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E-Book

Was zu bezweifeln war

Die Lüge von der objektiven Wissenschaft

AutorHans-Dieter Radecke, Lorenz Teufel
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783426400210
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Wo liegen die Grenzen unserer Erkenntnis? Stehen wir im Zentrum der Zeit? Hat die Evolution ein Ziel und ist der Urknall gar nur ein Werbegag? In einer launigen Reise durch die Geschichte der menschlichen Erkenntnis finden die Autoren überraschende Antworten. Am Ende erweist sich der wissenschaftliche Wahrheitsanspruch als ebenso unhaltbar wie die Vorstellung einer von uns unabhängigen Welt. Was zu bezweifeln war von Hans-Dieter Radecke, Lorenz Teufel: als eBook erhältlich!

Hans-Dieter Radecke, Jahrgang 1954, studierte Physik und Astronomie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Promotion in Theoretischer Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Mehrjährige Tätigkeit an der Münchner Universität und beim Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik und Astrophysik in Garching bei München. Hans-Dieter Radecke lebt als freier Journalist in der Nähe von Landshut.Lorenz Teufel, Jahrgang 1962, studierte Elektrotechnik an der TU München. Anschließendes Studium der Physik an der Ludwig-Maximilian-Universität München. Diplom in Festkörperphysik. Daneben philosophische Studien. Lorenz Teufel lebt als freier Journalist in der Nähe von Nürnberg.

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Leseprobe

Das Duell


Vernunft gegen Glauben. So lautet das Duell. Doch wo verläuft die Grenze zwischen Vernunft und Glauben? Lassen beide sich wirklich so deutlich voneinander unterscheiden, wie wir das gemeinhin glauben? Fällt die Beschäftigung mit dem Paranormalen in den Bereich der Vernunft, oder ist der Glaube daran so unvernünftig wie der Glaube an Naturgeister oder die Weisen von Zion?

Die Ursprünge des Glaubens und der Vernunft liegen tief im Nebel von Zeit und Geschichte verborgen. Über Jahrtausende hinweg gab es den Unterschied zwischen Vernunft und Glauben wahrscheinlich gar nicht.

Was es aber schon von Anbeginn des Menschen an gab, das war der Drang zu verstehen. Ein Mensch zu »sein« bedeutet geradezu, die Suche nach Erklärungen und Sinn zu verkörpern.

Der Mensch möchte seine Welt – die ganze Welt – verstehen, und zu diesem Zweck erschafft er sich Bilder vom Universum, er erschafft sich Kosmologien. Die ursprünglichsten Weltbilder, die wir kennen, sind magische Weltbilder und datieren wohl Hunderttausende von Jahren zurück.

Im Zeitalter der Magie versuchten die Menschen ihre Welt mit Hilfe von Geistern zu verstehen. Was sich ereignete, wurde durch das Wirken von guten oder bösen Geistern erklärt. Diese Geister zeigten sich in pflanzlicher wie in tierischer Gestalt und waren auch in Feuer, Wind, Erde oder Wasser verkörpert. Tag und Nacht, Blitz und Donner, Erfolg oder Misserfolg bei der Jagd, Heilung und Tod – hinter alldem standen das Wirken und die Absicht von Geistern. Diese magischen Weltbilder betrachten wir heute als abergläubischen Unsinn und lächeln über die Einfalt der vernunftlosen »Primitiven«, auf die sie zurückgehen. Doch so einfach dürfen wir uns die Sache nicht machen, denn auch diese Weltbilder entbehrten nicht einer gewissen Vernunft und waren aus der Erfahrung abgeleitet. Diese Menschen projizierten ihr Inneres nach außen. Sie wussten aus eigener Erfahrung, dass ihre Handlungen durch Absichten motiviert waren. Was sie taten, taten sie nicht einfach so, vielmehr verfolgten sie einen Zweck damit. Wenn sie ein Werkzeug herstellten, dann in einer bestimmten Absicht. Wenn sie auf die Jagd gingen, dann weil sie Hunger hatten. Wenn sie jemanden töteten, dann aus Not, Wut, Hass oder Gier. Jede Handlung war motiviert durch Sinn und Zweck. Was lag da näher als die Annahme, dass die Vorgänge in der Natur ihren Ursprung in den Absichten irgendwelcher Wesen hätten?

Was wir heute als Vernunft oder vernünftig bezeichnen, ist das Ergebnis einer langen Entwicklung. Die Grenze, die wir in unserer heutigen Kultur zwischen Vernunft und Glauben ziehen, ist nicht absolut unverrückbar. Das war sie nie, und sie wird es wohl auch nie sein. Noch im Mittelalter war es überaus vernünftig, sich mit den Eigenschaften von Engeln zu befassen. Und noch im 18. und 19. Jahrhundert gehörte das Studium von Geistern und Dämonen zum Reich der Vernunft und zum geistigen Rüstzeug vieler Aufklärer.[36] Wie wir noch sehen werden, fußt auch unsere heutige, auf Mathematik und Logik aufbauende Naturwissenschaft auf keinem festen Grund. Weder Wissenschaft und Mathematik noch Logik haben die Sphäre des Glaubens (im Sinne einer tiefen Überzeugung, die einem zwingenden Beweis durch Logik oder Erfahrung nicht unmittelbar zugänglich ist, aber trotzdem aus tiefstem Herzen für wahr gehalten wird) vollständig verlassen. Die absolute Gewissheit, der sichere archimedische Punkt, von dem aus die Vernunft die Welt auf feste, sichere Schultern wuchten könnte, ist nirgends zu finden.

Dass die Vernunft nicht in der Lage ist, letztgültige Wahrheiten zu begründen, das hatte schon der Kirchenlehrer Augustinus (354430) erkannt. In Vorwegnahme von Descartes’ »Ich denke, also bin ich« formulierte Augustinus den Satz: »Wenn ich mich täusche, bin ich« (»Si enim fallor, sum«[37]). Da man letztlich an allem zweifeln kann, was außerhalb von einem selbst liegt, führte der Weg zu den Grundlagen der Gewissheit für Augustinus nach innen. »Gehe nicht nach draußen, kehre in dich selbst ein; im inneren Menschen wohnt die Wahrheit.«[38] Indem sich der Mensch seiner eigenen Zweifel und Fehler bewusst ist, ist er sich seiner selbst bewusst, und damit ist die eigene Existenz – allen Zweifeln zum Trotz – gewiss.

Das Verhältnis von Vernunft und Glauben bündelte Augustinus in dem Satz: »Glaube, um zu erkennen, erkenne, um zu glauben.«[39]

Über tausend Jahre später nahm René Descartes (15961650) diesen Faden wieder auf und versuchte die Grenzen der Vernunft auszuloten. Er machte ein monströses Zweifelsexperiment. Er fragte: Auf was, auf welche Wahrheit kann ich mich bedingungslos verlassen, um dann darauf ein sicheres und wahres Weltbild zu errichten. Auf die Sinne können wir uns nicht verlassen. Zu leicht werden wir durch sie getäuscht. Bewege ich mich oder bewegt sich die leere Flasche Wodka vor mir? Bewegt sich die Erde oder die Sonne? Lassen sich Schmidt-Maschinen beeinflussen, oder waren die Forscher in Princeton nur zu dumm zum Messen? Die Antwort geben uns nicht die Sinne, sondern das nüchterne Denken. Unsere Sinne bedürfen der Kontrolle durch das Denken. Aber, fragte Descartes, können wir uns auf das Denken verlassen? Nein, auch das Denken kann uns täuschen. Wer träumt, weiß nicht immer, dass er träumt. Wer im Drogenrausch halluziniert, weiß nicht immer, dass er halluziniert, und wer irrt, weiß nicht, dass er irrt. Auch die allgemeinsten Grundbegriffe, auch die tiefsten Wahrheiten, auf denen alles Denken und Erkennen beruht, sind zweifelhaft. Raum und Zeit sind nicht getrennt, und Quanten sind keine Dinge. Also gibt es keine Gewissheit? Falsch, sagte Descartes. Wer zweifeln kann, muss denken können. Und wer denken kann, existiert. Allein die Tatsache, dass ich alles bezweifeln kann, vermittelt mir die absolute Gewissheit, dass ich bin, dass ich existiere. Da ich denke und zweifle, muss ich existieren. »Ich denke, also bin ich.«[40]

Das 17. Jahrhundert Descartes’ war eine sehr fruchtbare Zeit für die Vernunft. Hier liegen die Wurzeln der europäischen Aufklärung und der modernen Wissenschaft. Im Gefolge des Renaissance-Humanismus, der den Wert und die Würde des Einzelnen betonte, glaubten die Menschen an die Kraft des eigenen Verstandes und begannen althergebrachte Glaubensvorstellungen in Frage zu stellen und abzuwerfen.

Männer wie Bruno, Galilei und Kepler wagten es damals, ein Weltmodell in Frage zu stellen, das Menschen aus drei Religionen seit Jahrhunderten Heimat, Halt und Trost war. Der Kosmologe Edward R. Harrison sagt über dieses System: »Christen, Juden und Moslems waren mit einem kosmischen Schema gesegnet, in dem sie die wichtigste Stellung in einem endlichen und begrenzten aristotelischen Universum hatten, das die Erde umkreiste. Nach den arabischen und europäischen Standards jener Zeiten war es ein rationales und gut organisiertes Universum, das jedermann verstehen konnte; es gab der Menschheit einen Standort und eine hervorragende Bedeutung im Firmament, es lieferte für die Religion eine sichere Grundlage, und es verlieh dem menschlichen Leben auf Erden Sinn und Ziel. Niemals zuvor oder danach hat die Kosmologie den Alltagsbedürfnissen der gewöhnlichen Leute auf so lebendige Weise gedient; sie war gleichzeitig ihre Religion, ihre Philosophie und ihre Wissenschaft.«[41]

Kann man mehr von einem Weltbild erwarten? Man konnte – und man musste. Denn dieses aus aristotelischer Philosophie, ptolemäischer Astronomie und scholastischer Theologie zusammengeschusterte Weltbild hatte – und das nicht nur durch Galileis Fernrohr betrachtet – doch einige Macken aufzuweisen. Sehen wir uns die Hauptmerkmale dieses Wunderwerks einmal etwas genauer an.

Im mittelalterlichen Universum ruhte die Erde im Mittelpunkt. Sonne, Mond, Planeten und Sterne waren perfekte, makellose Körper, die um die Erde kreisten. Das Universum war endlich in Raum und Zeit. Es hatte einen Anfang (den 1. Schöpfungstag), ein Ende (die Apokalypse) und eine räumliche Grenze nach außen (die Fixsternsphäre). Die größten Schwierigkeiten des Systems ergaben sich aus der Zweiteilung der Welt in eine irdische und himmlische (sub- und supralunare) Sphäre und aus den unterschiedlichen Eigenschaften, welche die Materie in diesen Sphären haben sollte. Die himmlischen, supralunaren Himmelskörper mussten sich in diesem Modell nämlich alle auf vollkommenen, harmonischen und ewigen Kreisbahnen um die Erde bewegen. Diese Wunschvorstellung einer perfekten himmlischen Harmonie, die perfekten mathematischen Kreisen folgen sollte, trotzte allen gegenteiligen Beobachtungen. Und solche Beobachtungen gab es genug, denn die beobachteten Bahndaten der himmlischen Objekte fügten sich einfach nicht in das harmonische Bild der Himmelsgucker. Die Aufgabe der damaligen Astronomen bestand hauptsächlich darin, die beobachteten unregelmäßigen Bahndaten mit Hilfe der Mathematik in vollkommene Kreisbahnen zu verwandeln. Sie erreichten dies, indem sie Zusatzannahmen machten (ein auch heute noch beliebter Kunstgriff der Kosmologen) und sogenannte Epizykel einführten. Epizykel sind Kreisbahnen, deren Mittelpunkt wiederum auf einem Kreis umläuft. Ein Planet, der die Erde auf einem Epizykel umkreist, umkreist einen gedachten Punkt, der wiederum die Erde umkreist. Durch diesen und noch andere mathematische Tricks (so wurde Epizykel auf Epizykel gestapelt) gelang es ihnen (mehr oder weniger), die beobachteten Phänomene mit ihrer Theorie in Einklang zu bringen.

Dies war der Stand der Dinge, als Galilei zum...

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