen Morgenstunden, fügte ich genauigkeitshalber hinzu. Herr Wolf griff zu einer Art Rechenschieber und machte sich daran zu schaffen. »Da stimmt etwas nicht«, sagte er.

Alles andere hätte ich eher erwartet als diesen Satz. Er enthielt die Nabe meiner Hamburger Existenz. Sie drehte sich um meine Fragwürdigkeit. Aus dem Munde eines Hellsehers nahm das metaphysische Dimensionen an. Es war mehr in Zweifel gezogen als mein staatsbürgerlicher Zustand, mein gesellschaftlicher Status, meine Vergangenheit, meine charakterliche Beschaffenheit. Es ging nicht um die Aufklärung von Personaldaten wie: Sind Sie nun Rumäne, Italiener, Volksdeutscher? Wie kommt das »von« zum angeblich sizilianischen »Rezzori«? Sie schreiben das einmal mit einem Zet, ein andermal mit zweien – wieso? Wo waren Sie im Kriege? Wie kommt es, daß Sie nicht eingezogen waren? Was hat Sie nach Hamburg gebracht? Was sind Sie von Beruf? All das berührte nur die Oberfläche. Herrn Wolfs Stolpern über meine Undurchsichtigkeit legte einen inhärenten Stein desAnstoßes blank. Hier war mein Wesenskern aufgedeckt. War ich als ein Fragwürdiger geboren? Von Geblüt bezweifelbar? Hatte meine schiefe Lage im deutschen Raum mein eigentliches Wesen zutag gebracht? War's dann nicht unnütz, daß ich anderswohin strebte? Der Guru an der Wand bohrte seine Augen in die meinen.

»Was stimmt nicht?« fragte ich. Schließlich war nicht ich der Hellseher.

»Der Ort«, sagte Herr Wolf und werkelte an seinem zauberwissenschaftlichen Gerät. »Sie sind nicht wirklich dort geboren, aber Sie bewegen sich darauf zu.«

Damit war offenbart, was meine zartnervige Mutter ihr Leben lang zu vertuschen sich bemühte. Ich bin in einer Kutsche auf der Fahrt nach Czernowitz geboren. Die Familie meiner Mutter lebte damals auf dem Lande. Meine Eltern hatten noch keinen eigenen Hausstand eingerichtet: Weil mein Vater – beruflich, wie es hieß, aber mehr noch jagdlich – viel unterwegs war, meine Mutter wegen eines Nierenleidens (an das jedermann mit Ausnahme ihrer Ärzte glaubte) die längste Zeit des Winters in Ägypten verbrachte, den Sommer meist in der...

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