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E-Book

Erwachsenenbildung und Migration

Ankommen. Weiterkommen? Flucht, Asyl und Bildung

VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl124 Seiten
ISBN9783744845595
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Erwachsenenbildung und Migration. Ankommen. Weiterkommen? Flucht, Asyl und Bildung. Magazin erwachsenenbildung.at, Nr. 31/2017

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Leseprobe

02 Thema


Vom Flüchtlingsstrom bis hin zum Flüchtlingstsunami? Metaphern als Meinungsbildner


Constanze Spieß


Spieß, Constanze (2017): Vom Flüchtlingsstrom bis hin zum Flüchtlingstsunami? Metaphern als Meinungsbildner.

In: Magazin erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs. Ausgabe 31, 2017. Wien.

Online im Internet: http://www.erwachsenenbildung.at/magazin/17-31/meb17-31.pdf.

Druck-Version: Books on Demand GmbH: Norderstedt.

Schlagworte: Metaphern, Sprachhandeln, Migration, Zuwanderung, Kommunikation

Kurzzusammenfassung

In der öffentlichen Debatte um Zuwanderung und Migration werden vor allem in den Massenmedien Metaphern wie „Flüchtlingsstrom“, „Flüchtlingswelle“, „Flüchtlingslawine“ oder gar „Flüchtlingstsunami“ verwendet. Diese Sprachbilder beeinflussen unser Denken, Handeln und Sprechen und lösen oftmals Ängste aus. Die Autorin des vorliegenden Beitrags geht für die Redaktion des Magazin erwachsenenbildung.at auf die Suche nach der Funktion und Macht von Metaphern im öffentlich-politischen Sprachgebrauch und untersucht konkret unser Reden über Zuwanderung und Migration. Ihre Schlussfolgerung: Die Verwendung von Metaphern zum Thema Zuwanderung und Migration, die Bedeutungsaspekte wie „große Gefahr“ (Naturkatastrophe) oder eine „nicht endende, große Bewegung“ (Wasserlauf) fokussieren, engt die Sicht auf den Sachverhalt ein. Und mehr noch: Metaphern wie Strom, Welle, Lawine und Tsunami tragen dazu bei, dass die Personengruppe der Migrant_innen sprachlich negativ kontextualisiert und bewertet wird. (Red.)

Vom Flüchtlingsstrom bis hin zum Flüchtlingstsunami? Metaphern als Meinungsbildner


Constanze Spieß


Metaphern sind kognitive und sprachliche Phänomene unserer Alltagskommunikation. Sie prägen und strukturieren unser Denken, Handeln und Sprechen. Dementsprechend spielen Metaphern auch im öffentlich-politischen Kommunikationsbereich, der sowohl die veröffentlichte Meinung präsentiert als auch Plattform für die Meinungsbildung ist (siehe hierzu Girnth 2015), eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Meinungen zu etablieren, zu stabilisieren und zu vermitteln.

Öffentlicher Sprachgebrauch und Metaphern

Öffentlich-politisches Sprachhandeln ist zwar nicht nur, aber in erster Linie als persuasives (wertend-überredendes bzw. wertend-überzeugendes) Sprachhandeln zu beschreiben. Es setzt sich zum Ziel, möglichst viele Personen von der je eigenen Position zu überzeugen. Metaphern spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, weil sie sich aufgrund ihrer Struktur für persuasives sprachliches Handeln in besonderer Weise eignen.

Entsprechend kognitionswissenschaftlicher Definitionen (siehe Lakoff/Johnson 1980) handelt es sich bei Metaphern um mentale Projektionsprozesse, bei denen zwei Vorstellungsbereiche bzw. Konzepte, die normalerweise in semantisch-thematischer Hinsicht nicht in Relation zueinander stehen, zueinander in Verbindung gebracht werden. Bezüglich der zwei Konzepte unterscheidet man in Herkunftskonzept und Zielkonzept.

Durch die Verbindung dieser beiden Konzept- bzw. Vorstellungsbereiche werden ausgewählte Bedeutungsaspekte des Herkunftskonzepts auf das Zielkonzept projiziert. Es werden dabei aber nicht alle Bedeutungsaspekte übertragen, sondern nur diejenigen Bedeutungsaspekte projiziert, die in irgendeiner Art und Weise zum Zielkonzept passen bzw. dieses in seinen Eigenschaften näher beschreiben, etwa dadurch, dass Analogien zwischen dem Herkunfts- und dem Zielbereich hergestellt werden oder Eigenschaften vom Herkunftsbereich auf den Zielbereich projiziert werden. Die anderen Bedeutungsaspekte des Herkunftsbereiches verbleiben beim Projektionsprozess im Hintergrund bzw. kommen nicht zur Geltung. Metaphern haben damit immer schon eine Filter-, Fokussierungs- oder Perspektivierungsfunktion (siehe ebd.).

Im Kommunikationszusammenhang erfüllen Metaphern verschiedene Aufgaben. Die jeweilige Realisierung der Aufgabe bzw. Funktion hängt zu einem Großteil von der kommunikativen Situierung und vom Kontext ab. Hierzu gehören neben dem Kommunikationsbereich, der Redekonstellation, der sozialen Rolle, dem Adressat_innenkreis auch die Art und Weise der medialen Kommunikation. Typische Funktionen bzw. Aufgaben, die Metaphern erfüllen, können die Funktion der Sachverhaltsbezeichnung und Sachverhaltsdarstellung, der Wissensvermittlung oder der Erschließung von Sachverhalten, aber auch die Deutung und die Bewertung von Sachverhalten sein. Letztere sind vor allem darauf zurückzuführen, dass beim Metaphorisierungsprozess mit der verwendeten Metapher immer schon bestimmte Bedeutungsaspekte fokussiert werden und damit aber gleichzeitig auch andere Bedeutungsaspekte in der entsprechenden Kommunikationssituation nicht zur Geltung kommen, so dass eine Perspektivierung des Sachverhaltes mit der Metaphernverwendung erfolgt.

Abb. 1: Projektionsprozess bei Metaphorisierungen

Quelle: Eigene Darstellung

Metaphernkonzepte sind hierarchisch strukturiert, d.h. die realisierten Metaphern gehören immer schon einem abstrakteren Konzeptbereich an, z.B. ist die Metapher vom Flüchtlingsstrom der Wasserlauf-Metaphorik zuzuordnen, die Metapher von der Flüchtlingslawine dem Konzeptbereich der Naturkatastrophe.

Metaphern im Diskurs über Zuwanderung und Migration

Zur Bezeichnung von Zuwanderungsbewegungen haben sich im Kontext von Migrationsdiskursen verschiedene Metaphern etabliert, die den Konzeptbereichen der Naturkatastrophe oder des Wasserlaufs zugeordnet werden können. Viele der realisierten Metaphern zählen zu den konventionalisierten Metaphernkonzepten, einige aber sind relativ neu im Kontext des Sprechens und Schreibens über Migration. Gemeinsam ist konventionalisierten wie neuen Metaphernrealisierungen, dass mit ihnen Bewertungen von Migrationsbewegungen und Migrant_innen verbunden sind. Die nachfolgend aufgeführten Sprachbelege aus Printmedientexten geben einen Einblick, wie die Metaphern aus den Konzeptbereichen Wasserlauf und Naturkatastrophe realisiert werden.

Sprachbelege

  1. „Zusatzfragen konzentrierten sich diesmal auf die anschwellende Flüchtlingswelle: Chance oder eher Bedrohung? Und: Was muss getan werden, um den Zuzug zu beschränken oder um Zuwanderer in Wirtschaft und Gesellschaft zu integrieren?“ (Alt-Neuöttinger Anzeiger, 5.9.2015; Hervorh.d.Verfas.)
  2. „Im Vorfeld wurde angekündigt, dass Österreich zur Bewältigung der Flüchtlingsflut auch mit finanzieller Hilfe aus dem EU-Haushalt rechnen kann. Wie der Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Österreich, Johann Sollgruber, diese Woche in einer Aussendung bestätigte, hält Brüssel Unterstützung bereit.“ (Die Presse, 27.8.2015; Hervorh.d.Verfas.)
  3. „Doch diese Hilfsbereitschaft könnte durch das Versagen der EU gefährdet werden. Von Solidarität keine Spur. Europa zerbröselt im Kern und an den Rändern – und das in einem Moment, wo aus dem Flüchtlingsstrom eine Völkerwanderung ungeahnten Ausmaßes zu werden droht. Wo bitte ist in dieser heiklen Situation der EU-Ratspräsident, der Pole Donald Tusk? Nichts hört man von ihm. Ist er Gefangener seines Landes? Schweigt er, weil Polen noch eine weitere Flüchtlingswelle befürchtet – eine Flüchtlingswelle aus der Ukraine nämlich, falls das Minsker Abkommen am Ende doch noch scheitert und Putin sein Ziel erreicht?“ (Berliner Morgenpost, 4.9.2015; Hervorh.d.Verfas.)
  4. „Für mich hat unsere Regierung beim aktuellen sog. Flüchtlingstsunami völlig versagt. Innenministerin Mikl-Leitner ist heillos überfordert und der Bundeskanzler meist auf Tauchstation bzw. jettet regelmäßig nach Brüssel, um dort Small Talk zu betreiben. Ich stelle mir unter entscheidungsfreudigen Führungskräften etwas anderes vor. Ist Österreich noch ein Rechtsstaat, in dem Gesetze eingehalten und Grenzen, Staatsbürger sowie Eigentum von Polizei und Bundesheer geschützt werden?“ (Presse, Debatte, 27.10.2015, Leserbrief von Karl Ettinger vom 23.10 auf den Artikel „Österreichs Asylpolitik per Zuruf“; Hervorh.d.Verfas.)
  5. „Die anhaltende Flüchtlingsbewegung nach Deutschland und in andere europäische Staaten kann sich nach Einschätzung des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble (CDU) zu einer ‚Lawine‘ ausweiten. ‚Lawinen kann man auslösen, wenn irgendein etwas unvorsichtiger Skifahrer an den Hang geht und ein bisschen Schnee bewegt‘, sagte Schäuble am Mittwochabend in Berlin. Ob die Lawine schon im Tal angekommen sei oder im oberen Drittel des Hanges, wisse er nicht, so der Minister weiter.“ (FAZ, 12.11.2015; Hervorh.d.Verfas.)

Mit den hier vorliegenden sprachlichen Realisierungen „Flüchtlingsflut“, „Flüchtlingswelle“, „Flüchtlingsstrom“, „Flüchtlingstsunami“ sowie der hier verwendeten Phrase „anhaltende Flüchtlingsbewegung kann sich zu einer Lawine ausweiten“ aus den Konzeptbereichen Wasserlauf und...

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