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E-Book

Erfahrungsschatz Neurologie

VerlagGeorg Thieme Verlag KG
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl216 Seiten
ISBN9783132407541
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Mit diesem Buch erhalten Sie spannende Einblicke in die täglichen Arbeitsprozesse der Neurologie. Profitieren Sie von tradiertem Experten-Wissen des dynamischen Fachgebiets. Lernen Sie an konkreten Beispielen, wie Sie Stolpersteine, Fehlerquellen und diagnostische Fallstricke vermeiden und von vornherein differenzialdiagnostisch denken. Die anschaulich und unterhaltsam formulierten Fallbeschreibungen fokussieren sich auf Standard-Situationen und Problemstellungen, die Ihnen so oder auch ähnlich begegnen können. Nutzen Sie die Erfahrungen anderer und lassen Sie sich durch den diagnostischen Prozess führen. Seien Sie auf den klinischen Alltag vorbereitet - mit Wissen, das weit über ein Standard-Lehrbuch hinausgeht. Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.

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Leseprobe

1 Schwindel I: Patient mit Spontannystagmus und Übelkeit


Julian Bauer, Christian Henke

„Sick as a dog. Okay. Okay. Gonna vomit.”

Dr. Evil – Austin Powers: The Spy Who Shagged Me

Ein Räuspern. „Dr. P.?“ Der Neurologe der ZNA sieht auf. Vor ihm steht ein junger Mann in medizinischer Arbeitskleidung. „Ja, bitte?“ „Mein Name ist Jean-Martin C., ich bin in den nächsten zwei Wochen ihr PJ-Student in der Notaufnahme.“ „Ach, das ist ja schön, dass ich das auch mal erfahre, dass ich jetzt einen PJler habe. Na dann: herzlich willkommen“, lacht der Stationsarzt. „Es gibt auch direkt etwas zu tun. Ich habe gerade Bescheid bekommen, dass in Kabine 5 ein neuer Patient eingetroffen ist. Den schauen wir uns am besten direkt mal an, oder? Die anderen üblichen Formalitäten können wir ja später regeln…“

„Ja, gerne, was hat er denn, der neue Patient?“ „Für deinen Einstieg gleich mal eines der häufigsten Symptome, das die Notaufnahme einem Neurologen zu bieten hat. Eine Idee?“ Der Student überlegt. „Kopfschmerzen? Eine Parese?“ „Nein, Schwindel!“ „Ah so. Ist das nicht ein Symptom mit vielen möglichen Ursachen?“ „Ja – so die eine oder andere“, schmunzelt Dr. P. „Soll ich mal aufzählen?“

Zusatzinfo

Mögliche Differenzialdiagnosen beim Symptom „Schwindel“: kleine Übersicht

peripher-vestibuläre Störungen:

  • Vestibulopathie (Maximalform: „Vestibularisausfall“) einseitig oder beidseitig

  • benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS)

  • Morbus Menière

  • Perilymphfistel

  • Vestibularisparoxysmie

(sub)akute ZNS-Schädigung:

  • Akustikusneurinom/intrakranielle Tumoren

  • infratentorieller Schlaganfall (Hirnstamm/Kleinhirn) Stromgebiete AICA (anterior inferior cerebellar artery), PICA (posterior inferior cerebellar artery)

  • entzündlicher ZNS-Prozess (MS-Schub mit infratentorieller Läsion)

chronisch-degenerative Erkrankungen:

  • Multisystematrophien (MSA)

  • Parkinson-Syndrom

  • Normaldruckhydrozephalus

  • spinozerebelläre Ataxien

  • Polyneuropathie (distal-symmetrisch mit oft sensibler Ataxie)

Blutzusammensetzung und Blutdruck:

  • arterielle Hypotonie/Orthostase/Multisystematrophie vom Parkinson-Typ (MSA-P)

  • arterielle Hypertonie

  • Hypoglykämie

  • Elektrolytstörung (Hyponatriämie, Hypomagnesiämie)

  • Anämie

  • Hyperventilation

sonstige Ursachen:

  • Medikamentennebenwirkung (z.B. Opiate, Benzodiazepine, Antikonvulsiva)

  • vestibuläre Migräne

  • episodische Ataxien

  • psychogen/somatoform/„phobischer Schwankschwindel“ = 3P-D (persistent postural-perceptual dizziness)

„Oh je, wie soll man denn bei so vielen möglichen Ursachen die richtige Diagnose finden?“ „Na, du bist doch die nächsten zwei Wochen hier! Da kann ich dir gerne zeigen, wie man sich Schritt für Schritt bei so etwas herantastet. Ist es ok für dich, wenn wir das förmliche Sie ablegen?“ „Ja, gerne!“

In Kabine 5 werden die beiden mit einer ernsten Lage konfrontiert. Vor ihnen sitzt ein 55-jähriger Patient in Begleitung der Ehefrau mit einem von zu Hause mitgebrachten Eimer in seinem Arm, den er sich immer wieder vor das Gesicht hält, wenn er von Neuem zu würgen beginnt.

„Wie lange geht es Ihnen schon so schlecht?“ Da der Patient kaum in der Lage ist, auf Fragen zu antworten, berichtet hauptsächlich die Gattin. „Er ist heute Morgen um 6 Uhr wach geworden und hat gesagt, ihm sei ganz schlecht. Und dann ging es auch schon los mit dem Übergeben – in einem fort, das hat gar nicht mehr aufgehört. Er meinte, er sehe verschwommen, teilweise habe der ganze Raum gewackelt. Gestern Abend war noch alles in Ordnung!“

Der Patient lässt sich unter diesen Umständen kaum untersuchen. Dr. P. hilft ihm auf eine Trage und schafft es, ihm kurz in die Augen zu leuchten.

„Jean-Martin, schau mal: Das ist mal ein Spontannystagmus! Den sieht man schon ohne Frenzel-Brille.“

Zusatzinfo

Was ist eine Frenzel-Brille?

Entwickelt von Herrmann Frenzel ist die Fixationssuppressionsbrille (Frenzel-Brille) eine von innen beleuchtete Vorrichtung, die dem Patienten vor die Augen gehalten wird. Die Gläser haben eine Stärke von mindestens +15 Dioptrien und haben zwei Vorteile:

  • Der Untersucher sieht durch den Lupeneffekt die Augen des Patienten stark vergrößert und kann Nystagmen besser erkennen.

  • Der Patient kann durch die starke Dioptrienzahl und die Beleuchtung nicht mehr visuell fixieren, was ansonsten Spontannystagmen unterdrücken könnte.

Zur Beurteilung von Nystagmen ist die Frenzel-Brille unerlässlich, da diskret vorhandene Nystagmen oder Sakkaden in der normalen klinischen Untersuchung mit der üblichen Augenleuchte leicht übersehen werden können.

„Bei Blick in welche Richtung hat er den Nystagmus?“, fragt der PJ-Student. „Na, schon spontan bei Blick geradeaus. Verwechselst du das gerade etwa mit einem Blickrichtungsnystagmus?“

Zusatzinfo

Spontannystagmus, Blickrichtungsnystagmus, Lagerungsnystagmus: grobe klinische Differenzierung

  • Nystagmus allgemein: regelmäßige („rhythmische“) nicht kontrollierbare Augenbewegungen; Kombination aus langsamer Augenbewegung und schneller Rückstellbewegung (die die Richtung des Nystagmus definiert)

  • Spontannystagmus: bei freiem Blick geradeaus auftretend, horizontal nach rechts oder links oder vertikal nach oben oder unten; kann eine rotatorische Komponente enthalten

  • Blickrichtungsnystagmus: tritt erst bei Blick in eine oder mehrere Richtungen auf (zu testen in 30° Stellung der Bulbi)

  • Endstellnystagmus: bei Endposition des Bulbus; bis 3 Schläge können noch physiologisch sein

  • Lagerungsnystagmus: provoziert durch Lageänderung, setzt mit Latenz ein, erschöpflich (meist bei benignem paroxysmalem Lagerungsschwindel)

  • zentraler Lagenystagmus: provoziert durch Lageänderung, ohne Latenz, unerschöpflich (bei infratentoriellen Läsionen)

„Ach ja, richtig“, meint der PJler. „Jetzt weiß ich wieder den Unterschied, danke.“

Dr. P. konnte dem Patienten mittlerweile einen venösen Zugang legen und eine Ampulle Dimenhydrinat gegen die Übelkeit i.v. spritzen. Durch das ruhige Liegen und die Injektion hat sich sein Zustand ein wenig verbessert, so dass Dr. P. ihn genauer untersuchen kann.

Zusatzinfo

Akuttherapie bei Schwindel und Nystagmus

Es gibt wenige Medikamente, die einen Schwindel wirksam günstig beeinflussen. Meist behilft man sich mit „zentral dämpfenden“ und antiemetischen Präparaten (Gabe: maximal 3 Tage).

Antihistaminika:

  • Dimenhydrinat 50 mg oral 4–6x/24 h oder 100 mg i.v. 1–3x/24 h

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